Montag, 15. September 2014

Kanak im Kiez

Herzlich Willkommen! Sie lesen im Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch und Englisch (passiv).

Eine Straßenszene in Berlin-Neukölln: Eine junge Popdiva (die man kennen muss, die ich aber nicht erkenne), inspiziert den Kiez. In ihrem Fahrwasser diverse mit viel Stylingkunst auf lässig gezwirbelte Hipster, deren Aufgabe das Vermarkten, Be­ma­len und Inslichtsetzen ist. Gerade ist aber den Tonmensch dran, hält der jungen Lady ein Mikro mit püscheligem Windschutz unter die Nase und stellt ihr die Frage: "Kennst Du Berghain?"

Die den beschriebenen Pulk auf dem Gehweg kreuzende Berichterstatterin er­hasch­te nur die eine Frage, die allerdings hängen blieb.

Berghain, nein, pardon, natürlich DAS Berghain, ist ein berühmter Berliner Club, in dem vor allem Techno gespielt wird. Für alle, die vor 1960 geboren sind: Der Club bezeichnet das, was früher eine Disco war. Und Techno ist dieser Sound, der auf einfachen, wummernden Beats beruht.

Bücher stapeln sich in einem Fenster, oben drauf sitzt eine Buddha-Figur
Fensterszene in Neukölln
Weder die Interviewte, noch der Interviewer sahen aus, als wä­ren sie in Kreuzberg, im Mär­ki­schen Viertel oder in einer Fa­mi­lie mit Mi­gra­tions­hin­ter­grund aufgewachsen. Die Aus­las­sung des Artikels ist ein Phä­no­men, das sich aber in genau diesen Bezirken und Krei­sen be­ob­ach­ten (bzw. be­lau­schen) lässt. Und genau diese Aus­las­sung wird als Merkmal für "Ka­nak" betrachtet.

Kanak ist eine simplifizierte Version der deutschen Hochsprache, der schon im Som­mer die Berliner Zeitung zwei Artikel widmete, da eine junge Sprach­wis­sen­schaft­ler­in sich des Themas im Rahmen einer Forschungsarbeit angenommen hat­te. Bei Kanak werden Teile der türkischen Grammatik, die weder Artikel noch Prä­po­si­tio­nen kennt, auf die deutsche Umgangssprache übertragen.

Die Soziolinguistin Diana Marossek, die ihre Dokorarbeit an der Technischen Uni­ver­si­tät Berlin mit dem Titel "Gehst du Bahnhof oder bist du mit Auto? Wie aus einem sozialen Stil Ber­li­ner Umgangssprache wird", untersuchte (als Referendarin ge­tarnt) die Sprech­wei­se heutiger Jugendlicher an diversen Schulen. Sie stellte fest, dass diese Art semantischer Verkürzungen durch die ebenfalls zur Verkürzung nei­gen­de Syntax des Berliner Dialekts die Verbreitung von Kanak über die Kreise der Mi­gran­ten und ihrer Nachfahren hinaus begünstige.


Vokabelnotiz
WZBW (was zu beweisen war) — CQFD  (ce qu'il fallait démontrer)
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Foto: C.E.

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