Der gemeine Berliner (und die gemeine Berlinerin) verfällt dieser Tage in einen Kaufrausch. Grundsätzlich kann ein Rausch gefährlich sein, wenn jemand zum Beispiel zu viel trinkt, dann säuft er oder sie, ist blau und im Rausch.
Gesehen in Berlin-Kreuzberg |
In Wirklichkeit ist dieses Wörtchen "gemein" im ersten Satz ein Begriff, der mit "allgemein" verwandt ist. Ich hätte auch "der/die Durchschnittsberliner:in" schreiben können.
Vom Rausch zum Rauschebart, den ein alter Mann im roten Gewande trägt und von denen hierzulande derzeit viele umsatzfördernd die Straßen, Einkaufsläden, Kaufhäuser und Märkte beleben: Ursprünglich Nikolaus von Myra, später als "Heiliger Nikolaus" verehrt, liegt der mythischen Figur ein echter Bischof zugrunde, der alles, was er im Namen seiner Kirche erbettelt hat, den Armen geschenkt haben soll. Eine ähnliche Figur war Abt Nikolaus aus Sion, der sich auch mit Mildätigkeit einen guten Namen gemacht hat. Dort irgendwo, in beiden Fällen auf dem Territorium der heutigen Türkei, liegen die Ursprünge dieses Brauchs, der sich im Heute wiederum in Gestalt des Weihnachtsmannes zu doppeln scheint. Und von denen wimmelt derzeit gefühlt die Stadt.
In den dunkelsten Tagen des Jahres ist es in vielen Religionen Brauch, Kerzen anzünden und die Liebsten zu beschenken. Da vor allem in den wohlhabenderen Ländern viele Menschen häufiger in den Kaufrausch verfallen, als es dem Globus guttut, bricht in vielen Familien seit einigen Jahren eine neue Frugalität oder Genügsamkeit aus, une nouvelle sobriété, die sehr gesund sein kann. Menschen schenken einander Zeit, Erlebnisse, kleine, dafür persönliche Aufmerksamkeiten, oder aber alte Schätze wandern in junge Hände.
Verwandt ist das mit der Konsumhaltung der "5 R" : Die "5-R-Regel" bedeutet ganz einfach refuse, reduce, reuse, recycle, rot, auf Deutsch: verweigere die Annahme, reduziere, verwende erneut, recyle, lass verrotten = kompostiere. Das bezieht sich auf Haushalts- und Alltagsgebrauchstände.Hier wurde allerdings verschenken und tauschen vergessen, also pass on, swap oder relay (wenn es ein Wort mit "R" sein soll). Ich war neulich auf einem Tauschbasar, was sehr lustig war. Viele Menschen brachten gute Sachen mit, die sie nicht mehr verwenden, Kleidung, Spiele, Kleinmöbel, den zweiten, zur Hochzeit erhaltenen Pürierstab und andere Dinge, und sie gingen mit deutlich weniger wieder nach Hause, dafür mit bester Laune, weil sie ihre Sachen in guten Händen wussten. Jedes dritte Objekt sowie die Überbleibsel, es wurden nur gute Sachen zugelassen, gingen an soziale Einrichtungen.
Ein verwandter Gedanke ist, kleine Geschenke auf Weihnachtsmärkten zu besorgen, wo nicht der Standardkram "made in China" angeboten wird, sondern Waren aus Behindertenwerkstätten, von Freizeitzentren mit Werkstätten, aus Upcyclingateliers oder einfach nur dem Second-Hand-Buchladen.
Was in die gleiche Richtung geht: in der eigenen Gemeinde kaufen. Hier in meinem Kiez gibt es seit einiger Zeit auch immer mehr Modegeschäfte, die sich aufs Umarbeiten oder auf die Herstellung kleiner Mengen spezialisiert haben, besondere Sachen, die haltbar und formschön sind. Hier sind wir beim letzten Prinzip angelangt: buy local. Und so bedachter, bewusster Konsum ist nichts, was einen irgendwie in einen Rausch verfallen lässt. Also muss am Ende noch etwas Glühwein herhalten.
Disclaimer: Dieser Text wurde natürlich nicht unter Einfluss von Alkohol geschrieben, sondern sober, nüchtern, klaren Kopfes. Ich möchte noch ergänzen, dass es in der Dolmetschwelt so ähnlich ist wie im Konsumgüterbereich. Buy local heißt in unserem Falle, dass wir uns freuen, wenn Kunden zu uns Einzelunternehmer:innen im Netzwerk kommen und nicht zu großen, vielleicht nicht nur deutschlandweit, sondern international tätigen Agenturen gehen.
Solche Unternehmen leben von der Marge, die in vielen Fällen über die Maßen groß ist, denn das Feld ist nicht reguliert. Anders als Schauspielagenturen, deren Provisionen, die von den Schauspielgagen abgehen, gesetzlich gedeckelt sind, 18 Prozent bei bis zu sieben Tagen und 14 Prozent bei mehr als zwölf Monaten Arbeit, ist das Agenturwesen unserer Branche komplett ungeregelt, und das führt in einigen Bereichen des Markts längst zu zerstörerischen Tendenzen, wenn z.B. uns, die wir die Arbeit am Ende machen, von Mittelsleuten weniger als die Hälfte oder nur ein Drittel des Verkaufspreises ihrer Dienstleistung angeboten werden.
Zusammenfassung: "6-R rule" simply means: refuse, reduce, reuse, relay, recycle, rot — or buy local. Die 6-R-Regel bedeutet: verweigere die Annahme, reduziere, verwende erneut,
gib weiter, recyle, lass verrotten = kompostiere —oder kaufe an deinem Wohnort.
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Foto: C.E.
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