Dienstag, 17. Februar 2009

Berlinalegeflüster X

Das Saallicht geht aus, der Vorspann läuft, spannende, bunte, schöne Bilder, dazu interessante Akustiken, die mich aber nicht aufhalten können: Die Augen wollen mir zufallen, ich kämpfe! Es wird dunkler um mich herum, ich spüre, wie ich einmal kurz nachgebe. Ich träume rasch und heftig, ein Sekundenschlaf, öffne die Augen wieder, der Vorspann läuft noch immer. Dumm nur, dass jetzt das Saallicht angeht und alle klatschen. Wie in Trance stehe ich auf, blicke auf meine Notizen, gehe nach vorne zum Filmgespräch.

Diese Episode ist viele Jahre her, ich war Berlinale-Kinoleiterin und Moderatorin, dolmetschte daneben auch noch die Franzosen in "unseren" Kinos CineStar 5 und 8. Dank der Vorbereitung gelang es mir, die Publikumsdiskussion in Gang zu bringen. Zum Glück blieb die Episode einzigartig. Normal ist dennoch, dass wir am Ende der Berlinale alle erschöpft sind, auch die Tage danach noch. Nachlese.

"Im Kino schlafen heißt dem Film vertrauen" - mit Jean-Luc Godard gesprochen bezeugte ich am Publikums-Sonntag auf der Berlinale noch einigen Filmen (kurz) mein Vertrauen, aber das ist OK, wenn ich nicht arbeiten muss. Sofern Platz ist, dürfen wir Mitarbeiter auch jenseits unserer Dienste ins Kino, denn nächstes Jahr kann ja diese Regisseurin oder jener Schauspieler mit einem neuen Projekt dabeisein und da ist es gut, frühere Arbeiten zu kennen. So lege ich langsam meinen professionellen Blick ab und werde wieder zu einem Teil des Publikums. Dennoch könnte ich am Ende keine Bären verteilen. Die Filme, zu denen ich tätig werde, sehe ich fast ohne kritische Distanz, wenn ich zum Beispiel Filmschaffende dolmetsche: Wenn er oder sie "moi, je" sagt, übersetze ich ebenfalls in der 1. Person Singular. Also habe "ich" das Drehbuch geschrieben und den Dreh geleitet, und "ich" habe am Ende mit Cutter oder Cutterin geschnitten.

Nach der Berlinale ist für uns Mitarbeiter ... noch immer Berlinale. Ab dem Nachmittag bis in die Nacht hinein werden zwei Wochen lang etliche Filme nur für uns wiederholt, und es gibt noch die eine oder andere Mitarbeiterparty. Das sind die exklusivsten Berlinale-Veranstaltungen überhaupt, hier kommt man nicht durch gute Beziehungen rein, auch nicht mit Scheck- oder Visitenkarte, hier zugelassen zu werden haben wir uns alle hart erarbeitet. Und da wir ja alle wissen, dass viele Filmfestivalmitarbeiter Filmschaffende von morgen sind - Tom Tyckwer, der die diesjährige Berlinale eröffnet hat, war lange Kinoleiter in Kreuzberg - taufe ich hiermit unser "Nachspiel" den "Berlinale-Campus II".

Und verteile noch rasch meine eigenen, ganz privaten Berlinale-Bärchen: Eins in Gold an Claude Chabrol für seinen umwerfenden Humor. Eins in Silber an Rachid Bouchareb für seine Disziplin und seinen Esprit, stehend zu schlafen und dabei kluge Interviewantworten zu geben. Eins in Schwarz für den Menschen, der meinen leider auf der Forums-Party in der Volksbühne verlorenen roten Füller mit dem goldenen Cannes-Palmblättchen als Clip dran gefunden und nicht abgegeben hat. Und eins in Weiß an das Berliner Wetter.
Und wenn ich nicht im Kino bin, sitze ich am Schreibtisch und übersetze ein Drehbuch. The show must go on!

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Foto: C.E.

Freitag, 13. Februar 2009

Berlinalegeflüster IX

Die Augen springen im Text vor und zurück, ich suche das Stichwort, die Nebenniere schüttet eine Extraportion Adrenalin aus, der Puls klopft bis in die Nasenspitze. Irgendeine Replik hab ich falsch erkannt oder nicht gemerkt, dass mehrere Sätze in einem Untertitel zusammengefasst worden sind. Ich bin nicht mehr synchron, ich bin eine Idee zu früh! Wie immer in Schrecksituationen dehnt sich plötzlich die Zeit. Dann weiß ich wieder, wo ich bin, setze richtig ein: es gab eine kurze "Sendepause", die nur ich gehört habe. Einige Repliken später schlägt das Stresshormon erneut zu - das einsetzende Post-Adrenalin-Tief produziert nun echte Fehler. Ich verspreche mich, erkenne einen einfachen Untertitel nicht. Ort der Handlung: Eine Dolmetscherkabine im Festivalpalast. Ich spreche einen Film simultan ein.

Während in den anderen Sektionen Deutsch oder Englisch dominiert, ist der Berlinale-Wettbewerb auch sprachlich international. Nehmen wir zum Beispiel einen deutschen Film, der mit englischen Untertiteln gezeigt wird. Damit auch französisch- und spanischsprachige Menschen mühelos folgen können, werden die Dialoge "eingesprochen" - so nennen wir das Filmdolmetschen vom Blatt. Manchmal geht das dann im Dreieck: Auf dem Tischchen liegen die englischen Untertitel, die auch in die 35mm-Kopie eingelasert sind, ich höre deutsch und spreche französisch. Die englischsprachige Fassung wird bei der Galavorstellung zusätzlich "eingelesen", was besonders visuell starken Filmen zugute kommt: die Zuschauer können dann die Untertitel einfach ignorieren.

Die Dolmetscherkabinen befinden sich ganz oben, fast unter der Decke des Berlinalepalasts. Anders als bei Konferenzen arbeiten wir nicht zu zweit je Sprache und lösen einander auch nicht alle 30 Minuten ab. Hier spricht jeweils ein Dolmetscher eine Sprache und zwar alle Rollen, Männlein, Weiblein, Greis und Kind. Die Vorbereitung ist bei wortlastigen Filmen zeitintensiv, das gesprochene Wort oft mehrdeutig. So schreibe ich mir im Vorfeld manchmal mehrere Übersetzungslösungen an den Rand. Allen Vorurteilen zum Trotz sind zum Beispiel französische Filme nicht grundsätzlich verquatschter als amerikanisches Kino. Nur wird im europäischen Kino Sprache oft abstrakter verwendet, Wort ersetzt mitunter Handlung, während in amerikanischen "talking movies" die Figuren sich im Allgemeinen mehr zur jeweiligen Situation äußern.

Wir dolmetschen die Filme zwei Mal, zunächst für Medienvertreter, und abends dann die Galavorführung. Aber auf die Pressevorführung folgt sofort die Pressekonferenz, abgekürzt "PK". Im Luxushotel neben dem Festivalpalast stehen im rechten Winkel zur Rednertribüne die Kabinen, vorne sitzen Techniker, die dafür sorgen, dass die deutsche Fassung auch online sowie im Regionalsender rbb verfolgt werden kann.

Und wenn ich dann die PK dolmetsche, bin ich jedes Mal überrascht, wenn Schauspieler, die ich eben noch in Kostüm gesehen habe, hier nun in Alltagskleidung ganz reell auf dem Podium sitzen.

Das komischste ist aber, dass sie plötzlich ihren eigenen Text sprechen, dass ich kein Skript mehr habe, aus dem ich ablesen kann, was gleich gesagt werden wird.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Berlinalegeflüster VIII

Abends halb elf: Ich sitze neben einem Mann in der Bar und wäre hier lieber gemütlich, vielleicht in Flirtlaune. Der Mann aber hat müde Augen, er bestellt Wasser; nervös nestelt er am Handy rum. Den ganzen Tag hat er Journalisten Rede und Antwort gestanden, gleich soll er live ins Radio. Denn an der Fensterseite der Bar im CineMaxX-Kino an der Alten Potsdamer Straße steht ein gutgelaunter Knut Elstermann am Stehtisch vor Aufstellern mit Radio-Eins-Signet und plaudert munter mit einem hellwachen Wolfgang Becker. Der Mann neben mir ist Regisseur aus Frankreich, stumm blickt er vor sich hin und gähnt, als würde er gleich einschlafen.

Rachid Bouchareb hat den Film "London River" gedreht, der im Wettbewerb läuft. Er erzählt die Geschichte zweier Eltern mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, die 2005 in London ihre nach den Terroranschlägen verschollenen erwachsenen Kinder suchen. Der müde Mann neben mir weiß, was gleich auf ihn zukommt, er muss etwa acht Minuten geistige Präsenz liefern und dabei seinen Film "verkaufen".

Wir besprechen die Dolmetschart. Konsekutiv wird es sein, unsere Redeanteile wechseln sich ab wie Metallstückchen in einem Reißverschluss. Das Bild fällt mir spontan ein - wo alle Beteiligten müde sind (außer Knut), sollten wir uns nicht mit langen Wortstrecken quälen. Zweites Argument: In Berlin gibt es mit RFI einen französischen Sender, wir müssen uns akustisch abheben und im raschen Wechsel mit Deutsch senden.

Der Müde neben mir wirkt, als hätte er verstanden. Die Minuten vor dem Interview sind für mich voller Ungewissheit: habe ich mich verständlich mitgeteilt oder wird gleich "unter Adrenalin" der Redefluss mit dem Manne durchgehen wie ein ungebärdiger Gaul?

Jetzt stehen wir vorne, Knut hält uns im Wechsel das Mikro hin.
Die Fragen flüstere ich in Windeseile, und wenn Rachid fertiggesprochen hat, darf ich möglichst keine Pausen entstehen lassen, muss den letzten Gedanken auf dem Papier mit dem einen, treffenden Wort zusammenfassen.

Das ist nicht einfach, denn der Regisseur hat den ganzen Tag nichts gemacht als Fragen zu beantworten, er spricht geschliffen und pointiert.

Rücksprung: Es ist Mittag, ein anderes improvisiertes Studio. Langsamer kommen die Antworten Angela Schanelecs, die erst noch entwickelt, was sie sagt. Auf Wunsch der Redaktion von "Tout arrive" (France Inter) dolmetsche ich simultan. Ich sitze zwischen ihr und Romuald Karmakar, wir haben das Procedere besprochen, und doch hatte ich unterschätzt, dass die Fragen zu "Deutschland 09" für sie noch ungewohnt sind. Filmkritikerin Heike Hurst, die mitdiskutiert, kommentiert am Ende zurecht: "Das wäre ein Fall für konsekutives Dolmetschen gewesen."

Zurück in die Max-Bar. Nach dem nächtlichen Dolmetschen fallen Rachid die Augen zu, er legt sich schlafen. Mich erwarten am Tresen Christophe und Antoine, mit denen zusammen ich vor einigen Jahren einen Dokumentarfilm produziert habe. Ich bin gleichermaßen hundemüde und total überdreht.

Die Berichte aus der Wirklichkeit des Dokumentarfilmschaffens werden mich auf den Boden zurückholen.

Mittwoch, 11. Februar 2009

Berlinalegeflüster VII

Die Sache ist hochnotpeinlich: Im Rampenlicht zu stehen neben berühmten Menschen, von allen gesehen zu werden und als einzige zu sprechen. Und dann sage ich auch noch, was längst gesagt worden ist! Ich plappere nach! Das Wortwiederkäuen in Sprechpausen hinein heißt 'konsekutives Dolmetschen'. Auf der Berlinale gehört dies zur aussterbenden Dolmetschart ...

Nach der Vorführung ein Publikumsgespräch - das ist und bleibt Tradition nach vielen Vorführungen, zum Beispiel im Internationalen Forum des Jungen Films oder im Panorama. Bislang wurde nur im Panorama alles ins Englische gedolmetscht oder direkt auf Englisch diskutiert. Seit diesem Jahr gilt das auch fürs Forum; ich souffliere maximal noch zwei, drei Fragen ins Englische, die von Zuschauern auf Deutsch oder Französisch gestellt werden.

Gestern Abend stehe ich dann doch wieder vor einem Publikum und dolmetsche Deutsch-Französisch, neben mir der Regisseur, als Moderator der Journalist Peter B. Schumann, der viele Jahre die Dolmetscher des Forums koordiniert hat. Gemeinsam mit dem Verband AG DOK bereichert er das Berlinaleangebot durch eine Extravorstellung, und so kritzle ich meine Symbole und Abkürzungen auf den Stenoblock, schwitze, hechte hinterher, versuche, mir fremde Eigen- und Ortsnamen lautschriftlich zu notieren ... um am Ende alles stimmig und möglichst flüssig wiederzugeben.

Nach dem Abend bin ich nur halbwegs zufrieden, denn das kleine "Berlinale-Plus-Special" findet in einem Café in Mitte statt, die Bedingungen der Vorführung waren gut, der Veranstaltungsort wird von Filmleuten betrieben. Aber an der Decke rotieren zwei riesengroße Propeller und machen heiße Luft, die meine Kontaktlinsen reizt. Hinten klappert der Barmann bemüht leise (der zuvor mit Humor hinnahm, dass ich ihn bat, mir statt des Hausgetränks Mojito aus (fast) den gleichen Zutaten eine "heiße Zitrone" zu bauen). Wir stehen an der Bar, das Mikrophon fängt Lautsprecherton ein, Rückkopplungen! Das nette Bargeplauder strengt an, auch, weil mir eine feste Unterlage zum Schreiben fehlt.

Das Publikum scheint von meinen Müdigkeitsanfällen und Wortfindungsstörungen nur wenig mitzubekommen. Auch, wenn mal was untergeht - die Gäste fragen zum Teil mit sehr leiser Stimme - so hilft die Erfahrung weiter. Am Ende hagelt es Komplimente. Aber ich bin mir bewusst, hier unter meinen Möglichkeiten geblieben zu sein. Und ich spüre einmal mehr, wie groß der Anteil der Routine ist, der auf den gewohnt ruhigen, klaren Arbeitsbedingungen beruht.

Mich durch die mäandernden Gedankengänge des Vorredners hindurchzufinden, denen ich situationsbedingt folge, erleichtert mir mein Notizenblock. Ich notiere Symbole und Kürzel, meist in der Zielsprache. Wobei wir Dolmetscher Sie, geneigtes Publikum gelegentlich warten lassen: Wenn der frankophone Gast fertig gesprochen hat, notiert die Dolmetscherin kurz noch den letzten Gedanken. Denn auf eines wollen wir nicht verzichten, die Pointe.

Und hier ist sie: Was ist der Unterschied zwischen Dolmetschen und Übersetzen? Sie werden das nie wieder verwechseln: Übersetzer übertragen Texte, sie schreiben also. Kurz: Übersetzen ist Handwerk, Dolmetschen ist Mundwerk.

Dienstag, 10. Februar 2009

Berlinalegeflüster VI

Die meisten sprechen auf der Berlinale von Filmen. Die anderen reden über Empfänge. Die ganz Harten sehen auf der Berlinale keine Filme, sie "kontakten" nur, finden Geld für neue Ideen und fertige Filme, sind stets auf der Suche nach dem richtigen Gesprächspartner. So ist es nicht nur wichtig zu wissen, wo Empfänge und Parties steigen, sondern auch auf der Gästeliste zu stehen. Hier beginnt mein Problem. Denn die Einsamkeit der Dolmetscherkabine lastet auf meiner Stimmung - und ich brauche ja auch die restlichen 11,5 Monate im Jahr Aufträge.

Die letzten Jahre saß ich für die Berlinale oft in einem Ding mit dem Volumen von zwei Kleiderschränken mit Glasscheibe vorne. Dort wurden mir Bilder zugespielt, und ich redete die ganze Zeit vor mich hin. Was von außen aussieht wie eine Apparatur zur Beschäftigung von (sagen wir mal) geistig nicht ganz rund laufenden Menschen, ist der Arbeitsort von Dolmetschern. Dass ich dort bin, kommt noch immer vor, doch sitze ich wieder öfter an Seiten der Stars oder im Sender.

Wer den ganzen Tag spricht, muss seine Stimme hüten - Dolmetscher besonders. Damit Stimme und ich wegen totaler Heiserkeit infolge Tabakluft nicht gleich auch noch das Bett hüten mussten, habe ich mir in dem Maße, wie die Aufträge mehr wurden, die Teilnahme an Parties versagt. Seit einem Jahr soll die Luft rein sein - so langsam werde ich auch wieder eingeladen; Betonung liegt auf 'langsam'. Dort erkennt man mich wieder, aber mit Worten wie Heinz von Interfilm beim Frühstück des Goethe-Instituts: "Wo hast du denn die ganzen Jahre gesteckt?

Gestern Arte-Empfang in der Akademie der Künste, ich kam mit Jörg von Kickfilm. Zwischendurch musste ich mal. "WC auf Ebene -1 ", stand an der Wand zum Fahrstuhl. Als ich auf dem gleichen Weg in den 3. Stock zurückwollte, tat sich nichts, der Fahrstuhl wurde seinem Namen nicht gerecht. Ich fürchtete nun, wieder ein Mini-Gehäuse für den längeren Verbleib erwischt zu haben, dieses Mal aus Metall und fensterlos, und rechnete: Würde es reichen, bis man mich hier befreite, schaffte ich es noch zum nächsten Einsatz? Das Handtäschchen mit dem Handy hütete Josie von Arte. Da öffnete sich die Tür, eine zweite Frau kam herein. Ehe ich reagieren konnte, war die Tür hinter ihr zu, dann wieder nichts. Wir nutzten die Ruhe zum Kennenlernen, bis jemand oben auf den Knopf drückte. Oben war in diesem Fall das Erdgeschoss, weiter hoch fuhr er nicht. Ohne Einladung gingen wir am Zerberus vor der Location vorbei mit den Worten: "Wir kommen vom Klo!" Und lachten los - was für ein Codewort! Und wir überlegten, wie man sich elegant Zutritt zu Empfängen verschafft, zu denen man nicht eingeladen ist: Aufgetakelt mit dem Taxi ohne Mantel vorfahren (denn der Mantel hängt in der Garderobe hinter der Einlasskontrolle!) Ein arrogantes Gesicht aufsetzen und fremdländisch schwätzend hineinwehen. Sich bei einem Promi unterhaken, ein gemeinsames Foto ernötigen und angetäut bleiben. Die beste Story: Ein ganzer Kerl im Blaumann bringt ein Blumenarrangement, sagt, es sei vergessen worden. Unter dem Blaumann ist der gute Anzug.

Übrigens, das hier sind keine Tipps. Ich gebe nur Gespräche wieder. Berlinalegeflüster halt.

Sonntag, 8. Februar 2009

Berlinalegeflüster V: Chabrol dolmetschen

Claude Chabrol, der heute Abend die goldene Berlinale-Kamera bekam, weil er seit 50 Jahren auf der Berlinale Filme präsentiert, war am Nachmittag mein Dolmetsch-Opfer. Er hat dabei auch viel Mist erzählt. Ich hab versucht, das zu übertragen. Ich darf das so schreiben, was ich hier schreibe. Denn bei allem, was er sagt, bricht Claude Chabrol der Schalk aus den Augen und ich hab manchmal Mühen, nicht loszulachen. Wie wir uns beide das Lachen verbeißen, ist hier gut zu sehen:

Seit etlichen Jahren bin ich seine angestammte Dolmetscherin in Berlin. Es ist immer wieder eine große Ehre und Freude, Teil seiner Inszenierung zu werden. Denn Monsieur Chabrol ist jeden Augenblick Regisseur, auch in der eigentlich recht dummen Übung, die Pressearbeit genannt wird. Dumm ist sie, weil sie dumm macht – normalerweise. Vor einem sitzen im Wechsel von zwanzig Minuten bis zu einer Handvoll neuer Journalisten und stellen die altbekannten Fragen, denn das Spektrum möglicher Fragen nach Inaugenscheinname eines Films ist offenbar begrenzt. Regisseur und Dolmetscherin müssen nun jedes Mal so tun, als seien sie absolut angetan von Originalität und Frische dieser Fragen, ja als sähen sie in dieser Äußerung zum Werk nachgerade die kongeniale Steilvorlage, derer es bedurft hat, um die eigenen Gedanken so zu sortieren, dass sie für die feindlichen Außenwelt mitteilbar werden.

Oder sowas in der Art.

Auf jeden Fall ist das bei Claude Chabrol natürlich ganz anders. Die letzte Runde besteht aus vier muntere Herren, sie waren ebenfalls Wiederholungstäter und stellten die Fragen andersherum. Daher verdrehte Monsieur seine Antworten, und ich musste mir höllisch Mühe geben, die Übersetzung nicht auch noch zu verzwirbeln.

So war das. Drei Essenzen, hier die erste: Wie rechtfertige er seine schlechten Filme?, wurde Chabrol gefragt. Es gebe keine Rechtfertigung, nur eine Erklärung. Man müsse so viel drehen, wie möglich, um in Übung zu kommen/bleiben, sich einen Namen zu machen und die Chance zu haben, dass der Zuschauer einen durch sein Interesse überrasche. Manchmal sei man auch selbst nicht klug genug, die Güte seiner Filme zu erkennen, diese Erkenntnis stelle sich mitunter erst mit zeitlichem Abstand ein. Außerdem drehe er, um zu leben, und während er drehe, vergesse er zu sterben. (Den letzten Satz hab' ich hier reingemogelt, den hat er beim letzten Berlinbesuch gesagt.)

Zweite Essenz: Wann habe er aufgehört, Angst zu haben? Antwort: Vor etwa zehn Jahren. Vorher sei noch Angst vor dem künstlerischen Scheitern dagewesen, jetzt wäre alles nur noch eine große Freude und die Dreharbeiten ein Fest.

Dritte Essenz: Claude Chabrol liebt. Liebe sei das Gegenteil von Leidenschaft, und er sei glücklich. Das Verhältnis des Inspektors zu seiner Frau in seinem neuen Film "Bellamy” (dargestellt von Gerard Depardieu und Marie Bunel) spiegele ziemlich genau das Verhältnis der Eheleute Chabrol wider.

Nachwort der Dolmetscherin: Claude Chabrol ist ein glücklicher Mann. Das ist sein Rezept.

Merci beaucoup IV

... die mich vor Bewunderung erstarren lässt, wenn ich zusehe, wie sie das Unübersetzbare übersetzt und das Unverständliche erklärt.
Mit freundschaftlichen Grüßen,
Claude Chabrol

Monsieur, avec tout le respect que je vous dois : vous êtes trop simple ... à traduire. Il suffit de transférer vos blagues dans la langue d'arrivée et non les comprendre.
Caro

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Samstag, 7. Februar 2009

Standbild: arrêt sur images

Berlin, Pressekonferenz der Berlinale im Grand Hyatt. Vorgestellt wird das Team von "Welcome", Regisseur: Philippe Lioret. (Der Film läuft im Panorama). "Welcome" erzählt eine Liebesgeschichte und schildert das Schicksal illegaler Migranten in Europa dies- und jenseits des Ärmelkanals. Bei der Pressekonferenz diskutieren die Gäste auf Englisch und Französisch, gedolmetscht wird ins Deutsche, Englische und Französische.

Einer spricht und erklärt das Casting. Nach solchen Events wissen Dolmetscher, die sich auf die Sprache konzentrieren, oft nicht mehr genau, wer es war. Der Regisseur? Der Koproduzent? Einer der Schauspieler?

Jedenfalls wird es kompliziert. Dem Hauptdarsteller, ein junger Kurde, der in Frankreich lebt, versagt vor lauter Gefühlen die Stimme. Ein anderer springt ihm bei, erläutert, beschreibt die Arbeit mit dem bei den Dreharbeiten Siebzehnjährigen, dessen Ausstrahlung sich selbst übers Internet mitteilt (ich folge der Übertragung). Die Dreharbeiten zwischen verschiedenen Kulturen haben offenbar die "intercultural awareness" der Beteiligten geschärft, denn nun teilt der Sprechende seine Hintergedanken mit, und die gelten der Dolmetscherin: " La pauvre traductrice, elle est déjà très fatiguée, elle est au bout du rouleau, elle se demande, quand est-ce qu'ils vont repartir ?" Und nicht ohne ein leichtes Glucksen der Ironie dolmetscht die Kollegin etwas wie: "Die arme Dolmetscherin, sie ist sicher sehr müde, am Ende ihrer Kräfte und fragt sich nun, wann das Team endlich fertig ist ..."

In diesem Moment friert das Bild ein und liefert mir ein hübsches Standbild: viele Blicke gehen Richtung Dolmetscherkabinen. Schön, wenn die Dolmetscher nicht vergessen werden, denn sie sind Teil des Ganzen.

Berlinalegeflüster IV

Heute, weil Wochenende ist, kein aktueller Bericht, sondern etwas Vorbereitetes. Eine Antwort auf die oft gestellte Frage, wie ich zur Berlinale-Dolmetscherin wurde.

Als Kind aus Deutschland lernte ich Französisch mit südfranzösischem Akzent. In den Ferien war ich wie ein Schwamm, sog alles auf. Im Grunde war ich kein Kind mehr, I was thirteen years old, das erste Jahr "teenager". Und so wurde ich lange, bevor ich wusste, was ich werden wollte, mit dem Dolmetscherberuf konfrontiert. Die Bäckerin in Avignon wusste mehr. Bei ihr kaufte ich auf dem Weg zur Feriensprachschule ein. Ich ließ sie die Worte so lange aussprechen, bis auch ich sie sprechen konnte, schrieb sie dann beim nächsten Mal auf. " Vous voulez devenir interprète ?", fragte sie bei der ersten Begegnung, danach hieß es nur noch: "Voilà, unsere kleine Dolmetscherin!"

Die französische Sprache ist in meiner Familie seit Generationen präsent, aber erst mit acht fing ich an, sie zu lernen. Dann wollte ich aufholen und begann, allein zu verreisen. Später, bei den Klassenfahrten, durfte ich auf dem Schulhof immer die Kommunikationsrückstände der anderen klären und dolmetschen. Wenig später wechselte ich auf ein Gymnasium mit französischem Zug, studierte dann in Paris.

Als die Mauer fiel, hatte ich gerade erste Medienerfahrungen gemacht. Auslöser war, dass mein Deutsch immer mehr wie eine Fremdsprache klang. Also machte ich 1988 ein Praktikum beim Sender Freies Berlin, entdeckte zugleich auch Ostberlin. Väterlicherseits aus Sachsen stammend, hatte ich dort den anderen Teil der Ferien verbracht, DEFA-Filme gesehen, DDR-Literatur gelesen, das Neue Forum entstehen gesehen.

So studierte ich im Jahr vor dem Mauerfall in einem binationalen Studiengang der Sorbonne vergleichende Landeskunde und Kulturwissenschaft, schrieb über den Theaterdichter Heiner Müller eine Seminararbeit. Einer meiner Profs, der selbst gelegentlich Filme drehte, regte an, daraus ein Filmprojekt zu entwickeln, das dann Herbst 1989 bei Pierre-André Boutang auf dem Tisch lag, einem der wichtigsten französischen Dokumentarfilmredakteure. Den Mauerfall und die Entwicklungen danach habe ich aus Sicht der französischen Medien gesehen und half mit Vorwissen, das zu Fragen wurde - nur war es nicht immer leicht, an den Wissensstand der französischen Kollegen anzuknüpfen.

Ähnlich rutschte ich ins Filmdolmetschen rein. 1994 gab es in der heute geschlossenen "Filmbühne am Steinplatz" eine Truffaut-Retrospektive. Vorne saß Robert Fischer, der heute beim Filmfest München arbeitet, und moderierte und dolmetschte gleichzeitig die Gäste. Der Mann tat mir leid. Ab dem zweiten Abend saß ich mit auf der Bühne. Ebenfalls '94 sah ich im Kino Arsenal einen französischen Stummfilm. Der Verleih hatte die falsche Kopie geschickt, die Texttafeln waren auf Französisch. Als ich des allgemeinen Rätselratens überdrüssig wurde, bot ich, geschützt vom dunklen Raum, meine Hilfe an. Beim Verlassen des Kinos kam Milena Gregor, die Tochter der Gründer dieses Kinos, hinter mir hergerannt und bat mich um meine Adresse, die werde man sicher noch brauchen ...

Ich hab vorhin ein wenig angegeben. Ich wurde 14, als ich ganz allein in Avignon war. Den südfranzösischen Akzent von dort habe ich dann ganz schnell wieder abgelegt. Die dort verstärkte Liebe zum Theater nie, ich habe sie nur aufs Kino erweitert.

Freitag, 6. Februar 2009

Berlinalegflüster III

Treffen sich zwei auf der Berlinale - der erste Blick geht ins Gesicht, der zweite Richtung Brust. Für mich als Frau war das gewöhnungsbedürftig. Aber mittig auf des Rumpfes Vorderseite prangt bei den Teilnehmern der Festivalausweis. Und der liefert neben dem Namen des Gegenübers Infos über dessen Beruf und Position im soziologischen Feld. Außerdem ist das daneben abgebildete Konterfei - nicht selten ein Jugendbildnis - ein hübscher Anlass für die ersten Worte.

Erste Worte, wie wir sie gestern auf einer Nebenparty der Berlinale-Eröffnung auch mit Christine wechseln, einer freien Fotografin. Wir stehen in der Chill-out-zone von Teammitarbeitern, Dienstleistern und Filmnachwuchs: In der home base, nur wenige Schritte vom Potsdamer Platz entfernt. Und sinnieren einmal mehr über die verschiedenen Kategorien von Festivalausweisen. Es gibt derer etliche mit charmanten Namen wie "Fachbesucher 63", für die jeweils ein bestimmtes Kartenkontingent reserviert ist, und wer zu spät in der Schlange steht, den bestraft die begrenzte Auswahlmöglichkeit. Doch bleiben immer noch etliche kartenfreie Vorführungen im Angebot, so dass auch hier die Wahl oft eine Qual ist.

Seit einigen Jahren bin ich ein Streifenhörnchen. Inhaber von Ausweisen mit roten Streifen kommen ohne Ticket hinter fast jede Tür, denn sie holen Gäste oder Material ab, besprechen Moderationen oder gehen zum Einsatz. Nur: aufgrund des Arbeitspensums hat unsereiner oft keine Zeit, viele Filme zu sehen. Dabei gehört auch das zum Programm - Kuratoren, Moderatoren, Katalogredakteure und Dolmetscher müssen viel sehen, ihr Auge schulen, eine solide Filmkultur erwerben. Wenn also Pausen entstehen, darf ich, sofern er nicht 'ausverkauft' ist, auch noch rasch in einen Film gehen.

Wer darf wo rein? Das ist DIE zentrale Frage der Berlinale, bei der auch immer Neid mitschwingt. Die anderen begehrten Karten sind Einladungen zu Empfängen. Viele Jahre bin ich abends unterwegs gewesen, bis das Dolmetschen zur Hauptaufgabe wurde. Wer mit der Stimme arbeitet, fürchtet Räume mit tabakgeschwängerter Luft. Denn die schlägt mir immer gleich auf die Stimme. Wenn ich also tags drauf nicht klingen möchte wie Zarah Leander aus dem Jenseits, darf ich nicht lang bleiben - oder am besten erst gar nicht hingehen. Die Veranstalter haben das gemerkt und mich nicht mehr eingeladen. Und wenn ich anmerkte, dass öffentliches Rauchen minderheitenfeindlich sei, kam als Antwort: "Du kannst ja zu Hause bleiben und ein Buch lesen!" So saßen die schwangere Sandra, der asthmatische Holger und ich zu Hause und lasen dann mal ein Buch.

Seit einem Jahr schreibe ich den Veranstaltern, um wieder auf die Listen zu kommen. Aber das ist gar nicht einfach, zumal dieses Jahr etliche Parties aus finanziellen Gründen gestrichen oder verkleinert wurden. So jedenfalls Christine, die freie Fotografin aus der home base. Die Finanzmarktkrise hat die Berlinale erreicht.

Donnerstag, 5. Februar 2009

Berlinalegeflüster II

Auf der Straße sehe ich derzeit überall Filmteams bei der Arbeit, selbst merkwürdig verhängte Fenster geraten bei mir in den Verdacht, Teil von Dreharbeiten zu sein. Der Kopf rattert: Wie heißen die Gegenstände noch, mit denen Licht und Spiegelung produziert und gelenkt wird? Mein Kopf geht Vokabellisten durch und bleibt an einem liebenswerten Detail hängen: am "Franzosenarm". Der Franzosenarm ist ein Gestänge mit Gelenk am Ende, um derlei Gerätschaften in alle möglichen Stellungen zu platzieren. Das Wort ist lokalisierbar: Es gehört ins Filmstudio Babelsberg. Dort hatte in den 1950er Jahren Simone Signoret in der Verfilmung von Arthur Millers Drama "Hexenjagd" mitgespielt - und die mitreisenden Techniker kamen mit großem Gepäck und Ideen, die von den Schlossern im DEFA-Filmstudio flugs nachgebaut wurden.

Und weil dort keiner den französischen Begriff übersetzen konnte, bürgerte sich der "Franzosenarm" ein. Den wiederum lernte ich kennen, als ich, als blutjunge Journalistin unterwegs, 1989/90 im Spielfilmstudio für eine Reportage recherchierte, die dann von den "Cahiers du Cinéma" veröffentlicht wurde.

Indirekt hilft die Berlinale bei der Wortfeldrecherche. Ich wusste schon mal, was "Franzosenarm" auf Westdeutsch bzw. Französisch heißt, aber "use it or lose it" oder "wer rastet, der rostet" - meine Erinnerungen an die Vokabeln sind unscharf, teils angerostet, teils verloren wie die Datei im alten Rechner. Einst hätte ich den Kollegen Kreuzworträtselfragen gestellt à la "ein Begriff mit mindestens vier Silben, bei dem offene Vokale dominieren", heute zeige ich Fotos, um die Wortliste zu ergänzen.

Denn im Wörterbuch finde ich dazu nichts. Für viele Branchen gibt es Fachwörterbücher, zum Beispiel für Agrar- und Ingenieurwesen, und ich kenne auch mindestens zwei Menschen, die seit Jahren zum Thema Film arbeiten. Oder liegt es daran, dass Verlage den Markt in Zeiten des WWW dafür zu klein finden?

Zu klein ist auch mein Küchentisch, auf dem jetzt fröhlich durcheinander Berlinale-Infomaterial liegt. Ich weiß noch nicht, wie viel Zeit mir dieses Jahr zum Filmegucken bleibt, informiert sein muss ich dennoch. Auch, um Freunden Tipps zu geben, die sich beizeiten "anschlangen", um Fassbinders Cousine zu zitieren, die ich als Studentin in einer Berliner WG kennen gelernt habe. Die Berlinale hat nämlich die wunderbare Eigenschaft, ein Publikumsfestival zu sein - und das liegt nicht daran, dass auf allen Straßen gedreht, in allen WGs Filmleute wohnen ;-)

Gleich mal die News aus der Warteschlange abfragen. Tickets gibt's sonst auch im Netz.

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In eigener Sache: Das Berliner Internetportal für regionale Wirtschaft Business-on.de veröffentlicht mein Berlinalegeflüster! Jetzt bin ich "Lifestyle-Kolumnistin" geworden, das ist doch auch mal was.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Akustisches Arbeitsumfeld

So ein Dolmetscherarbeitstag kann verdammt lang sein - und manche Geräuschkulisse auf Dauer ziemlich zermürbend.

Berlin, am Potsdamer Platz. Kurz, bevor hier wieder der Bär steppt, werden die Filmstarts der Zeit nach der Berlinale vorbereitet. Wir sitzen in einer Lounge im ersten Stock eines schicken Hotels, hinter uns läuft Wasser über Mosaiksteine aus Glas, in die goldfarbenes Metall eingeschlossen ist. Ein Teil der Lounge gehört den Frühstücksgästen - ein anderer, der im hinteren Bereich etwas geschützt liegt, uns. Es sind nicht viele, die hier frühstücken. Die Arbeit beginnt, vor dem Filmstart müssen ein bis anderthalb Dutzend Interviews mit Pressevertretern absolviert werden. Also sitzen hier im 20-Minuten-Takt drei Journalisten, ein Regisseur, eine Dolmetscherin im Rund und reden.

Der vordere Bereich des Raum leert sich sukzessive, und als Klirren und Geklapper von Geschirr und Besteck verklungen sind, hören wir die 'ambiance music' besser, die uns aus versteckten Lautsprechern berieselt. Wir sind fast die einzigen Gäste hier, deshalb bitte ich den Kellner, die Musik leiser zu stellen.

Später kommen wird Mittagessen serviert: Tellerklappern, Gläserklirren, Gespräche, irgendwann meine ich, sogar zu hören, wie eine Zeitung umgeschlagen wird, deren Papier sich sträubt. Der Musikteppich, über die die Kellner herbeischweben, wird nun wieder breiter ausgerollt. Gastronomen arbeiten nach dem Motto: Das Gespräch vom Nebentisch darf nicht hörbar sein. Die akustische Diskretion der einen ist der Dauerstress der anderen ...

Dann kommen die Fernsehinterviews dran. Wir ziehen um in eine extra angemietete Hotelsuite im Obergeschoss. Was für eine Erholung! Arbeit im ruhigen Umfeld, wie leicht plötzlich alles fällt. Wie sehr mich der Morgen unterminiert hatte, wird mir aber vollständig erst bei Rückkehr in die Lounge bewusst. Wir haben eine längere Pause, dann schließt der Tag mit den letzten Interviews "unten" ab. Am Nebentisch hat ein Paar mit Kind Platz genommen. Die Stimmung zwischen den Erwachsenen ist auf viele Meter Entfernung sichtbar schlecht, das Kind entsprechend quarrig. Der Kellner wechselt die Lounge-Musik und dämpft das Licht. Jetzt heißt es nur noch Augen zu und durch! Zum Glück hat die PR-Agentin die akustische Tortur des Tages ähnlich empfunden. Wie schön, hier werden wir also in diesem Team nicht mehr arbeiten.

Als ich das Haus verlasse, ist es Nacht und mir brummt der Schädel.


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Foto: Regisseur Jean-François Richet und die Autorin

Dienstag, 3. Februar 2009

Berlinalegeflüster I

Alte Bekannte werden dieses Jahr auf der Berlinale erwartet: François Ozon, der seit unserer letzten Zusammenarbeit ca. 2002 leider die englische Sprache gelernt hat, Claude Chabrol, der sein gutes Englisch mindestens “seit vier Filmen” vergisst, seine guten Manieren nie, und zu denen gehört, Interviews nur in seiner Muttersprache zu geben. Und Christophe, einer unserer Koproduzenten, denn durchschnittlich alle zwei Jahre koproduzieren wir einen Film. Ich wurde erst durch ein Zweitstudium zur Dolmetscherin, und weil ich lange im Filmsektor gearbeitet habe, konnte ich mich auf Medien und Festivals spezialisieren.

Meine Zeit bis zur Eröffnung des Festivals ist dieses Jahr knapp bemessen. Wie 98 % der Berliner hatte ich die letzten Wochen mit Viren & Co. zu kämpfen. Jetzt stecke ich im Vorbereitungsstau. Ich muss also am besten gleichzeitig: Fachvokabular hervorkramen (4K-Abtastung, anamorphotische Vorsatzlinse, Lavendelkopie, Nur-Ton, Nicht-Kopierer, Blimp ... ); Anzüge von der Reinigung holen, neue Schuhe einlaufen, Gästebetten beziehen, einkaufen, vorkochen (deftige Berlinale-Eintöpfe und Pastasaucen fürs Gefrierfach), Frisörtermin machen, Visitenkarten nachbestellen, Einladungen prüfen (dieses Jahr ist fast nichts eingegangen! Finden alle Parties im kleinen Saal statt?)

Dann kommen die ersten Anfragen: Kostenvoranschläge schreiben, erste Termine zusagen, Filme auf Scheibe gucken, sogenannte Screener. Normalerweise sehe ich den halben Januar hindurch täglich zwei Filme, genieße die Pre-Berlinale, denn die im Vorfeld stattfindenden Pressevorführungen werden auch von inhaltlich arbeitenden Berlinale-Kollegen gern genutzt. In diesen Wochen werden auch Telefonate mit Freunden länger. Denn in den acht Kerntagen der Berlinale lebe ich in Berlin wie auf Dienstreise, wohne zu Hause, als wär's ein Hotel: Alles ist vorbereitet, zurechtgelegt und praktisch für die wenigen Stunden, die ich hier verbringen werde.

Meine Logiergäste reisen an, wenn es mit den Dolmetschjobs losgeht. Sie sind Filmschaffende aus "Westdeutschland", wie Menschen meiner Generation sagen, und müssen mich seit Jahren abends beim letzten Job "einsammeln". Nach manchmal bis zu sieben Stunden netto Dolmetschen am Tag ist meine Wahrnehmung eingeschränkt, große Müdigkeit wirkt wie viel Alkohol im Blut, da brauch' ich Bodyguards.

Zwischendurch werde ich hier aber regelmäßig etwas flüstern. Keine Scoops, aber ein wenig Berlinale von Innen. Eben rief die Agentin an, Chabrol kommt und bekommt mich als "Zweitstimme". Na, wird doch!