Einmal mehr habe ich Hirnmuskelkater. Während manche Menschen diesen Zustand als Mittelding zwischen Aufgedrehtsein und Übererschöpftheit beschreiben, wo selbst der Nachtschlaf kaum Linderung bringt, kann ich in Phasen großer Anstrengung meist besser schlafen als in ruhigeren Wochen. Und ich schlafe auch zwischendurch: Im Flugzeug, Zug oder auf der Autorückbank, im Bett oder auf dem Sofa fürs Mittagsschläfchen oder sitzend in der Kabine.
Das klappt gut, denn ich höre auf meine innere Uhr. Diese setzt sich nach übergroßen Anstrengungen in der Art und Weise über mögliche Absichten hinweg, dass ich wie ein kleines Kind über den Tag verstreut oft kurz schlafen muss. Das Phänomen Schlaf folgt ultradianen Rhythmen: mehrfach täglich werden wir müde, und weil ich weiß, dass ich meinem Hirn Außergewöhnliches zumute, kämpfe ich mit eventuellen Absichten gar nicht erst gegen die Natur an, sondern organisiere alles so (sofern es klappt), dass ich Siesta halten und auch zwischendurch mal gut abschalten kann. Last but not least ist auch der Kinokurzschlaf erprobt und erfrischend - und keinesfalls als Aussage zur (ggf. mangelnden) Qualität der Streifen zu verstehen, im Gegenteil: "Im Kino schlafen bedeutet, dem Film zu vertrauen", wusste schon Jean-Luc Godard.
Im Kinoseminar, mit dem wir am Festival teilnehmen, bedeutet das konkret: Während alle am Nachmittag und Abend drei bis vier Filme sehen, komme ich im Durchschnitt nur auf 2,5 Filme, weil ich schlafen muss. Denn die Vormittage gehören der Seminargruppe: Phasen mit simultaner Verdolmetschung wechseln da mit Filmausschnitten und Gruppenarbeit ab, wobei wir Seminarleiterinnen diese Pausen oft zu Besprechungen nutzen. Und abends bin ich unter den ersten, die gehen. Während alle noch einen trinken gehen, klinke ich mich aus, höre ein bisschen France Culture und Deutschlandradio Kultur und sorge für ausreichend Schlaf: Sieben Stunden sollten es sein.
Zwei Nächte à neun bis zehn Stunden schlafe ich dann nach meiner Rückkehr. Das Einschlafen fällt schwerer, die Mattigkeit fehlt. Dabei ist mein Kopf tagsüber oft dumpf, die graue Materie fühlt sich besonders grau an. Viele bunte Dinge wirken blass, sprechen mich nicht an, klingen nicht so, dass es in mir ein Echo gibt. Ich ziehe mich zurück; nach acht Tagen Dolmetscheinsatz mit dem Seminar reduziert meine Aufmerksamkeit den Input. Es ist so, als hätte ich starke Schmerzmittel genommen. Und jetzt kann ich mich alle drei bis vier Stunden 20 Minuten lang hinlegen und spüre, wie das Hirn wilde Traumbilder abfeuert aus Worten, Assoziationen, Bildfetzen und Sätzen, die der Kopf simultan übersetzt. Dabei fühle ich meinen Körper oft nicht mehr richtig, der Arm, der seitlich am Rumpf liegt, fühlt sich plötzlich so an, als läge er quer über dem Bauch, die Wahrnehmung des eigenen Körpers verschiebt sich im Raum.
Gerne sähe ich mir meine Hirnströme nach einem solchen Einsatz mal an. Ich werde mich mit Wissenschaftlern in Verbindung setzen, die das auch interessieren könnte und die über einen Magnetresonanztomografen (MRT) verfügen.
Nach zwei Tagen mit geistiger Schonkost und viel Schlaf ist alles wieder im Lot. Was mich überrascht: Diese zwei Tage brauche ich gleichermaßen nach einer dreitägigen Konferenz wie nach den acht Tagen Filmseminar. Für mich bedeutet das: Meine Strategien zur Erholung zwischendurch sind gut entwickelt und es ist nicht die Dauer der Anstrengung, die alles entscheidet, sondern die Art der Anstrengung.
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