Samstag, 2. März 2013

Gated community

Hallo! Sie haben die Seiten eines Berliner Blogs angesteuert (oder die Postings abonniert). Hier schreibt eine Dolmetscherin ... über Arbeit, Sprache und Zeitläufte.

Zur Stunde sitzt ein gewisser Axel S. auf seiner Wolke (oder weiter unten auf seinem Teerfass) und reibt sich die Augen. Er schaut Richtung Erdoberfläche. Er sieht nicht auf Deutsch­land, nein, er hat Berlin im Blick, nimmt Berlin aber nicht wahr, denn er fokussiert ein kleines Stück Spreeufer an einer alten Brücke. Es ist nicht bebaut, eine lange Mauer trennt den Gehweg vom Fluss, versperrt den Blick aufs Wasser und auf Kreuzberg. (Die Mauer ist oder war hier 1,3 Kilometer lang. Alle Berliner wis­sen jetzt, worüber ich schreibe.)

Axel S., der bis kurz vor Implosion der DDR dieselbe in seinen Druckerzeugnissen immer mit Anführungszeichen schreiben ließ, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Parteigänger einer gewissen CDU kämpfen derzeit Seit' an Seit' mit dem Schwarzen Block, den als linksradikal verschrieenen Autonomen, für die Erhaltung der Berliner Mauer. Zwischen sie mischen sich Menschen aus dem Bürgertum (so­fern davon noch etwas übrig ist), Rentner und Studenten, Parteigänger und Ge­wäh­lte nahezu aller im Berliner Parlament vertretenen Parteien, Künstler eben­so wie die Kassiererin von der Ecke.

Die Demonstranten sind offenbar Spezialisten der Geschichte des "raumteilenden Bauwerks" (Peter Schneider), sie kennen die damit verbundenen Schlachtrufe. Sie skandieren: "Schande, Schande!", "Mister Wowereit, don't tear down this wall" und "Die Mauer muss bleim'n!"
Es mutetet wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass Anarchos, Spontis und Kulturschaffende damit indirekt auch den Berliner Massentourismus verteidigen, immerhin der größte Industriezweig der deutschen Metropole, der sie nicht selten aus ihren Quartieren vertreibt. Zweiter Verdrängungspunkt: Die Gentrifizierung.

Auslöser der Proteste ist ein Bauprojekt: "LEVELS"

Gestapelte Klötzchen für sehr Wohlhabende
Auf der anderen Seite der Mauer soll ein Luxus­wohn­haus entstehen: Unverbaubarer Fluss­blick in 36 alufarben und gläsern aufgetürmten Woh­nun­gen mit Qua­drat­me­ter­prei­sen ab 2.750 Euro, Tiefgarage, Doorman und Concierge sowie Weinbar und einigen "grü­nen" Mätz­chen zur Deko inklusive. Der Bau des Gebäudes ist mit 33 Mio. Euro veranschlagt.

Damit diese gated community der anderen Art nicht ganz so abgeschlossen leben muss — und damit Passanten zur Weinbar und auf eine wiederzuerrichtende Fuß­gängerbrücke gelangen können —, sollen zunächst auf 22 Metern Teile der "East Side Gallery" versetzt werden. Die "Gallery" wurde erst in den Monaten nach der Wende bemalt, 105 mehr oder weniger kunstvolle Werke zeugen von der damaligen Auf­bruch­stim­mung. Die Gemälde wurden zum 20. Jubiläum des Mauerfalls mit zwei Millionen Euro von der Lottostiftung restauriert. Die Mauer hat übrigens bereits etliche Lücken, zum Beispiel den Zugang zu einer Strandbar.

"Bester Blick über die Stadt"  (Immobilienexposé)

Das Wassergrundstück wurde Anfang der 1990-er Jahre zusammen mit anderen "Filetstücken" verkauft, das ist nichts Neues, Berlin neigt ja ohnehin wegen der traditionell sorgenvollen Mienen seiner Stadtkämmerer zum Versilbern seiner Schätze. Die Bauplanung soll den Medien zufolge auf das Jahr 2001 zurückgehen, die Baugenehmigung auf das Jahr 2008. Zwischen diesen Daten aus den Nuller Jahren liegt die Erarbeitung eines "dezentralen Gedenkstättenkonzepts" der Stadt Berlin, dessen fester Bestandteil die "East Side Gallery" ist.

Hat sich eigentlich auch nur ein Politiker in dieser Stadt Gedanken darüber ge­macht, wie ein 54 (anderswo steht 63) Meter hohes Gebäude mit einem laut Exposé 6,5 Meter hohen Ein­gangs­be­reich auf Passanten und Vorbeifahrende wirkt? Wie es die Wahrnehmung der Mauer verändert, ja sie banalisiert?

Der Bauherr, eine Firma mit dem Namen "Living Bauhaus", bietet die "exklusiven" Wohnungen seit Dezember im Netz an. Die Nähe zu den hippen Partyorten der internationalen Easy-Jet-Generation ist Teil des Werbekonzepts, hier:


Zugleich strotzt das Exposé von Begriffen wie Reinheit statt Reizüberflutung, Lebensqualität, viel Grün und Wasser, perfekte Harmonie von Wohnen und Leben. Die Zeiten, an denen der triste Todesstreifen durch Strandbars und Feste so fröh­lich "umgewidmet" wurde, sind dann wohl bald vorbei.

Gated community mit "Zäunchen" von Thierry Noir
Die Seite, über die diese Wohn­ein­heiten verkauft werden, nutzt dazu schicke Mauerbilder aus der Hand vonThierry Noir, das ist der mit den übergroßen bunten Profilen und den Knub­bel­na­sen. Mich irritiert zunächst, wie jemand den Bauhaus-Begriff unkritisiert derart missbrauchen kann, ist das kein geschützer Begriff?

Bauhaus stand in der Weimarer Republik auch für sozialen Wohnungsbau (der ja in Berlin seit Jahren ins Hintertreffen geraten ist). Die Verwendung seiner Mauer­ge­mäl­de zu Werbezwecken wird Thierry Noir, den ich vor Jahren für Radio Canada interviewt habe, jetzt im Hinblick auf eine Urheberrechtsverletzung untersuchen lassen.

Nicht zuletzt haben sich auch Im­mo­bi­lien­mak­ler wie Khadine Henriquez in die Debatte eingemischt, die auf der Seite der Petitionswebseite change.org schrieb:
I am Real Estate consultant and I know this kind of projects in historic locations KILL the market and the city....It takes away the soul of the city. ("Ich bin Im­mo­bi­lien­mak­lerin und weiß, dass solche Projekte an historischen Orten Markt und Stadt TÖTEN ... es zerstört die Seele der Stadt.")

Axel S. auf seiner Wolke (oder seinem Teerfass) wird sich wundern. Die Berliner Mauer wird zur Stunde von Boulevardzeitungen ebenso verteidigt wie von man­chem Blatt der bürgerlichen Presse oder dem "Neuen Deutschland". Es ist Axel S. nicht zu raten, mal kurz eine Auszeit zu nehmen und in Berlin nach dem Rechten zu sehen. Sein eigenes Haus würde er vermutlich mit dem Jenseitsnavi nur schwer ansteuern können: Es liegt heute an der Rudi-Dutschke-Straße.

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Fotos: Aus dem Verkaufsexposé, gefunden
auf der Seite Immonet.de

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