Montag, 9. Dezember 2024

Montagsschreibtisch (71)

Wie wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ar­bei­ten, ist seit 2007 Ge­gen­stand die­ses Web­logs. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, und die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Hier folgt der Blick auf den Schreib­tisch.

Das Jahr rast auf sein En­de zu. Der­zeit bin ich ziem­lich sau­er. Un­se­re glor­rei­che Haus­ver­wal­tung be­kommt seit vielen Wo­chen die Re­pa­ra­tur un­se­rer Gas­ther­me nicht in den Griff, die hier die Heiz­kör­per und das Was­ser wärmt.

Hände greifen nach Keksen
Keks­bag­gern

Nun stel­le ich mir vor, wie sie in der Ver­wal­tung mit­ten in der Som­mer­hit­ze dar­über nach­ge­dacht ha­ben, ob's doch eher 'nen mil­den Win­ter gibt, ob Sub­ven­tio­nen für zeit­ge­mä­ße Heiz­tech­nik ab­ge­grif­fen werden können oder ein Wun­der pas­sie­rt. Bei der Ther­me ist das Aus­deh­nungs­ge­fäß de­fekt, das die Her­stel­lerfir­ma Jun­ker an­schei­nend nicht nach­lie­fern kann.

Was hilft: In der Kü­che sit­zen, ko­chen und ba­cken. Noch nie in mei­nem Le­ben war ich so ei­ne Kü­chen­fee. Das kal­te Ar­beits­zim­mer, das ich ger­ne auf­räu­men wür­de, muss war­ten. Al­so lie­gen auf dem Schreib­tisch ge­ra­de: Buch­hal­tung, Vor­be­rei­tung ei­nes Ein­sat­zes An­fang Ja­nu­ar und viel­leicht noch ei­nes zwei­ten vor Weih­nach­ten, Kos­ten­vor­an­schlä­ge Ber­li­na­le. Es geht um all­ge­mei­ne Po­li­tik, den Kurz­film­tag am 21.12. und di­ver­se Film­sa­chen, die noch auf Pa­pier sind.

Aber mein biss­chen Fröst­eln ist nichts ge­gen die Welt­la­ge. Ich den­ke an die Men­schen in der Uk­rai­ne, in Is­ra­el und den Pa­lä­sti­nen­sers­ied­lun­gen oder in Flücht­lings­la­gern, in Sy­ri­en und den Hun­ger­ge­bie­ten Af­ri­kas.

Ges­tern war mit As­sads Sturz und Flucht wie­der ein his­to­ri­scher Tag, nur ist bis­lang kom­plett un­klar, wo­hin die Rei­se geht: Wel­ches Re­gime wird dort die Macht über­neh­men? Dro­hen nicht an­de­re krie­ge­ri­sche Zu­stän­de oder ei­ne is­la­mis­ti­sche Re­gie­rung, die Mäd­chen- und Frau­en­rech­te, ja grund­sätz­lich Men­schen­rech­te ein­schränkt?

Ich bin er­schüt­tert und fin­de es ver­werf­lich, dass der ers­te Ge­dan­ke der so­ge­nann­ten christ­li­chen Par­teien die­ses Lan­des im Wahl­k(r)­ampf die laut me­di­al ver­brei­te­te Idee zu sein scheint, die in den letz­ten Jah­ren zu uns Ge­flüch­te­ten mög­lichst su­bi­to in ihr Her­kunfts­land zu­rück­zu­schi­cken, in Ge­gen­den, die zum Teil Kriegs­wüs­ten sind, mit­ten im Win­ter, in ein Land mit ver­min­ten Fel­dern und vie­ler­orts zer­stör­ten Häu­sern, in ei­ne al­te Hei­mat, die in man­chen Ge­gen­den leicht ato­mar ver­strahlt ist, die Rus­sen ha­ben pan­zer­bre­chen­de Ura­nmu­ni­tion ge­nutzt.

Das Grund­recht auf Asyl muss un­ver­rück­bar da­ste­hen, auch und ge­ra­de in Zei­ten, in de­nen die A*Dep­pen den Stamm­tisch be­herr­schen. Wir soll­ten eher da­ran ar­bei­ten, den Stamm­tisch wie­der von der Wahl­ur­ne zu tren­nen, das sind un­ter­schied­li­che Sphä­ren, wir al­le dür­fen mo­sern, me­ckern, mau­len und ha­ben da­ne­ben die zi­vi­le Ver­ant­wor­tung des Wäh­lens ... und ei­gent­lich auch an­de­rer ak­ti­ver Teil­nah­me am Ge­mein­we­sen!

Heute bin ich froh, dass die Fa­mi­lie, die ich nach 2015 als In­te­gra­ti­ons­hel­fe­rin be­glei­tet ha­be, die fran­zö­sisch­spra­chi­gen Sy­rer, sich hier so gut ein­ge­lebt ha­ben.

Die­se Fa­mi­lie wird hier­blei­ben. Ihr Haus in Alep­po ist zer­stört, von den ent­fern­te­ren Ver­wand­ten fehlt zum Teil je­de Nach­richt, an­de­re leben in der Tür­kei. Sa­mi­ra, die Mut­ter, wird als Kin­der­ärz­tin jeden Tag im Kran­ken­haus ge­braucht. Sie hat damals ih­re Zwil­lings­töch­ter mitgebracht, die eine stu­diert Ju­ra, die an­de­re ist im Lehr­amts­re­fe­ren­da­ri­at, der Ne­ffe der Mäd­chen hat von Me­cha­tro­ni­ker auf me­di­zi­ni­scher Mas­seur um­ge­schwenkt (und ist in­zwi­schen Pa­pa ei­ner klei­nen Ber­li­ne­rin), die Tan­te bzw. Schwes­ter ar­bei­tet wei­ter­hin in ei­ner Än­de­rungs­schnei­de­rei. Die Fa­mi­lie hat in­zwi­schen deut­sche Päs­se, und die Oma liegt in deut­scher Er­de be­gra­ben.

P.S.: Fast 5800 Ärz­tin­nen und Ärz­te aus Sy­rien prak­ti­zie­ren der­zeit in Deutsch­land, und Kran­ken­häu­ser war­nen da­vor, dass sie zu­rück­keh­ren könn­ten. Er­gän­zung: Die­se Zahl trifft auf Fach­leu­te wie Sa­mi­ra zu, al­so mit deut­scher Staats­bür­ger­schaft. Es wird da­von aus­ge­gan­gen, dass es wei­te­re 15.000 bis 20.000 sy­ri­sche Ärztin­nen und Ärz­te in Deutsch­land gibt, die kei­nen deut­schen Pass ha­ben.
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Foto: Cla­ra from AUS­TRIA (Wi­ki­com­mons)

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