Stillleben 2018 |
Zum Glück hatte nur Lernen auf dem Programm gestanden, das Auswerten von drei Tageszeitungen, das Abhören zweier Podcasts — und vor dieser Spracharbeit etwas Buchhaltung und die Erstellung zweier Kostenvoranschläge.
Und dann fiel noch das an: Aus drei Probeaufnahmen für das Sprechen eines Fernsehfilmkommentars die beste auswählen und in den Schnittraum senden. Dem Paketboten die Tür aufmachen und ihm entgegenkommen: "Gehen in Hof, vieles Paket." (Ich komme mit ihm ins Gespräch, er stammt aus Syrien und lebt seit 2015 in Deutschland.) Später einem anderen Menschen die Eingangstür aufmachen: "Ich bin der Flaschenmann, könnten Sie mir bitte ...?!" Das Wort "Flaschenmann" kenne ich nicht, ich frage nach. Er: "Ich komme doch einmal die Woche zu Ihnen und sehe nach Pfandflaschen!" (Hm, ach so, wusste ich nicht. Ich schaue zur Sicherheit kurz runter. Aus dem Hof sind wiederholt Räder geklaut worden. In der Tat klappern danach die Mülleimerdeckel und Flaschen klirren, er trägt kurz darauf einen nicht mehr ganz leeren Beutel durch den Hof, ohne einen Blick auf den Fuhrpark zu verschwenden.)
Am späteren Nachmittag Teetrinken mit einer Englisch-Kollegin. Wir sprechen über kuriose Kunden. Ich habe seit einiger Zeit ein Smartphone, sonst wäre das Folgende nicht möglich gewesen: Im Krankenhausflur hatte ich am Morgen per Einzeilerantwortmail meine Bereitschaft signalisiert, ab vier Uhr desselben Tages bei einer Firmenübernahme aus dem Bausektor Französisch<>Deutsch zu dolmetschen, dann vom potentiellen Kunden nichts mehr gehört.
Zurück im Büro war eine Nachricht von ihm in der Mailbox, ja, er suche noch. Ich schrieb etwas à la Senden Sie mir bitte den Vertrag, damit ich den Umfang erkennen und Ihnen ein Angebot senden kann. Und vielleicht sollten wir kurz telefonieren?
Darauf Funkstille.
Die Englischkollegin war am fortgeschrittenen Nachmittag von eben diesem Kunden angerufen worden. Er meinte, sie müsse als beglaubigte Übersetzerin ja nur vorlesen, was er mit Google-Translate schon "übersetzt" habe, ins Englische übrigens, das könne er ja gut und sein Geschäftspartner einigermaßen, die Übersetzung sei fehlerfrei.
In seinen Augen zumindest. Die Kollegin hat das Dokument gesehen, es ging um eine Verkaufssumme von knapp fünf Millionen Euro. Natürlich konnte und wollte ihm auch die Englischkollegin angesichts des lukrativen Angebots, er wollte 100 Euro fürs "Vorlesen" zahlen, nicht helfen.
Und in der Mail am Morgen hatte gestanden, er suche jemanden, da ihm seine Dolmetscherin kurzfristig abgesagt habe. Ich fürchte, hier hatte die Büroleitung gebucht und er hat es selbst abgesagt wegen des Preises. Denn wer von uns Spracharbeitern sagt schon einen Termin ab, ohne Ersatz zu stellen?
Mit der Zeit übe ich mich in vorauseilender Schadenfreude: Möge der Verkaufstermin platzen oder der Kaufvertrag nachher vor Gericht angefochten werden, weil die Spracharbeit nicht geklappt hat. Ist das zu böse oder OK?
Und während hier weiter nichts geschieht, spiele ich Paketlager und werde laufend von Nachbarn rausgerissen aus der Spracharbeit, die ihre Pakete abholen kommen.
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Foto: C.E.
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