Bonjour, herzlich willkommen! Hier bloggt eine Sprachmittlerin. Mein Wochenanfang war etwas holprig, dauerndes Gehämmere und Gewummere von Bauarbeitern kündet noch davon (und nervt). Dann klingelt das Telefon.
Solche Momente zähle ich schon gar nicht mehr.
Standard A geht so: Ein potentieller Kunde ist am Telefon. "Spreche ich da mit der Dolmetscherin? Wir hätten da ein Dokument, und zwar eine Geburts-Studien-Hochzeits-oder-Sonstwas-Urkunde, ob Sie die vielleicht für uns ...?"
Noch bevor ich antworten kann, folgt eine Frage wie diese: "Sie sind doch amtliche Dolmetscherin? Ich meine, ermächtigt?"
Nächster Schritt: Ich erkläre, dass Übersetzer schriftlich übersetzen, Dolmetscher mündlich übertragen und dass es darunter natürlich beeidigte Sprachmittler gibt, die Dokumente fertigen, dass ich aber mit dieser Art von Übersetzungen nichts zu tun habe.
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Wählscheibentelefon |
Frage des Anrufers/der Anruferin: "Aber Sie sind doch Dolmetscher?"
Ich: "Ja, zum Beispiel auf Konferenzen, in der Wirtschaft oder der Politik.
Anrufende Person: "Und Sie sind auch Übersetzer?"
Ich: "Ja, ich übersetze auch, aber Filmexposés, Drehbücher, Untertitel, Sprecherkabinentexte, Zeitungsartikel, Webseiten usw."
Telefonmensch: "Und warum können Sie dann meine Urkunde nicht
dolmetschen?"
OK. Nochmal von vorne anfangen? Darauf habe ich keine Lust, ebenso wenig auf Dokumente. Das ist einfach nicht mein Fach.
Pause. "Ich vermittle aber immer gern Kolleginnen und Kollegen," versuche ich die Chose wieder in Bewegung zu bringen. Meistens kommt dann ein: "Aber sie sind die einzige, die in der Nähe wohnt!"
Stimmt, innerhalb von vier Jahren ist jetzt die zweite Dolmetscherkollegin aus dem Kiez weggezogen. (Urkunden war von keiner das Fachgebiet.)
Oder Standard B. "Wir haben hier ein Drehbuch, das wurde übersetzt, aber irgendwas stimmt mit der Übersetzung nicht. Könnten Sie das bitte einmal überprüfen?"
Die deutsche Fassung hakt von der ersten bis zur letzten Zeile. Übersetzt wurde sie von der a) Praktikantin, b) dem Schwager des Bekannten, c) einer Studentin, d) einem Exildeutschen, der seit 30 Jahren in Indien lebt, e) der Lehrerin, die derzeit im Mutterschutz ist, f) dem Betreiber einer kleinen Agentur, die auch Reisen und Stadtführungen in zehn Sprachen anbietet, g) vom Computer. (Zutreffendes bitte unterstreichen.)
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Warnung |
Bezahlt wurden an den Erstübersetzer 80 % dessen, was veranschlagt wurde. Herzenswunsch des Anrufenden ist nun, dass ich für 20 % alles reparieren möge. Das Problem: Eine Reparatur ist aufwändiger, als es neu zu übersetzen, weil mich die hundsmiserable Vorlage ständig rausreißt und ich gar nicht in den Flow komme.
Personaldokumente und -urkunden sind mir schlicht zu langweilig. Ich bin ein
content driven girl, wie die Amis sagen, ich brauche Inhalte. Und zwar spannende, gut geschriebene Bücher, in die ich mich reinschrauben, mit denen ich leben, die ich in die andere Sprache und Welt hinüberlotsen kann.
Und ich führe keine Reparaturwerkstatt, um die von anderen verbockten Geiz-ist-geil-Be
|sch...|trugsprojekte auswetzen zu helfen. Ich bin Fachfrau, habe etliche Jahre studiert und verfüge über noch viel mehr Jahre an Berufserfahrung. Vergleichen Sie meine Leistung mit anderen Fachleuten, die ein langes Hochschulstudium absolviert haben, mit Ihrem Arzt oder Anwalt.
Billig ist in meiner Branche nichts; wer billig will, bezahlt doppelt. "Übersetz doch mal grob", bat mich neulich eine Produzentin. Das, mit Verlaub, ist nun wirklich amtlicher Unsinn. Meine Antwort fällt knapp aus: "Mal so grob übersetzen ist Murks und genauso schlau, wie mal so grob mit 230 Sachen bei Glatteis über die Autobahn zu brettern."
Nachtrag: Die Antwort auf meine Antwort war eine Zusage!
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Illustration: Netzfund