Es war einmal eine Pariser Filmproduktion, die sandte Ende November eine Produktionsassistentin zur Vor-Ort-Recherche nach Berlin. Sie bereitete einen Film vor, der im Januar gedreht werden sollte. Man wolle bis zur Berlinale dann auch gleich hier schneiden, hieß es. Die letzten zwei Kurzportraits würden mit Beginn des Filmfestivals entstehen und noch in den fertigen Film reingeschnitten werden. Soviel zum Hintergrund.
Das Telefon klingelte also im November, man bat mich um Zusendung meines Lebenslaufs und eines Kostenvoranschlags. Nach einem zweiten Telefonat, in dem man mich kurz bat, meine Honorare zu erläutern, habe ich erstmal von dieser Firma nichts mehr gehört.
Bis auf letzten Sonntag. Da war ich bei Annette, einer Freundin, die einmal im Vierteljahr zum Tee einlädt, Cutterin ihres Zeichens. Annette kenne ich seit ewig. Sie hat nach der Realschule bei einer Filmproduktionsfirma angefangen, sich in Abendkursen zur Europasekretärin ausbilden lassen, dann Abendgymnasium besucht, dann neben dem Beruf teilzeitstudiert. Später, als das Teilzeitkind kam, das mal bei ihr, mal bei ihrem Ex aufwuchs, kannte sie die Doppelbelastung schon. In der Produktionsfirma landete sie recht schnell neben dem Schneidetisch fürs Schnittprotokoll, seit vielen Jahren und etlichen Fortbildungen schneidet sie nun. Sie nennt sich ausbildungstechnisch einen "Spätzünder".
Ihr Sohn, der sie inzwischen an Zentimetern überragt, ist auch von dieser Sorte. Mit Mühen schaffte er den Realschulabschluss, und weil er zu Hause auch am Rechner schneiden üben durfte, hatte er Vorzeigbares aus eigener Produktion, fand einen Ausbildungsplatz, lernt nun Mediengestalter. Annette war Dank eines kleinen Erbes zwei Jahre zum Studium in Paris, der Kindsvater ist Franzose.
Warum ich diesen Umweg erzähle? Wegen der Honorarhöhe. Bei nämlichem Teetrinken war auch ihr Filius und dessen derzeitige Arbeitgeberin aus Paris zugegen, eine Produktionsleiterin, die im Januar drehen ließ, jetzt schneidet und, Sie wissen es schon, am Anfang der Berlinale die letzten Interviews machen lassen wird. Annette stellte mich der Französin mit den Worten vor: "Hier, Deine Rettung!" (Damit meinte sie mich.)
Ich mach's kurz: Es hatte sich fürs Dolmetschen am Set natürlich 'billiger' Nachwuchs angefunden, ein Romanistik-Student kurz vor Studienabschluss. Überhaupt ruht das Projekt teilweise auf jungen Schultern, auch auf denen von Annettes Sohn, der ja noch in der Ausbildung ist und den sein Lehrherr gerne für das Projekt abstellt. Als zweisprachiger Nachwuchs kommt er für die Franzosen nicht teuer, die bei der deutschen Firma auch die Technik geliehen haben, so entstand der Kontakt.
Und jetzt erklär ich meinen "Klassiker!"-Seufzer von eben. Der Klassiker war das deshalb, weil immer mehr junge Menschen Film und Medien irgendwie sexy finden - mit Betonung auf 'irgendwie' bitte! Auf die Frage, was sie später mal werden wollen, kommt ein ungefähres "Irgendwas mit Medien!" Und wer nicht die Traute hat/und oder Biss und Talent, Schauspieler/in, Regisseur/in, Drehbuchautor/in, Cutter/in oder Journalist/in zu werden und "so ganz gut" in Sprachen ist, verfällt leicht auf den Gedanken, für Medien übersetzen oder dolmetschen zu wollen.
Okay, ich könnte auch mal eben so auf den Gedanken verfallen und sagen wir mal Bundestagsabgeordnete werden wollen - mach' ich aber nicht. Hab ich auch nicht schon seit frühem Erwachsenenalter angestrebt (nach einer kurzer Erprobung meiner rhetorischen, programmatischen und gruppendynamiklenkenden Talente in der Hochschulpolitik).
Ich schweife schon wieder ab. Mir ist die Geschichte peinlich. Ich hasse meine häufigen vernichtenden Analysen einer Branche, die mir lieb und teuer ist (das Lehrgeld zahlt hier, wer nicht bescheid weiß). Kurz: Die sogenannte Verdolmetschung der Nachwuchskraft war keine, die betreffende Person wusste auch gar nicht, worauf es ankommt. Das Material ist zum Großteil unbrauchbar. Weil es aber nicht sein kann, dass renommierte Gesprächspartner, die für einen renommierten Sender interviewt wurden, nochmal angefragt werden für ein- und dasselbe Projekt, helfe ich jetzt ab und zu Annettes Sohn beim Filmmosaik. Vier Ohren hören mehr - und so gut der jeune homme auch Französisch kann, bei den ganzen erudierten Ergüssen der Hochkaräter aus Kultur und Medien ist er überfordert, und niemand wird ihm das ernstlich vorwerfen.
Meinen stundenweise abgerechneten Job nennt man 'Schnittberatung'. Das Ganze ist billiger als Neudreh und deutlich teurer, als wenn ich von Anfang an mitgearbeitet hätte. Wir schnitzen uns einen Wolf, weil wir hier ein Fitzelchen und da ein Fitzelchen finden und Schnittbild und Zwischenschnitt von anderer Ebene aneinandergehängt werden, weil nicht ausreichend Schnitt(bild)material da ist. So greifen wir über den Kopf von Regisseur und Autor hinweg mit deren Billigung in den Film ein (anders formuliert: beide haben gekniffen).
Merke: Dolmetschen ist ein qualifizierter Beruf. Die Dame aus Paris hatte mir Sonntag noch anvertraut, dass die französische Produktionsfirma jeweils 250 Euro für den Tonmann und für die Dolmetscherin vorgesehen hatte.
Mit Annettes Sohn und einem anderen Mediengestalter und Tonmann, der wie Annette in den Beruf einstieg, bevor dieser ein Lehrberuf wurde, haben wir am Sonntag beim Tee die folgenden Daten zusammengetragen:
The proof of the pudding is in the eating. (Sprichwort, erstmals 1605 erwähnt)
The proof of the shooting is in the editing. (eigene Aktualisierung)
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Bild: eigene Berechnungen sowie
ein anderer Dreh
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