Im
13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin
Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin, arbeite mit der
französischen Sprache (und aus dem Englischen). Diesen Sommer denke ich über meine Kunden nach.
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Irgendwo im Baltikum |
Und dann war da noch der Relocation-Kunde, den ich zu diversen Amtsgängen begleitet habe, Anmeldung, Aufenthaltspapiere, er bekam die Bluecard, das Pendant zur bekannten US-amerikanischen Greencard, Wohnungssuche, Einschulung des ältesten Kindes.
Den einen oder anderen Kunden dieser Art haben wir manchmal nebenbei, gerne in den kongressarmen Wochen, oder es sind Freunde von Freunden, denen wir einen Gefallen tun, einfach so oder weil sogar um die Ecke ein Job winkt, oder aber es sind alte Freunde aus früheren Jahren.
Wie dieser großgewachsener Mittvierziger, Architekt und Familienvater.
Nennen wir ihn Maruan. Das Büro, für das er international tätig ist, sitzt in Berlin. Bei der Arbeit spricht er meistens Englisch. Seine Wiege stand irgendwo im Maghreb, studiert hat er in Italien, England und Frankreich.
Eines Tages erzählte Maruan mir stolz, er würde gerade einen Jeep kaufen. Das ist etwas mehr als drei Jahre her. Sein Deutsch hat sich seither nur wenig verbessert, was ich immer wieder feststelle, wenn wir alle sechs, acht Wochen zusammen mittagessen (und er mir einige Papiere zur schnellen Durchsicht mitbringt.)
Ich muss damals ziemlich heftig die Stirn gerunzelt haben. Sein Sohn hätte sich den gewünscht, hat er damals entschuldigend gesagt. Ich weiß noch wie heute, wie ich ihm daraufhin vom Dieselskandal berichtet habe, von Umweltschäden, von zu erwartenden Fahrverboten. Er hat zugehört, aber ich konnte ihm ansehen, dass der kleine Junge in ihm sich das Auto zusammen mit dem Sohn gewünscht hatte.
Drei Jahre später, es ist mal wieder was kaputt an der Karre, dieses Mal ist es die Klimaanlage: Ich sitze im Zug und manage den Autotransfer von Werkstatt Eins zu Werkstatt Zwei, von Schrauber zu Fachwerkstatt, weil die Reparatur komplexer ist als erwartet, lasse mir das Bulletin der Arbeiten und die Vermutungen durchgeben, woran es wohl liegen mag.
Voilà!, die Ultrakurzfassung: Zwei Stromkreisläufe, einer fürs Einschalten, einer für den Kühlkompressor, der in ein separates Kästchen verbaut ist. Irgendwo hakt es mit der Stromweiterleitung. Und die Anlage kühlt anfangs, dann setzt sie immer aus. Dieses "Anfangs" kann zehn Minuten oder aber zwei Stunden dauern.
Ich selbst habe gar kein Auto. Maximal lasse ich ab und zu fahren, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Mit großer Herkunftsfamilie und Wahlverwandtschaft und jungen und alten Menschen im Umfeld gibt es immer wieder mal Strecken, die nur mit dem Auto zurückgelegt werden können. Aber es gibt Mietwagen und Carsharing.
Den ersten Automonteur quetsche ich am Telefon so lange aus, bis ich eine ungefähre Idee von der Problematik habe. Dabei stehe ich auf dem Gang des Zuges. Beim zweiten größeren Telefonat, Werkstatt Nummer Zwo ruft zurück, beschreibe ich das Problem, als stünde ich selbst bald vor der Mechatronikerprüfung. Das Problem wird innerhalb kürzester Zeit gefunden und behoben werden. Maruan braucht die Karre demnächst nur noch abzuholen.
Beim zweiten langen Telefonat sitze ich eingeklemmt in ein Mehrpersonenabteil, am Gang schläft einer, gegenüber stillt eine Mutter ihr Kind. Es ist Freitag. Auf vielen deutschen Straßen demonstrieren die
Fridays for future-Jugendlichen. Bahnfahrer sind oft umweltbewusst Reisende, wenn sie sich den Luxus einer teuren Bahnfahrt leisten und die oft spottbilligen Angebotsflüge sausen lassen.
Seit einiger Zeit kennen wir das Wort "
Flugscham" (vom Schwedischen
Flugskam). Ich empfinde hier "Autoscham". Denn natürlich muss ich beim Telefonat den Wagentyp ansagen, Jeep, das Baujahr, mittelprächtig neu, und die Art des Antriebs, Dieselmotor. Die Blicke der Mitreisenden sprechen Bände. Ja, Autoscham. "Ein Kunde", sage ich entschuldigend und drücke noch mein Bedauern über eventuelle Beeinträchtigungen nämlicher Mitreisenden durch mein Telefonat aus. Das macht aber die Sache aber auch nicht besser.
Maruan heute beim Mittagessen: "Im August sollten wir das Auto verkaufen! Ich will es so schnell wie möglich loswerden!" Jetzt hätte ich gerne mein überraschtes Gesicht gesehen. Der hat sich aber schnell akklimatisiert! Berlin halt.
Vokabelnotizen
écoresponsable — umweltbewusst
interrupteur — Schalter
faux-contact — Wackelkontakt
boîtier — Kästchen, Gehäuse
compresseur frigorifique — Kühlkompressor
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Foto: C.E. (Archiv!!)