Bienvenue ! Schön, dass Sie auf den Seiten meines Blogs gelandet sind. Hier notiere ich nahezu täglich, wie der Sprachberuf, ich bin Französischdolmetscherin und -übersetzerin, die Sicht auf den Alltag verändert.
Dolmetschen ist immer auch interkulturelle Arbeit. Das beinhaltet, von den Vorurteilen der einen gegenüber den anderen zu wissen — und sich in länderspezifischen Besonderheiten auskennen zu lernen. Mit Frankreich und Deutschland war das für mich viel Arbeit, und zugleich dank einer anderen "interkulturellen Erfahrung" völlig selbstverständlich.
Ich bin in "Westdeutschland" geboren (wie es "Westberliner" ab Mitte 40 noch heute sagen), im anderen Teil Deutschlands lebte aber der Großteil der Verwandtschaft, so lernte ich von Kindestagen an, dass Begriffe ihr jeweils eigenes Hinterland haben können, dass Assoziationsketten mitunter andere sind, dass sich je nach Situation möglicherweise ein- und derselbe Mensch anders ausdrückt.
Und manchmal bedeutete schon auf Deutsch ein- und dasselbe Wort sogar etwas anderes, zum Beispiel das Wort Konsum (mit langem, betontem U) als Synoym für Verbrauch, Einkauf und das, was man sich leisten kann. Auf Ostdeutsch war der Konsum, das O betont, das U kurz, einer der Läden der Stadt, in der meine Familie lebte.
Dann kam sehr früh Frankreich hinzu. Ich durfte ohne zu vergleichen eintauchen in die französische Kultur und Sprache. Das war mein Glück. Nur so konnte ich die Vernetzungen der Worte und vieles von dem, was mitschwingt, überhaupt lernen.
Sprachkenntnisse allein machen niemanden zum Übersetzer oder Dolmetscher. Die Übertragungsarbeit folgt Kulturtechniken und Regeln, die sich lernen lassen. Davor aber stand harte Arbeit. Es hat sich so angefühlt, als würde ich Französisch und auch Deutsch ein weiteres Mal lernen. Ich musste nämlich die Entsprechungen lernen, die oft bestehende Nähe als solche erkennen, die Unterschiede wahrnehmen, die Übergänge üben, ich durfte unterschiedliche Gedankenfelder unterschiedlicher Kulturen dort in Übereinstimmung bringen lernen, wo sie übereinstimmen, und anderswo klar die Verschiebungen spüren lernen. Diese sind oft historisch bedingt, das hilft beim Lernen. Oft ergeben sich diese Erkenntnisse aber nur im Alltag. So entwickelt sich ein erweitertes Sprachgefühl.
Ein Sprachgefühl auch für komische Dinge: Selbst gerechnet wird hier und dort anders. Zahlenbeispiele habe ich schon öfter gebracht. Auch in der Philosophie gibt es zentrale Unterschiede zwischen beiden Ländern, gerade weil Frankreich und Deutschland einander hier immer wieder bereichert und angeregt haben. Hier geht etliches auch aufs Konto schlechter Übersetzungen; ich habe mich immer geweigert, diese in die Hand zu nehmen, weiß aber, dass diese Ebene zum vollen Begreifen der Missverständnisse nötig wäre.
Zum Abschluss noch zwei einfache Beispiele für diese Verschiebungen im Alltag. Wer als Dolmetscherin oder Übersetzerin das im Schlaf kann, hat seine Kulturen wirklich verinnerlicht. So sagen zum Beispiel die Deutschen in "14 Tagen" oder in "zwei Wochen", auf Französisch heißt das dans quinze jours, also in 15 Tagen. Bitte jetzt keine Fragen, ich weiß auch nicht, warum das so ist. Auch die mittelfristigen Wettervorhersagen erstrecken sich in Frankreich über 15 Tage, in Deutschland über zwei Wochen.
Auch ihren Kalender verstehen die Franzosen sehr oft anders. La rentrée, dieser kollektive "Almabtrieb" runter von den Bergen, weg von den Stränden und Dörfern (bei Großmuttern), wenn das schulische, politische, soziale, akademische und literarische Leben wieder anfängt (la rentrée sociale, la rentrée politique, la rentrée sociale, la rentrée universitaire, la rentrée littéraire), dieser kollektive Start in die neue Saison wird in Frankreich nicht selten wie ein Jahresanfang gewertet.
Wenn im November oder Dezember jemand l'année dernière sagt, letztes Jahr, dann ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Zeit vor der Sommerpause gemeint. Jetzt, so kurz vor dem Jahreswechsel, klingt das für deutsche Ohren irritierend.
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Foto: C.E. (Archiv)
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