Freitag, 11. April 2008

Freie Sicht

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin: Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Die Einsätze sind nur die jeweilige Spitze des Wis­sens­eis­bergs. Die Haupt­arbeit ge­schieht in Vor- und Nach­be­rei­tung. Und die technischen Gegebenheiten müssen wir auch im Auge behalten.

B
erlin, in einem historischen Gebäude, das zum Luxus­hotel um­ge­baut wurde: Nach der Pause soll der zweite Teil eines Kon­gres­ses be­gin­nen. Wir kehren gleich zurück in den schönen Saal, in dessen Mit­t­e an der Sei­te die Dol­metscher­ka­bine aufgebaut wurde. Sie ragt leicht schräg in den Raum, wir sehen das Podium, viel vom Pub­li­kum — und das zweite Saal­mi­krophon für Fragen und Bei­trä­ge aus dem Saal steht seit­lich neben un­se­rer Box. So macht es nichts, dass wir die letzten Stuhl­reihen für die Zu­schau­er nicht sehen können.

Zum Nachmittag ist eine zweite Fremd­sprache bestellt, zwei wei­te­­re Kollegen werden in an einen Tisch im Neben­raum gesetzt und sollen das Bild per Monitor erhalten. Die Veran­staltung ändert sich auch for­mal: waren es am Mor­gen vor allem Vorträge, kommt jetzt gefilm­tes Material hinzu (das zweite Team hat vorab die Filme sich­ten können).

Die Kongress tagte wie gesagt einen Vor­mit­tag lang, dann bekommt er Hunger. Und während des Essens be­ginnt das Unge­mach: Auf dass das Film­ma­terial besser zur Gel­tung komme, entscheidet der Veran­stalter in der Mittags­pause ad hoc, die Sitz­ord­nung um 45 Grad drehen zu lassen, um die Wand der Längsseite mit Bewegt­bild bespielen zu können. Nach dem Mit­tag­essen findet also das Pub­li­kum die mit flin­ker Hand vom Hotel­personal umgestell­ten Stühle wieder vor und ist gar nicht amü­siert, denn hier "wan­der­ten" die ei­ge­nen Unterlagen, dort Notizen oder sogar der Schal gegen den Wind der Klima­anlage "eine Sitz­reihe weiter".

Wir sind auch nicht amused, zum Glück sind wir mit viel Zeitvorlauf aus der Pause zurückgekehrt, um uns ein­zu­lesen. Aber dazu kommen wir leider nicht. Denn, Überraschung!, dort­hin, wo jetzt das Red­nerpult hin umge­zogen wurde (und für die Kon­fe­renz­tech­nik fest mit den Lei­tun­gen im Boden ver­bunden, die Hotels haben meist mehrere, ins Parkett integrierte Optionen), dürfte es für uns nicht stehen: Genau in der Sicht­achse zwischen Pult und uns befindet sich eine Säule. Dafür sehen wir jetzt das ganze Pub­likum, aus­nahms­los, von hinten.

Der Raum ist ein klarer Fall und Beweis dafür, dass Prio­ri­täten bewusst bedacht werden sollten: In diesem Raum müssen bei der Planung von Ver­an­stal­tungen erst Sitzordnung und der Stand­ort des Rednerpults festgelegt werden und dann erst wird die Dol­met­scher­ka­bine auf­ge­stellt. Das war genauso geschehen — und bei der Änderung vergessen worden.

Als wir bei der Tagungsleitung ankom­men, um die Säule vorm Kopf zu melden, ist schon ein an­derer vor Ort: Der Ton­tech­niker. Er braucht Zeit, um die Saalmikros wieder einzurichten, denn ein Kabel­scha­den ist zu vermelden, da wird wohl je­mand ge­stol­pert sein. Auch er war nicht vorher in­for­miert worden. Dann kommen die Kol­le­gen aus der "Kabine", die in einem Ne­ben­raum untergebracht sind, und bekla­gen, dass sie zwar einen Mo­ni­tor hätten, das Redner­pult aber völlig im Dun­keln läge und somit der Teil der Informationen, die vom Mund abgelesen wird, so nicht bei ihnen an­kom­men werden wird.

Der Kongress tagt jetzt nicht mehr, er geht auf kleine "große Fahrt". Denn zum Glück ist der Bus­fah­rer er­reich­bar, die Stadtbesichtigung per Reisebus wird vor­ge­zogen, und Techniker und Stühler­ücker dürfen währenddessen noch einmal Hand anlegen.
 

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