Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mitten in ein
Arbeitstagebuch hineingeraten, in dem sich alles um Sprache,
Dolmetschen, Übersetzen und Kulturen dreht. Als freiberufliche
Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Berlin, München, Cannes und
dort, wo Sie mich brauchen.
Ein Termin im Ministerium. Eine französische Staatssekretärin hat Termine in Berlin, ich begleite sie; das deutsche Ministerium stellt eine zweite Dolmetscherkollegin, die dort festangestellt ist. Eine Referentin trägt unseren "Flüsterkoffer", in dem sich Mikrofon und mehrere Kopfhörer mit Empfängern befinden. Die festangestellte Kollegin blickt kurz auf den Koffer und stellt sofort klar: "Wir machen das konsekutiv!"
Hintergrund ist, dass die festangestellten Kollegen scharf darauf achten, simultan nur aus der Kabine heraus zu arbeiten. Die so bequeme Flüsteranlage, die wir Freiberuflerinnen bei mobilen Einsätzen gewöhnt sind, mit der wir uns aber noch mehr konzentrieren müssen also sonst ohnehin schon, kommt bei den Kolleginnen und Kollegen der Institutionen nicht gut an.
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Diplomatisches Frühstück |
Für mich ist nach fast zwei Tagen Simultandolmetschen der Gedanke an eine Umstellung Stress pur. Ich visualisiere oft meine Termine vorab, um mich gegen Lampenfieber zu wappnen; konsekutiv hatte ich nicht 'vorbereitet'. Außerdem weiß ich, wann das Regierungsflugzeug zurück nach Paris geht und wie wenig Gesprächszeit uns das mit konsekutivem Dolmetschen lassen würde.
Ich sage hier "uns". Ja, ich bin deutlich stärker "drin" im Einsatz als die Kollegin, denn was für sie anderthalb Stunden geht, dauert bei mir einfach schon deutlich länger. Ich handele einen Kompromiss aus: Die Flüsterkiste bleibt zu, sie dolmetscht konsekutiv, ich darf simultan flüstern, alle sind happy.
Wir arbeiten hochprofessionell zusammen, es macht Spaß. Den Namen der Kollegin werde ich mir merken.
Dieser Einsatz wurde so zum entspannteren Teil der Tage. Vorher standen auf dem Programm: Parlamentarierfrühstück, Mitglieder eines Auschusses treffen, Mittagessen mit Medienvertretern, Hintergrundgespräche mit Staatssekretären der deutschen Partnerressorts an Tag eins sowie diplomatisches Frühstück, Hintergrundgespräche mit Oppositionspolitikern und ihren Stäben, Eröffnung einer Veranstaltung, Diskussionsteilnahme des ausländischen Gasts, kurze Pause im Café, ein Interview, abschließendes Strategiegespräch in der Botschaft an Tag zwei. Gefolgt von besagtem Ministeriumstermin.
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Flüsterkoffer |
Die Punkte wurden Schlag auf Schlag abgearbeitet. Für die Veranstaltung von Tag zwei wurde noch eine Kollegin für die Kabine hinzugebucht, schon am ersten Tag wäre eine Kollegin prima gewesen, der Flüsterkoffer hätte am zweiten Tag sicher auch noch gute Dienste geleistet.
Schwierig ist es immer dann, wenn anstelle von Konsekutivdolmetschen eigentlich semikonsekutives Simultandolmetschen erwartet wird, wenn die Grenzen verschwimmen zwischen dem Notizen-machen-und-seine-eigene-Sprechzeit-haben und dem Kaum-Notizen-machen-dafür-fast-zeitgleich-sprechen. Im Ministerium muss indes alles zitierfähig sein.
Das strengt doppelt an, denn ich muss noch aufmerksamer zuhören als sonst, habe aber nur meine zwei Ohren. Im Duo sind wir zu zweit, die Kollegin schreibt dann für mich Zahlen und Namen auf oder prüft kurz einen Begriff, bei dem ich vielleicht unsicher bin.
Ein Hoch also auf die Ko-Kabine, wie unsereiner die Kollegin oder den Kollegen nennt, auch dann, wenn wir gar keine Kabinenwände um uns herum haben, also für alle Dolmetsch"formate": simultan, konsekutiv oder halb simultanes, halb konsekutives Flüsterdolmetschen.
P.S.: Heute in der Nachbereitung versuche ich für meine eigenen Vokabellisten einige Begriffe zu rekonstruieren, denn nach dem Einsatz ist immer vor dem Einsatz. Die Dolmetschkofferträgerin bedankt sich schriftlich bei uns und mir und antwortet auf meine Bitte, einige Gesprächsnotizen der Solo-Momente von ihr zur Nachbereitung zu erhalten, dass diese leider Verschlusssachen seien, sie diese nicht einmal auszugsweise herausgeben dürfe. Womit noch ein Aspekt geklärt sei: Die zweite Dolmetscher ist auch wichtig für die linguistische Dokumentationsarbeit, die auch immer zu den Einsätzen gehört.
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Fotos: C.E. (Archiv)