Donnerstag, 14. Juni 2018

Es geschah: nichts!

Willkommen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Ich be­rich­te hier über meinen Berufsalltag. Machmal geschieht nichts. Gar nichts, so wie heute.

Spätbiedermeierstuhl in der Sonne, beladen mit Päckchen
Stillleben 2018
... und dann war da noch der Tag, an dem die Dolmetscherin auswärts genächtigt hatte und auf der Fahrt ins Home office in einen Unfall verwickelt worden ist, zum Glück selbst ohne jeglichen Schaden zu nehmen, und einer der aktiv Un­fall­be­tei­lig­ten nur Französisch sprach. Kurz danach finden sich beide deshalb in der Not­auf­nah­me des nächst­ge­le­ge­nen Kranken­hau­ses wieder.

Zum Glück hatte nur Lernen auf dem Pro­gramm gestanden, das Auswerten von drei Tages­zeitungen, das Abhören zweier Pod­casts — und vor dieser Sprach­arbeit etwas Buch­hal­tung und die Er­stel­lung zweier Kos­ten­vor­an­schläge.

Und dann fiel noch das an: Aus drei Probeaufnahmen für das Sprechen eines Fern­seh­film­kom­mentars die beste auswählen und in den Schnittraum senden. Dem Pa­ket­boten die Tür aufmachen und ihm ent­ge­gen­kommen: "Gehen in Hof, vieles Paket." (Ich komme mit ihm ins Gespräch, er stammt aus Syrien und lebt seit 2015 in Deutsch­land.) Später einem anderen Menschen die Ein­gangs­tür aufmachen: "Ich bin der Flaschenmann, könnten Sie mir bitte ...?!" Das Wort "Flaschenmann" kenne ich nicht, ich frage nach. Er: "Ich komme doch einmal die Woche zu Ihnen und se­he nach Pfand­flaschen!" (Hm, ach so, wusste ich nicht. Ich schaue zur Si­cher­heit kurz runter. Aus dem Hof sind wiederholt Räder geklaut worden. In der Tat klappern danach die Müll­eimer­deckel und Flaschen klirren, er trägt kurz darauf einen nicht mehr ganz leeren Beutel durch den Hof, ohne einen Blick auf den Fuhrpark zu ver­schwenden.)

Am späteren Nachmittag Teetrinken mit einer Englisch-Kollegin. Wir sprechen über kuriose Kunden. Ich habe seit einiger Zeit ein Smartphone, sonst wäre das Fol­­gen­de nicht möglich gewesen: Im Krankenhausflur hatte ich am Morgen per Ein­zei­ler­ant­wortmail meine Bereitschaft sig­na­li­siert, ab vier Uhr desselben Tages bei einer Firmenübernahme aus dem Bausektor Französisch<>Deutsch zu dol­met­schen, dann vom potentiellen Kunden nichts mehr gehört.

Zurück im Büro war eine Nachricht von ihm in der Mailbox, ja, er suche noch. Ich schrieb etwas à la Senden Sie mir bitte den Vertrag, damit ich den Umfang er­ken­nen und Ihnen ein Angebot senden kann. Und vielleicht sollten wir kurz te­le­fo­nie­ren?

Darauf Funkstille.

Die Englisch­kollegin war am fortge­schrittenen Nach­mittag von eben diesem Kun­den angerufen worden. Er meinte, sie müsse als beglaubigte Übersetzerin ja nur vor­le­sen, was er mit Google-Translate schon "über­setzt" habe, ins Englische üb­ri­gens, das könne er ja gut und sein Geschäfts­partner ei­ni­ger­maßen, die Über­setzung sei fehlerfrei.

In seinen Augen zumindest. Die Kollegin hat das Dokument gesehen, es ging um eine Verkaufs­summe von knapp fünf Mil­lio­nen Euro. Natürlich konnte und wollte ihm auch die Englischkollegin ange­sichts des lukrativen Angebots, er wollte 100 Euro fürs "Vorlesen" zahlen, nicht helfen.

Und in der Mail am Mor­gen hatte gestanden, er suche jemanden, da ihm seine Dol­met­­sche­rin kurz­fris­tig abgesagt habe. Ich fürchte, hier hatte die Büro­lei­tung ge­bucht und er hat es selbst ab­­ge­­sagt wegen des Preises. Denn wer von uns Sprach­­ar­­bei­­tern sagt schon einen Ter­­min ab, ohne Ersatz zu stellen?

Mit der Zeit übe ich mich in vor­aus­ei­len­der Scha­den­freude: Möge der Ver­kaufs­ter­min platzen oder der Kauf­vertrag nach­her vor Gericht angefochten werden, weil die Sprach­­ar­­beit nicht geklappt hat. Ist das zu böse oder OK?

Und wäh­rend hier weiter nichts ge­schieht, spiele ich Pa­­ket­­­la­ger und wer­de lau­fend von Nachbarn raus­­ge­­rissen aus der Sprach­arbeit, die ihre Pakete ab­ho­len kommen.

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Foto: C.E.

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