Donnerstag, 27. Januar 2011

Billy Wilder dolmetschen

Wie Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier seit 2007. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Einen hab ich noch von der ab­lau­fen­den Woche, wenn ich den Sonn­tag hin­zu­rech­ne, der span­nen­der war als die Rest­wo­che (Dreh­buch­über­set­zun­gen). Also, Sonn­tag vor dem Tee hatte ich Mit­tags­schläf­chen ge­hal­ten, davor fürst­lich im Restau­rant ge­speist, denn davor ...

Ich sit­ze ganz hin­ten, di­rekt an der Tür, die zur Tech­nik führt. Ei­ner der bei­den Vor­füh­rer ist noch­mal nach hin­ten ge­gan­gen, denn lei­der ist das Mi­kro, das er mir brach­te, ein Stand­mi­kro­fon: Ich hat­te es kurz an­ge­fasst und schon die Art mei­nes An­fas­sens wur­de in den Raum über­tra­gen, dann fing der rech­te klei­ne Fin­ger laut hör­bar zu schwit­zen an.

Mein "POV" (point of view) die­ses Ein­sat­zes im Ki­no
Kurz dar­auf steht auch schon der Thea­ter­lei­ter vor­ne und er­klärt, dass die voll­stän­di­ge Billy Wil­der-Ret­ro oh­ne den Film, den wir gleich se­hen wer­den, un­voll­stän­dig ge­we­sen wäre, von dem sich lei­der in letz­ter Mi­nu­te nur noch ei­ne Ko­pie in Brüs­sel an­fand — und die ist na­tür­lich auf Franzö­sisch. So wird heu­te "Ma­da­me ne veut pas d'en­fants" an­statt "Ma­da­me wünscht kei­ne Kin­der" ge­zeigt. 

Die Fil­me ent­stan­den 1932/33 im ers­ten auf dem euro­pä­i­schen Kon­ti­nent zum Zwe­cke der Ton­film­auf­nah­me er­bau­ten "Ton­kreuz" in Pots­dam-Ba­bels­berg. Re­gie führ­te Hans Stein­hoff. Die Fil­me wa­ren übri­gens be­reits da­mals das Re­ma­ke des gleich­na­mi­gen Films von Alex­an­der Kor­da aus dem Jahr 1926 (zu dem ich hier noch wun­der­ba­re film stills fand).

Kor­das Film er­eil­te, was vie­len Fil­men der spä­ten Zwan­zi­ger wi­der­fuhr: Er war von ei­nem Tag auf den an­de­ren alt­mo­disch, da half auch das mo­der­ne Su­jet nichts. Denn plötz­lich woll­ten al­le Ton­film se­hen. Und weil auch schon da­mals die Er­fol­ge in­ter­na­tio­nal ge­plant wur­den, durf­ten vor der Er­fin­dung der Syn­chro­ni­sa­ti­on in Ba­bels­berg Schau­spie­ler aus drei Län­dern vor ein- und dem­sel­ben tech­ni­schen Teams in ein- und dem­sel­ben De­kos agie­ren. Die­sem Um­stand ver­dan­ken wir die Be­son­der­heit un­se­rer Sonn­tags­ma­ti­née im Ki­no Ba­by­lon Mit­te.

Licht aus! Ton an! Film ab! Die Vor­füh­re­rin pe­gelt den Ton pa­ral­lel zu den ers­ten Bil­dern. Ki­no­lei­ter Ti­mo­thy hat­te zu­vor ei­nen an­de­ren frü­hen Ton­film von Wil­der ge­se­hen und mein­te, als er mich an­heu­er­te: "Ver­mut­lich wer­den die gar nicht viel sa­gen!"
Aber das Ge­gen­teil ist der Fall. Zwei Her­ren im Spiel­zeug­ge­schäft, lie­be­voll wird die Erst­aus­stat­tung für ein Ba­by aus­ge­sucht: Die­se Pup­pe oder je­ner Ted­dy? Wir neh­men bei­de! Ach, was ist das denn? Ein neu­ar­ti­ger Kin­der­stuhl! Neh­men wir! Und der Kin­der­wa­gen, hast du den ge­se­hen? Wann darf ich lie­fern? usw.

Film ab! Das Mi­kro muss­te hö­her
Im Ta­xi geht der Re­de­schwall gleich wei­ter. Das Kind, für das ein­ge­kauft wer­den soll, ist noch nicht mal ge­zeugt, der künf­ti­ge Va­ter hei­ra­tet heu­te, vor­erst muss er sich aber von sei­ner Ge­lieb­ten ver­ab­schie­den, was die ers­te Zwick­müh­le des kon­flikt­rei­chen Film­ge­sche­hens dar­stellt. In­ner­halb der ers­ten Mi­nu­ten hat die ei­ne Film­vor­füh­re­rin den Ton ein­ge­stellt.

Das ist nicht oh­ne, denn mei­ne Ver­dol­met­schung wird zu­sam­men mit der Film­ton­spur über die gro­ßen Bo­xen in den Raum über­tra­gen, in dem ich selbst sit­ze. Mein Stuhl steht da­her im Eck hin­ter und un­ter den meis­ten Laut­spre­chern, wir wol­len kei­ne Rück­kopp­lung; aber ich be­hin­de­re mich wie­der­holt selbst beim Spre­chen, über­deckt mei­ne Stim­me doch manch­mal leicht den Ton, den ich ver­dol­met­sche.

Ich war in­halt­lich vor­be­rei­tet und geis­tig-mo­ra­lisch eben­so. Wir wuss­ten zwar die Sa­che mit der fran­zö­si­schen Fas­sung nicht sooo lan­ge im Vor­aus, um ge­nau zu sein war ich seit Frei­tag Nach­mit­tag im Bilde, doch ich hat­te es so­fort ge­schafft, das Buch zum Film her­bei­zu­be­kom­men (dan­ke an ei­ne Le­se­rin in Brüs­sel!) und über das Woch­en­en­de ge­le­sen, hat­te noch ein paar Recher­chen durch­ge­führt (z.B. hier), kurz: ich hat­te nicht nur ei­ne Nächt­li­che lan­ge Le­sung vor­be­rei­tet, son­dern auch die bes­te Dis­po­si­tion. Viel ge­le­sen und re­cher­chiert, ein­fach schön, da hat­te ich rich­tig Lust, die­sen Film zu ver­dol­met­schen. Am Mon­tag war ich, nach­dem ich am Sonn­tag al­les noch ein­mal wie­der­holt hat­te, dann froh, dass ich die Le­sung und die vor­aus­ge­hen­de Sze­na­ri­en und Übun­gen in je­der Hin­sicht gut vor­be­rei­tet hat­te.

In der Er­öff­nungs­rede wur­de ei­ne Brüs­se­ler Ko­pie er­wähnt und das be­deu­te­te wohl: Die wird auf Fran­zö­sisch sein. Da­her: Ab ins Buch, das den Film in gro­ßen Stü­cken nach­er­zählt, und ge­zielt die hilf­rei­chen Ein­trä­ge für mei­nen Dol­metsch­auf­trag raus­ge­sucht, so­wie die ent­spre­chen­den Stel­len ein­fach mehr­fach auf DVD ge­guckt und in mein Diktier­gerät ge­spro­chen. Ich ha­be mir die­se Auf­nah­men an­schlie­ßend dann zwei, drei Mal an­ge­hört, Lücken und even­tu­el­le Feh­ler mit An­mer­kun­gen, die ich im Buch no­tiert hat­te, kor­ri­giert, so­weit es ging. Pa­ral­lel da­zu las ich den Ro­man wei­ter, den ich mir glück­li­cher­wei­se an­ti­qua­risch be­sorgt hat­te. Die Zu­ga­be: ein Ver­riss von Tuchol­sky über Vautel.

Und als ob's nicht ge­stern ge­we­sen wä­re, hier zwei Pas­sa­gen aus der "Welt­büh­ne" von 1929: "Was hat ein Mensch von der Welt ge­se­hen, der die­ses Buch ge­schrie­ben hat? Gar nichts. Er war in Frank­reich. Und sonst nir­gend­wo. Was weiß der Mensch von der Lite­ra­tur? Gar nichts. Was weiß der Mensch von der Ma­le­rei? Gar nichts. Was weiß der Mensch von der Mu­sik? Nichts, nichts, nichts. Das ist der Typ des Bahn­hofs­li­te­ra­ten. Stellt euch vor: Die ha­ben in den Zeit­schrif­ten, die sie, um Geld zu ver­die­nen, ma­chen, kei­ne Zei­tungs­ru­bri­ken! Und al­so kann ein 'Jour­na­list' auf­tre­ten, der von der Stra­ße der Lite­ra­tur kei­ne Ah­nung hat, nicht von den Bahn­hö­fen der Lite­ra­tur zu spre­chen. Kein Herr Vautel kann kom­men und mit­re­den von die­sen Din­gen — wenn er auch ei­ne Schreib­ma­schi­ne be­sitzt." Und an an­de­rer Stel­le: "Es hat in Frank­reich Leu­te ge­ge­ben, die ha­ben ein Kolos­sal­geld ver­dient mit ei­nem Buch, das den fei­nen Ti­tel führ­te: Ma­da­me ne veut pas d'en­fants (Die Frau will kei­ne Kin­der ha­ben). Ich ha­be das Buch ge­le­sen. Es war der letz­te Ei­er­tanz der Bel­le Epo­que."

Die ver­dol­metsch­te Fas­sung und der Tuchol­sky­text im Hin­ter­grund sorg­ten für hei­te­re Stim­mung und be­scher­ten mir auch Ta­ge spä­ter noch ein in­ner­li­ches Grin­sen.

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Text und Bil­der von C.E. / Fo­to der
Buch­vor­der­sei­te: Quel­le un­be­kannt.

2 Kommentare:

OHE hat gesagt…

Danke für den Text! Gerne wüsste ich noch, worauf die Handlung hinausläuft. Und was hat Wilder aus diesem Text gemacht, der offensichtlich nicht zu seinem sonstigen Werk paßt und warum er ihn doch verfilmt hat. Der Autor ist ja (Analogiebildung zu "bauernschlau") sozusagen "kleinbürgerschlau", das kann man durchaus mit Ironie behandeln, hat er? Tucholskytext sehr schön. Haben T. und W. den gleichen Blickwinkel auf den Spießfranzosen?

caro_berlin hat gesagt…

Moin, es läuft auf ein Happy End aus der Sicht des Gatten hinaus. Um mehr über die Arbeit von W. zu sagen, müsste ich einschätzen können, wie groß sein Anteil im Autorenteam an der Sache war. Die Story ist aber derart überquirlt und fast schon auf Satire gedreht, dass der restaurative Charakter gar nichts mehr ausmacht. Denn schon in der Anlage ist die Geschichte nicht im Lot: Was interessiert sich dieser gestandene Herr für die fast noch minderjährige Sportskanone? Wo ist man sich erstmals begegnet? Ihr zum Teil sehr unsympathisch gezeichnetes Umfeld müsste der Herr eigentlich schon aus der Verlobungszeit kennen ...
Tut er aber nicht. Die daraus resultierenden Probleme sind also eigentlich, in der Logik der Figuren argumentiert, aufgesetzt.

W. hat wohl am Ende (gleichzeitig oder nach dem Ko-Autoren, das weiß ggf. die Literatur) 'nur' den bekannten Plot (Buch, Theaterstück, Erstverfilmung) zugespitzt (Beruf des Gatten, Sport statt Charleston wie noch im Korda-Film) sowie viele Witze reingeschrieben. Da kommen dann schon Fragen auf, zum Beispiel wer für die Wahl des Vornamens von Madames Tennispartner verantwortlich zeichnet, ein lächerlicher Unsympath mit dem damals schon wohlbekannten Namen Adolf.

"Madame wünscht keine Kinder" ja gar nicht von W. selbst verfilmt worden, sein Regiedebut gab er erst 1934 in Paris mit "Mauvaise graine", so dass wir, um Kinoleiter Timothy zu zitieren, "Wilder ganz zart durchscheinen" erleben durften, aber ein typischer Wilder-Film ist das garantiert nicht. Eher eine Fingerübung.

So viel dazu mit einwöchigem Abstand. Dolmetscher sind keine guten Filmkritiker, Dolmetscher sind gar keine Filmkritiker, weil einfach zu sehr im Stoff. So, wie auch den Drehbuchautoren einst die Produktionsbedingungen auch keine weitere Luft für Reflexion des oder Distanznahme zum Erstautor blieb.

Letzter Punkt: die Franzosen sind hier durchaus Franzosen, da sie Französisch sprechen, ihre Herkunft tut aber nichts zu Sache. Der Film wurde ja in der Durchlauferhitzer-Deko mit (mindestens) drei unterschiedlichen Casts verfilmt, die Drehbücher von meinen "Kollegen" anno dazumal nur übersetz. So scheint alles "national Phänotypische" rausgeflogen zu sein, was nur logisch ist.

Bon week-end,
bises, Caro