Ich sitze ganz hinten, direkt an der Tür, die zur Technik führt. Einer der beiden Vorführer ist nochmal nach hinten gegangen, denn leider ist das Mikro, das er mir brachte, ein Standmikrofon: Ich hatte es kurz angefasst und schon die Art meines Anfassens wurde in den Raum übertragen, dann fing der rechte kleine Finger laut hörbar zu schwitzen an.
Mein "POV" (point of view) dieses Einsatzes im Kino |
Die Filme entstanden 1932/33 im ersten auf dem europäischen Kontinent zum Zwecke der Tonfilmaufnahme erbauten "Tonkreuz" in Potsdam-Babelsberg. Regie führte Hans Steinhoff. Die Filme waren übrigens bereits damals das Remake des gleichnamigen Films von Alexander Korda aus dem Jahr 1926 (zu dem ich hier noch wunderbare film stills fand).
Kordas Film ereilte, was vielen Filmen der späten Zwanziger widerfuhr: Er war von einem Tag auf den anderen altmodisch, da half auch das moderne Sujet nichts. Denn plötzlich wollten alle Tonfilm sehen. Und weil auch schon damals die Erfolge international geplant wurden, durften vor der Erfindung der Synchronisation in Babelsberg Schauspieler aus drei Ländern vor ein- und demselben technischen Teams in ein- und demselben Dekos agieren. Diesem Umstand verdanken wir die Besonderheit unserer Sonntagsmatinée im Kino Babylon Mitte.
Licht aus! Ton an! Film ab! Die Vorführerin pegelt den Ton parallel zu den ersten Bildern. Kinoleiter Timothy hatte zuvor einen anderen frühen Tonfilm von Wilder gesehen und meinte, als er mich anheuerte: "Vermutlich werden die gar nicht viel sagen!"
Aber das Gegenteil ist der Fall. Zwei Herren im Spielzeuggeschäft, liebevoll wird die Erstausstattung für ein Baby ausgesucht: Diese Puppe oder jener Teddy? Wir nehmen beide! Ach, was ist das denn? Ein neuartiger Kinderstuhl! Nehmen wir! Und der Kinderwagen, hast du den gesehen? Wann darf ich liefern? usw.
Film ab! Das Mikro musste höher |
Das ist nicht ohne, denn meine Verdolmetschung wird zusammen mit der Filmtonspur über die großen Boxen in den Raum übertragen, in dem ich selbst sitze. Mein Stuhl steht daher im Eck hinter und unter den meisten Lautsprechern, wir wollen keine Rückkopplung; aber ich behindere mich wiederholt selbst beim Sprechen, überdeckt meine Stimme doch manchmal leicht den Ton, den ich verdolmetsche.
Ich war inhaltlich vorbereitet und geistig-moralisch ebenso. Wir wussten zwar die Sache mit der französischen Fassung nicht sooo lange im Voraus, um genau zu sein war ich seit Freitag Nachmittag im Bilde, doch ich hatte es sofort geschafft, das Buch zum Film herbeizubekommen (danke an eine Leserin in Brüssel!) und über das Wochenende gelesen, hatte noch ein paar Recherchen durchgeführt (z.B. hier), kurz: ich hatte nicht nur eine Nächtliche lange Lesung vorbereitet, sondern auch die beste Disposition. Viel gelesen und recherchiert, einfach schön, da hatte ich richtig Lust, diesen Film zu verdolmetschen. Am Montag war ich, nachdem ich am Sonntag alles noch einmal wiederholt hatte, dann froh, dass ich die Lesung und die vorausgehende Szenarien und Übungen in jeder Hinsicht gut vorbereitet hatte.
In der Eröffnungsrede wurde eine Brüsseler Kopie erwähnt und das bedeutete wohl: Die wird auf Französisch sein. Daher: Ab ins Buch, das den Film in großen Stücken nacherzählt, und gezielt die hilfreichen Einträge für meinen Dolmetschauftrag rausgesucht, sowie die entsprechenden Stellen einfach mehrfach auf DVD geguckt und in mein Diktiergerät gesprochen. Ich habe mir diese Aufnahmen anschließend dann zwei, drei Mal angehört, Lücken und eventuelle Fehler mit Anmerkungen, die ich im Buch notiert hatte, korrigiert, soweit es ging. Parallel dazu las ich den Roman weiter, den ich mir glücklicherweise antiquarisch besorgt hatte. Die Zugabe: ein Verriss von Tucholsky über Vautel.
Und als ob's nicht gestern gewesen wäre, hier zwei Passagen aus der "Weltbühne" von 1929: "Was hat ein Mensch von der Welt gesehen, der dieses Buch geschrieben hat? Gar nichts. Er war in Frankreich. Und sonst nirgendwo. Was weiß der Mensch von der Literatur? Gar nichts. Was weiß der Mensch von der Malerei? Gar nichts. Was weiß der Mensch von der Musik? Nichts, nichts, nichts. Das ist der Typ des Bahnhofsliteraten. Stellt euch vor: Die haben in den Zeitschriften, die sie, um Geld zu verdienen, machen, keine Zeitungsrubriken! Und also kann ein 'Journalist' auftreten, der von der Straße der Literatur keine Ahnung hat, nicht von den Bahnhöfen der Literatur zu sprechen. Kein Herr Vautel kann kommen und mitreden von diesen Dingen — wenn er auch eine Schreibmaschine besitzt." Und an anderer Stelle: "Es hat in Frankreich Leute gegeben, die haben ein Kolossalgeld verdient mit einem Buch, das den feinen Titel führte: Madame ne veut pas d'enfants (Die Frau will keine Kinder haben). Ich habe das Buch gelesen. Es war der letzte Eiertanz der Belle Epoque."
Die verdolmetschte Fassung und der Tucholskytext im Hintergrund sorgten für heitere Stimmung und bescherten mir auch Tage später noch ein innerliches Grinsen.
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Text und Bilder von C.E. / Foto der
Buchvorderseite: Quelle unbekannt.
2 Kommentare:
Danke für den Text! Gerne wüsste ich noch, worauf die Handlung hinausläuft. Und was hat Wilder aus diesem Text gemacht, der offensichtlich nicht zu seinem sonstigen Werk paßt und warum er ihn doch verfilmt hat. Der Autor ist ja (Analogiebildung zu "bauernschlau") sozusagen "kleinbürgerschlau", das kann man durchaus mit Ironie behandeln, hat er? Tucholskytext sehr schön. Haben T. und W. den gleichen Blickwinkel auf den Spießfranzosen?
Moin, es läuft auf ein Happy End aus der Sicht des Gatten hinaus. Um mehr über die Arbeit von W. zu sagen, müsste ich einschätzen können, wie groß sein Anteil im Autorenteam an der Sache war. Die Story ist aber derart überquirlt und fast schon auf Satire gedreht, dass der restaurative Charakter gar nichts mehr ausmacht. Denn schon in der Anlage ist die Geschichte nicht im Lot: Was interessiert sich dieser gestandene Herr für die fast noch minderjährige Sportskanone? Wo ist man sich erstmals begegnet? Ihr zum Teil sehr unsympathisch gezeichnetes Umfeld müsste der Herr eigentlich schon aus der Verlobungszeit kennen ...
Tut er aber nicht. Die daraus resultierenden Probleme sind also eigentlich, in der Logik der Figuren argumentiert, aufgesetzt.
W. hat wohl am Ende (gleichzeitig oder nach dem Ko-Autoren, das weiß ggf. die Literatur) 'nur' den bekannten Plot (Buch, Theaterstück, Erstverfilmung) zugespitzt (Beruf des Gatten, Sport statt Charleston wie noch im Korda-Film) sowie viele Witze reingeschrieben. Da kommen dann schon Fragen auf, zum Beispiel wer für die Wahl des Vornamens von Madames Tennispartner verantwortlich zeichnet, ein lächerlicher Unsympath mit dem damals schon wohlbekannten Namen Adolf.
"Madame wünscht keine Kinder" ja gar nicht von W. selbst verfilmt worden, sein Regiedebut gab er erst 1934 in Paris mit "Mauvaise graine", so dass wir, um Kinoleiter Timothy zu zitieren, "Wilder ganz zart durchscheinen" erleben durften, aber ein typischer Wilder-Film ist das garantiert nicht. Eher eine Fingerübung.
So viel dazu mit einwöchigem Abstand. Dolmetscher sind keine guten Filmkritiker, Dolmetscher sind gar keine Filmkritiker, weil einfach zu sehr im Stoff. So, wie auch den Drehbuchautoren einst die Produktionsbedingungen auch keine weitere Luft für Reflexion des oder Distanznahme zum Erstautor blieb.
Letzter Punkt: die Franzosen sind hier durchaus Franzosen, da sie Französisch sprechen, ihre Herkunft tut aber nichts zu Sache. Der Film wurde ja in der Durchlauferhitzer-Deko mit (mindestens) drei unterschiedlichen Casts verfilmt, die Drehbücher von meinen "Kollegen" anno dazumal nur übersetz. So scheint alles "national Phänotypische" rausgeflogen zu sein, was nur logisch ist.
Bon week-end,
bises, Caro
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