Mittwoch, 16. April 2008

Weblog-Aufgabe

Will­kom­men auf den Sei­ten mei­nes Blogs. Ich ar­bei­te mit Spra­che und be­rich­te hier über den Alltag aus uns Dol­met­scher- und Über­setzersicht.

Was ein echter Weblog ist, der hat auch mal charmant-nebensächliches Parlando zu bieten wie die Aufgabe, die meine Textkollegin Jule von ihrer Schwester Antje und die wiederum von Britta zugeschickt bekam. Liebe Jule, Kettenbriefe mag ich auch nicht, aber so schön zeitversetzt und ohne direkte Aufforderung lasse ich mir das Spiel gefallen. Ich schlage also auch ein in meiner Nähe liegendes Buch mit mindestens 123 Seiten auf Seite 123 auf, schreibe die Sätze 5-7 dieser Seite ab und fordere ebensowenig wie Du keine fünf nichtsahnenden Seelen auf, es mir nach­zu­tun.
Je t'avais dit de ne pas l'acheter, cent francs pour un cheval à moitié mort, vous n'en ferez jamais d'autre, feignant, t'es qu'un feignant.
- Merde, dit le garçon, merde et merde, il y a encore la carriole, je m'en fous, je laisse tout tomber, pour ce que ça rapporte. D'abord je fous le camp, tu feras ce que tu voudras.
Aus dem "cahier rose marbré" (dem rosa marmorierten Heft) der Kriegstagebücher von Marguerite Duras, Ausgabe 2006 bei Folio.

Der Vorteil dieser Aufgabenerfüllung ist, dass dieser Weblog nunmehr ein echtes "gros mot" (der klassische Begriff dafür lautet wohl 'Kraftausdruck') aufweist, ohne, dass ich mir damit die Finger schmutzig gemacht hätte.

Und weil alles mit allem zusammenhängt, siehe gestern, hier auch gleich noch die Dolmetscheranekdote zum Stichwort.

Es war einmal eine Studierendengruppe, wie das auf Neudeutsch heißt, die be­geister­te sich für Marguerite Duras. Veranstaltete nach einem langen Uniseminar eine Filmreihe mit Diskussionrunden und Gästen dazu. Und ihre Filmdozentin, im Zweiberuf Dolmetscherin, fand sich gaaanz vorne am Pult wieder, moderierte und dolmetschte die Eröffnung. Die Festrede hielt ein bekannter Festivalmacher, der einstmals über die Grande Dame zwischen Literatur und Film promoviert hatte. Erklärte, warum er dadurch zu ihr auf Distanz gegangen war. Er sprach hart in der Sache, gut im Stil, klar und nachvollziehbar, kurz: er vertrat eine starke Position.

Mit im Raum saß der letzte Lebensgefährte der Dame. Der dann in der Erwiderung den Redner direkt ansprach. Und der am Ende seiner Ausführungen das 'gros mot' sagte:
... vous n'avez rien compris, Monsieur, vous êtes un con !
Cieslak/Beigel [Hrsg], Marguerite Duras : l'existence passionnée, Philosophische Fakultät Potsdam, 2005Die Dolmetscherin, die daneben stand, blickte in entsetzte Gesichter. Die Leiterin der deutsch-französischen Universität war ebenso mit von der Partie wie der Leiter des medienwissenschaftlichen Instituts der Hochschule und andere Persönlichkeiten. "Was nun?", schoss es ihr durch den Kopf, "in dieser Härte übersetzt könnte die ganze Veranstaltung gleich bei ihrer Eröffnung gesprengt werden!" Denn es sollten noch drei Tage Colloquium mit den Studentinnen und Studenten folgen. Auf der anderen Seite waren lauter Menschen im Raum, die aus Gründen der Genauigkeit Fußnoten verfassen oder erläuternde Anstreichungen in Haus­ar­bei­ten.

Was ihr sonst noch durch den Kopf ging, weiß die Dolmetscherin heute nicht mehr. Sie machte schlicht ein: "Mir scheint, Sie haben nichts verstanden — und mit Ver­laub, Sie sind ein Arschloch!" draus, letzteres eher apostrophiert und leise ge­spro­chen, was dem Kraftausdruck außerdem noch von seiner Wucht nahm. Diese dop­pel­te Distanznahme und die dritte, weil die Worte ja aus dem Mund der Dol­met­scher­in kamen, der Angriff also indirekt gespielt wurde, hatten genau das Be­ab­sich­tig­te zur Folge: Es war alles gesagt und die Veranstaltung hat es nicht ge­sprengt.

Ich bin noch heute so erschrocken, dass ich hier von mir nur in der dritten Person Singular berichten kann. Und froh, dass ich mit dieser kleinen Weblog-Aufgabe auch noch ein zweites Schimpfwort in das virtuelle Arbeitstagebuch ge­schmug­gelt habe.


Danke, Jule, Antje und Britta :-)
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Bild: Tagungsband, in dem das Zitat
entschärft wurde.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

haahhh *lufthol* das ist ja schrecklich, was fuer eine Situation - die du ja mit Bravour gemeistert hast! Ich glaube, ich waere knallrot geworden, haette ich das dolmetschen muessen - das nennt man dann wohl Fremdschämen ;-)

caro_berlin hat gesagt…

Ach, stimmt ja, Rotwerden wär' auch 'ne Alternative gewesen, liebe Antje, aber die ist mir vor Schreck in der Situationsanalyse nicht eingefallen. Es lief im Hinterkopf ab, dass wir Dolmis die Tendenz haben, alles aufzuhübschen, weil es beim Streit zwischen Mächtigen am Ende stes zwei Lösungen gibt: Krieg oder Vertragen, bei letzterem ist es probat, sich darauf zu verständigen, dass der/die Sprachmittler/in falsch übertragen hat, dann verliert keiner der Mächtigen das Gesicht; also: was einem da beigebracht wird in der Dolmetscherausbildung, das Sprachaufhübschen eben, sieht vordergründig nach Diplomatie pur aus, ist aber in aller erster Linie Selbstschutz.

Zweiter Gedanke: Im Kino hat derlei keinen Platz. Wenn Regisseur und Drehbuchautor und Produktion gemeinsam wollen, dass es verbal hart zur Sache geht, muss ich genau das übertragen. Außerdem sind auf der Leinwand keine lebenden Menschen beteiligt, keine JETZT echt Lebendigen, sondern "nur" Schauspieler, die mal früher irgendwann agierten. Ergo keine direkte Konsequenz möglich.

HIER machte Schwierigkeiten, dass der Ort ein Kino war, es auch über Kino ging und dass dennoch ECHTE MENSCHEN beteiligt waren. Es überschnitten sich also Felder. Wo platziere ich mich jetzt als Dolmetscherin? Was ist angmessen, was muss sein?

Also nix Bravour, sondern K.O. ;-)
Meine Gedanken waren schlicht zu komplex fürs Rotwerden. Gruß, C.