Freitag, 31. Oktober 2008

Schmierzettel

In der Kabine liegt er zwischen meiner Ko-Dolmetscherin (oder Dolmetscher) und mir: Der Schmierzettel.

Wenn zwei in der Kabine sitzen und nur einer spricht, kann der/die jeweils andere neue Eigennamen, Akronyme, Zahlen, Pargrafen usw. mitschreiben. Dazu ist es gut, wenn man sich kennt. Ich zum Beispiel bin keine Freundin der Zahlen.

Mich irritiert seit der 1. Klasse, dass deutsche Zahlen teils lateinisch (von links nach rechts), teils arabisch (von rechts nach links) gelesen und geschrieben werden. Manche überrascht diese analytische Beschreibung, aber schauen sie mal genauer hin: 129 - (ein)hundertneunundwanzig. Auf Französisch ist es cent vingt-neuf: hundert zwanzig neun. Nur im Deutschen springen wir beim Lesen von Zahlen hin und her.

Unterschiedliche Systeme machen mir keine Probleme. Denn auch meine beiden Sprachen haben unterschiedliche "Richtungen": tasse de café - Kaffeetasse. Im Französischen kommt erst der Obergegriff, dann die Spezifizierung. Daran bin ich gewöhnt. Es ist die Vermischung der Prinzipien bei den Zahlen, die mir Probleme bereitet.

Schrecksekunde in der Dolmetscherkabine

Schrecksekunde: Ich schalte gerade von der einen auf die andere Sprache um, da hüpft mir der benachbarte Knopf entgegen. Genau betrachtet ist es "nur" der obere Teil des Druckknopfes, der beim nächsten Hin- und Hersschalten dann schon in hohem Bogen hochspringt und vom Tisch zu rollen droht. Da ich bislang keine Konferenzpause dazu genutzt habe, ein Dolmetschpult auseinanderzunehmen, weiß ich nicht, ob ich die Knopfbasis auch ohne Aufsatz verwenden kann. Und während ich mir diese Gedanken mache und den Schreck verarbeite, dolmetsche ich weiter und merke: Das muss ich alles so nicht haben!

Liebe Kollegen vom Ton, bitte checken Sie regelmäßig auch die einfachen mechanischen Teile der Konferenztechnik durch. Ihre Dolmetscher danken es Ihnen.

Montag, 27. Oktober 2008

Ein Pingel sein

Der heutige Eintrag klingt so, als hätte ich vor, ein Dialekt-Wörterbuch zu schreiben. Ein Pingel ist ein Mensch, der alles übergenau nimmt, der eben pingelig ist. Ich kenne das Wort nur aus dem Westfälischen und dem südlichen Rheinland.

Wir Sprachfritzen müssen Pingel sein. Der Pingelkram strengt an, wenn es um die Übersetzung von zu beurkundenden Dokumenten geht. Da ist jede Zahl, jeder Buchstabe wichtig. (Mein Fehlersuchtipp: von hinten nach vorne durchsehen.)

Auch bei Filmen ist ein hohes Maß an Genauigkeit wichtig. Daher steht zu Beginn aller Arbeit die Sichtung. Manchmal gibt es Skript (parallel entstanden) oder Trankskript (im Nachhinein entstanden), das ergänzen wir, wo immer wir Auslassungen finden. Wir notieren auch, wenn Schrift im Film vorkommt, Tafeln, Plakate, Briefe, die für die Dramaturgie wichtig sein können, wir notieren Hintergrundgespräche und besondere Akustiken.

Übersetzt wird dann bei Dokumentar- und Spielfilm nach Zeit: Der Film selbst gibt das Tempo vor. Immer wieder zurückzuspulen ist Teil des Jobs (hiermit entschuldige ich mich mal wieder in aller Form bei meinen Nachbarn!) Und die vermeintliche Lösung wird gekürzt, wenn es der Film nötig macht - das bedeutet mitunter die doppelte oder dreifache Arbeit. Daher ist das Ergebnis halt auch relativ teuer, wenn Sie nur das Ergebnis betrachten, und sich nicht vergegenwärtigen, dass es Zwischenschnitte gibt.

Bei der Übersetzung ist viel zu berücksichtigen: Wird der Film adaptiert und neu vertont? Oder wird die Reportage mit "voice over" in die andere Sprache übertragen? Oder aber ich sitze an Untertiteln ... Da stelle ich mir immer die Frage, wie weit ich das Werk in den anderen Kulturkreis hineinschiebe - zum Beispiel früher bei der Übertragung von Franc in D-Mark. Bei der Übersetzung als Vorbereitung eines Dialogbuches sind aber auch soziokulturelle Unterschiede zu berücksichtigen. Ein Pariser Clochard hat einfach eine andere Ausdrucksweise als der Modezar aus der gleichen Stadt.

Und dann sind da noch die Intentionen der Filmemacher. Am liebsten sehen und lesen wir so viel wie möglich, was aus dem Umfeld des Films zu erhalten ist: frühere Filme, Letters of intent, Drehtagebücher, wie sie immer öfter auch online veröffentlicht werden.

Und was machen wir jetzt mit dem "Pingel" auf Französisch? Wie wuppen wir die regionale Konnotation in den anderen Kulturkreis rüber?

Sonntag, 26. Oktober 2008

Büroalltag und zum x-ten: Preise

Willkommen beim ersten deut­schen Web­log aus dem In­neren der Dol­met­scher­ka­bine. Wie Dol­met­scher ar­bei­ten, können Sie hier lesen.

Ein langjähriger Kunde ruft an und erbittet einen Kostenvoranschlag für ein öf­fent­lich geführtes Interview an einem Sonntagnachmittag. Das Ganze soll maximal zwei Stunden dauern und ist zu einem Thema, in dem ich mich einigermaßen zu Hause fühle. Für kurze Einsätze zu Veranstaltungen aus meinen Fachgebieten be­rech­ne ich ei­nen sogenannten "halben Tag", der Preis liegt bei um die 550 Euro (abhängig von der Vorbereitung sowie vom Gesamtbudget des Ganzen).

Der Kunde meldet sich zurück, wegen der im Jahresdurchschnitt gestiegenen Ener­gie­kosten könne er mir nur weniger anbieten. Wieviel?, frage ich. Darauf der Kun­de: "Der Podiumsgast weiß zur Stunde noch nicht, von welcher Stadt aus er anreist, die Flugkosten verdreifachen sich außerdem noch ...!" Erst danach kommt ein sehr klein­lautes "250 Euro — inklusive Mehrwertsteuer". Ich schrieb daraufhin folgenden Brief, mehr für die Chefetage als für den Mitarbeiter des langjährigen Kunden, den ich voll und ganz auf meiner Seite weiß.
Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei erhalten Sie meinen Kostenvoranschlag meine Dienstleistung erhalten Sie als Stammkunde wieder zum reduzierten Preis. Indes, ich kann auf Ihr Honorarangebot nicht eingehen, weder in der Höhe noch in der Frage der Mehrwertsteuer.

Soweit ich informiert bin, sind Sie wie andere Institute dieser Art zum Verrechnen der Mehrwertsteuer nach deutschem Gesetz berechtigt. Da das Netto-Honorar im Falle einer “Inklusiv-Regelung” erneut um knapp 20 % sinken würde, kann ich meine Dienstleistung zu meinem Bedauern nicht zu ihrem Wunschtarif anbieten.

Zum Vergleich: Der Einsatz von zwei Stunden in ihrem Haus bedeutet für eine professionelle Dolmetscherin einen Zeitaufwand von

2 Stunden vor Ort

1 Stunde An-/Abreise
8 Stunden verteilt auf zwei Tage für die Vorbereitung (bei einem be­kann­ten Thema)
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11 Stunden insgesamt ohne Nachbereitung (Einpflegen von Fachtermini in die eigene Fachwortdatenbank)
Bei einem Nettohonorar von 218,48 Euro komme ich bei elf Stunden Arbeitsaufwand auf einen Stundensatz von 19,86 Euro.
Das ist in Berlin das Honorar für Nachhilfe durch einen Studierenden. Als doppelt qualifizierte Akademikerin mit mehrjähriger Be­rufs­er­fah­rung habe ich einen Netto-Stundenpreis von 50,00 bis 75,00 Euro.

Das Argument anderer sich verteuernder Po­si­tio­nen kann ich sehr gut nachvollziehen, erlaube mir aber zu bedenken zu geben, dass sich auch meine Gestehungskosten in der Krise ebenfalls ständig verteuern (Büromiete, Kommunikation, Ne­ben­kosten).

Ich hoffe, mit dieser genauen Aufstellungen in Ihrem Haus die Diskussion mit Sachargumenten befördert zu haben —
und verbleibe mit den allerbesten Grüßen,
Ihre

Caroline Elias

Donnerstag, 23. Oktober 2008

'Machine Translation' zum x-ten

"Erschaffen Sie sich Ihren perfekten Flug" - das ist ein Easyjet-Slogan.

Klingt verdammt nach automatisch übersetzt.

Wie schön, dass im Cockpit noch echte Menschen sitzen ...

Dienstag, 21. Oktober 2008

Mehr Sicht!

Hallo und bienvenue auf den Seiten des ersten deutschen Weblogs aus dem Inneren einer Dolmetscherkabine. Hier können Sie Episoden aus unserem Alltag kennenlernen.

Gelegentlich haben wir Mühe, manchen Rednerbeiträgen zu folgen, nicht nur, wenn in hohem Tempo vorgetragen wird. Die Entfernung der Kabine zum Podium lässt sich indes mit Hilfsmitteln über­win­den. Dann darf nur nicht der Bildschirm des Laptops die Sicht behindern ...

Hier meine kleine Fotostory aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Sie ist ziemlich selbsterklärend. 

Blogspot.com erlaubt leider derzeit irgendwie nicht, Fotos zu verkleinern; bis zur Behebung des technischen Problems gibt es hier also großformatige Bilder.

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Fotos: C.E.

Montag, 20. Oktober 2008

Trance

Nach dem Dolmetscheinsatz: Le verre de l'amitié - wir trinken auf die Freundschaft. Alle sind müde vom langen Tag. Es gibt Häppchen. Häppchenweise kommen auch Gespräche in Gang.

Ich bin wortkarg. Einer fragt uns Dolmetscher, wie viel wir nach dem Einsatz noch vom Gesagten wissen. Sehr wenig, sagt der Kabinenkollege. In wieweit denn der Intellekt beteiligt sei, hakt der Publikumsgast nach. Oder ob nicht vielmehr sowas wie das Unterbewusstsein arbeiten würde, ob die Verdolmetschung nicht quasi aus dem Rückenmark kommen würde (sort pour l'ainsi dire de la moelle osseuse). Ich suche keine Antwort, sondern nach der Übersetzung. Ja, das könne man so sagen, befindet der Kollege aus der Dolmetscherkabine weiter, wir dürften ja auch nicht darüber nachdenken, was wir da machen. Alle Konzentration gelte dem Übertragen der Inhalte vom einen ins andere Sprach-/Kultur-/Referenzsystem (die Komplexität dieser Antwort war ein Echo auf das Veranstaltungsthema), da bleibe keine Energie, um Informationen zu verankern oder zu hinterfragen.

Ich hole mir noch einen O-Saft. Die Freiheit der Dolmetscher nach dem Einsatz besteht im Weggehen und Weghören. Alle Glieder sind schwer. Ich brauch' nicht einmal den schönen Sancerre dazu, der gereicht wird. Ich muss eh' schauen, wie ich heil zu meinem Kopfkissen komme. Nach sechs Stunden Einsatz fürchte ich um mein Reaktionsvermögen im Straßenverkehr. Noch ein Häppchen bevor ich gehe, aber nur Feststoffliches, keinen small talk , bitte. So sehr mir das Thema sonst am Herzen liegt ...

Sonntag, 19. Oktober 2008

Merci beaucoup II

Neue Kategorie: Unter "Merci beaucoup" erklingen die Stimmen von Menschen, die mich als Dolmetscherin erlebt haben.
"Als Regieassistentin weiß ich, wie verloren man sich im Ausland am Set fühlen kann. Schauspieler zeigen Ihre Seele, wenn Sie den Zuschauer erreichen wollen, daher sind sie grundsätzlich empfindsam und angreifbar. Wenn dann keine sichere sprachliche Begleitung angeboten wird, bezieht der Schauspieler (oder die Schauspielerin) schlimmstenfalls jedes Tuscheln oder Grinsen auf sich.

Caroline verbindet großes Einfühlungsvermögen mit Schnelligkeit - manches antizipiert sie sogar, weil sie die Abläufe kennt. Ihre Erfahrung macht sie souverän. Ihre Stärke und Entspanntheit überträgen sich auf die Situation, was am Set, bei Filmpremieren oder in anderen Stressmomenten von unschätzbarem Wert ist."

Madgar Hische, Regieassistentin

Dienstag, 14. Oktober 2008

Vor dem Dolmetscheinsatz

Ob ich denn Lampenfieber vor dem Dolmetschen hätte, wollte eine ehemalige Schulfreundin neulich von mir wissen. Hm, ja und nein. Doch, und zwar immer rund ein Dutzend Mal, wenn etwas neu ist. Mit der Zeit gewöhne ich mich ein, die Routine schlägt zu, ich schalte auf Autopilot und starte durch.

Aber sonst ... die Fälle eins bis elf? Ja, Blubber im Magen, sonst auch flaue Gefühle, unruhigen Schlaf, Probleme in der Kabine, mit dem Relais, der Lexik, den Rednern, aber nur im Traum, das kenne ich alles sehr gut. Ich werde dünnhäutig vor den Einsätzen, bin leichter verletzbar, beziehe Kommentare auf mich, als wären sie Kritik. Gehe mit mir selbst um wie mit einer Kranken.

Und ich frage mich, wie ich bloß zu diesem komischen Beruf gekommen bin. Im Grunde bin ich schüchtern, und als Kind hab ich gestotttert.

Sicher, das sind Formen von Lampenfieber. Ich spüre verspannte Nackenmuskulatur, schmiere mit Zeug dagegen an, das wie einst der Dachboden der Löwenapotheke zu Glauchau an der Mulde ... duftet. Ich schalte auf Energiesparmodus und lebe in einer großen Luftblase, une bulle, das ist keine zerplatzende Börsenblase, sondern ein von mir selbst geschaffener Schutzraum. In ihm geht der Kopf Fachtermini und Abläufe durch. Mein individueller Distanzraum ist dann vorübergehend größer, und wer den nicht respektiert, hat schlechte Karten. Einmal habe ich mich sogar von einem Mann getrennt, weil er mir kurz vor Dolmetschereinsätzen zwei Mal eine Szene machte. Das war nicht der Hauptgrund, aber ein wesentlicher. Ich kann meinen Beruf nicht gefährden (lassen).

Wenn ich an die Vokabelarbeit gehe, Dokumente lese, mich dann als Geschäftsfrau verkleide, schminke, manchmal das Taxi rufe, streife ich schon das Kostüm der Rolle über. Die zur Routine gewordenen Gesten helfen mir, in sie hinein zu finden.

Dann geht's ins Cockpit, Kopfhörer auf, Mikro an. Dolmetscher haben angeblich beim simultanen Arbeiten so viel Adrenalin im Blut wie Piloten bei Start und Landung. Ist der Flieger erstmal in der Luft, geht es, solange keine Turbulenzen auftauchen.

Fachfrage zum Export aus Drehbuchsoftware

Viele Drehbuchautoren arbeiten mit Final Draft - und senden ein PDF als Vorlage für die Übersetzung. Ärgerlich, denn die Formatierung einer Drehbuchseite nachzugestalten ist sehr zeitaufwändig. Daher exportieren manche den Text als RTF-Datei. RTF steht für rich text format, die Formatierung ist beibehalten, nur leider steht die Word-Funktion der Markierung von Änderungen nicht zur Verfügung, das ist wichtig, weil Profis immer nochmal gegenlesen lassen. Kein Problem, mag sich da mancher denken, und speichert die exportierte RTF-Datei unter Word ab. Das führt indes dazu, dass der rechte Rand ins elektronische Nirwana 'abhaut', so dass es anschließend sehr mühsam ist, Absatz für Absatz wieder 'einzufangen'.

"Just add words", wie die Werbung von Final Draft verspricht, gilt demnach für Übersetzer jedenfalls nicht. Wenigstens der andere Teil der Formatierung ist erhalten, aber die Sache mit dem rechten Rand frisst Energie, die besser der Übersetzung zugute kommt. Außerdem sind alle Szenennummern weg und Szenenüberschriften sowie Rollennamen werden nicht mehr automatisch in Majuskeln wiedergegeben.

Letztens bekam ich eine "saubere" Word-Datei, also ohne das Problem mit dem rechten Rand. Ich fragte nach. Die Antwort von Amelie: "Die Datei hatte ich einfach geöffnet und direkt als Word-Dokument neu abgespeichert. Ich habe einen PC, ob das mit Mac auch klappt, kann ich Dir leider nicht sagen."

Wer damit Erfahrungen hat, bitte her damit. Hier konnten wir also die Formatierung großenteils erhalten. Szenenüberschriften und Rollennamen sind weiterhin nicht automatisch in Großbuchstaben wiedergegeben, sondern sind immer dann klein, wenn einer in Eile die Hochstelltaste nicht gedrückt hat. Amelie weiter: "... es gingen die Szenen-Nummerierungen verloren, die ich dann per Hand nachgetragen habe."
Also nicht perfekt, aber immerhin besser als tagelanges Fummeln mit der Absatzbreite. Sorry, N., für Ostern, und sorry ich selbst für ein Wochenende im September.
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Man könnte die Software auch kaufen, meinen Sie? Ja, schon, aber sie lässt sich irgendwie nicht nur vorübergehend installieren und anschließend deinstallieren. Für eine Drehbuchübersetzung inklusive Lektorate arbeiten wir maximal zu dritt, und die Teams wechseln. Da wäre jedes Mal ein Neukauf unwirtschaftlich. Hallo, Final Draft Inc., lesen Sie mit?

Montag, 13. Oktober 2008

Dolmetscherhilfe

Cannes, Palais des festivals. Ich bin auf der MIP, der weltgrößten Messe für audiovisuelle Programme, und folge einer Konferenz über "converging media". Ein Japaner hält einen Vortrag, er hat seinen Text auf das Rednerpult gelegt und liest ab; es ist schwer verständlich. Zur inhaltlichen Weiterbildung gesellt sich hier das Einhören in verschiedene Aussprachemöglichkeiten des Englischen. Dazu gibt es Filmbeispiele.

Aber der Techniker im hinteren Raumteil kommt nicht mit den DVDs zurecht, auf die die Beispielfilme aufgezeichnet sind. Aus unbekannten Gründen kann er die Nummerierung der Scheiben nicht lesen (Sind sie mit japanischen Buchstaben statt mit Ziffern markiert? Ist es im Technikbereich zu dunkel?)

Der erste Film hat einen Fehlstart, dann kommt auch noch der Ton später, hat er auch noch den falschen Regler erwischt? Noch mutmaßt im Saal niemand. Beim zweiten Film braucht der Techniker zwei Anläufe, dann erst hat er den richtigen Film eingelegt. Beim dritten ist es wieder die falsche DVD. Der Japaner am Rednerpult bleibt gelassen. "Please be so kind and take the other one!", sagt er in verschiedenen Variationen mit sanfter Stimme ins Mikro, denn jetzt kommt nochmal der allererste Film. Abbruch. Dann tut sich erstmal nichts. Dann geht das Saallicht aus, Bilder erscheinen, das Pulblikum kennt sie schon (Film zwo), auf den Techniker wirken sie vor lauter Schreck offenbar wie neue Sequenzen, "no, this is not the good film, could you please take the other one!" sagt der Japaner fast flüsternd ins Dunkel.

Da wird es einem Amerikaner zu bunt. "The other one!" ruft er kurzangebunden und mit sehr lautem Organ aus der Saalmitte. Plötzlich klappt's.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Übersetzer sind nicht gleich Dolmetscher ...

Viele Deutsche wissen nicht, was einen Übersetzer von einem Dolmetscher unterscheidet. Sollten Sie dazu gehören, grämen Sie sich jetzt bitte nicht, Sie sind in bester Gesellschaft - selbst das noch recht neue Wissenschaftsmagazin der ARD mit dem Titel "Brain - Wussten Sie schon...?" weiß das nicht. In der Sonntagabend ausgestrahlten Sendung wurde über Vorurteile berichtet. Eines lautet: "Die Brüsseler Bürokratie ist riesig und teuer". Dann wurde nachgefragt - und so berichtete "Brain", dass dreißig Tausend Beamte in Brüssel arbeiten, weniger als in mancher deutschen Großstadt. Davon seien viele, so die Sendung, "mit dem Übersetzen beschäftigt: 23 Amtssprachen erfordern viele Dolmetscher."

Ja was denn nun - Übersetzer oder Dolmetscher? Wohl beides, aber was hier wie Synonyme verwendet wird, ist nicht ein- und dasselbe. Sicher, die Berufe gleichen sich, denn in beiden haben wir mit der Übertragung von Sprache zu tun. Übersetzer widmen sich aber der geschriebenen Sprache, arbeiten am Schreibtisch, mit Wörterbuch, Glossaren, Originaldokumenten und dem Internet - und Dolmetscher übertragen die gesprochene Sprache, und zwar auf Kongressen, bei der Begegnung von Politikern, Wirtschaftskapitänen, Künstlern und anderen Reisenden. Wobei auch hier meist Wörtberbücher, Glossare etc. von der Partie sind ...

Als Merksatz gilt das Motto dieses Weblogs: siehe oben.

Freitag, 10. Oktober 2008

Alpha-Zustand

Freitagnacht, kurz vor Mitternacht. Ich sehe aus dem Fenster des Taxis, draußen Warteschlangen, Lachen, Partystimmung, Baustellen, Straßenlaternen. Ich kommme aus der Berliner Filmpremiere von "Willkommen bei den Schtis". Zuvor, den ganzen Nachmittag lang, fanden bis in den früheren Abend Interviews statt. Ich als Dolmetscherin immer aktiv. Zwischendurch französischsprachige Journalisten (überraschend viele, wo kommen die plötzlich alle her?), da hab ich Pause, sitze oft stand by und souffliere fehlendes Vokabular. Jetzt schaue ich aus dem Fenster, nehme die Menschenmassen als Bewegung, Klänge und Erinnerung an etwas wahr, das ich auch kenne. Ich fixiere nichts und alles. Es ist wie der lange entspannte Blick in den Kamin: Der Kopf schaltet auf flow, die Hirnwellen legen ein anderes Muster vor als eben gerade. Erinnerung und Gegenwart schieben sich ineinander. Habe ich heute auf einem Balkon gestanden und über den Film "Waltz with Bashir" gesprochen oder war das neulich mal? War der rote Teppich nicht total ausgeblichen oder lag es am Licht. Und wie lautet Moritz' Sonnenfrage? Das war das Arte-Quiz: "Nennen Sie uns ihren letzten Erfolg!" Dany Boon: "Nicht 20,5 Millionen Kinozuschauer, sondern trotz dieses Wunders auf dem Teppich geblieben zu sein." Dann fällt mir ein Wort ein, scheinbar aus dem Kontext gerissen, es ist das Wort "Minensucher" - war das vorhin oder ist das ein Traumrest aus der vergangenen Nacht? Es war von Minensuchern die Rede, das Wort Teil irgendeiner längeren, in sich abgeschlossenen Episode, es kann auch ein Witz gewesen sein, von Logos auf Patronenhülsen, von Rache ... Und erst nach einigem Nachdenken weiß ich, dass es kein Restbild meiner Traumwelt war, sondern Teile des Plots des neuen Films von Jean-Pierre Jeunet, in dem Dany mitspielt und von dem er erzählt hatte.

Auch das andere war alles heute - bzw. inzwischen gestern. Und gleich geht es weiter, Samstag, nach 11.00 Uhr. Oder morgen. Morgen ist, wenn ich geschlafen hab.

Dany Boon

... pendant que le prochain interview est préparé ... während das nächste Interview vorbereitet wird ....

Où sont les meubles ... ? ... les chiens ....? (This is a 'private joke' referring to the french version of the film. Click to enlarge the picture.)

And some feed back ... please click here.

Merci beaucoup I




"Tausend Dank, Caroline, für diese schöne Zusammenarbeit. Wenn der durchschnittliche Witz eines französischen Schauspielers den deutschen Journalisten zum Lachen bringt, ist die Übersetzung besser als perfekt."

Dany Boon, Schauspieler und Regisseur

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Fremddeutsch II

Hier die Fortsetzung des Texts über französisch geprägtes Deutsch bei Kollegen des Auslandshörfunksenders Radio France Internationale (RFI).

- "Meine Herren, der Ball ist in ihrem Feld!" (Messieurs, la balle est dans votre camp!) – das ist eine Übersetzung, die langsam auch auf Deutsch verstanden wird (vielleicht gibt’s auf Englisch einen ähnlichen Ausdruck, meine Hamburger Freunde erkannten ihn wieder, die Süddeutschen verstanden Bahnhof.)
Meine Herren, Sie sind dran! ist sofort verständlich.

- "Der Politiker hat inzwischen ein Versagen der öffentlichen Autoritäten eingestanden."
Das ist nicht nur übersetzt, das klingt auf Deutsch auch so. “Er hatte Angst vor Autoritäten, aber am meisten vor seinem Lehrer.” “Die Sparpläne der Hansestadt treffen besonders die öffentlichen Bücherhallen.” “Die Gehälter im öffentlichen Dienst stagnieren.”
Ein Versagen von Regierung und Verwaltung würde es vielleicht treffen.

- “Arbeitgeber können junge Angestellte ohne Nennung von Motiven entlassen.”
Hm, haben sie etwa die Absicht, einen Mord zu begehen ...?
- KOMMISSAR: Wo waren Sie vergangenen Freitag um halb sieben?
- ASSISTENT: Aber er hat doch gar kein Motiv!?
- KOMMISSAR: Ich red hier! Hol schon mal den Wagen, Harry...
...gemeint sind natürlich “Gründe”.

- "Der Wissenschaftler schafft es, aus "Star Wars" einen Vorschlag zu machen, der sich ans Publikum wendet."

Say it deutscher ;-)

Der Wissenschaftler nimmt "Star wars" zum Anlass für einen Blick hinter die Kulissen...

Der Wissenschaftler greift "Star wars" auf und erlaubt es dem Publikum, hinter die Kulissen zu schauen...

- "Die Engländer haben den Euro nicht adoptiert." Das aaarme kleine Euro, ganz elternlos, und noch nicht mal Adoptiveltern! Ooooch! Natürlich hat England den Euro nicht eingeführt. Wieso jetzt 'natürlich'?

- Agnès Jaoui sagt: "Ja, ich habe lange zwischen den beiden Karrieren gezögert!"
Nein, sie hat nicht gezögert, sie war lange unentschlossen, welche der beiden Karrieren sie ergreifen sollte.

- "Er hat eine bislang wenig politisierte Jugend ermutigt, die Linke zu wählen."
Au weia! Muss man sich jetzt in Frankreich mit starkem körperlichen Einsatz den Weg zu den Wahlkabinen erkämpfen? Werden die Urnen von Schlägertrupps geschützt, auf dass auch ja keiner wählen gehe?
Nein. Hier ist "encourager" im Sinne von “ermuntern”, “einen Anreiz bieten” gemeint.

Montag, 6. Oktober 2008

Kriterien: Dolmetscher in der Film-PR

Stellen wir uns vor, Sie hätten für viel Geld Filmrechte erworben, die Sie nun aus­wer­ten möchten, oder aber Sie wären an der Herstellung eines Films beteiligt gewesen und wünschen sich, dass der Filmstart optimal verläuft. Leider gibt es in unserem Beispiel eine Hürde: Fremdsprachen.

Um diese zu überwinden, suchen Sie Hilfe. Hier eine Checkliste, damit Sie wissen, was Filmdolmetscher für die PR leisten.

Im Vorfeld: Der/die Dolmetscher/in
— hat eine professionelle Ausbildung oder Zusatzausbildung als Dolmetscher ab­sol­viert
— hat einen Arbeitsschwerpunkt im Bereich Film
— fragt nach Material zur Vorbereitung, ggf. auch nach in Deutschland schwer be­schaff­ba­ren früheren Filmen des Filmemacher
— stellt Rückfragen zu Einsatzdauer, Pausen, Anzahl der Einzel- bzw. Fern­seh­in­ter­views
— hat Erfahrung im Dolmetschen von Presseinterviews

Woran können Sie das in der Dolmetschsituation erkennen?
— Der/die Dolmetscher/in verfügt über eine adäquate Notizentechnik, Vor­aus­setz­ung für detailreiche Verdolmetschung
— die Dauer der übersetzten Antworten entspricht grosso modo der Dauer der von den Filmschaffenden gegebenen Antworten
—mdie Übersetzung erfolgt nach einer kurzen Sprechpause, womit saubere O-Töne in der Originalsprache garantiert sind (es sei denn, die Journalisten bäten aus­drück­lich um simultane Übertragung)
— der/die Dolmetscher/in hat eine gute, geschulte Sprechstimme, deren Ver­dol­met­schung ggf. als "Overlay"-Stimme für Hörfunkbeiträge übernommen werden kann (dazu sollte die Stimme nicht so bekannt sein, dass sie einem bestimmten Sender zugeschrieben werden kann)
— die Filmschaffenden klingen in der Übersetzung unterschiedlich — denn eine 19-jährige Berufsanfängerin in der Ausbildung klingt auch im Original anders als ein erfahrener Schauspieler, der z.B. 1944 geboren wurde
— die Damen und Herren von der Presse bedanken sich bei der Dolmetscherin/dem Dolmetscher, bitten möglicherweise um Visitenkarten

Zögern Sie nicht, die Pressevertreter auch später noch nach ihren Erfahrungen zu fragen, z.B. zum Filmstart, ob sich die Übersetzung beim Schreiben der Beiträge als nützlich erwiesen hat. Die Fremdsprache ist der "Flaschenhals", durch den die Information hindurch muss. Nach den vielen Investitionen für Stoff­ent­wick­lung, Dreh, Post, Lizenzankauf, Sprachenfassung und PR sollten Sie nicht an pro­fes­sion­el­len Dolmetschern 'sparen'.

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Hier das feed back eines Journalisten auf
hohe Genauigkeit: Klick!

Sonntag, 5. Oktober 2008

Verloren am Set

Im Ausland zu drehen oder Presseinterviews zu geben, stellt Schauspieler und Regisseure vor besondere Herausforderungen. Besonders dann, wenn er oder sie merkt, dass etwas fehlt bei der Kommunikation mit den Kollegen, wenn der Dolmetscher an seiner Seite überfordert ist oder wegen Zeitknappheit, Bequemlichkeit oder Ignoranz kürzt.

Diese Situation hat Sofia Coppola in "Lost in Translation" (USA 2003) überspitzt dargestellt. Im Alltag ist es selten so extrem, aber wenn Ihr Dolmetscher halb so lange braucht für die gleiche Antwort eines ausländischen Muttersprachlers oder wenn eine Jugendliche in der Übertragung ähnlich klingt wie die übersetzten Worte eines alten Mannes, sollten Sie sich fragen, ob Sie es mit einem Dolmetschprofi zu tun haben.

Sie erinnern sich an die berühmte Suntory Time-Werbeszene, bei der Schauspieler Bob aus den USA am Set in Tokyo sprachlich abgehängt ist?
Hier ist der Dialog (Übersetzung aus dem Englischen, Quelle: NY Times).

- REGISSEUR (auf Japanisch zur Dolmetscherin): Die Übersetzung ist sehr wichtig, O.K.? Die Übersetzung!
- DOLMETSCHERIN: Ja, natürlich, ich verstehe.
- REGISSEUR: Mr. Bob-san. Sie sitzen ruhig in Ihrem Arbeitszimmer. Und dann steht da die Flasche Suntory Whisky auf dem Tisch. Verstehen Sie, ja? Sehr emotional blicken Sie langsam zur Kamera, zärtlich, und sagen ihre Worte, als würden Sie alte Freunde treffen. Als wären Sie Bogie in "Casablanca" sagen Sie: "Prost, ich trink' auf Euch, Kumpels" - Suntory time!
- DOLMETSCHERIN: Er möchte, dass Sie sich der Kamera zuwenden und hineinsehen. O.K.?
- BOB: War das alles?
- DOLMETSCHERIN: Ja, drehen Sie sich zur Kamera.
- BOB: Soll ich mich von rechts oder von links zur Kamera drehen?
- DOLMETSCHERIN (in sehr formellem Japanisch zum Regisseur): Er ist vorbereitet und drehfertig. Und er wüsste gerne, ob Sie, wenn der Film läuft, es lieber hätten, dass er sich nach links dreht, oder ziehen Sie es vor, dass er sich nach rechts dreht? Das ist, was er gerne beantwortet hätte, wenn Sie so freundlich wären.
- REGISSEUR (sehr schroff und in eher umgangssprachlichem Japanisch): Beides ist gleich gut. Dieses Detail ist nicht wichtig. Wir haben keine Zeit, Bob-san, O.K.? Sie müssen schnell machen. Zeigen Sie mehr Spannung. Schauen Sie in die Kamera. Langsam, mit Leidenschaft. Wir brauchen Leidenschaft. Verstehen Sie?
- DOLMETSCHERIN (auf Englisch zu Bob): Von rechts. Und, äh, mit Intensität.
- BOB: Ist das alles? Mir scheint, er hat ein wenig mehr gesagt als das.
- REGISSEUR: Wissen Sie - worüber Sie sprechen, das ist mehr als über Whisky. Verstehen Sie? Es ist, als ob Sie alte Freunde treffen würden. Zeigen Sie ihre wachsende Freude. Spannung ist wichtig! Denken Sie daran.
- DOLMETSCHERIN (auf Englisch zu Bob): Wie zu einem alten Freund - und in die Kamera.
- BOB: O.K.
- REGISSEUR: Verstehen Sie? Sie lieben Whisky. It's Suntory time! O.K.?
- BOB: O.K.
- REGISSEUR: O.K.? O.K., wir drehen! Los.
- BOB: For relaxing times, make it Suntory time.
- REGISSEUR: Cut, cut, cut, cut, cut! (Jetzt in einer sehr männlichen Variante japanischer Sprache, wie ein Vater, der sich an sein störrisches Kind wendet): Versuchen Sie nicht, mich zu verarschen. Tun Sie nicht so, als verstünden Sie mich nicht. Verstehen Sie denn, was wir hier machen wollen? Suntory ist sehr exklusiv. Der Klang dieser Worte ist sehr wichtig. Es ist ein teueres Getränk. Es ist die Nummer Eins. Nun machen Sie es noch einmal. Und Sie müssen fühlen, dass das hier exklusiv ist, O.K.? Das ist kein Alltags-Whisky, wissen Sie?
- DOLMETSCHERIN: Könnten Sie es langsamer machen und ... ?
- REGISSEUR: Mit mehr Gefühlen, mehr Hingabe.
- DOLMETSCHERIN: Intensiver.
- REGISSEUR (auf Englisch): Suntory time! Film ab.
- BOB: For relaxing times, make it Suntory time.
- REGISSEUR: Cut, cut, cut, cut, cut! Mein Gott, ich flehe dich an!
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Link zum Filmausschnitt
Foto: Screenshot - Bob (Bill Murray) und links die Dolmetscherin, rechts der Regisseur (die Kadrierung entspricht nicht der des Films)

Ch'ti là oder: Französisch aus der Picardie im Film

Will­kom­men et bien­ve­nue beim Ar­beits­ta­ge­buch einer Fran­zö­sisch­dol­metscherin und -übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und Film, denn Film ist eine Sprache für sich. Hier denke ich öffentlich über unseren Alltag nach, stets unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Wunderkiste Internet: Letztens durfte ich einen Tschechen dolmetschen, der 1968 in Paris gelebt hatte. Die Dolmetscherkollegin riss die Augen auf, als sie sein Französisch hörte, und winkte ab. Ich übernahm den Kunden gern. Ich hatte in der Vorbereitung bemerkt, dass er kurz zuvor beim Sender France Culture zu Gast gewesen war und mich eine Programmstunde lang eingehört.

Ein anderes Beispiel: Ich wurde gebeten, einen Kostenvoranschlag für die Pres­se­ges­präche zum Film "Willkommen bei den Sch'tis" zu schreiben, dem er­folg­reichsten französischen Film aller Zeiten, der fast so oft gesehen wurde wie der in Frankreich erfolgreichste Film aller Herkunftsländer, "Titanic". Bienvenue ... /Willkommen... erzählt mit den Mitteln des Slapsticks einen in­ner­fran­zösischen clash of cultures, indem er Nordfrankreich mit den Augen eines vor­ur­teils­be­ladenen Südfranzosen zeigt. Dieser wird vor Ort eines besseren belehrt — die Leute sprechen zwar ein drolliges Kau­der­welsch, das "Chtimi", sie erweisen sich aber als offen, herzlich, treu  und feierfreudig.

So beschäftige ich mich im Rahmen dieses Kostenvoranschlags mit diesem Dialekt ... Nein, es wird von mir nicht gefordert, aus ihm ins Deutsche zu dolmetschen, und auch das Publikum bekommt einen synchronisierten Film angeboten, den ich mir in der Pressevorführung angesehen habe. Zunächst aber krame ich meine Erinnerungen an meine Sichtung des Films in der Originalfassung hoch. Dann finde ich im Netz Trailer und Ausschnitte auf YouTube, entdecke eine wundervolle Seite mit Audiosprachkurs zum Erlernen des Chtimi (weitere Links unten), die Über­setzungen aus dem Französischen in diese Variante des Picardischen samt 400 Hörbeispielen anbietet und höre mich ein ...

Wie viele Dialekte zeichnet auch Chtimi sich durch besondere Ausdrücke aus ('à toute berzingue' statt '... vitesse'), durch Auslassungen ('orelles' statt 'oreilles'), Eigentümlichkeiten in der Grammatik ('D'ù qu'ch'est t'as incore trainé ?' statt 'Qu'est-ce que tu as encore trainé ?') sowie Lautverschiebungen, die im Film selbst erklärt werden: "... Sie sagen ein [o] anstelle von [a], ein [k], wo wir [ch] sagen — und die [ch] sprechen sie, aber anstelle von [s]!"

Deutschen Ohren fällt auf, dass viele zum Teil deutsch klingende Zischlaute im Dialekt vorkommen, dafür andere ausgelassen werden, Beispiel: "Cha ch'est quéccose" für "ça, c'est quelque chose". Die Enden von Verben werden verschluckt — 'abatte' anstelle von 'abattre", stimmhafte Laute zu Zischlauten 'la(r)che' anstelle von 'large'.

Im Presseheft steht, der Dialekt sei für den Film ein wenig vereinfacht worden (und Dany Boon widerspricht dem in Interviews kurz vor dem Filmstart) — dennoch verstanden viele Franzosen im Kino immer wieder manches Wort nicht. Für die deutsche Synchronfassung wurde ein Kunstdialekt mit Lautverschiebungen aus den gleichen Konsonantenfeldern gewählt.

Und woran lag es, dass der Film in Frankreich diesen überragenden Erfolg hatte? Es gibt zwei Liebesgeschichten in dem Film, bei denen sich Paare aufgrund von echten Entscheidungen (wieder)finden. Der Film baut auf Vorurteilen auf, wobei das Spiel mit ihnen uns alle lachend klüger macht. Und er berichtet, dass es neben Paris noch ein anderes Frankreich gibt, das selbstbewusster Regionen nämlich: "Du wirst in den Norden versetzt", sagt der Personalchef unseres Helden an einer Stelle, und Letzterer fragt ängstlich: "Etwa Paris? Sag' mir, dass es nicht Paris ist!"  "Nein, nein, ich kann dich beruhigen!", antwortet da der Personaler, "es ist nicht Paris!" Last but not least ist Dany Boon, Autor, Regisseur und Darsteller einer der Hauptfiguren, seit Jahren in Frankreich als Stand-up-comedian durch Bühne, Funk und Fernsehen berühmt  auch das verschafft jedem Kinofilm einen Vor­sprung. Diese letzten beiden Faktoren fallen bei der Auswertung in Deutschland weg. Ich bin gespannt auf die Publikumsreaktionen, die Komödie startet am 30.Oktober.


Surftipps: Chtimi-Wörterbuch und "Sprachkurs" (bei Lexilogos), Satztraining mit Hörbeispielen, Alan Dawson über den Dialekt (im Nouvel Obs-Blog), die Gegend wird hier vorgestellt (in süß-falschem französischem Deutsch)
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Fotos: C.E.
Ch'ti là bedeutet celui-là — der da
(mit implizitem Fingerzeig)!

Samstag, 4. Oktober 2008

Szenisches Dolmetschen

Ich nicht sprechen Deutsch. Ich sein klein und dumm.

Neben mir steht ein Mann auf der Bühne, er ist Ende Vierzig, hat dunkles, weiß durchsprenkeltes Haar auf einem eckigen Schädel, dunkle Augen, sein Teint ist dunkler als meiner.

Papa is Arbeita  auf Baustelle.

Und dann spricht er auf Französisch weiter, erst gebrochen, dann immer besser, seine anfangs kindlichen Bewegungen sind am Ende nicht mehr ungelenk, sondern so elegant wie sein Anzug. Trotzdem, wer den Mann neben mir auf der Bühne des Berliner Ensemble stehen sieht, kommt nicht auf den Gedanken, es mit einem promovierten Akademiker zu tun zu haben, einem Mann, der sich in sozialwissenschaftlicher Forschung der Migration einen Namen gemacht hat.

Papa, Mama und ich wohnen in Bidonville. Was das? Häusa von Blech und Holz.

Im Theater ist es dunkel. Wir würden eine Stecknadel fallen hören, so leise ist es, und wüssten wir nicht, dass an die 600 Schüler vor uns sitzen, wir müssten annehmen, auf der Probe zu sein. Aber wir sind mitten in einer Literaturlesung für Schüler. Das Internationale Literaturfestival Berlin hat Azouz Begag eingeladen, und das nicht zum ersten Mal. Und ebenfalls nicht zum ersten Mal stehe ich neben dem Mann, der mit Le "Gone du Chaâba" ein Kinderbuch geschrieben hat, in dem er seinen Weg raus aus dem vorstädtischen Blechhüttenslum rein in die Hochschule beschrieben hat. Dazwischen lag l'école républicaine, die Schule der Republik, die seit 1905 weit entfernt ist von jeder kirchlichen Prägung und die es im Durchschnitt in den letzten Jahren besser vermocht hat als das deutsche Bildungssystem, Kindern mit Migrationshintergrund echte Aufstiegschancen anzubieten. Azouz Begag brachte sie auf den Weg in Richtung Forschung und von dort in die französische Politik, er war von 2005 bis 2007 'beigeordneter Minister für die Förderung von Chancengleichheit'.

Zurück ins Theater: als Dolmetscherin hab ich zu viel tun, um neben diesem Kaliber standzuhalten. Wir sprechen und dolmetschen im Reißverschlussprinzip, ein kleines Stückchen so, ein kleines Stückchen so. Immer wieder lässt Azouz ein deutsches Wort in seine französischen Sätze einfließen, und wir haben verabredet, dass ich es umgekehrt genauso mache. Wir nutzen die Sprachsituation als Moment der Unterhaltung. Es kommt an bei den Kids, von denen selbst viele Migrationshintergrund haben.

Nach der Vorstellung warte ich mit Max, meinem damaligen Ziehsohn, auf Azouz, da kommt ein Mädchen mit Kopftuch zu uns  wir stehen direkt neben dem Ständer mit den Programmen des BE. Sie schaut, was hier sonst noch so angeboten wird, und vorsichtig, wir wollen ja keine Enttäuschung programmieren, erklären wir ihr, warum die Veranstaltung heute nicht nur etwas besonderes für die Schüler, sondern auch für den Ort war. (Was ich verschweige: Auch für mich, denn nichts ist so anspruchsvoll, wie ein kulturfernes, jugendliches Publikum. Selten habe ich derart anstrengende Jobs.)

Diese Episode stammt von 2004. Nach den Jahren in der Politik kam er dieses Jahr wieder nach Berlin. Jetzt reist er nach Los Angeles als visiting professor. Have a safe trip, Azouz!

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Foto: Ein Wiedersehen 2008.
Filmtipp:
Das Kinderbuch "Gone du Chaâba" wurde 1998
von Christophe Ruggia verfilmt (und von mir im Auftrag
der französischen Botschaft untertitelt).

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Einspringen

Manchmal ist in der mehrsprachigen Berliner Welt echt Not am Mann. Oder an der Frau, an der dolmetschenden Frau. Und dann springen wir ein und verhandeln erst hinterher. Sollte man nicht, weiß ich, aber wir sind nun mal Dienstleister! Oder sind wir etwa keine?

Erstes Beispiel: Letztens, ich lag gemütlich am Morgen in der Badewanne und dachte wehmütig an einen Filmstart, in dessen Rahmen ich diesen Tag hätte dolmetschen können, wäre nicht bei den Honorarverhandlungen für den gleichen Tag ein anderer Auftraggeber schneller gewesen. Mit diesem wollte ich mittags Essen gehen, dabei den Einsatz weiter besprechen, der für den Nachmittag anberaumt war, also ließ ich den Morgen ruhig angehen.

Da ich in der Wanne gerne in Ruhe telefoniere, lag das Telefon in Reichweite, klingelte - und nämliche Filmpresseagentur war dran, man hatte plötzlich zu viele Stars für zu wenig Dolmetscher: "Können Sie in ein Taxi springen und herkommen?" Ich konnte. Mein Nachmittagstermin war schriftlich und am Telefon so gründlich vorbereitet worden, dass wir problemlos das Vier-Augen-Vorgespräch auf eine halbe Stunde eindampfen konnten und ich so vor diesem Einsatz mehrere Stunden lang für die Filmstars tätig wurde.
Die Honorarhöhe fanden die Agentur und ich anschließend einvernehmlich. Vor Ort bekamen deren Mitarbeiter erstmalig direkte Reaktionen der Journalisten auf meine Arbeit mit - eine bessere Werbung kann ich mir nicht vorstellen.

Zweites Beispiel: Ein nicht näher genannter Kulturveranstalter, die Episode liegt mindestens fünf Jahre zurück. Für eine Afrika-Filmreihe sprach ich etwa ein Dutzend Filme simultan ein, natürlich nach entsprechender Vorbereitung (wie das geht, steht hier). Vor meinem langen Arbeitseinsatz im bewussten Kulturhause - es stand ein Film mit Überlänge auf dem Programm - war eine kurze Diskussion geplant. Diese dolmetschte nicht ich, sondern andere Dolmetscherinnen, die ich nur vom Sehen kannte. Das war mir sehr recht so, dadurch konnte ich mich voll und ganz auf "meinen" Film konzentrieren.

Der Abend wurde eröffnet, Worte zum Gruß und der Einleitung gesprochen. Wie geplant wurden die Dolmetscherinnen in der Kabine neben mir simultan aktiv. Dann wurde ein Kurzfilm angesagt, der gerade beim Fespaco in Burkina Faso einen Preis erhalten hatte. Der Film wurde mit Untertiteln angekündigt.

Roll the film! Film ab! Vorspann, ich sah noch keine Untertitel. Totale: Eine Straße. Ranfahrt auf eine Telefonzelle, im Off viele, differenzierte Geräusche. Amerikanische: ein Junge am Telefon. Er sagt die ersten Sätze, mir gefriert das Blut. Keine Untertitel! Haben die eine falsche Kopie gekriegt? Haben die keinen Probedurchlauf gemacht? Ich schaue wie die Hausfrau aus der "General"-Werbung erst nach rechts, die Kabine ist leer, dann nach links: die beiden Kolleginnen sortieren noch ihre Papiere für die anstehende, halbstündige Diskussion. Ich klopfe, winke, keine Reaktion. Dann mach ich das Mikro auf, rekonstruiere die ersten Worte des Films und dolmetsche, was ich weder jemals vorher gesehen noch wozu ich auch nur ein Stück Papier in der Hand hatte. Als auf der Leinwand die erste Sprechpause eintritt, klopft es an der Tür meiner Dolmetscherkabine. Doris Hegner, die Leiterin der Filmreihe, steht aufgelöst vor mir, bittet mich, den Film spontan zu dolmetschen ... Ich kann ihr nur bedeuten, dass ich längst dran bin und eher unsanft: "Raus!" rufen, schon gehen die Dialoge weiter. In der zweiten "Wortpause" schiele ich ins Programm, lese die Beschreibung, kämpfe mit dem Adrenalinpegel, sage zu mir selbst: Okay, 15 Minuten Spieldauer und wenn es thematisch nicht schlimmer wird, krieg' ich das gewuppt!
Und so dolmetsche ich. Zwischendurch schaue ich der einen Dolmetscherin in der Nachbarkabine beim Zurechtschneiden eines gesplitterten Fingernagels zu ...

... harter Schnitt: Nach meinem Spontaneinsatz, nach der verdolmetschten Kurzdiskussion und direkt vor dem einzusprechenden Film mit Überlänge, der Adrenalinpegel stieg grad wieder leicht an, baute sich eine der beiden Dolmetscherinnen aus der anderen Kabine vor mir auf und fuhr mich an. Wie ich dazu käme, hier simultan zu machen, das sei ihr Beritt, und außerdem arbeite man nie, ohne vorher über das Honorar verhandelt zu haben. Das solle ich mir gesagt sein lassen!

In der Branche wird mit harten Bandagen gekämpft, weshalb ich im ganzen Text das Wort "Kollegin" bewusst ausgelassen habe.

Für das nicht genannte Kulturhaus dolmetsche ich noch heute.

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P.S.: Der falsche Film war in der richtigen Büchse - und wurde vor dem Publikumseinlass wie üblich "angespielt", um alles richtig einzustellen. Der Geräuschpegel war anfangs hoch genug, so dass der Vorführer nicht noch auf den Beginn der Worte gewartet hatte. Ihm ist kein Vorwurf zu machen, das ist eben Festivalalltag.