Dienstag, 17. Februar 2009

Berlinalegeflüster X

Das Saallicht geht aus, der Vorspann läuft, spannende, bunte, schöne Bilder, dazu interessante Akustiken, die mich aber nicht aufhalten können: Die Augen wollen mir zufallen, ich kämpfe! Es wird dunkler um mich herum, ich spüre, wie ich einmal kurz nachgebe. Ich träume rasch und heftig, ein Sekundenschlaf, öffne die Augen wieder, der Vorspann läuft noch immer. Dumm nur, dass jetzt das Saallicht angeht und alle klatschen. Wie in Trance stehe ich auf, blicke auf meine Notizen, gehe nach vorne zum Filmgespräch.

Diese Episode ist viele Jahre her, ich war Berlinale-Kinoleiterin und Moderatorin, dolmetschte daneben auch noch die Franzosen in "unseren" Kinos CineStar 5 und 8. Dank der Vorbereitung gelang es mir, die Publikumsdiskussion in Gang zu bringen. Zum Glück blieb die Episode einzigartig. Normal ist dennoch, dass wir am Ende der Berlinale alle erschöpft sind, auch die Tage danach noch. Nachlese.

"Im Kino schlafen heißt dem Film vertrauen" - mit Jean-Luc Godard gesprochen bezeugte ich am Publikums-Sonntag auf der Berlinale noch einigen Filmen (kurz) mein Vertrauen, aber das ist OK, wenn ich nicht arbeiten muss. Sofern Platz ist, dürfen wir Mitarbeiter auch jenseits unserer Dienste ins Kino, denn nächstes Jahr kann ja diese Regisseurin oder jener Schauspieler mit einem neuen Projekt dabeisein und da ist es gut, frühere Arbeiten zu kennen. So lege ich langsam meinen professionellen Blick ab und werde wieder zu einem Teil des Publikums. Dennoch könnte ich am Ende keine Bären verteilen. Die Filme, zu denen ich tätig werde, sehe ich fast ohne kritische Distanz, wenn ich zum Beispiel Filmschaffende dolmetsche: Wenn er oder sie "moi, je" sagt, übersetze ich ebenfalls in der 1. Person Singular. Also habe "ich" das Drehbuch geschrieben und den Dreh geleitet, und "ich" habe am Ende mit Cutter oder Cutterin geschnitten.

Nach der Berlinale ist für uns Mitarbeiter ... noch immer Berlinale. Ab dem Nachmittag bis in die Nacht hinein werden zwei Wochen lang etliche Filme nur für uns wiederholt, und es gibt noch die eine oder andere Mitarbeiterparty. Das sind die exklusivsten Berlinale-Veranstaltungen überhaupt, hier kommt man nicht durch gute Beziehungen rein, auch nicht mit Scheck- oder Visitenkarte, hier zugelassen zu werden haben wir uns alle hart erarbeitet. Und da wir ja alle wissen, dass viele Filmfestivalmitarbeiter Filmschaffende von morgen sind - Tom Tyckwer, der die diesjährige Berlinale eröffnet hat, war lange Kinoleiter in Kreuzberg - taufe ich hiermit unser "Nachspiel" den "Berlinale-Campus II".

Und verteile noch rasch meine eigenen, ganz privaten Berlinale-Bärchen: Eins in Gold an Claude Chabrol für seinen umwerfenden Humor. Eins in Silber an Rachid Bouchareb für seine Disziplin und seinen Esprit, stehend zu schlafen und dabei kluge Interviewantworten zu geben. Eins in Schwarz für den Menschen, der meinen leider auf der Forums-Party in der Volksbühne verlorenen roten Füller mit dem goldenen Cannes-Palmblättchen als Clip dran gefunden und nicht abgegeben hat. Und eins in Weiß an das Berliner Wetter.
Und wenn ich nicht im Kino bin, sitze ich am Schreibtisch und übersetze ein Drehbuch. The show must go on!

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Foto: C.E.

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