Montag, 11. Juni 2018

Semikonsekutives Simultandolmetschen

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­­ta­­ge­buch hinein­­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­­schen, Über­­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, München, Cannes und dort, wo Sie mich brauchen.

Ein Termin im Ministerium. Eine französische Staats­sekre­tä­rin hat Termine in Ber­lin, ich begleite sie; das deutsche Ministerium stellt eine zweite Dol­met­scher­kol­le­gin, die dort fest­ange­stellt ist. Eine Referentin trägt unseren "Flüsterkoffer", in dem sich Mikrofon und mehrere Kopf­hörer mit Empfängern befinden. Die fest­an­ge­stellte Kollegin blickt kurz auf den Koffer und stellt sofort klar: "Wir machen das konsekutiv!"

Hintergrund ist, dass die festangestellten Kollegen scharf darauf achten, si­mul­tan nur aus der Kabine heraus zu arbeiten. Die so bequeme Flüsteranlage, die wir Frei­be­ruf­le­rinnen bei mobilen Ein­sätzen gewöhnt sind, mit der wir uns aber noch mehr konzentrieren müssen also sonst ohnehin schon, kommt bei den Kol­leginnen und Kol­legen der Insti­tu­tionen nicht gut an.

Diplomatisches Frühstück
Für mich ist nach fast zwei Ta­gen Si­mul­tan­dol­met­schen der Gedanke an eine Umstel­lung Stress pur. Ich visua­li­siere oft meine Ter­mi­n­e vorab, um mich gegen Lam­pen­fie­ber zu wappnen; konsekutiv hatte ich nicht 'vor­be­rei­tet'. Außerdem weiß ich, wann das Re­gie­rungs­flugzeug zurück nach Paris geht und wie wenig Gesprächszeit uns das mit konse­­ku­tivem Dolmetschen lassen wür­de.

Ich sage hier "uns". Ja, ich bin deutlich stär­ker "drin" im Einsatz als die Kol­legin, denn was für sie ander­thalb Stun­den geht, dauert bei mir einfach schon deut­lich län­ger. Ich han­de­le einen Kom­pro­miss aus: Die Flüster­kiste bleibt zu, sie dolmetscht konsekutiv, ich darf si­mul­tan flüstern, alle sind happy.

Wir arbeiten hoch­pro­fes­sionell zusammen, es macht Spaß. Den Namen der Kollegin werde ich mir merken.

Dieser Einsatz wurde so zum entspann­teren Teil der Tage. Vorher standen auf dem Programm: Par­la­men­tarier­früh­stück, Mitglieder eines Auschusses treffen, Mit­tag­es­sen mit Medienvertretern, Hin­ter­grund­gespräche mit Staats­se­kre­tären der deut­schen Partner­ressorts an Tag eins sowie diplomatisches Frühstück, Hin­ter­grund­ge­sprä­che mit Oppo­sitions­politikern und ihren Stäben, Eröffnung einer Veranstaltung, Dis­kus­sions­teil­nah­me des auslän­dischen Gasts, kurze Pause im Café, ein Interview, abschließendes Strategiegespräch in der Botschaft an Tag zwei. Gefolgt von be­sag­tem Mi­nis­te­riums­ter­min.

Dolmetscherkoffer oder mobile Anlage, Draufsicht
Flüsterkoffer
Die Punk­te wur­den Schlag auf Schlag ab­ge­­ar­bei­tet. Für die Veranstaltung von Tag zwei wurde noch eine Kollegin für die Kabine hinzugebucht, schon am ersten Tag wäre eine Kol­le­gin prima ge­wesen, der Flüs­ter­kof­fer hätte am zweiten Tag sicher auch noch gute Dienste geleistet.

Schwierig ist es immer dann, wenn an­stel­le von Konse­ku­tiv­dolmetschen eigentlich se­mi­kon­­se­ku­ti­ves Simultan­dol­metschen erwartet wird, wenn die Gren­zen ver­schwim­men zwischen dem No­ti­zen-ma­chen-und-sei­ne-ei­ge­ne-Sprech­­zeit-ha­ben und dem Kaum-No­ti­zen-ma­chen-da­für-fast-zeit­­gleich-spre­chen. Im Ministerium muss indes alles zitierfähig sein.

Das strengt doppelt an, denn ich muss noch auf­merk­sa­mer zuhören als sonst, habe aber nur mei­ne zwei Ohren. Im Duo sind wir zu zweit, die Kol­legin schreibt dann für mich Zah­len und Na­men auf­ oder prüft kurz einen Be­griff, bei dem ich viel­leicht un­si­cher bin.

Ein Hoch also auf die Ko-Kabine, wie un­ser­einer die Kollegin oder den Kol­legen nennt, auch dann, wenn wir gar keine Kabi­nen­wände um uns herum haben, also für alle Dol­metsch­"formate": simul­tan, kon­sekutiv oder halb simultanes, halb kon­se­ku­ti­ves Flüster­dolmet­schen.


P.S.: Heute in der Nach­be­rei­tung ver­suche ich für mei­ne ei­ge­nen Vo­kabel­lis­ten ei­ni­ge Be­grif­fe zu re­kons­tru­ie­ren, denn nach dem Ein­satz ist immer vor dem Ein­satz. Die Dol­metsch­kof­fer­trä­gerin bedankt sich schrift­lich bei uns und mir und antwortet auf meine Bitte, einige Gesprächsnotizen der Solo-Mo­men­te von ihr zur Nach­berei­tung zu erhalten, dass diese leider Verschluss­sachen seien, sie diese nicht einmal aus­zugs­weise heraus­geben dürfe. Womit noch ein Aspekt geklärt sei: Die zweite Dol­metscher ist auch wichtig für die lin­guis­ti­sche Do­ku­men­ta­tions­ar­beit, die auch immer zu den Einsätzen gehört.

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Fotos: C.E. (Archiv)

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