Montag, 29. September 2014

Im Kino gewesen, geweint.

Guten Tag oder Abend, interessieren Sie sich für Dolmetschen und Übersetzen? Dann sind Sie hier auf meinen digitalen Tagebuchseiten goldrichtig.

Der Titel meines heutigen Blogbeitrags ist hemmungslos geklaut. Der Satz stammt von Franz Kafka, dem das Nach­rich­ten­ma­ga­zin "Der Spiegel" diese Woche die Ti­tel­ge­schich­te gewidmet hat. Auch mich hat das Kino mal wieder zu Tränen rühren kön­­nen, wobei Rührung hier das falsche Wort ist. Es waren Tränen der Wut.

Der Film, den ich gesehen habe, war heillos schlecht untertitelt. Ich sage jetzt nicht, welcher Film oder welches Kino es ist, mein Kundenschutz gilt auch ge­gen­über Noch-nicht-Kunden. Ich habe das Kino vorzeitig verlassen. Die Kasse hat mir den Preis fürs Ticket anstandslos erstattet. Man wisse um die "Qualität" der Un­ter­ti­tel. Der Verleiher bekommt jetzt Post.

Vor vielen Jahren habe ich auch untertitelt. Weil die Preise so runter sind, bin ich raus aus dem Geschäft. Alles, was einigermaßen normal bezahlt erscheint, wurde zunehmend von Firmen übernommen, deren einziger Mehrwert im Vermitteln be­steht. Die alten Preise wurden von den hiesigen |Agenturen| Sprachmaklern als "überzogen" kritisiert. Und Direktkunden, die oft mit wenig Geld spannende Pro­jek­te herstellen, besonders im Dokumentarfilmbereich, bleibt dann auch nur we­nig Geld für die Titelei übrig.

Gestern wurde ich mal wieder von Kollegen nach angemessenen Preisen gefragt. Ich weiß nicht, was gerade bezahlt wird, noch weniger, was als angemessenen be­trach­tet wird. Die Bezahlung je Titel war jedenfalls die alte, angemessene Grund­lage, alles andere, ein Entgelt nach Minuten, ist die berühmte Katze im Sack.

Die französische Gewerkschaft SNAC empfahl im Januar 2013 den Preis von 2,95 € je Titel bei Direktkunden, laut Wikipedia soll das noch oft der erzielte Preis sein. Macht bei einem abendfüllenden Spielfilm, 900 Titel durchschnittlich, eine gute Woche Arbeit inklusive Korrekturlesen im Naturalientausch, einen Nettoumsatz von 2655 Euro. Das entspricht, an der Kaufkraft gemessen, den Summen, die ich Ende der 1990-er Jahre verdient habe.

J'ai un antidote : l'argent ! (als Untertitel)
Geld ist das Gegengift
Zum Vergleich: Neulich wur­den mir zehn Euro je Minute angeboten, der Film dauerte 80 Minuten. Verglichen mit den SNAC-Preisen bzw. dem Honorarniveau, das vor über 15 Jahren noch üblich war, entspricht das einer Ho­no­rar­kür­zung von etwa 70 %. In welchen anderen Branchen gibt es solche Kürzungen? Freie Journalisten berichten über ähnliche Entwicklungen.

Das Zei­tungs­ster­ben infolge schwindender Leserschaft ließe sich als Folge des auch hier sinkenden Niveaus interpretieren, oder? In allen diesen Fällen gibt es einen ein­fa­chen Trick: Geld. Vielleicht sind die Prioritäten falsch gesetzt. Zeitungsverlage kalkulieren weiterhin mit hohen Renditen, wie sie sonst nirgends zu erlangen sind. Schwinden diese, wird die Kri­se aus­ge­ru­fen, es kommt zu Entlassungen.

Wohin geht die Reise? Brauchen wir 24 bunte Blätter mit Berichten über das ge­krön­te und ungekrönte Personal der Unterhaltungsindustrie, 21 Wohn­zeit­schrif­ten und 19 Magazine für die modebewusste Frau? Und ist es normal, dass in der Woche 15 Filme starten, von denen am Ende der Auswertungswoche 12 wieder raus­flie­gen? Ist das nicht derzeit alles viel zu viel? Der neue Trend lautet: Weniger ist mehr, das dafür aber von besserer (bester) Qualität. Ich freue mich auf den Mo­ment, in dem bei mir im Kino die Tränen wieder vor Rührung fließen (und schlechte Titel nicht den Blick auf den Film verstellen).

Ergänzung: Ich schätze, dass es da draußen irgendwo ganz sicher auch ein gutes Team gibt, das beim Finden von Untertitlern behilflich ist, das faire Preise zahlt, das auch noch Korrekturleser anheuert, das auch gegen Preisdumping bei End­ver­kaufs­prei­sen so kämpft, dass es den Machern zugute kommt. Bislang kenne ich lei­der noch niemanden aus der konkreten Zusammenarbeit.

______________________________  
Foto: Archiv

Keine Kommentare: