Dienstag, 19. Juni 2018

Geiseln

Was Dol­met­scher und Über­setzer so er­le­ben kön­nen, be­schrei­be ich hier in loser Folge. Ich arbeite mit den Sprachen Deutsch, Französisch (Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Engl­isch (nur Ausgangssprache) in Marseille, München, Cannes, Berlin, Paris und dort, wo meine Kunden mich brauchen.

"Was meinst du mit Geiseln, Liebling?" Die Stimme der Oma klingt leicht ver­zwei­felt, als sie die Frage zum dritten Mal wiederholt. Wir sind in einer Eisdiele: Am Fenster sitzt ein gut Drei­jäh­ri­ger auf einem Bar­hocker und blättert in der Zeitung, die dort auf Steh­tischen ausliegt. Kann der Kleine etwa schon lesen?

Darauf der kleine Mann: "Schoko mit Geiseln!"

Eistheke mit Kinderhand und -Rücken
Eistheke mit Kind und ohne Bindestriche
Die hier berichtende Dol­met­sche­rin, eben aus der Ka­bi­ne ge­pur­zelt, hat die Szene nur aus den Au­gen­winkeln mit­be­kom­men. "Er meint 'Streusel'", sagt sie in Rich­tung der Groß­mutter und geht weiter.

Diese tritt nun auch an die Theke he­ran: "Woher wissen Sie das? Wer sind Sie?" Die Antwort kommt so spontan, wie so man­che Wortfindung in der Kabine, schnell, kon­text­be­zo­gen: "Ich bin Dol­met­sche­rin, gnädige Frau!"

(... und ich muss grinsen, weil "Kleinkind­deutsch" hatte ich bislang noch nicht in der Liste meiner Fremd­spra­chen.)

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Foto: C.E.

Montag, 18. Juni 2018

Einstellung/Anstellung

Bonjour, hier bloggt eine Fran­zö­sisch­­dol­­met­sche­rin und -über­setzerin. Dol­­met­scher und Über­setzer übertragen münd­lich und/oder sinn­­getreu, sie pla­nen Rei­sen, machen Buch­­­haltung und helfen Kol­­le­gen beim Bü­ro­­ma­­na­­ge­ment, sie müssen sehr viel le­sen und sind selten festangestellt.

Reisende am Flughafen, hochkonzentriert
So sieht es oft aus, wenn Freiberufler reisen
Das Wort „Einstellung“ bezeichnet auch den Vorgang, le recrutement. Danach ist man angestellt, eine Ange­stellte oder ein Angestellter. Für die Einstellung in man­chen Unterneh­men braucht es manch­mal die richtige Einstellung, la conviction.
Es sind schon Angestellte wegen der fal­schen Einstel­lung geflogen (die ka­tho­li­sche Kirche hat jahrzehntelang keine Atheisten eingestellt.) Und wer sich zu sehr anstellt bei der Einstellung, der wird sowieso nicht eingestellt.

"Bei Films" ist der Begriff Einstellung die Kurzform von Einstellungsgröße, also der Größe, mit der das zu Filmende auf­ge­nom­men wird.

Und obacht, das zu Film­ende ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Film-Ende. Indes hier und heute: Ende. Aber nur für einige Tage, bald geht‘s weiter mit Be­rich­ten aus Werk­statt und Garten (sofern der Mit­be­woh­ner die Pflan­zen nicht vertrocknen lässt.)

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Foto: privat (Archiv)

Freitag, 15. Juni 2018

Das lyrische Übersetzerinnen-Ich

Was Über­­setzer und Dol­met­scher beschäf­tigt, können Sie hier seit ei­ni­gen Jah­ren mitlesen. Heute übertrage ich eine be­sondere Textform: Lyrik. An­schlie­ßend fol­gen Un­ter­ti­tel und zu übersetzendes Trans­krip­tions­ma­te­rial. Das ist ein typisches Frei­be­ruf­ler­los, wenn Fest­an­ge­stell­ten am Freitag auffällt, was ihnen noch fehlt, welche Auf­trä­ge sie noch ver­ge­ben müs­sen. Das Wo­chen­en­de kann ich dann wohl ver­ges­sen.

Altes Schwarz-Weiß-Bild: Telefon, Kuchen und Tee, gute Laune im Büro
Casual Friday, entspannter Bürofreitag
Lyrik ist meist schön: Es werden Wor­te verwendet, die Konkretes evo­zie­ren, das aber zugleich wieder so un­kon­kret ist, dass jeder Leser oder Hö­rer seine eig­e­nen Bilder im Kopf da­zu hat. Lyrik wirkt hoch­kon­­zen­triert, ähnlich wie Nescafépulver, das hoch­kon­zentriert und trocken ist und mit heißem Wasser aufge­gossen wer­den muss, um sein vol­les Aroma zu ent­fal­ten.

Lyrik verbindet mit Kon­fe­renz­bei­trä­gen und Nescafé diese Dichtheit und dass sie voll beladen sind mit Inhalts­stoffen, die für jene Sinn ergeben, die sie zu de­chiff­­rieren verstehen.

Oder eben heißes Wasser. Nein, ich habe jetzt nicht "heiße Luft" gesagt.

Ich liebe meine Arbeit. Der ständige Wechsel ist die größte Herausforderung. Zwi­schen­durch schreibe ich sehr ger­ne bei Be­darf auch noch für Sie ei­nen Kos­ten­vor­an­schlag.

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Foto: eigenes Archiv

Donnerstag, 14. Juni 2018

Es geschah: nichts!

Willkommen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Ich be­rich­te hier über meinen Berufsalltag. Machmal geschieht nichts. Gar nichts, so wie heute.

Spätbiedermeierstuhl in der Sonne, beladen mit Päckchen
Stillleben 2018
... und dann war da noch der Tag, an dem die Dolmetscherin auswärts genächtigt hatte und auf der Fahrt ins Home office in einen Unfall verwickelt worden ist, zum Glück selbst ohne jeglichen Schaden zu nehmen, und einer der aktiv Un­fall­be­tei­lig­ten nur Französisch sprach. Kurz danach finden sich beide deshalb in der Not­auf­nah­me des nächst­ge­le­ge­nen Kranken­hau­ses wieder.

Zum Glück hatte nur Lernen auf dem Pro­gramm gestanden, das Auswerten von drei Tages­zeitungen, das Abhören zweier Pod­casts — und vor dieser Sprach­arbeit etwas Buch­hal­tung und die Er­stel­lung zweier Kos­ten­vor­an­schläge.

Und dann fiel noch das an: Aus drei Probeaufnahmen für das Sprechen eines Fern­seh­film­kom­mentars die beste auswählen und in den Schnittraum senden. Dem Pa­ket­boten die Tür aufmachen und ihm ent­ge­gen­kommen: "Gehen in Hof, vieles Paket." (Ich komme mit ihm ins Gespräch, er stammt aus Syrien und lebt seit 2015 in Deutsch­land.) Später einem anderen Menschen die Ein­gangs­tür aufmachen: "Ich bin der Flaschenmann, könnten Sie mir bitte ...?!" Das Wort "Flaschenmann" kenne ich nicht, ich frage nach. Er: "Ich komme doch einmal die Woche zu Ihnen und se­he nach Pfand­flaschen!" (Hm, ach so, wusste ich nicht. Ich schaue zur Si­cher­heit kurz runter. Aus dem Hof sind wiederholt Räder geklaut worden. In der Tat klappern danach die Müll­eimer­deckel und Flaschen klirren, er trägt kurz darauf einen nicht mehr ganz leeren Beutel durch den Hof, ohne einen Blick auf den Fuhrpark zu ver­schwenden.)

Am späteren Nachmittag Teetrinken mit einer Englisch-Kollegin. Wir sprechen über kuriose Kunden. Ich habe seit einiger Zeit ein Smartphone, sonst wäre das Fol­­gen­de nicht möglich gewesen: Im Krankenhausflur hatte ich am Morgen per Ein­zei­ler­ant­wortmail meine Bereitschaft sig­na­li­siert, ab vier Uhr desselben Tages bei einer Firmenübernahme aus dem Bausektor Französisch<>Deutsch zu dol­met­schen, dann vom potentiellen Kunden nichts mehr gehört.

Zurück im Büro war eine Nachricht von ihm in der Mailbox, ja, er suche noch. Ich schrieb etwas à la Senden Sie mir bitte den Vertrag, damit ich den Umfang er­ken­nen und Ihnen ein Angebot senden kann. Und vielleicht sollten wir kurz te­le­fo­nie­ren?

Darauf Funkstille.

Die Englisch­kollegin war am fortge­schrittenen Nach­mittag von eben diesem Kun­den angerufen worden. Er meinte, sie müsse als beglaubigte Übersetzerin ja nur vor­le­sen, was er mit Google-Translate schon "über­setzt" habe, ins Englische üb­ri­gens, das könne er ja gut und sein Geschäfts­partner ei­ni­ger­maßen, die Über­setzung sei fehlerfrei.

In seinen Augen zumindest. Die Kollegin hat das Dokument gesehen, es ging um eine Verkaufs­summe von knapp fünf Mil­lio­nen Euro. Natürlich konnte und wollte ihm auch die Englischkollegin ange­sichts des lukrativen Angebots, er wollte 100 Euro fürs "Vorlesen" zahlen, nicht helfen.

Und in der Mail am Mor­gen hatte gestanden, er suche jemanden, da ihm seine Dol­met­­sche­rin kurz­fris­tig abgesagt habe. Ich fürchte, hier hatte die Büro­lei­tung ge­bucht und er hat es selbst ab­­ge­­sagt wegen des Preises. Denn wer von uns Sprach­­ar­­bei­­tern sagt schon einen Ter­­min ab, ohne Ersatz zu stellen?

Mit der Zeit übe ich mich in vor­aus­ei­len­der Scha­den­freude: Möge der Ver­kaufs­ter­min platzen oder der Kauf­vertrag nach­her vor Gericht angefochten werden, weil die Sprach­­ar­­beit nicht geklappt hat. Ist das zu böse oder OK?

Und wäh­rend hier weiter nichts ge­schieht, spiele ich Pa­­ket­­­la­ger und wer­de lau­fend von Nachbarn raus­­ge­­rissen aus der Sprach­arbeit, die ihre Pakete ab­ho­len kommen.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 13. Juni 2018

Dandelion

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­­ta­­ge­buch hin­ein­­ge­­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­­che, Dol­­met­schen, Über­­setzen und Kul­t­uren dreht. Als frei­­be­­ruf­­li­che Sprach­­mitt­­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Ber­lin, Toulouse, Frank­furt und dort, wo Sie mich brauchen. Sprach­ar­beiter sam­meln Wörter wie an­dere Match­box­autos, Gemälde oder Schmetterlinge.

Eiffelturmspitze, Blätter, Blüten, Verblühtes, Vogel
Balkonimpressionen
Frühstück auf dem Balkon, dann weiter­lernen. Es ist nach gefühlt zwei Monaten endlich etwas kühler in Berlin und Um­ge­bung. Ich sage das nicht für mich, ich mag Tem­pe­ra­tu­ren ab 26° Celsius, aber für die leidenden Mit­men­schen. Regnen könnte es mal wieder, sagen die Bau­ern.
Den Kopf habe ich in Ge­dan­ken, halb im Traum, halb in der Zei­tung. Zwi­­schen­durch wässere ich Pflan­zen. Die To­maten brau­chen viel.

Später sitze ich am Schreib­tisch. Beim Aufwachen hatte ich BBC gehört. Das Wort dan­de­lion spukt mir im Kopf herum. Ich finde, es klingt wie eine tau­melnde Hum­mel. Ich schlage nach. Be­deu­tet es aber nicht, sondern Puste­blume. Wo habe ich eine sol­che letztens mal ge­se­hen? Es scheint ganz nah ...

Das Unter­bewuss­tsein schläft nie. Wir nehmen nur einen Bruch­teil des­sen wahr, was uns um­gibt. Und bei allem, was das Dol­metscher­hirn sieht oder hört, fragt es sich, ob es das in den ver­schie­de­nen Spra­chen ausdrücken kann.

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Fotos: C.E.

Dienstag, 12. Juni 2018

Gute, faire Arbeit

Will­­kom­­men auf den Sei­ten mei­­nes digi­talen Arbeits­­ta­­gebuchs. Hier dreht sich alles um Spra­­chen, Kul­­turen und das Ver­­mit­teln zwi­schen den­­selben. Mein Dol­met­­scher­­be­­ruf besteht aus mehr als aus münd­li­chem Übertragen, ich muss mei­ne Kun­den gut ken­nen­ler­nen, um ihre Worte richtig interpre­tieren zu können. Das setze ich immer wieder ins Verhält­nis mit der Welt­po­litik, für die ich auch dol­met­sche.

Draufsicht: Tasse, Teller, Kaffee, Aprikosenmarmelade
One orange dot
Neu­lich kamen wir am Rande einer zwei­tä­gi­gen Kon­fe­renz außer­halb der Stadt ins Ge­spräch, wir Dol­met­scher und etliche Teil­neh­mer, die un­ter 40 waren. Jene nannten sich ausnahmslos selbst Post­ma­te­rialis­ten, wollten gar keine bril­lante Karriere ma­chen, sondern genug Geld für sich und Kin­der ver­dienen, vor allem genug Zeit fürs Pri­vate haben.

Das ist ver­gli­chen mit den Vor­gän­ger­ge­ne­ra­tio­nen ein echter Pa­ra­dig­men­wechsel, den viele Perso­nal­chefs be­stä­tigen, die ihre Ar­beits­platz­an­gebote de­ment­spre­chend ausrichten müssen, wenn sie über­haupt noch Per­sonal finden möchten.

Kurz: Diese Ge­ne­ration wünscht mehr Zeit fürs We­sent­li­che, Bil­dung und Selbst­bil­dung, we­niger Kon­sum"ge­lum­pe", ins­ge­samt weniger Konsum­güter, dafür von bes­ter Qua­li­tät; sie wird selbst aktiv, nutzt Fahr­räder, Bahn, Re­pair Cafés, in de­nen Sa­chen selbst wieder her­ge­rich­tet werden können; außer­dem standen En­ga­ge­ment in den Be­rei­chen Umweltschutz, Zi­vil­ge­sell­schaft und Kultur bei al­len Ge­sprächs­part­nern hoch im Kurs.

Ebenso fiel mir eine hohe Acht­sam­keit (auf Neudeutsch Awareness) auf, was die Un­ge­rech­tig­kei­ten dieser Welt angeht. "Gut, fair und oh­ne Kin­der­ar­beit her­ge­stellt" ist als Label noch un­terschätzt. Wobei sich im glei­­chen Atem­zug alle auch gegen "Green­wa­shing" und "Fair­wa­shing" geäußert haben, al­les Begriffe, die auf dem Wort "Rein­wa­schen" fußen.

Heute ist der "Tag gegen Kinder­arbeit", mein Lese- oder Hör­tip führt zum DLF und zu einem Beitrag von Dietrich Karl Mäurer (aus der heu­ti­gen Sendung "Um­welt und Ver­brau­cher").

Ebenso im Deutschlandfunk, allerdings in der Sendung "Corso": Ein Gespräch mit Ku­ra­to­rin Angelika Kaiser-Lahme über die Ausstellung "Tradition Raiffeisen: Wirt­schaft neu Denken" und die Ge­nos­sen­schafts­idee, die seit zwei Jahren sogar UNESCO-Welt­kul­tur­er­be ist. Im Interview werden auch Themen wie Ge­mein­wohl­öko­no­mie und "Commons" gestreift, die Wie­der­ent­deckung der All­mende. Das geht alles in die­sel­be Rich­tung wie die Gespräche am Rand des Kongresses. Hier noch der Link zur Ausstellung auf der Festung Eh­ren­breit­stein.

Jetzt brauche ich nur noch einen Dolmetsch­ein­satz in Koblenz plus einen Tag dort extra. Für uns Übersetzer und Dolmetscher bedeutet faire Arbeit übrigens, dass niemand, der nicht direkt an der Arbeit beteiligt ist, (über Gebühr) mitverdient. Die Discounter unserer Branche sind die Agenturen mit klingenden Namen, die am bes­ten noch in jeder Stadt ihre Franchise-Niederlassung haben. Sie treten wie Mak­ler auf, haben mit der Spracharbeit oft nichts zu tun. Hier wandert ein großer Anteil des vom Kunden gezahlten Honorars in Werbung und die Anmietung re­prä­sen­ta­ti­ver Büroräume.
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Draufsicht: Möhren, Mörser, schwarzer Pfeffer
Many black dots
Der Premiummarkt sind Frei­be­ruf­ler, unabhängige Dol­met­scher, die oft in in­for­mel­len Netzwerken zu­sam­men­ge­schlos­sen sind.

(Ach­tung, man­che Agen­tu­ren treten inzwi­schen im Gewand von Netz­wer­ken auf. Nach­fra­gen hilft, der Grad der Trans­pa­renz ist ent­schei­dend, der sich übri­gens auch in Ver­trä­gen fest­legen lässt.)

Nur eines ist sicher, bezahlte Kinderarbeit gibt es in der Sprachbranche nicht, nur oft Kinder aus der Migration, die für ihre eigenen Eltern "übertragen" müssen. Das aber ist ein anderes Thema.

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Fotos: Küchenserie, C.E.

Montag, 11. Juni 2018

Semikonsekutives Simultandolmetschen

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­­ta­­ge­buch hinein­­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­­schen, Über­­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, München, Cannes und dort, wo Sie mich brauchen.

Ein Termin im Ministerium. Eine französische Staats­sekre­tä­rin hat Termine in Ber­lin, ich begleite sie; das deutsche Ministerium stellt eine zweite Dol­met­scher­kol­le­gin, die dort fest­ange­stellt ist. Eine Referentin trägt unseren "Flüsterkoffer", in dem sich Mikrofon und mehrere Kopf­hörer mit Empfängern befinden. Die fest­an­ge­stellte Kollegin blickt kurz auf den Koffer und stellt sofort klar: "Wir machen das konsekutiv!"

Hintergrund ist, dass die festangestellten Kollegen scharf darauf achten, si­mul­tan nur aus der Kabine heraus zu arbeiten. Die so bequeme Flüsteranlage, die wir Frei­be­ruf­le­rinnen bei mobilen Ein­sätzen gewöhnt sind, mit der wir uns aber noch mehr konzentrieren müssen also sonst ohnehin schon, kommt bei den Kol­leginnen und Kol­legen der Insti­tu­tionen nicht gut an.

Diplomatisches Frühstück
Für mich ist nach fast zwei Ta­gen Si­mul­tan­dol­met­schen der Gedanke an eine Umstel­lung Stress pur. Ich visua­li­siere oft meine Ter­mi­n­e vorab, um mich gegen Lam­pen­fie­ber zu wappnen; konsekutiv hatte ich nicht 'vor­be­rei­tet'. Außerdem weiß ich, wann das Re­gie­rungs­flugzeug zurück nach Paris geht und wie wenig Gesprächszeit uns das mit konse­­ku­tivem Dolmetschen lassen wür­de.

Ich sage hier "uns". Ja, ich bin deutlich stär­ker "drin" im Einsatz als die Kol­legin, denn was für sie ander­thalb Stun­den geht, dauert bei mir einfach schon deut­lich län­ger. Ich han­de­le einen Kom­pro­miss aus: Die Flüster­kiste bleibt zu, sie dolmetscht konsekutiv, ich darf si­mul­tan flüstern, alle sind happy.

Wir arbeiten hoch­pro­fes­sionell zusammen, es macht Spaß. Den Namen der Kollegin werde ich mir merken.

Dieser Einsatz wurde so zum entspann­teren Teil der Tage. Vorher standen auf dem Programm: Par­la­men­tarier­früh­stück, Mitglieder eines Auschusses treffen, Mit­tag­es­sen mit Medienvertretern, Hin­ter­grund­gespräche mit Staats­se­kre­tären der deut­schen Partner­ressorts an Tag eins sowie diplomatisches Frühstück, Hin­ter­grund­ge­sprä­che mit Oppo­sitions­politikern und ihren Stäben, Eröffnung einer Veranstaltung, Dis­kus­sions­teil­nah­me des auslän­dischen Gasts, kurze Pause im Café, ein Interview, abschließendes Strategiegespräch in der Botschaft an Tag zwei. Gefolgt von be­sag­tem Mi­nis­te­riums­ter­min.

Dolmetscherkoffer oder mobile Anlage, Draufsicht
Flüsterkoffer
Die Punk­te wur­den Schlag auf Schlag ab­ge­­ar­bei­tet. Für die Veranstaltung von Tag zwei wurde noch eine Kollegin für die Kabine hinzugebucht, schon am ersten Tag wäre eine Kol­le­gin prima ge­wesen, der Flüs­ter­kof­fer hätte am zweiten Tag sicher auch noch gute Dienste geleistet.

Schwierig ist es immer dann, wenn an­stel­le von Konse­ku­tiv­dolmetschen eigentlich se­mi­kon­­se­ku­ti­ves Simultan­dol­metschen erwartet wird, wenn die Gren­zen ver­schwim­men zwischen dem No­ti­zen-ma­chen-und-sei­ne-ei­ge­ne-Sprech­­zeit-ha­ben und dem Kaum-No­ti­zen-ma­chen-da­für-fast-zeit­­gleich-spre­chen. Im Ministerium muss indes alles zitierfähig sein.

Das strengt doppelt an, denn ich muss noch auf­merk­sa­mer zuhören als sonst, habe aber nur mei­ne zwei Ohren. Im Duo sind wir zu zweit, die Kol­legin schreibt dann für mich Zah­len und Na­men auf­ oder prüft kurz einen Be­griff, bei dem ich viel­leicht un­si­cher bin.

Ein Hoch also auf die Ko-Kabine, wie un­ser­einer die Kollegin oder den Kol­legen nennt, auch dann, wenn wir gar keine Kabi­nen­wände um uns herum haben, also für alle Dol­metsch­"formate": simul­tan, kon­sekutiv oder halb simultanes, halb kon­se­ku­ti­ves Flüster­dolmet­schen.


P.S.: Heute in der Nach­be­rei­tung ver­suche ich für mei­ne ei­ge­nen Vo­kabel­lis­ten ei­ni­ge Be­grif­fe zu re­kons­tru­ie­ren, denn nach dem Ein­satz ist immer vor dem Ein­satz. Die Dol­metsch­kof­fer­trä­gerin bedankt sich schrift­lich bei uns und mir und antwortet auf meine Bitte, einige Gesprächsnotizen der Solo-Mo­men­te von ihr zur Nach­berei­tung zu erhalten, dass diese leider Verschluss­sachen seien, sie diese nicht einmal aus­zugs­weise heraus­geben dürfe. Womit noch ein Aspekt geklärt sei: Die zweite Dol­metscher ist auch wichtig für die lin­guis­ti­sche Do­ku­men­ta­tions­ar­beit, die auch immer zu den Einsätzen gehört.

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Fotos: C.E. (Archiv)

Sonntag, 10. Juni 2018

Grüner Daumen

Was Über­set­zer und Dol­metscher be­schäf­tigt, können Sie hier mit­lesen. Seit vie­len Jahren be­richte ich über den Beruf und meinen sprach­be­tonten Alltag. Sonntags wer­de ich privat: Sonntags­fotos!
 
Zwischen den berufs­be­dingten und pri­va­ten Reisen, den Ein­sätzen in Politik, Wirt­schaft und Kul­tur ist ei­nes im­mer sehr wichtig: der Aus­gleich. Familie, Sport, Li­te­ra­tur, Hobbies ... darunter der Garten. Und seit ich oft für nach­hal­tige Land­wirt­schaft gedol­metscht habe, arbeite ich noch bewusster in unserem Hof­ga­rten.

Kleines Pflänzchen
Junge Pflanze
Kind packt Pflanze aus
Junge Gärtnerin


Muscheln und das "Venengerüst" einer Physalis auf Topferde
Pflanztopfstillleben
Sonnenbeschienene Wand, Sitzgelegenheiten, Tischchen, Pflanzen
Hofgartenidylle
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Fotos: C.E.

Donnerstag, 7. Juni 2018

Kann ich ein Eis?

Bonjour, hier bloggt eine Fran­zö­sisch­­dol­­met­sche­rin und -über­setzerin. Dol­­met­scher und Über­setzer übertragen münd­lich und/oder sinn­­getreu, sie pla­nen Rei­sen, machen Buch­­­haltung und helfen Kol­­le­gen beim Bü­ro­­ma­­na­­ge­ment, sie müssen sehr viel le­sen und hö­ren ih­rer Um­­welt auch pri­vat sehr auf­­merk­­sam zu.

Die Verbengeizigkeit der Unter-35-Fraktion ist frappierend. Irgendein un­fer­ti­ger Satz wird raus­ge­schleudert, und die an­we­sen­de Ü-35-Person darf dann al­lein zu­en­de denken.

Vanille-Stracciatella am Markt
Sehen? Kaufen? Essen? Worum geht's hier eigentlich? Neulich habe ich das sogar in einem zufällig aufgeschnappten TV-Dialog bei der Nachbarin gehört: "Kann ich einen Wein?" Es ist klar, hier fehlt das zweite Verb, und viele Jahre Lebens­erfahrung sind nicht nötig, um den Satz zu ver­voll­stän­di­gen. Ich erkenne darin indes einen Trend. Vermutlich ist er sogar längst in der Werbung angekommen, die ja alles ver­ball­hornt, nur habe ich das als noto­rische Werbung­über­seherin wieder mal nicht mit­be­kom­men.

Reklame greift auch gerne heftige Gram­ma­tik­feh­ler auf, seitdem sie bei so einer Blubb-Spi­nat­da­me zu Slogans wurden.

Derlei wird übrigens von Mit­telstands­damen aus Kreisen der Geflüch­teten und Zu­ge­wanderten heftig gerügt: "Das sowas überhaupt erlaubt ist? Wie sollen wir denn richtiges Deutsch lernen?" Ja, und die hier geborenen Unter­schichtkids, die aus Gründen politischer Korrekt­heit lange nicht Unter­schichtkids genannt werden durften, kom­men so auch nicht aus dem stigmatisierend falschen Sprach­gebrauch heraus. Es sei denn, sie wer­den zu Leseratten.

Nicht auf dem Mobiltelefon, das schon die Kleinsten mit sich führen, nein, ich spre­che von echten Büchern. Wenn es nach mir ginge, hätten wir durch­aus ei­ne Ge­schmacks­po­li­zei, einen Sprachen­rat und überhaupt eine gesamt­gesell­schaft­li­che Debatte über Ausdrucks­formen, Kultur und Macht. Und ein Mindestalter für Di­gi­ta­les. Und einen Technik­fü­hrer­schein, Medien­kunde und Filmun­terricht sowie Abi mit Leh­re für alle in der Schule. Jawoll! Zum Erlernen kom­ple­xe­ren, prak­tischen Den­kens.

Die ab­ge­bro­chenen Sätze verkörpern nämlich, wenn es um mehr geht als den ra­schen Kon­sum­wunsch, nämlich oft genug nicht zu Ende gedachte Gedanken. Das ist Sprach­zapping, das nur noch andeutet, Kom­mu­ni­kation antäuscht.

"Darf ich ein Eis?" Als der welt­bes­te Zieh­pa­ten­sohn klein war, habe ich ihn dann immer gefragt: "Was denn? Zeichnen, tanzen, essen oder ... " Er wusste, dass hier auch ein Verb wie "kacken" dabei sein konnte (allerdings nie in der Öf­fent­lich­keit). Weil er wusste, dass theore­tisch auch ein pein­li­ches Wort zur Auswahl kommen konnte, hat er schnell gelernt, seine Sätze fer­tig­zu­spre­chen.

Jetzt ein Eis. Ganz ohne Verb. Stehnwa drüber, gell?

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Foto: C.E. (Bild aus Marburg)