Mittwoch, 31. Juli 2019

Der Nuschler

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Sprache (und aus dem Englischen). Diesen Sommer denke ich über meine Kunden nach.

Und dann war da noch der No­ta­ri­ats­ter­min, bei dem ich für eine Kol­legin ein­sprin­gen durf­te. 

Staatsdiener am Stehpult
Zwan­zig Ver­­trags­sei­ten wa­ren vor­­über­­setzt, die Kollegin ar­bei­tet seit Jah­ren so und nutzt ein Trans­la­tion-Memory-Sys­tem, das die bereits über­tra­ge­nen, meist stan­dar­di­sier­ten, for­mel­haf­ten Be­griffs­ver­bin­dun­gen an­bie­tet, die dann nur noch an­ge­passt werden müs­sen. Für juris­ti­sche Details war mal eine Anwältin hin­zu­ge­zogen wor­den, die uns auch Grund­la­gen­in­for­ma­tio­nen über die Fein­hei­ten des Ei­gen­tums­über­gangs gegeben hatte. Das ist fürs Dol­­met­schen der Er­klä­run­gen wichtig.

Zusätzlich haben wir eine lang Vokabelliste. Und wenn ich lang schreibe, meine ich lang. Also sehr lang.

Beim Termin selbst wird oft verlesen. Die Verleserei dauert meist noch länger, denn viele Notare können mit simultaner Verdolmetschung nichts anfangen. Nor­ma­ler­weise liest der Notar alle inhaltlich zusammengehörenden Abschnitte vor, dann liest unsereiner die Übersetzung.

So auch beim letzten Einsatz. Nur, dass der Notar unerträglich genuschelt hat. Je verwaschener er sprach, ein junger Mann, er klang wie ein Schlaganfallpatient kurz vor Löffelübergabe, desto mehr hab ich die Ex-Radiofrau raushängen lassen. Saß kerzengrade über dem Steiß, hatte kurz in den Bauch geatmet, mit dem Zwerch­fell kom­muniziert, die Gähnspannung geübt, den Unterkiefer ge­lockert ... um dann mit vollem Vibrato die Mediensprecherin zu geben. Da haben sich alle die Augen gerieben! (Nur der Notar hat leider, allerhöchst selbstverliebt, meine dieser Geste innenwohnende Kritik nicht gerafft.)

Im Ernst: Die Kollegin hatte die letzte Arbeitsfassung bearbeitet. Unsereiner muss beim Verlesen auch darauf hören, ob alles vollständig ist, nichts hinzugekommen oder weggelassen wurde (das müssten wir sonst hinzudolmetschen bzw. weg­las­sen). Bei der verklausulierten Sprache der Jurisprudenz, die einen Duktus pflegt, als trügen sämtliche ihrer Vertreter noch die Ärmelschoner aus den Amtsstuben vergangener Jahrhunderte, ist das wahrlich keine einfache Aufgabe. Kurz: Mit dem Nuschler war der Einsatz noch anstrengender als sonst.

______________________________
Illustration: Eigene Bearbeitung (hist. Vorlage)

Dienstag, 30. Juli 2019

Jean Reinhard war kein Journalist!

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort, wo man mich braucht. Gestern habe ich wäh­rend des Bü­ro­auf­räu­mens Radio ge­hört.

Djournalist [ˈd͡ʒʊʁnaˈlɪst] sagt der Moderator des Medienmagazins im Deutschlandfunk, und er spricht die Berufsbezeichnung so aus, wie der Beginn des Spitznamens von Jean Reinhard ausgesprochen wird: Der Jazzmusiker ist als „Django“ Reinhard berühmt.

Journalismus war mal ein anerkanntes Handwerk
Die Berufsbezeichnung Jour­na­list [ʒʊʁnaˈlɪst] leitet sich vom französischen Wort le jour ab. Es ist eindeutig: Nicht mit [ˈd͡ʒ], sondern mit [ʒ] geht dieses Wort los. Bon jour kennen sogar Menschen, die kein Französisch spre­chen, und bedeutet, was ich Ihnen jetzt wünsche: einen guten Tag!
___________________________
Foto: C.E.

Montag, 29. Juli 2019

Remote Interpreting

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, München, Hannover und dort, wo Sie mich brauchen. Heute schaue ich einen Werktag zurück. Letzten Freitag ...

Gleicher Arbeitsplatz, allerdings mit Mikro (beim Diktat)
Es kommt mir vor wie eine Bild­stö­rung: Ich trage Kopf­hö­rer, neben mir Tablet, Notiz­block und Er­satz­blei­stif­te, stilles Wasser, last but not least habe ich einen Moni­tor mit Köp­fen vor der Nase. Das kennen wir aus der Kabine, wenn die Red­ner in eini­gen Kilome­tern Ent­fernung zu sitzen scheinen. Wer fehlt ist die Kol­legin oder der Kol­lege an meiner Seite.

Auch habe ich keine Kabinen­wän­de mit Glas­sche­iben um mich herum und ein Mi­kro­­fon sehe ich auch nicht. Ich sitze ganz normal von meinem Com­puter. Auf dem Moni­tor sehe ich vier Fenster, drei große und ein klei­nes. Im kleinen bin ich, in den gro­ßen zwei Franzosen, eine Frau, ein Mann, sowie ein deutscher Nicht-mehr-ganz-Jungun­ter­nehmer.

Um mich herum ver­trau­te Akustik, wie wenn unten am May­bach­ufer der Markt auf­ge­baut wer­den würde. Und ja, es wird gerade am Ufer der Markt aufgebaut. Ich sitze zu­hau­se und dolmetsche. Wie komisch.

In mei­nem ganz pri­vaten Raum mei­nen Be­ruf aus­zu­üben, der sonst den Ein­satz von viel Tech­nik nötig macht und meis­tens mit Kongress­luft, Kollegen und schicken Klamotten ver­bun­den ist, irritiert mich. Nor­ma­ler­weise funktionieren Orts­wechsel in Richtung Arbeitsplatz und die Stimmung dort wie das Klingeln für die berühmten Hunde in der wis­sen­schaft­li­chen Forschung: Wir sind gut kon­di­tio­niert und können von einem Moment zum anderen loslegen. Hier merke ich, wie viel mühsamer es ist, in die Arbeitsroutine reinzu­kommen. Vor allem fehlt mir die Kol­legin für das Aufschreiben von Wörtern und Zahlen. Nun gut, die fehlt ja beim nor­ma­len Kon­sekutiv-Ein­satz, da arbeiten wir oft al­­lei­n, auch gerne mal. Auß­erdem habe ich jetzt keine Zeit für großes Rumgejammere. Ich arbeite. Und bin trotz allen Frem­delns erstaunlich schnell drin.

Was definitiv nervt beim „Remote Interpreting“ (also der Ar­beit aus der Fer­ne) sind die Schwankungen in der Ton­qua­li­tät. Es gibt Phasen, da muss ich mich dop­pelt konzentrieren, um zu ver­ste­hen, was gesagt wird. Das wäre per Si­mul­tan­dol­met­schen zum Beispiel gar nicht möglich. Prompt friert das Bild eines der Ge­sprächs­teil­neh­mer erst ein, dann ver­schwin­det es ganz vom Monitor. Wenig später ruft der Ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne bei ei­nem an­de­ren Teilneh­mer an und bleibt per Te­le­fon zu­ge­schal­tet. Natür­lich hin­dert die­ser Um­stand ihn nicht daran, aktiv an der Diskus­sion teil­zu­neh­men.

Für mich bedeutet das eine Verschlechterung der Verschlechterung. Das ist ver­gleich­bar mit den rus­si­schen Puppen, die ineinander stecken: Außen sitze ich al­lein, ohne die Kol­legin, ohne das Ambiente, das die Konzen­tration fördert. Ver­engung: Der Monitor mit den sprechenden Köpfen und dem schlech­ten Sound. Verengung: Tele­fon­ton via verzerrender Internet­leitung.

Dolmetscherin in der Kabine
Frühjahr 2017 in der Botschaft Frankreichs
Erneute Ver­engung: Mein ge­stress­tes Hirn.

Fazit: Nach ei­ner Stunde hätte die Sache für mich gerne zu Ende sein kön­nen. Leider dau­erte der Spaß noch mehr als eine weitere Stun­de. Diese zwei Stun­den waren so an­stren­gend wie ein ganzer Kon­gress­tag, bei dem wir zu zweit in der Kabine insgesamt sechs Stun­den sitzen, wo also jede von uns drei Stun­den netto dolmetscht.

Um elf Uhr war der Job fertig — und ich auch.

Wir hat­ten diese Gesprächsart aus­pro­bieren wollen.

Gründe gibt es viele: Nur Ge­sprächs­­stoff für zwei, drei Stunden und Ur­laubs­­zeit. Solche Ein­sätze müssten ehr­­li­­cher­­wei­se mit einem ganzen Tages­satz vergütet wer­den. (Hier war das nicht der Fall, da es am Vortag kein Material zur Vor­be­reitung gab und ich dem Kunden Rabatt einräume, wir kennen uns länger, ich be­herr­sche die Fach­ter­mi­ni und Themen.)

2. Fazit: Meine Kunden spra­chen zum Teil in An­deu­tun­gen, be­nutz­ten in­terne Be­grif­fe, vernuschelten Wörter, tranken viel an diesem heißen Som­mertag. Wenn weder ein Teil der Teil­neh­mer noch das Thema noch der Fach­jargon einem gut be­kannt sind, ist das mit der aktuellen Technik mit gutem Gewissen im Grunde nicht zu machen. Die Um­stän­de er­schweren die Arbeit über die Grenze des Zumut­baren hinaus. Fehler sind program­miert. Die Sache wird also am besten dort nicht an­ge­wen­det, wo es um Leib und Leben und vielleicht sogar das Über­leben geht (Asyl­the­ma­tik).

Leider sind das genau die Bereiche, in denen damit |experi­men­tiert| immer öfter gear­beitet wird. Fortsetzung folgt.

P.S.: Die Kommentarfunktion habe ich derzeit wieder aktiviert. Kolleginnen und Kollegen: Sie/Ihr dürf/t/en hier gerne etwas schreiben. Andere gerne auch :-) ______________________________  
Fotos: Privat und P.-J. Adjedj  (Archiv)

Sonntag, 28. Juli 2019

Stadtnatur

Hallo, hello, bon­jour, beim ersten Blog Deutsch­lands aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine und darüber hinaus. Hier berichte ich regelmäßig über meinen Alltag — auch als Über­setz­er­in. Gerade ist es ruhig, die Stadt ist in der Sommerpause.

Als Dolmetscherin bin ich gerade stand by in der Hauptstadt. Eine(r) muss den Job ja machen. Natur gibt es hier allerdings viel. Erholung gibt es auch in Berlin.

Hummel, Fische, Schmetterling und Blüten
Sommerfarben
______________________________
Fotos: C.E.

Freitag, 26. Juli 2019

Vermischtes

Bon­jour, gu­ten Tag! Was uns Sprach­ar­bei­ter so um­treibt, also uns Dol­met­scher und Über­setzer, ist seit mehr als zwölf Jah­ren Ge­gen­stand die­ses Blogs. Ich ar­bei­te mit den Sprachen Französisch und Englisch. Im Frühjahr auf Herbst sind wir meistens auf Kon­fe­ren­zen anzutreffen. Der Som­mer ist anders.

In der Sommerzeit bin ich als Dolmetscherin stand by, weil die Kolleginnen mit ih­ren Schulkindern verreist sind. (Ich urlaube gerne außerhalb der Reisesaison.) Was mich dieser Tage beschäftigt, stünde in jeder besseren Zeitung ganz klassisch auf der Seite "Vermischtes": Eine Nachbarschaftsstreitigkeit mit Messer, ein Schul­kan­ti­nen­neubau, Unterschiede in den Unternehmenskulturen diverser Länder sowie verunreinigte Strände.

Freunde von uns sind ge­ra­de aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt. Sie hatten sich dort mit anderen zusammen für mehrere Wochen ein Ferien­haus ge­mie­tet. Nein, keine Ortsnamen, irgendwo am Atlantik.

Am zweiten Tag hat sich der Familienvater eine Scherbe eingetreten. Die Fahrt zum Arzt: an die 30 Kilometer. Der Arzt im Ort war ausgefallen und die Praxen in der Nähe nur jeweils zwei Mal die Woche einen oder zwei Nachmittage lang be­setzt. Ja, die Gesundheitsversorgung mag nicht überall auf dem Land gegeben sein, aber wir sprechen von einer durchaus auch bei Urlau­bern beliebten Gegend am Meer. Sie fuhren also dort regelmäßig hin zur Wund­ver­sorgung.

Warnschild: Vaisière dangereuse / gefährliches Watt
Gefährliches Watt
Die Fami­lie hatte von einem Ba­de­­urlaub geträumt, wie ihn die Mutter der Familie vor 40 Jahren erlebt hat. Damals wa­ren schon die ersten Pro­ble­me er­kenn­bar, ha­be ich später on­line nach­gelesen.
Die­ses Jahr waren dort viele Strände an der Küste geschlossen. Grund: Schwer­wie­gen­de Um­weltprobleme. Die Ein­wohner sprechen von der tödlichen Grünalge, die bei ihrer Zer­setzung Schwe­fel­was­ser­stoff freisetzt. Sie wächst und gedeiht im Meer, die Hitze erhöht ihr Aufkom­men ebenso wie Ab­wässer der industriellen Tierzucht und einer Klär­analage, die nicht ganz vor­schrifts­mä­ßig läuft. Größere Mengen von Darm­bakterien waren im Watten­meer nachgewiesen worden.

Seit Jahren kommen immer wieder Hiobs­bot­schaften aus der Gegend: Ein Mensch starb im Watt, ein Pferd und zwei Hunde. Der Touris­mus ist an­ge­schlagen, Ferien­im­mobilien stehen leer, die Kauf­prei­se der Häu­ser sinken, die Zi­vil­ge­sell­schaft wacht lang­sam auf. Mit der marée verte, der grü­nen Flut, zahlen die Küs­ten­be­woh­ner für das jahr­zehn­te­lan­ge Laissez faire der Regierung einen hohen Preis.

Auf der Rückfahrt hatten sie noch versucht, woanders unterzu­kommen. Ich durfte begleitend zu dem Gan­zen einige Tele­fonate führen. Aber alles, was die Familie interes­siert hätte, ist ausge­bucht. So ist sie jetzt in Berlin, die Kinder sind heute im Museum für Verkehr und Tech­nik und morgen geht es an den Liepnitzsee, einem der saubersten Seen Bran­denburgs. Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Brü­der­lein ...

______________________________  
Illustration: Netzfund

Donnerstag, 25. Juli 2019

Hergestellt in Truthahn

Bonjour, hello, guten Tag. Hier bloggt im 13. Jahr eine Dol­met­sche­rin, übli­­cher­­wei­se mehr­mals die Woche. Die Konshy;feshy;renzshy;saishy;son pau­siert, ich übershy;setshy;ze vor al­lem. Und freue mich über Trouvaillen am Wegesrand.


FABRIQUE EN DINDE / Hergestellt in Truthahn
Hergestellt in Truthahn
"An erster Stelle der Erzeuger steht das Land Ich rannte." Berühmt dafür ist die Gegend um die Städte Kerman und Raf­sand­schan im Südosten des Landes. An zweiter Stelle liegen die USA, genauer gesagt Kali­for­nien, und die Türkei belegt den dritten Platz.

Worüber sprechen wir? Über Her­stel­ler­län­der und -regionen von Pistazien. Haupt­er­zeu­ger­land ist der Iran. Und wir spre­chen über au­to­ma­tische Über­setzung.
Iran -> I ran -> Ich rannte.

Manche Kleidungs­stücke sind "Her­gestellt in Truthahn". Auf Fran­zösisch heißt dieses Tier la dinde.

Wer genau hin­hört (und liest), kommt darauf: Es ist die poule d'Inde, die Henne aus Indien. Und dieser Fehler ist eher auf unzureichende Geographiekenntnisse von Menschen zurückzuführen als auf die Grenzen der Informatik.

______________________________  
Foto: Netzfund

Sonntag, 21. Juli 2019

Balkonien (2)

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort, wo man mich braucht. Heute wieder: Sonntagsbilder.
 
Wer be­ruf­lich viel verreist, bleibt im Som­mer gerne länger zuhause. Vor allem dann, wenn er oder sie es so grün hat. Und in dieser Um­ge­bung lässt sich über die Ma­ßen gut ... übersetzen.


______________________________  
Foto: C.E.

Donnerstag, 18. Juli 2019

Autoscham

Im 13. Jahr beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Sprache (und aus dem Englischen). Diesen Sommer denke ich über meine Kunden nach.

Bullauge und Flugzeug im Schatten über Landschaft
Irgendwo im Baltikum
Und dann war da noch der Re­lo­cation-Kun­de, den ich zu diversen Amtsgängen be­glei­tet habe, An­mel­dung, Auf­ent­halts­pa­piere, er bekam die Bluecard, das Pendant zur bekannten US-amerikani­schen Green­card, Wohnungs­suche, Ein­schu­lung des ältesten Kindes.

Den einen oder anderen Kunden dieser Art ha­ben wir manch­mal nebenbei, gerne in den kongressarmen Wochen, oder es sind Freunde von Freun­den, denen wir einen Gefal­len tun, einfach so oder weil sogar um die Ecke ein Job winkt, oder aber es sind alte Freun­de aus früheren Jahren.
Wie dieser groß­ge­wachsener Mitt­vier­ziger, Architekt und Familienvater.

Nennen wir ihn Maruan. Das Büro, für das er inter­national tätig ist, sitzt in Berlin. Bei der Arbeit spricht er meis­tens Englisch. Seine Wiege stand irgendwo im Ma­ghreb, studiert hat er in Italien, England und Frankreich.

Eines Tages erzählte Maruan mir stolz, er würde gerade einen Jeep kaufen. Das ist et­was mehr als drei Jahre her. Sein Deutsch hat sich seither nur wenig verbessert, was ich immer wieder fest­stelle, wenn wir alle sechs, acht Wochen zusam­men mit­tag­essen (und er mir einige Papie­re zur schnellen Durch­sicht mitbringt.)

Ich muss damals ziemlich heftig die Stirn gerunzelt haben. Sein Sohn hätte sich den gewünscht, hat er damals entschuldigend gesagt. Ich weiß noch wie heute, wie ich ihm daraufhin vom Diesel­skandal berichtet habe, von Umweltschäden, von zu erwartenden Fahrverboten. Er hat zugehört, aber ich konnte ihm ansehen, dass der kleine Junge in ihm sich das Auto zusammen mit dem Sohn gewünscht hatte.

Drei Jahre später, es ist mal wieder was kaputt an der Karre, dieses Mal ist es die Klimaanlage: Ich sitze im Zug und manage den Auto­trans­fer von Werkstatt Eins zu Werkstatt Zwei, von Schrauber zu Fach­werkstatt, weil die Re­­pa­­ra­­tur komplexer ist als er­wartet, lasse mir das Bulletin der Arbeiten und die Vermu­tungen durch­geben, woran es wohl lie­gen mag. Voilà!, die Ultra­kurz­fassung: Zwei Strom­kreis­läufe, ei­ner fürs Ein­schalten, ei­ner für den Kühl­­kom­­pressor, der in ein separates Käst­chen ver­baut ist. Irgendwo hakt es mit der Strom­weiter­leitung. Und die Anlage kühlt an­fangs, dann setzt sie immer aus. Dieses "Anfangs" kann zehn Minuten oder aber zwei Stunden dauern.

Ich selbst habe gar kein Auto. Maximal lasse ich ab und zu fahren, wenn es sich nicht ver­meiden lässt. Mit großer Herkunfts­familie und Wahl­­ver­­wandt­schaft und jungen und alten Menschen im Umfeld gibt es immer wieder mal Strecken, die nur mit dem Auto zurück­gelegt werden können. Aber es gibt Miet­wagen und Car­sha­ring.

Den ersten Auto­­monteur quetsche ich am Telefon so lange aus, bis ich eine un­ge­fäh­re Idee von der Proble­ma­tik habe. Dabei stehe ich auf dem Gang des Zuges. Beim zweiten größeren Tele­fonat, Werk­statt Nummer Zwo ruft zurück, beschreibe ich das Problem, als stünde ich selbst bald vor der Me­cha­tro­ni­ker­prüfung. Das Problem wird innerhalb kürzester Zeit gefunden und be­hoben werden. Maruan braucht die Karre dem­nächst nur noch ab­zu­holen.

Beim zweiten langen Telefonat sitze ich eingeklemmt in ein Mehrpersonenabteil, am Gang schläft einer, gegenüber stillt eine Mutter ihr Kind. Es ist Freitag. Auf vielen deut­schen Straßen demonstrieren die Fridays for future-Jugendlichen. Bahnfahrer sind oft umweltbewusst Reisende, wenn sie sich den Luxus einer teuren Bahn­fahrt leisten und die oft spott­bil­li­gen An­ge­bots­flüge sau­sen lassen.

Seit einiger Zeit kennen wir das Wort "Flugscham" (vom Schwedischen Flugskam). Ich em­pfinde hier "Autoscham". Denn natürlich muss ich beim Tele­fonat den Wa­gen­typ ansagen, Jeep, das Baujahr, mittelprächtig neu, und die Art des Antriebs, Diesel­motor. Die Blicke der Mitrei­senden sprechen Bände. Ja, Autoscham. "Ein Kunde", sage ich entschuldigend und drücke noch mein Bedauern über eventuelle Be­ein­träch­ti­gungen nämlicher Mitrei­senden durch mein Telefonat aus. Das macht aber die Sache aber auch nicht besser.

Maruan heute beim Mittag­essen: "Im August sollten wir das Auto ver­kaufen! Ich will es so schnell wie möglich los­werden!" Jetzt hätte ich gerne mein über­raschtes Ge­sicht gesehen. Der hat sich aber schnell ak­kli­mati­siert! Berlin halt.


Vokabelnotizen
écoresponsable — umweltbewusst
interrupteur — Schalter
faux-contact — Wackelkontakt
boîtier — Kästchen, Gehäuse
compresseur frigorifique — Kühlkompressor

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv!!)

Mittwoch, 17. Juli 2019

Dolmetschen bei der Polizei

Seit mehr als zwölf Jahren beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Spra­che ... und mit Eng­li­sch als Ausgangssprache. Manchmal arbeiten wir für die Be­hör­den, für Polizei und Justiz.

Die Berliner Morgenpost hat gestern einen Beitrag über die Berliner Polizei und andere Behörden gebracht, die Dolmetscherinnen und Dolmetscher ein­set­zen.
Journalist Alexander Dinger nennt die Ausgaben dafür an erster Stelle — 36 Mio. Euro für Sprachdienstleistungen seit 2014 allein bei der Polizei. Die­ser Eingangs­focus ist nicht un­kri­tisch, Leser könnten argwöhnen, dass dies zu viel sei. Aber Aus­ga­ben der Behörden sind zugleich Ein­nah­men von Berlinern, die in Konsum und Dienst­leis­tungen, aber auch in Steu­ern flie­ßen.

Au­ßer­dem liegt die Summe des Gezahl­ten unter dem Wert des Erhaltenen. Be­rich­tet wird näm­lich über die hohen Schwan­kun­gen bei den Dolmet­scherhonoraren in den Be­rei­chen Justiz und Polizei und darüber, dass diese Preise un­ter­halb dessen liegen, was am freien Markt üblich ist.

Justiz, Polizei und Wirtschaft werden erwähnt, eng damit verzahnt ist die Verwal­tung. Hier ist die Lage oft noch viel dramatischer. Ich erinnere mich daran, bei einem deutsch-fran­zö­si­schen Paar im Jugend­amt nach Justiz­vergütungs- und Ent­schä­di­gungs­ge­setz (JVEG) ab­rech­nen gedurft zu haben, also 75 Euro pro Stun­de, und weniger als 15 Euro Stunden­satz für die Ver­dol­met­schung einer un­be­glei­teten Ju­gend­li­chen, die geflüchtet war.

Außerdem berichtet der Beitrag über Eng­pässe in seltenen Sprachen.

______________________________  
Illustration: Berliner Morgenpost

Dienstag, 16. Juli 2019

Notarzt ...

Bonjour und hel­lo und gu­ten Tag! Was Dol­­met­­scher und Über­setzer so alles er­le­ben, können Sie hier mitlesen. Wir ar­bei­ten als Team über­wie­gend in Ber­lin, aber auch in Pa­ris, Mün­chen, Cannes und dort, wo man uns braucht. Dabei reise ich meis­tens mit dem Zug. Sogar lan­ge Stre­cken.

"Wir unterbrechen die Fahrt. Grund: Notarzt im Gleis!" ist keine schöne Zugansage. Vielfahrer wissen, was das bedeutet, haben es wiederholt erlebt.

Viel Rot bei den Fahrzeugen vor dem Zugfenster
Polizei, Feuerwehr, Notarzt, Busunternehmen ...
Für alle Beteiligten folgt eine mehrstündige Unterbrechung. Alle sind bestürzt.

Die Passagiere sprechen mit leisen Stimmen, passen auf­ein­an­der auf, fragen, bieten Hil­fe an, einige besorgen Trink­was­ser, ver­sor­gen alle, die es brauchen. So schreck­lich der Anlass ist, so be­ru­hi­gend ist dieser zwi­schen­mensch­liche Umgang.

Für mich als Dolmetscherin führen solche Anlässe dazu, dass mein Fahrverhalten sich immer mehr ändert. Denn uns Dolmetschern geht es wie Dozenten, Profs oder Referenten: Es fällt auf, wenn wir fehlen.

Als Vielfah­rerin kann ich sagen: Jede dritte von mir gebuchte Fahrt verläuft nicht problem­los, wobei ein nicht aufgefüllter Wasser­tank im Speisewagen noch das kleinste Übel ist. (Dann gibt es eben keine Heiß­getränke und keine Speisen.)

Bin ich vor fünf Jahren immer einen, zwei Züge früher gefahren, wenn ich zu ei­nem berufs­bedingten Ein­satz gereist bin, nehme ich jetzt vier bis fünf Züge früher, denn in der Regel gehen die Verspätungen zum Glück nur auf technische Störungen zurück. Mit dem Ergebnis, dass ich manch­mal schon am Vorabend un­ter­wegs bin, selbst wenn eine Tagung erst um 11.00 Uhr beginnt. Liebe Kunden, bitte eine Hotelnacht ein­pla­nen. Danke.

In der Schweiz kommt es nur in den al­ler­sel­tens­ten Fällen zu Verspätungen. Die Schweiz ist ei­sen­bahn­technisch ohnehin ein Vorbild. Deren Bahn­card, "das Halb­tax", kostet nur 185 Franken, das entspricht 169,90 Euro, und 165 Franken (151,53 Euro) ab dem zwei­­ten Jahr. Aufgrund des höheren Einkom­mens­niveaus der Schwei­zer müssen wir das noch herunter­rechnen, wenn wir es mit deut­schen Preisen ver­gleichen möch­ten. Die deutsche Bahncard 50 liegt derzeit bei 255 Euro. Ein Drama, wie unat­traktiv der Staatsbetrieb sich macht.


Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person Selbstmordgedanken hegen, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge: 0800 111 0 111.
______________________________  
Foto: C.E.

Montag, 15. Juli 2019

Gegenwind

Gu­ten Tag! Sie sind mit­­ten in ein Ar­­beits­­ta­­ge­­buch rein­­ge­­ra­­ten, in dem sich al­les um Spra­­chen, Dol­­met­­scher, Über­­setzer und Kult­­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Dol­met­scherin und Über­set­zerin ar­bei­te ich in Cannes, Schwe­rin, Pa­ris, Berlin, Brüs­sel und gerne dort, wo Sie mich brau­chen! 

Dachwurz, Mini-Gewächshaus mit Thymiansaat, Pflücksalat
... und auf unserem Balkon eine Miniaturausgabe
In der Wüste Arizona steht ein riesen­gro­ßes Gewächs­haus. In diesem haben Forscher vor Jahr­zehn­ten ver­sucht, die Bio­sphäre der Welt zu re­kons­tru­ie­ren, mit Was­ser­kreis­lauf, ei­ge­ner Lebensmittel­pro­duk­tion, mensch­li­chen Be­woh­nern, den Wis­sen­schaft­lern, und Energie­pro­duk­tion. Ziel war die Au­tar­kie von "Bio­sphe­re 2". Das Pro­jekt wur­de nach kur­zer Zeit ab­ge­bro­chen.

Der Wasser­kreislauf hatte nicht funktio­niert und viele Pflanzen wuchsen nicht rich­tig. Bäume schossen eine Weile in die Höhe, dann bogen sie sich nach unten. Erst später haben die Beteilig­ten begriffen: Ihnen hatte der Wind gefehlt.

Heute werden Basilikum­blätter im Gewächs­haus hundertfach von Maschinen ge­strei­chelt, um Wind zu simulieren. Nur dann wachsen sie buschig und bilden große Blätter.

Wir Men­schen brauchen zur Ent­wick­lung auch Ge­gen­wind und Druck. Dabei kommt es auf das richtige Maß an. Wenn es zu viel wird, hilft der Gedanke, dass Dia­man­ten nicht ent­ste­hen kön­nen ohne die­sen Druck. Und ein schwe­disches Sprichwort weiß: "Es ist der Ge­gen­wind, der die Dra­chen steigen lässt!"

______________________________  
Foto: C.E.

Sonntag, 14. Juli 2019

Blitze

Mein 13. Jahr in die­sem Blog ist das ver­flix­te drei­zehn­te Jahr. Ich schreibe hier über Sprachen, Dolmetschen, Übersetzen, Kulturen, immer aus meinem Alltag, dem einer Übersetzerin und Dolmetscherin. Kunden und Freunden helfe ich mit Französisch weiter, immmer öfter arbeite ich aus dem Englischen. Ar­beits­schwer­punk­te sind ak­tu­elle Po­li­tik, Wirt­schaft, Kul­tur und Kul­tur­wirtschaft, Wis­sen­schaft, Landbau und Öko­land­bau, Archi­tektur, Innen­architektur und Urbanismus, Ge­schichte und Stadt­geschichte und etliche Bereiche mehr. Sonntagsbild!

Vier Aufnahmen ein- und desselben Hauses in einer Gewitternacht
Blitze
Und manch­mal kommt eben mehr Privat­le­ben als üblich dazwischen. Wie der­zeit. Das Le­ben sei, was da­zwi­schen komme, wäh­rend wir Plä­ne ma­chen, hat mal je­mand gesagt.

Dieses Mal mit voller Breitseite: Neue Lie­ben, neues Leben und Krank­heit in der Fa­mi­lie.

Ich schreibe weiter, oft sogar mehr als eine kurze Notiz. Schreiben selbst geht schnell. Ich denke mit den Fingern.

Meistens fehlt mir aber die Zeit für das Edi­ting, das Gegen­lesen, Ver­bes­sern oder Ver­werfen, die abschlie­ßende Feh­ler­kor­rek­tur sowie das Trennzeichensetzen. Mal sehen, wie sich das auf den Blog auswirken wird.

Ich hoffe auf Geistesblitze. Über genügend Erdung verfüge ich. Und ich weiß, dass Blitze sich immer von unten nach oben entladen. Vielleicht entwickele ich sogar noch einen Stenogrammstil mit weiterführenden Links.

______________________________
Fotos: C.E.