Mittwoch, 29. Juli 2009

Berufs(ver)bildung

Die Franzosen haben das schöne Wort déformation professionnelle erfunden. Es bezeichnet einen Tick oder eine Verschiebung der Sichtweise, die mit der Berufsübung zusammenhängt. Das Wort wurde nach dem Muster der formation professionnelle, der Berufsbildung, gestrickt. Berufsdeformierung klingt auf Deutsch nicht so gut, also gehe ich auch zurück zur beruflichen Bildung und habe mir so meine "Berufs(ver)bildung" gebastelt.

Viele Dolmetscher kennen diese Berufs(ver)bildung: Sie hören zu gut. Die Sache ist einfach erklärt: Wer darauf trainiert ist, auch in Dolmetschpausen in der Kabine stets mit einem Ohr dabeizusein, hat auch sonst Mühen mit dem Abschalten. In der Kabine hören wir deshalb immer (mindestens ein wenig) mit, weil wir der Kollegin/dem Kollegen im Zweifelsfall mit Zahlen und Fachtermini beispringen, die wir (bei W-Lan-fähigen Arbeitsplätzen sogar übers Netz) rasch raussuchen - und weil wir selbst wenig später wieder übernehmen, also den Kontext kennen müssen.

Im Alltag führte das bei mir zu allgemeiner Lärmempfindlichkeit. Und dazu, dass ich mal in einem Schlafzimmer über einem Kartenspielerclub solche Schlafschwierigkeiten bekam, dass ich um meine Gesundheit fürchtete; dass ich, wenn ich bei Freunden ankomme, bei denen die Türen offenstehen und in jedem Zimmer ein (anderes) Radio oder ein CD-Player läuft, rumgehe und verhandle (wenn jemand da ist) oder ausmache (wenn keiner da ist); dass ich mir meine jetzige Wohnung nach dem soundscape ausgesucht habe, der akustischen Landschaft, die sie umgibt.

Etliches bekomme ich dennoch nicht geregelt. Einer meiner Hauptfeinde: die gemeine Stubenfliege. Sie weckt mich erbarmungslos beim leisesten Anflug. Ihr hohes Pfeifen löst in mir den Jagdtrieb aus, ich werde zur Kammerjägerin. In der halben Stunde danach hat ihr Sound in mir einen derart starken "Abdruck" hinterlassen, dass ich noch immer das Gefühl habe, selbst die Landepiste eines kleinen Fliegengeschwaders zu sein.

Für Außenstehende sieht meine Reaktion vielleicht wie ein Tick aus, wie Überreagieren. Als langjährige Reiterin weiß ich indes, wo sich Fliegen so in ihrer Freizeit herumtreiben - und deren Hinterlassenschaften sind auch nicht sehr sympathisch. Fensterputzen ist mir selbst ein Gram, da ergeht's mir kaum besser als Morgensterns Zäzilie.

Für alle anderen Eventualitäten gibt's In-Ear-Gehörschutz vom Hörgeräteakustiker, der filtert 'intelligent', verhindert Druckgefühle im Kopf und schützt bei beruflichen Reisen an laute Orte (WM-Eröffnung, Feuerwerk zum 14. Juli etc.) vor Hörschäden.

Nicht gelöst ist das Thema "laute Restaurants und Kneipen". Die meisten Gaststätten haben schlechte Akustiken, das wird durch klares Design oft verstärkt, wenn sich die Gastronomen niemanden für die Innenraumakustik holen. Da ich seit Kindertagen mein Gehör schütze, kann es passieren, dass ich im Restaurant, zu mehreren besucht, wie eine Langweilerin wirke, denn ich höre im Zweifelsfall den Milchschäumer von der Bar genauso gut wie den Menschen, der zwei Plätze neben mir sitzt. Und das strengt an.

Montag, 27. Juli 2009

(Ne) nous la fais pas à l’envers

Dieser Tage bin ich mit Bullen in Paris unterwegs. Wir fahren in einem zivilen Polizeiwagen durch die Straßen der Hauptstadt, suchen Gangster eines osteuropäischen Drogenrings, ermitteln in Spielhöllen und Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus. Hier wird ein anderes Französisch gesprochen als das, was ich an meinen Wohnorten (Besançon, Tours, 16. und 18. Arrondissement von Paris, Neuilly) gelernt habe: Und zwar ein Argot, das auch mit dem Slang eines Louis Ferdinand Céline nur noch teilweise etwas zu tun hat, mit dem ich an der Uni in Berührung kam.

"Ne nous la fait pas à l'envers !" - das soll der stumme Blick von Leuten besagen, die einen Mitmenschen überrascht anschauen als sagten sie eben dieses: "Macht uns das nicht andersrum!" Ich verstehe nur Bahnhof. Suche im Netz, nehme den Begriff auseinander.

Zunächst hat der Drehbuchautor - von ihm hab' ich die Redewendung, mit ihm findet unsere Reise statt - einen Tippfehler eingebaut, was das Verständnis erschwert. Es muss also heißen nous la fais pas à l'envers - "mach' uns die Sache nicht andersrum".

Ich lese im Netz - und finde die Redewendung in Blogs oder in Kommentaren zu Zeitungsartikeln wieder. Also handelt es sich um gesprochene Sprache. Der Kontext der Drehbuchszene ist äußerst dürftig, die Beiträge im Netz beredter, es geht wohl um 'nicht ernst nehmen' ... Ich suche weiter.

Und entdecke hocherfreut ein Dictionnaire de la Zone, das nicht die Ostzone Deutschlands meint, sondern die französischen Vorstädte. Das Wörterbuch bietet, so jedenfalls der eigene Untertitel, "das ganze Argot der banlieues" an. Hier steht der Ausdruck la faire à l'envers: duper, gruger, tromper, also für blöd halten, verarschen, übers Ohr hauen, betuppen.

Den Eintrag bestätigt dieser Vermerk bei Langue française:
faire à l'envers (ne pas la -) | arnaquer, duper ; ne pas arnaquer
... also betrügen, täuschen; nicht betrügen.
(1) j'aime bien les meufs comme ça [qui boivent, fument, sortent]. Elles ont de la bouteille. Y a pas moyen de la leur faire à l'envers - 2003
(2) J'ai changé, on ne peut plus me la faire à l'envers - 2003
Mit Beispielsätzen: (1) Ich mag die Frauen so [die trinken, rauchen, ausgehen]. Sie sind erfahren. Man kann sie überhaupt nicht täuschen. (2) Ich habe mich verändert, man kann mich nicht mehr verarschen.

Die Zahlen hinter den Beispielsätzen sind wohl das Jahr, in dem der Begriff erstmalig von Sprachwissenschaftlern gehört worden ist. Es bestärkt mich in meinem Gefühl, es mit einem jüngeren Ausdruck zu tun zu haben.

Das Wort 'umdrehen' geht mir in den Tagen danach beim Übersetzen des Drehbuchs nicht mehr aus dem Kopf. In meiner Arbeit steht es noch für was anderes.
Le commissaire ouvre la portière et s’installe sur le siège passager.
übersetze ich nicht mit: 'Der Kommissar öffnet die Tür und setzt sich auf den Sitz vorne rechts', das klingt komisch, das klingt "nach übersetzt".
Der siège passager ist auf Deutsch der Beifahrersitz. Und zwischen Türöffnen und "Sitzenmachen" (Billy Wilder) liegt das Einsteigen. Ich drehe also um und schreibe:
Der Kommissar öffnet die Beifahrertür und steigt ein.
Mit der Erfahrung der Berufsjahre falle ich eben nicht mehr so rasch herein - und drehe selbst um.

Und jetzt: Martinshorn aufs Dach (girophare bleu) und aufs Gaspedal gedrückt.

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Merci beaucoup, JR, pour la photo ! Et bonne route !

Samstag, 25. Juli 2009

Buch von Jürgen Stähle

Gestern in der Kölnischen Rundschau, heute im news feed: Ein Interview mit Simultandolmetscher Jürgen Stähle, der vor kurzem ein Buch über unseren Berufsstand veröffentlicht hat. Er ist auch einer der Dolmetscher Barack Obamas. Dessen Reden nennt der Dolmetscher "alles andere als einfach". Obwohl ein exzellenter Redner, lese er seine Reden in diesen Augenblicken (Siegessäule, Antrittsrede) ab — habe aber dabei etwa 150 Prozent des normalen Sprechtempos, ohne sich dessen bewusst zu sein. Zitat Stähle: "Da ist für den Simultandolmetscher die Waffengleichheit nicht gegeben."

Außerdem spricht Stähle über Fragen der Qualität beim Mediendolmetschen, den Unterschied zwischen Dolmetschen und Übersetzen, die Verflachung der deutschen Sprache, die sowohl eine Folge der Internationalisierung ist (kritiklose Übernahme fremdsprachlicher Redewendungen) als auch mit der wachsenden Komplexität der Welt zusammenhängt. Eine mehr als 35-jährige Berufserfahrung gibt dem sehr gut lesbaren Buch spannende Tiefe.

Aus dem Interview möchte ich noch folgenden Satz hervorheben: "Ich bin der Meinung, wir haben ohnehin nicht genügend Wörter. Daraus ergibt sich auch, dass wir für neue Realitäten alte Wörter nehmen müssen. So wird aus dem altbekannten Schiff plötzlich das Raumschiff. Wir kreieren nicht immer neue Wörter, sondern ordnen neue Bedeutungen zu, und da ist Sprache an sich schon eng. Und wenn man dieses Repertoire (...) nicht voll ausnützt, dann agiert man wie ein Tennisspieler, der immer nur Vorhand spielt."

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Jürgen Stähle: Vom Übersetzen zum Simultandolmetschen
— Handwerk und Kunst des zweitältesten Gewerbes der
Welt, Franz Steiner Verlag, 413 S., 29,90 Euro.

Freitag, 24. Juli 2009

Anschläge!

Wieviel Anschläge machen Sie denn so am Tag? - das ist kein Schnack unter Terroristen, sondern unter Übersetzern. Komisch, dass im Druckbereich so viel derart militärisch klingt.

Mein Vater war Geschäftsführer eines kleinen Wissenschaftsverlags und hat mich schon als Kind mit folgendem Witz erfreut: In den hysterischen 1970er Jahren, wo der Telefon- und telegrafische Briefverkehr auf Stichworte hin kontrolliert wurde, bekam einmal einer seiner Autoren in einem idyllischen Schweizer Chalet Besuch von einer hochgerüsteten Spezialeinheit. Der Autor hatte nämlich telegrafiert: "Zusatzanschläge im Griff, Fahnen unterwegs, wann Umbruch?"

Die Anschläge oder auch Zeichen sind alle einzeln getippten Buchstaben inklusive der Leerzeichen, die Fahnen waren die Probedrucke, die von Hand korrigiert wurden, und der Umbruch war die schlussendliche Aufteilung des Texts auf die Seiten. ________________________________________
Bild: Am Ende des Jahres werde ich eine Million Anschläge für Drehbuchübersetzungen getippt haben. So sieht meine Tastatur kurz nach der Halbzeit aus. Den Rechner hab' ich allerdings seit Ende 2005 in Benutzung.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Fachvokabular

Bon­­jour beim ersten deut­­schen Blog, das in ei­­ner zwei Qua­­drat­­me­ter klei­nen Box ent­steht — oder am Über­­setzervs­chreib­­tisch. Die Welt der fran­­zö­­si­­schen und deut­schen Spra­che be­schäftigt mich täg­lich, auch jen­seits der Dol­met­scher­ka­bine. 

An einem Sonntagabend läutet das Telefon. Das Kamerateam, mit dem ich ab Montag drehen soll, ist an der Strippe. Das Team stammt aus Paris, wir drehen in Berlin, ich arbeite als Dolmetscherin und Journalistin für die Filmleute.

Die Franzosen hängen auf dem Flughafen fest    und sie haben etwas vergessen. Ich möge doch bitte morgen in aller Frühe beim Kameraverleih vorbeifahren und zum Treffen um acht Uhr im Hotel einige gélatines mitbringen. Das erste Problem: Ich bin nämlichen Sonntagabend bei Freunden zum Fest   und daher nimmt der Automat den Anruf entgegen, ich kann also nicht nachfragen. Das zweite Problem: Ich weiß nicht, was gélatine bedeutet.

Das Ereignis ist viele Jahre her. Es war die Zeit, bevor das Internet zum Beispiel über die Suche nach "Bildern" mir hätte helfen können. Zum Glück habe ich einen wohlsortierten Bücherschrank: Ich fand durch Nachlesen in einem französischen Kameralehrbuch das Wort gélatine - eine Folie für die Scheinwerfer ist gemeint, sie verändert das Licht.

Seither sammle ich Filmwörter, denn ein gutes Wörterbuch gibt es dafür nicht. Und ich fotografiere für die ein zweites Filmvokabellernmemory, eine erste Auflage davon habe ich mir letztens selbst konfektioniert und von einem im Internet entdeckten Anbieter drucken lassen. Jeweils zwei Sätze einmal die Bilder, einmal die Vokabeln auf Deutsch und Französisch. Das ist als erste Annäherung an die Fachbegriffe in deutsch-französischen Lerngruppen super. Bilder- und Vokabelkarten durcheinandergemischt, zwei Spiele gebaut und schon bringen sich die Teilnehmer in Kleingruppen die Worte gegenseitig bei.


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Fotos (C. Elias): Was machen "Saugnäpfe" beim Film?
Und wie heißt der "Cateringwagen" auf Französisch?

Dienstag, 21. Juli 2009

Probleme beim Drehbuchübersetzen

Drehbücher sollen in der Übersetzung so klingen, als seien sie in der Zielsprache verfasst worden. Das führt dazu, dass ich immer wieder lese, spontane Übersetzungslösungen ausblende, mir stattdessen die Szenen vor dem geistigen Auge vorstelle, sie sehe - und dann auf Deutsch wiedergebe. Kurz, es ist eine andere Art des Übersetzens als bei einem Fachtext. Es geht um Prägnanz in der Zielsprache, das Vermeiden komplizierter Begriffe, um die Verwendung situativ und technisch richtiger Worte, die sich auf Requisiten beziehen, die Berücksichtigung sozialer und kultureller Eigenarten und darum, dass beide Texte, Original und Übersetzung, die gleiche Wirkung haben, die gleiche Welt 'erschaffen'. Da kommt es schon mal zu Verschiebungen. Beispiele.

D'un mouvement de tête pas très assuré, Gérard fait comprendre que non. Das bedeutet wörtlich: "Mit einer nicht sehr selbstsicheren Kopfbewegung gibt Gérard zu verstehen, dass es 'Nein' ist". Daraus habe ich in der Arbeitsfassung erstmal gemacht: Gérard nickt zögerlich, wirkt unsicher dabei.

Das Telefon klingelt, dann steht da Gérard décroche. Ich schreibe also: "er geht dran" und nicht "er hebt ab". Gérard befindet sich auf der Straße, er nutzt das Handy und kein Tischtelefon mit Telefonhörer.François regarde quelques instants la photo - "Er wirft einen kurzen Blick auf das Foto" anstatt: "Er sieht das Foto einige Augenblicke lang an", das ist viel zu kompliziert.

Auf einem Schreibtisch steht ein Faxgerät, das leise knatternd die Seiten einer Fernkopie freigibt. Auf Französisch kotzt es die Seiten aus (vomir) und entschleiert (dévoiler) sie nach und nach, im Nebensatz wird das Geräusch angedeutet, das ich hier explizit werden lasse. Das Kotzen war mir dann doch zu viel für die sensiblen Redakteure und Geldgeber, zumal mit diesem Wort im Drehbuch kein neues Thema, etwa eine Abstoßungsreaktion, eine Technikphobie oder derlei mehr angedeutet war, es schien lediglich der Absicht des Autors zu folgen, flapsig zu formulieren. So dass ich nach dem Umschnitt, wenige Zeilen später, aus "steigt schnell ins Auto" ein "springt ins Auto" gemacht habe, immer mit dem Ziel, dass beide Fassungen im Ganzen gleich wirken.

Man mag einwenden, dass ich hier sehr stark eingreife und mir zu viele Gedanken über die Redakteure mache. Nämliche haben bei besagtem Projekt in der Treatmentstufe auf das Wort "Bulle" hochsensibel reagiert, obwohl es im Treatment mehrfach vorkommt. Doch hierzu einen kleinen Exkurs.

Bei der Übertragung von Büchern in englischer Sprache gibt es ein zentrales Problem, es heißt "DuSie". Das englische you als einzige Form der Ansprache müssen wir Übersetzer adäquat rüberbringen, haben also immer die Frage im Hinterkopf, wann es ein höfliches "Sie" bedeutet und wann das vertraute "Du". Eine Grundregel, die z.B. für die Kategorie boy meets girl gilt, für Filme, in denen eine Liebesgeschichte eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle spielt: Gesiezt wird so lange, bis man sich ... näher gekommen ist. Für die "Zigarette danach" darf also gefragt werden: "Hast du Feuer?" (obwohl das ja gerade getestet wurde ;-)

Im Krimi, den ich gerade übertrage, ist sehr oft ist vom flic die Rede. Das ist eben nicht das Wort für 'Polizist', sondern die umgangssprachliche Variante, die auch negativer konnotiert sein kann. Das englische Wort cop kommt dem recht nahe - aber französische Umgangssprache in einem Film, der in Paris spielt, durch einen Anglizismus übertragen? Da graust es nicht nur die Mitglieder der Académie Française!

Ich nehme die DuSie-Regel, überlege immer den Grad der Vertrautheit, die Intentionen, den Kontext. Und bei dem nächsten Dolmetscheinsatz im Terrain, bei der Begegnungen von Sozialarbeitern, Lehrern, Jugendrichtern und 'flics' aus Neukölln und Clichy-sous-Bois frage ich den entsprechenden Gewährsmann.

Ziegensocken

Ein Klassiker, zu dem immer jemanden kennt, der den kennt, in dessen Schule/Unterricht/Klasse das passiert ist. (Derlei nennt man auch 'urban legend', eine urbane Legende.)

Französisch-Klassenarbeit in England, Übungssätze sollen ins Englische übertragen werden.

Da steht der Satz: "La chèvre a mis bas ses petits" - mettre bas heißt 'auf die Welt bringen', 'gebären'. Ein Kind hat zunächst im Kopf den Satz umgedreht, heraus kam "La chèvre a mis ses petits bas" und übersetzte dann folge-richtig: "The goat put his little socks on" (Die Ziege hat ihre kleinen Socken angezogen).

Montag, 20. Juli 2009

Dolmetschmarathon

Was ich heute schreibe ist grenzwertig. Ich werde mich unbeliebt machen - und finde es im Grunde selbst nicht so gut. Aber ich muss es schreiben, denn es entspricht einer Erfahrung - und bestätigt am Ende doch eine wichtige Regel.

Und hier gleich die Regel: Wir Dolmetscher sprechen auf Konferenzen immer 20 bis 30 Minuten lang und dann übernimmt der Kollege bzw. die Kollegin. Bei vorbereiteten Vorträgen kann das schon mal abweichen, da erleichtert im Normalfall die Vorbereitung die Arbeit. Länger arbeiten wir auch beim Filmdolmetschen, z.B. auf der Berlinale, wo wir fürs fremdsprachige Publikum Wettbewerbsbeiträge simultan übertragen. Die Filme werden auch stets immer nur von einem Kollegen/einer Kollegin bearbeitet, wir bekommen im Vorfeld Untertitellisten, Dialoglisten und/oder Drehbücher. Aber hier stoßen wir mitunter an unsere Grenzen.

Grenzen, die ich bei meinem letzten Job, einem Filmseminar in Marseille, kaum gespürt habe. Kurz: Ich konnte ermüdungsarm bis zu drei Stunden am Stück ohne Ablösung dolmetschen. So, jetzt ist der Hammersatz draußen, der mich selbst erschrickt. Denn da wir Dolmetscher teuer sind, lässt ein solches Statement alle aufhorchen, die weniger Geld ausgeben möchten.

Und jetzt kommt auch gleich die Erklärung dessen, was ich gemacht habe, die letztendlich unsere gute, alte Regel bestätigt. (Für die Kolleginnen und Kollegen: Nicht aufregen, das ist gar nicht nötig!)

Worum ging's in Marseille? Um Dokumentarfilm, um Filmsprache, -ästhetik und -vermittlung. Ich selbst habe elf Semester lang Film und Filmsprache an Hochschulen unterrichtet, zwei Drittel meiner Kurse auf Französisch. Ich habe in der Filmproduktion gearbeitet und auf Festivals - und bin da heute einige Wochen im Jahr immer noch. Das Publikum unseres Filmseminars war mir sehr vertraut: Regisseure, Produzenten, Kinoprogrammmacher, Festivalmitarbeiter, Filmpädagogen, ein angehender Medienanwalt und Studenten/Absolventen - auch meiner "Heimatunis". Ich bin gewissermaßen mit Freunden gereist. Wir haben konzentriert miteinander gearbeitet, fehlende Worte (im Schnitt eins pro Stunde vom Schlage 'historischer Bilderbogen' oder 'Tierpräparator') wurden mir von Teilnehmern souffliert, von denen einige auch sehr gut die Partnersprache beherrschen. Das Ganze fand in entspannter Umgebung statt, es war eine Mischung aus Ferienstimmung - wir saßen im blühenden Hof unter Palmen - und einem schrägen Film - denn der Hof gehört zum katholischen Studentinnenwohnheim, in dem wir die Zelte aufgeschlagen hatten (und zu dem im Seminarmonat Juli auch Männer Zutritt haben). Als Dozentin hatte ich das Programm mit vorbereitet, wusste also, wen wir bzw. was uns erwartet. Alle Gespräche und Vorträge waren mündlich, es wurden keine Paper verlesen.

So sehe ich, wie groß eigentlich die Anteile dessen sind, was sonst stresst:
- fremde Fachtermini
- inhaltliche und räumliche Entfernung zu den Dolmetsch'kunden'
- förmliche, mitunter steife Atmosphäre
- inhaltliche Überraschungen
- geschriebene, hochkomplexe Texte

gefördert vom dfjw
Am wichtigsten sind und bleiben aber der erste und der letzte Aspekt. Wenn ich mir vor Konferenzen in wenigen Tagen ein neues Fachvokabular 'überhelfe', gelange ich damit nicht zu einer solchen Selbstverständlichkeit im Umgang, wie wenn ich Begriffe nutze, die mir seit Jahren geläufig, sind, und zwar passiv UND aktiv. Ich arbeite in diesen Fällen gewissermaßen aus dem Arbeitsspeicher, und wenn viele Unterprogramme mitlaufen, läuft ein Rechner bekanntermaßen langsamer und wird am Ende heiß. Anders ist, wenn er von der Festplatte her arbeitet - in diese Analogie zur Technik brachte ich meinen eigenen Kopf und fand das Bild auf Anhieb stimmig.
Außerdem war es ein Seminar der gesprochenen (und nicht der abgelesenen) Sprache - wer seine Gedanken zum Mitdenken vor anderen entwickelt, kann leichter zum Mitdenken in der anderen Sprache verdolmetscht werden.

Anders gesprochen: Bei Treffen mit Familie und Freunden empfinde ich es auch nicht als anstrengend, Fragen der Kindererziehung oder der Getränkewahl zu dolmetschen - Kaffe oder Tee, Orangensaft oder Wasser? Komplexe Themen wie good governance im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe für Afrika ist was ganz anderes. Hier brauche ich nach 20 bis 30 Minuten zwingend die Ablösung, denn nicht zuletzt ist ja auch die Verantwortung sehr viel größer.

Und weil das Ganze in Marseille so wunderbar lief, habe ich an einem Tag nach dem Mittagsschläfchen noch knapp zwei weitere Stunden gedolmetscht. Ausnahmsweise. Den Rest der Zeit üben die Teilnehmer weiter ihre Fremdsprachenkenntnisse ...

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Zum Dolmetschmarathon kam es übrigens, weil ich vor und
nach dem Festival Drehbücher übersetz(t)e und vom vielen
Tippen meine Sehnen spür(t)e. So wollte ich beim Filmseminar
zwischen Simultan- und Konsekutivdolmetschen abwechseln
und hab dann einfach keinen Ausstieg gefunden. Voilà !

Samstag, 18. Juli 2009

Ultradiane Rhythmen nach Dolmetscheinsatz

Einmal mehr habe ich Hirnmuskelkater. Während manche Menschen diesen Zustand als Mittelding zwischen Aufgedrehtsein und Übererschöpftheit beschreiben, wo selbst der Nachtschlaf kaum Linderung bringt, kann ich in Phasen großer Anstrengung meist besser schlafen als in ruhigeren Wochen. Und ich schlafe auch zwischendurch: Im Flugzeug, Zug oder auf der Autorückbank, im Bett oder auf dem Sofa fürs Mittagsschläfchen oder sitzend in der Kabine.

Das klappt gut, denn ich höre auf meine innere Uhr. Diese setzt sich nach übergroßen Anstrengungen in der Art und Weise über mögliche Absichten hinweg, dass ich wie ein kleines Kind über den Tag verstreut oft kurz schlafen muss. Das Phänomen Schlaf folgt ultradianen Rhythmen: mehrfach täglich werden wir müde, und weil ich weiß, dass ich meinem Hirn Außergewöhnliches zumute, kämpfe ich mit eventuellen Absichten gar nicht erst gegen die Natur an, sondern organisiere alles so (sofern es klappt), dass ich Siesta halten und auch zwischendurch mal gut abschalten kann. Last but not least ist auch der Kinokurzschlaf erprobt und erfrischend - und keinesfalls als Aussage zur (ggf. mangelnden) Qualität der Streifen zu verstehen, im Gegenteil: "Im Kino schlafen bedeutet, dem Film zu vertrauen", wusste schon Jean-Luc Godard.

Im Kinoseminar, mit dem wir am Festival teilnehmen, bedeutet das konkret: Während alle am Nachmittag und Abend drei bis vier Filme sehen, komme ich im Durchschnitt nur auf 2,5 Filme, weil ich schlafen muss. Denn die Vormittage gehören der Seminargruppe: Phasen mit simultaner Verdolmetschung wechseln da mit Filmausschnitten und Gruppenarbeit ab, wobei wir Seminarleiterinnen diese Pausen oft zu Besprechungen nutzen. Und abends bin ich unter den ersten, die gehen. Während alle noch einen trinken gehen, klinke ich mich aus, höre ein bisschen France Culture und Deutschlandradio Kultur und sorge für ausreichend Schlaf: Sieben Stunden sollten es sein.

Zwei Nächte à neun bis zehn Stunden schlafe ich dann nach meiner Rückkehr. Das Einschlafen fällt schwerer, die Mattigkeit fehlt. Dabei ist mein Kopf tagsüber oft dumpf, die graue Materie fühlt sich besonders grau an. Viele bunte Dinge wirken blass, sprechen mich nicht an, klingen nicht so, dass es in mir ein Echo gibt. Ich ziehe mich zurück; nach acht Tagen Dolmetscheinsatz mit dem Seminar reduziert meine Aufmerksamkeit den Input. Es ist so, als hätte ich starke Schmerzmittel genommen. Und jetzt kann ich mich alle drei bis vier Stunden 20 Minuten lang hinlegen und spüre, wie das Hirn wilde Traumbilder abfeuert aus Worten, Assoziationen, Bildfetzen und Sätzen, die der Kopf simultan übersetzt. Dabei fühle ich meinen Körper oft nicht mehr richtig, der Arm, der seitlich am Rumpf liegt, fühlt sich plötzlich so an, als läge er quer über dem Bauch, die Wahrnehmung des eigenen Körpers verschiebt sich im Raum.

Gerne sähe ich mir meine Hirnströme nach einem solchen Einsatz mal an. Ich werde mich mit Wissenschaftlern in Verbindung setzen, die das auch interessieren könnte und die über einen Magnetresonanztomografen (MRT) verfügen.

Nach zwei Tagen mit geistiger Schonkost und viel Schlaf ist alles wieder im Lot. Was mich überrascht: Diese zwei Tage brauche ich gleichermaßen nach einer dreitägigen Konferenz wie nach den acht Tagen Filmseminar. Für mich bedeutet das: Meine Strategien zur Erholung zwischendurch sind gut entwickelt und es ist nicht die Dauer der Anstrengung, die alles entscheidet, sondern die Art der Anstrengung.

Montag, 13. Juli 2009

Im Hinterzimmer

So ein lautes Umfeld hatte ich lange nicht mehr bei der Arbeit: Wir sind in Marseille im Hinterzimmer eines Cafés - und liegen damit auf dem Weg zum Klo. Wir, das sind noch immer das Kinoseminar, ein französischer Regisseur als Gast, dazu Moderatoren, andere Filmemacher, Kritiker und Programmgestalter, Medienpädagogen und Filmmitarbeiter.

Dass es laut werden könnte, wussten wir bei der Vorbereitung des Termins. Aber das Café liegt in der Nähe des internationalen Dokumentarfilmfestivals von Marseille - für den Regisseur kein langer Weg. Draußen ist es jetzt sehr heiß, drinnen stickig. Und damit wir auch weiterhin Luft bekommen, bleibt die Tür offen stehen. Damit kommen auch die Geräusche herein. Erst tritt ein Straßenmusiker vor sein Publikum: Gitarre und Gesang, Bella ciao von der ... sagen wir mal nicht gerade sehr gekonnten Art und Weise. Dann gibt der Ober seine Bestellungen lautstark durch, bis er merkt, was wir tun: "Deux exprès et un croque monsieur!" Schließlich geht alle Naslang jemand aufs Klo: Wer an einem schwülen Sommertag dort den Händetrocknerpustefix anschmeißt, ist selbst Schuld. Aber wer kriegt das überlaute Summen ab? Wir! Und wer muss richtig unter dem Lärm leiden? Ich. Es ist anstrengend, denn ich darf nicht mal zwischendurch abschalten.

Nach der Veranstaltung sagen die Franzosen, dass sie die Deutschsprachigen beneidet hätten, denn diese konnten sich die Kopfhörer der Flüsteranlage nehmen und meiner Simultanverdolmetschung folgen. Rechts von mir saß Christoph aus Berlin; selbst er, der hervorragend Französisch kann, hörte am Ende meine "Fassung", denn der französische Filmemacher im schwarzen T-Shirt saß mit genau drei Leuten seitlichem Abstand zu weit weg für sein anstrengungsfreies, konzentriertes Hören. Doch solange ich noch die Stimme des Gesprächspartners UND meine eigene hören kann, ist alles gut. Den Redenden anzusehen und einen Teil seiner Worte unterstützend von den Lippen abzulesen, würde indes mehr Verlust als Gewinn bedeuten, denn von der Seite höre ich ihn eindeutig besser.

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Nein, ich habe nicht geklagt! Aber das ist kein Verdienst, dafür habe ich da im Hinterzimmer schlicht und ergreifend weder Zeit noch Energie. Ich spitze die Ohren und spreche ... und überhöre. Denn dann werden noch ein leeres Fass durch den Raum gerollt, Kinder angetrieben und ein Glas zerschmissen.
Eins ist klar: In ein Kneipenhinterzimmer gehen wir so schnell nicht wieder mit einer so großen Arbeitsgruppe.

Samstag, 11. Juli 2009

Dolmetschen fürs Kinoseminar

An Tag drei und Tag sechs des Lehrgangs in Marseille sind wir an einem spezifischen Ort für Kinomacher: In einem Kiezkino, das zugleich eine Tonmischung ist. Um uns herum der soziale Wohnungsbau - die Filmemacher, die hier vor vielen Jahren ein leerstehendes Häuschen zu Kino und Produktionsbüros umbauten, sind in einen Problemkiez gegangen.


Wir arbeiten zu Fragen der Filmanalyse, zeigen einander eigene Projekte, diskutieren. Draußen sind es gefühlte 30 Grad, drinnen steht bald die Luft. Hier ist es idyllisch, aber noch lauter als auf dem Hof, auf dem wir sonst arbeiten: Vor dem zweistöckigen Gebäude liegt Baugrund und wartet auf die Bagger, die sich jetzt noch in der Durchfahrt des benachbarten Zwölfgeschossers zu schaffen machen. Es rumpelt und pumpelt, kracht und knallt im Hintergrund: Rohre werden neu verlegt, und dazu muss erstmal der Asphalt weg. Verschärfte Arbeitsbedingungen also.

gefördert vom dfjw

Freitag, 10. Juli 2009

Idyllisch, aber laut

So viel Grün ist um uns rum! An Tag zwei der Studienreise sitzen wir im Hof eines katholischen Studentinnenwohnheims. Die wissbegierigen jungen Damen haben in den Semesterferien ihre Sachen gepackt und sind bei den Eltern, so können Festivalgäste hier einziehen. Das Haus ist ein wenig hellhörig und hätte einige Renovierungen nötig, hat aber seinen gewissen Charme und einen wunderbaren Hinterhof. Hier uns steht nicht nur der Oleander in voller Blüte ...

Ich dolmetsche simultan mit einer Flüsteranlage - die Teilnehmer hören den kompakten Teil des Programms, drei Stunden am Tag, per Kopfhörer, so sie mögen. Die Stimmung ist friedlich und entspannt. Fachleute, Studenten und Berufsanfänger beider Länder arbeiten hier zum Thema Filmkulturen und Filmvermittlung miteinander, dann besuchen wir noch regelmäßig das Marseiller Dokumentarfilmfestival.

Noch sprechen alle ein wenig langsamer, verdolmetscht zu werden ist für die meisten ungewohnt. Sie werden dann noch langsamer, hören mir auch zu, wundern sich darüber, wie ich gleichzeitig hören und sprechen kann. Ich bitte um mehr Tempo, denn zu langsam ist auch anstrengend: ich muss ja immer aufs (deutsche) Verb warten, bevor ich (auf Französisch) weitersprechen kann. Alles ist nicht nur ungewohnt, sondern auch noch ein wenig steif. Manch eine(r) spricht zu leise, ist die öffentliche Rede noch nicht gewöhnt.

Um uns herum zwitschert es vielfältig. Die Mauersegler (le martinet) sind hier fast den ganzen Tag aktiv, außer in der Mittagshitze. Aber es gibt viele Gesänge, die kenne ich nur aus dem Süden und kann die Vögel dazu nicht benennen.

In eine kurze Pause hinein hören wir plötzlich sehr klaren, lauten Gesang mit wunderschönen Trillern und zarten Verläufen. Wir lauschen andächtig dem Vogel. Und Am Ende erlaube erlaube ich mir einen Witz: "Pardon, das hab' ich nicht ganz verstanden, könntest Du das bitte nochmal sagen?"

Donnerstag, 9. Juli 2009

Flash back in Marseille

gefördert vom dfjw
Die Reise ging rasch weiter nach Marseille, und während in Berlin die Untermieterin die Blumen gießt, entdecken der Rechner und ich einen neuen Arbeitsplatz. Wir sind zu Gast bei Peuple & Culture, einem Bildungsverein, der ein Seminar über Dokumentarfilmkulturen und -pädagogik anbietet. Tag eins: Übersetzung des Programms und der pädagogischen Materialien, während im Nebenzimmer Teilnehmerlisten redigiert, gemeinsame Abendessen gebucht und die letzten Fotos für die Akkreditierungen beim Dokumentarfilmfestival FID ausgedruckt werden. Das Festival ist ein guter Anlass für einen Lehrgang, denn spannende Gäste sind bereits in der Stadt und 'schauen' auch bei uns 'vorbei'. Ergänzend zu den thematischen Arbeiten, zu Gesprächen, Filmanalysen und Erfahrungsaustausch gehen wir natürlich auch viel ins Kino. Da ist es sicher kühler als hier in dem Zimmerchen ... Kopf und Rechner laufen heiß! Pause!Als ich am Ende alles nochmal überfliege, steht meine Kollegin Cathy schon aufgeregt neben mir und will das Ergebnis sofort haben. Da fühle ich mich wie ein Prüfling, und habe den gleichen mulmigen Druck im Magen wie einst im "maison des examens". In Paris gibt es ein extra Prüfungshaus zusammen für alle Unis, wo Studenten in leeren Räumen an Einzeltischen ihre Prüfungen schreiben - nur sieht es dort eher aus wie im Film "The Apartment" von Billy Wilder. Mal sehen, wann ich das nächste Mal vom Abi träume ... Und da wird mir wieder einmal klar: usere Branche ist sicher nichts für Leute mit Prüfungsangst, es sei denn, man lernt damit umzugehen.

Dienstag, 7. Juli 2009

Wenn eine(r) eine Reise tut ...

... dann kann sie oder er was erzählen. Als Dolmetscherinnen kommen wir viel rum, das ist oft die Arbeitsgrundlage. Sehr selten kommt es vor, dass wir einen Dolmetscherkoffer mitbringen, sogenannte mobile Dolmetschtechnik, weil wir nicht auf einer Konferenz dolmetschen, sondern Kunden auf Journalistenreise, Exkursion oder Betriebsbesichtigung begleiten. Nie reisen wir allein mit mehreren Koffern und schon gar nicht ins Ausland. Ich sage nie und meine nie. Indes, keine Regel ohne Ausnahme.

Ein guter Kunde brauchte nicht nur uns, sondern Material zum Arbeiten ... und irgendwie hatte es sich ergeben, dass wir zugesagt hatten, mit einem Koffer nach Paris zu kommen. Naja, und aufgrund wachsender Nachfrage wurde dann etwas mehr draus. Geplant war, dass ich mit einem der schicken geriffelten Alurollköfferchen auf Reise gehe. Es kam dann anders. Und weil dieses NIE wirklich nur eine allereinzige Ausnahme hat(te), kann ich hier mein neuestes Schreckfoto vorzeigen: Mit vier Dolmetschkoffern am Pariser Flughafen, dazu die Anzugtasche und den Rucksack mit dem Notebook, das Ganze auf einem eigens mitgebrachten, kleinen Rollwägelchen. Sind Sie schon mal mit sowas gereist?

Das Wägelchen fährt Aufzug - wie die andren Gepäckrollwägelchen auch, obwohl auf dem Flughafen Charles de Gaulle offiziell verboten, dann auf die Rolltreppe, das Gewicht, das ich halten muss, liegt etwa bei 30 Kilo, dabei baumelt mir noch die Anzugstasche quer über den Leib. Dann klingelt das Firmenhandy. Rangehen oder nicht, das ist hier die Frage. Ich gehe ran, jongliere das Gepäck - und zwischen Schulter und Ohr hab ich das Mobiltelefon eingeklemmt. Leute bleiben auf der danebenliegenden Fußgängertreppe stehen und ... glotzen. Sie erwarten vermutlich, dass sich die Koffer vom Wägelchen verabschieden, weil sie nur eine dünne Spinne hält. Oder dass ich das Gleichgewicht verliere und mitsamt dem ganzen Gepäck die zum Glück leere Rolltreppe runterrassle. Und ich verfluche meine Kühnheit Blödheit, denn in der Tat ist das Ganze ein verschärfter Balanceakt.

Unten angekommen, erbarmen sich zwei Amis und ein Franzose meiner, Männer im Anzug, und bringen die Technik sicher in den Vorortzug und am Nordbahnhof ins Taxi. Schön, dass es noch Gentlemen gibt!

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Foto: C.E. 

Montag, 6. Juli 2009

Ironieverständnis nach Dolmetscheinsätzen

Was Neurologisches: Nach einem mehrtägigen, stressigen Dolmetscheinsatz fällt mir an mir selbst auf, dass ich weniger gut ironische Bemerkungen verstehe. Ich bin am Telefon mit Familie, mein Bruder will endlich weg vom PC und auf Apple umsteigen, dann werden Arbeitssituationen und Krankenakten besprochen, Frühstücksbrötchen und der Tee kommentiert, den wir mit gehörigem Abstand da gerade "gemeinsam" trinken. Die Familie bekommt auch noch Besuch und stellt das Telefon laut, Worte fliegen hin und her, der Tonfall ist wie oft unter Geschwistern und Leuten, die sich mögen, ein wenig rauh und sehr herzlich.

Irgendwann werde ich kurz veräppelt, verstehe die Ironie erst durch das Lachen der anderen. Dann sagt mein Vater: "Nee, keine Sorge, wir haben dich gar nicht veräppelt!" Darauf der Bruder (kauend): "Aber ich werde gleich veräppelt!"

Zweiter Witz, den der erste eigentlich schon vorbereitet hatte, und noch immer sucht mein Hirn in sich taub anfühlenden Gefilden. Sprache, wörtlich genommen, von einem Idiom oder Sprachniveau und Bereich zum nächsten über Eck gedacht, das ist normalerweise eine Spezialität der Großfamilie, in der ich aufgewachsen bin. Ebenso Kalauer, die sehr gerne sehr schlecht sein dürfen.

Kurz: Mein Gehirn ist im Ruhemodus, nachdem es tagelang auf Tempo ausgehendes Hin- und Her geliefert hat. In einer adrenalindominierten Dolmetschsituation hätte ich derlei wohl verstanden, mit ausgeruhtem Hirne wohl auch, nicht aber in den Stunden oder Tagen, in denen mein Denkapparat untertourig läuft, wie es nach (oder auch vor) dem Dolmetschen der Fall ist.

Donnerstag, 2. Juli 2009

Französische Filmwoche 2009

Auch dieses Jahr bin ich wieder mit von der Partie - als Dolmetscherin auf der Berliner Französischen Filmwoche. War ich 2000 noch die einzige Dolmetscherin, sind wir dieses Jahr zu viert, weil vieles parallel läuft und weil das Internationale Forum des Jungen Films, eine Sektion der früher im Sommer stattfindenden Berlinale, die gleichen Tage ausgewählt hat, um seinen 40. Geburtstag zu begehen.


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Foto: Institut Français de Berlin

Mittwoch, 1. Juli 2009

Erschwerte Bedingungen

Laut Pariser Wetterdienst sind es heute wie gestern nur um die 30 Grad Celsius, die sich bei Luftfeuchtigkeit von 40 Prozent und mit wenig Wind allerdings wie 35 Grad anfühlen. Die engen Straßen, die vielen Autos und Menschen strengen an. In der U-Bahn wird die Luft durch die engen Bahnschächte auch wärmer, selbst unterirdisch kommt man ins Schwitzen.

Als wir am Kongressort eintreffen — wie vieles in Paris in einem historischen Gebäude — staunen wir nicht schlecht. Neben unserem Arbeitsplatz, da, wo die Fenster über Eck gehen, steht ein Mega-Pustefix von etwa einem Meter Höhe, brummt vor sich hin und spuckt Kälte aus. Direkt daneben sitzen wir, lediglich mit Hörverbindung zum Podium.Trotz 30 Grad im Schatten friere ich — aber nur meine linke Körperhälfte, die ich jetzt mit Schals bedecke.

Immer, wenn das Gerät einen Gang höher schaltet, knackt es in der ohnehin schwachen Übertragung. Ich muss den Ton vom Panel auf Maximal einstellen, um zu hören — und darf nicht, wie sonst üblich, den Kopfhörer schräg aufsetzen. Das irritiert maßlos, fehlt mir doch die Selbstkontrolle. Ich höre mir sonst beim Dolmetschen stets selbst zu, prüfe, ob ein Verb dabei war, ich den Punkt mitgesprochen habe und achte auf den Sinn. Hier: Fehlanzeige.

Immer wieder muss ich sogar mein Empfangsgerät schräg halten, weil in natürlicher Lage noch mehr Interferenzen drohen. Hörte ich nur mit einem Ohr hin, ich verstünde gar nichts. Was angesichts diffiziler Materie an und für sich schon eine Herausforderung darstellt. Ein Ritt über den Bodensee, und dazu pustet die ganze Zeit die Windmaschine.

Ab dem zweiten Tag fangen meine Augen an zu jucken, eine Bindehautentzündung verschafft mir dann auch noch schlechte Sicht. Macht fast nichts, denn die Redner, die in Windeseile von ihren Papieren ablesen, sehen wir ja ohnehin nur als ferne Silhouetten.