Mittwoch, 8. Dezember 2021

COVIDiary (442)

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­terin können Sie hier ­ erhalten. Ich bin Dol­met­scherin für die fran­zö­sische Sprache, und ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen. In Ber­lin ist Schnee ge­fal­len, und er blieb lie­gen.

Dame im Schnee (1929)
Das eine Nichtchen erlebt kom­men­des Früh­jahr ihren drit­ten Lenz. Sie wohnt in Süd­deutsch­land. Ich weiß nicht, ob sie schon oft Schnee gesehen hat, außer in der Wun­der­ku­gel, in der ein Weih­nachts­mann durch kräf­ti­ges Schüt­teln hinter weißen Flöckchen zum Ver­schwin­den ge­bracht wer­den kann.

Ich erkläre ihr, was Schnee ist, welche Ei­gen­schaften er so hat. Und was ein Schnee­mann ist, weil er in einem Kinder­buch aus den 1980-er Jahren vorkommt, das ich vorlese.
Damals haben wir mit unseren Eltern noch alle in Süd­deutsch­land gelebt, und wer über 175 cm groß war, durfte Schnee­schip­­pen. 

Es war ein ungeliebter Job, morgens, vor dem Früh­stück, rasch den Gang auf dem Geh­weg zwischen den bald klein­kind­hohen Hügeln frei­machen, mit­tags wieder, er­neut am Abend. Heute würde ich manches dafür geben, wenn wir die Klima­de­re­gu­lie­rung nicht hätten.

Später, wie die Tante in Ge­dan­ken ver­­lo­ren, sagt die Nichte: "Dann regenet es bald mit Kris­tal­len." Ja, so ähn­lich! (... in­hal­tlich, meine ich. Ihre Sprach­lern­qua­li­tä­ten be­geis­tern mich.) Sie schiebt sich den Begriff "Kristall" im Mund hin und her, als wäre es Schokolade, schmeckt und lauscht ihm hin­ter­her. Das Wort scheint ihr zu gefallen.

Es war nicht einfach für mich, eine so un­be­kannte Sache zu erklären, und es ka­men gleich drei, vier neue Un­be­kannte mit hinein. Kris­tal­le­kris­tal­le­kris­tal­le. Ganz frei von an­de­ren As­so­zia­tio­nen und oft genug wie­der­holt, fühlt sich der Klang wie frisch­ge­schrubbt und neu und sogar bar jeder Bedeutung an. Hier jetzt noch schnell ein Foto für die Nichte aus dem Archiv geholt aus der Zeit, bevor der Be­griff (als Wort­be­stand­teil) ei­nen bit­te­ren Bei­ge­schmack be­kam.

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Foto:
Privatarchiv

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