Donnerstag, 7. März 2013

Ich bin ein Glaskasten

Bienvenue, welcome, hallo ... beim Dol­met­scher­weblog. An dieser Stel­le denke ich über unseren Ar­beits­all­tag nach, wir über­setzen und dolmetschen aus der französischen und in die französische Sprache — sowie aus dem Englischen.

Dienstag nach drei in einem Berliner Konferenzraum beim Gespräch unter fünf Men­schen, von denen einer Franzose ist: Ich sitze neben dem Mann aus Paris, flüstere simultan, wenn ich aus dem Deutschen übertrage, werde lauter, wenn es aus dem Französischen ins Deutsche geht, damit ich am anderen Ende des Tisches ebenso gut vernommen werden kann. Manchmal macht "mein" Redner Pausen, ich kann in Ruhe fertigsprechen, ohne dass gleich weiterer Inhalt kommt; auch erlaubt mir diese Methode, von Zeit zu Zeit etwas leiser zu werden, was meine Stimme schont.

Nahaufnahme: Behaarte Männerhand mit weißer Manschette im Gegenlicht vor moderner Fassade
Zwischendurch wechsele ich für einige Minuten zur kon­se­ku­ti­ven Dolmetschtechnik, außerdem moderiere ich das Gespräch.
Ich kenne "meinen" Franzosen gut, ich beherrsche das Thema und auf die zu erwartenden Inhalte hatte ich mich seit 14.00 Uhr vor­be­rei­ten kön­nen: Ja, es gab sogar etwas (spätes) Infomaterial.

Am anderen Ende des Tisches sitzt ein junger, blonder Mann und strahlt mich an. Er strahlt immer mehr, als ich zurückschaue, wird er kurz rot.

Ich bin mir sicher, dass ich gemeint bin. Ich fühle, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Unsere Blicke gehen hin und her. Sie irritieren mich.

Dann fällt mir ein, dass ich gerade dolmetsche. Ja, die Dolmetscherin kann "wäh­rend­des­sen" vergessen, was sie tut. "Ach, er meint wohl nicht mich, er meint mei­ne Arbeit", schießt es mir durch den Kopf. Ich fange mich. Aber grundsätzlich ist die Situation einen kurzen Moment lang mindestens genauso irritierend wie der leicht starre, überkritische Blick von Saulius N. (*), dem ich seit letztem Herbst re­gel­mä­ßig ausgesetzt war: Dieser Blick hatte sogar fast etwas Schnippisches, auch wenn er nicht so gemeint war.

Graue Zweireiher (Schulter-/Armpartien) vor moderner Bürowand. Die Herren sitzen am Tisch ...
Zu Beginn meiner Dol­met­scher­kar­riere brauchte ich immer die Fragezeichen in den Augen meiner "Kunden", um die Not­wen­dig­keit zu spüren, wirklich mit dem Über­­tra­­gen an­zu­fan­gen und mich ins Zeug zu legen.
Diese Fragezeichen sah ich so genau, wie die Dollarzeichen in Dagobert Ducks Augen zu erkennen waren.

Nach vielen Jahren Berufsroutine merke ich: Direkten Blick auf das eigene Publikum zu haben ist nicht immer einfach. (Auf bzw. vor den Bühnen diverser Kinos sehe ich wegen des Lichts oft nicht viel von der geneigten Zuschauerschaft.)

Heute erhalte ich eine Rück­meldung, die an meinen Kun­den ging und an mich weitergeleitet wurde. Autor: der strahlende Teilnehmer der Runde. Zitat: "Ich bedanke mich auch bei Frau Elias für die wunderbare Übersetzung. Bisher kannte ich Konferenzdolmetscher nur als verglaste Kabinen, die immer das richtige Stichwort hatten. Es war sehr spannend, das auch tatsächlich 'live' zu verfolgen."

OK, ich bin also eine Glaskabine. Da muss ich an Lyrik denken, frei nach Benn: Die Tuba rülpst, der Bass hat Kopfweh.


P.S.:  Was hier und auch landläufig oft "Übersetzung" genannt wird, bezeichnet unsereiner als "Verdolmetschung". Aber ich werde jetzt nicht mosern, nein, und rechthaberisch mag ich auch nicht sein!
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Foto: C.E.
(*) ... und alles Gute, Saulius, auf Deinem
weiteren Berufsweg!

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