Mittwoch, 18. Dezember 2013

Asapitis

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­buchs aus der Welt der Sprachen. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache und aus dem Englischen. Hier denke ich über unsere Berufswelt nach — und ris­kiere den Weihnachtsfrieden.

Asap! Asap klingt in seiner Atemlosigkeit nicht zufällig "zack, zack!" recht ähnlich. Auf je­den Fall schwingt bei der Abkürzung von as soon as possible deutlich mehr Eile mit, als wir es von der Langfassung gewöhnt sind. Bedenklich wird die Chose dann richtig mit ihrer verbalen Medikalisierung, wenn also aus asap die Asapitis wird.

Die griechische Endung -itis (ίτις) gab zunächst einen sprachlichen Hinweis auf ein körperliches Leiden, erst etwa im 17. Jahrhundert entstand daraus die Sub­stan­ti­vie­rung, die sich überwiegend auf Entzündungen bezog. Heute wird sie der Ein­fach­heit halber bei den meisten (aber nicht bei allen) Entzündungen verwendet.

Also, lieber Kunde: Danke für die Anfrage. Für wann wäre die Übersetzung fer­tig­zu­stel­len? — Am besten zu gestern, gut, zur Not haben wir noch einige Tage Zeit. Wie, das ist nicht möglich? Aber Sie haben doch Computer!

Übersetzungen entstehen von Hand, sie sind aufwendig, zeitraubend, die Rechner unterstützen uns nur. Die Vielfalt der Spra­chen, diverse Ebenen, Dia- und So­zio­lek­te, kulturelle Einflüsse wie Zitate, Stil­for­men und rhetorische Muster, nicht zu sprechen von (aus Computer- oder Kin­der­sicht) so schweinischen Dingen wie Ironie sorgen dafür, dass unserer Branche die Aufträge noch lange nicht ausgehen wer­den. Hand­arbeit braucht Zeit, am besten an nor­ma­len Werktagen, un­be­ein­flusst von fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen oder Feiertagen.

Diese Zeilen entstehen eine Woche vor Weihnachten. Die große Pause steht an.

Im Januar geht's mit vereinten Kräften neu los. So staune ich nicht schlecht, als ich mich dieser Tage um einen umfangreichen Kostenvoranschlag kümmern darf. Etwas Arbeit zwischen den Jahren und nach Sylvester, damit hatte ich gerechnet. An­stel­le des Drehbuchs landeten 200 eng beschriebene Seiten in meiner Mail­brief­box, Material für eine AV-Produktion, 450.000 Anschläge inklusive Leer­zei­chen. Das ent­spricht vier normalen Drehbüchern.

Durchschnittlich kostet die Übersetzung eines nicht so schweren, normal langen Drehbuchs um die 3000 Euro. Ich fing also an zu rechnen. Doch hier prallten drei Dinge aufeinander, wenn nicht vier: Weihnachten und anschließende Urlaubszeit, Masse, Termindruck ... und die Tatsache, dass zu Jahresende die meisten von uns erstmal "durch" sind.

Der Dezember ist nicht nur ein Stressmonat mit seinen sozialen Verpflichtungen und der Vorbereitung der Jahresendruhe im Kreise der Lieben, sondern auch ein Monat, in dem in den meisten Fällen bis zur Monatsmitte erledigt sein muss, was sonst bis zum Monatsende Zeit hat. Kurz: Wer von uns könnte sich einer solchen Arbeit überhaupt annehmen?

Ich rechnete. Wie viel Tage Teamarbeit an den Werktagen im angefragten Zeitraum sind nötig, mit wie vielen Feiertagszuschlägen wäre zu rechnen? Wenn mehrere an ein- und demselben Textwerk arbeiten, tauchen im Kostenvoranschlag zwei weitere Posten auf: Einmal müssen Stile vereinheitlicht werden, zum anderen die Kollegen und Kol­le­gin­nen gesucht und die Arbeit aufgeteilt werden. Kurz: Ich kam zu einer Summe X, zu der 150% an Zuschlägen und Entgelten für den Zusatzaufwand hin­zu­ka­men.

Flexiblität ist alles, oder?
Die Summe gefiel dem po­ten­tiel­len Kunden nicht. Also wur­de ein Teil des Textes als vorrangig erklärt, etwas we­ni­ger als die Hälfte. Ich rech­ne­te nochmal. Setzte den Stammkundentarif an (gerade erst haben wir fürs Mut­ter­haus gedolmetscht), zählte die Tage mit Zu­schlä­gen aus, be­rech­ne­te anteilig Um­bu­chungs­ge­büh­ren einer Reise.

Heraus kam eine Summe, die durchaus moderat war. Zwischendurch übersetzte ich für mich etwas zur Probe, um meine Affinität mit dem Text und die Ge­schwin­dig­keit zu testen, und ich sandte dem potentiellen Kunden das Ergebnis. Ich stellte mich auf Weihnachten, Wochenenden, Sylvester und Neujahr mit täglich vier Ar­beits­stun­den ein und risikierte dabei auch noch den Hausfrieden.

Dann kam die Absage. Man habe sich für ein kostengünstigeres Angebot ent­schie­den. Ich muss an einen anderen Großen der audiovisuellen Welt denken, der durch die Umstellung auf die Haushaltsabgabe jetzt ca. eine halbe Milliarde mehr Geld im Säckel hat. Bei einer seiner Töchter gingen neulich Aufträge für 50 % des jah­re­lang be­zahl­ten, durch­schnitt­li­chen Marktpreises über den Tisch. Die in letzter Zeit immer häufiger auftretende Asapitis gepaart mit Preisdumping, den Trend könnt' ich mir sparen. Darauf mit den Laufschuhen eine Runde Dopamin tanken gehen!


Vokabelnotiz: AV — alles mit "audiovisuell" (entsprechend konjugiert)
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Foto: C.E. (Archiv)

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