Dienstag, 8. Juli 2008

Genauigkeit

Hallo! Sie haben ein digitales Logbuch aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache. Regelmäßig gewähre ich einen Blick auf meinen Schreibtisch. Voilà !

Heute erhalte ich eine Mail, die mir Antworten auf viele Fragen gibt. Vor drei Jahren diskutierten Bettina und ich in Tübingen über Publikumsgespräche im Kino. Bettina, die heute bei einem Filmverleih arbeitet, beschrieb, wie beim Forum der Berlinale eine Frau sehr detailliert konsekutiv gedolmetscht und auch side-kicks übertragen habe. Ohne es zu wissen, beschrieb sie da mich und meine Arbeit, wie wir später feststellten. Nur fand sie leider, es sei alles zu genau gewesen — etwas großzügiger hier und da würde ihr meist besser gefallen.

Hier nun besagte Mail eines Filmjournalisten:
"Liebe Caro, nochmal Danke für Deinen Einsatz neulich! Ich habe, weil ich auf der Fahrt nach Karlovy Vary nichts zu tun hatte, gleich das Interview abgehört und geschrieben. Ich kann Dir jetzt genau sagen, was Deine Qualität ausmacht: die Treue. Bietet der Regisseur mehr Details als nötig an mancher liefert ja sogar kleine narrative “Stränge” mit, die für sich stehen ist es unbedingt nötig, diese mit zu übersetzen. Jeder von uns Journalisten sucht sich am Ende "seine" Elemente heraus, damit meine ich, alles, was zur eigenen Argumentation passt. Gekürzt wird später ohnehin noch, das darf nicht beim Übersetzen passieren, auch nicht durch Schwächeln am Ende der Antworten, weil die Sätze zu lang geworden sind. Daher weiß ich jetzt, wie gut es ist, dass Du Dir Notizen machst ... 
Noch was ist wichtig: Das Sprachniveau des Interviewpartners möglichst gut zu treffen und eben nicht sinngemäß die Worte in der eigenen Sprechweise auszudrücken. Und das ist keine Selbstverständlichkeit!
Ich werde also von Deinem netten Angebot, nochmal draufzuschauen, keinen Gebrauch machen müssen. So gut ist mein Schul- und Ferienfranzösisch dann doch, dass ich das einschätzen kann ..."
Lieber Kollege, Danke für die Blumen. Wir bemühen uns um Genauigkeit, aber natürlich kann auch vorkommen, dass wir im Marathon ermüden. Daher steht mein Angebot, nochmal einen Blick auf die verschriftete Fassung zu werfen.

Wenig später hat mir Bettina auf diesen Eintrag hin gemailt:
"Ja, ich erinnere mich an unser Kirchentreppen-Gespräch. War mir ja schon peinlich, dass ich dich nicht wiedererkannt habe — aber ich glaube nicht, dass das unser Verhältnis getrübt hat. Und von deiner souveränen Dolmetsch-Kunst konnte ich mich vor allem damals im Institut Culturel überzeugen ..."
Liebe Bettina, nein, unser Verhältnis hat das nicht getrübt, im Gegenteil, ich bin über kontroverse Meinungen dankbar, weil sie mir weiterhelfen. So wie jetzt hier.
Und was für das Berlinale-Forum richtig ist — da gibt es nämlich meist keine ausgiebigen Presseinterviews, die Journalisten und Festivalmacher und Verleiher sitzen 'normal' im Kino — muss für ein Kleinstadtpublikum in der Tat nicht richtig sein.

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Foto: Interview mit Laurent Cantet, Filmfest München, 2008.
Der Journalist auf dem Bild ist nicht mit dem Autor der Mail identisch.

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