Heute der versprochene Text über die Darstellung einer Dolmetscherin in einem deutschen Fernsehfilm der letzten Woche. (Der Film kann derzeit in der ARD-Mediathek gesehen werden.)
“Die fremde Familie” (Regie:
Stefan Krohmer) stellt die Frage nach dem Umgang von Mittvierzigern mit der Elterngeneration und ihrer Hinfälligkeit.
Katja Riemann verkörpert die Dolmetscherin Ira Wolfens, die den eigenen Vater (
Fritz Schediwy) nicht ins Heim geben will. Ihr Gatte Marquard, ein kleiner Beamter (
Thomas Sarbacher), fand erst nach dem Auszug des Sohnes Zeit, seine politischen Ambitionen zu verwirklichen. Dann sind da noch eine rumänische Studentin (
Katharina Nesytowa) , die (auch aus Kostengründen) in der häuslichen Altenpflege helfen soll, sowie Iras Halbbruder (
Stephan Luca) — genug Konfliktpotential für einen abendfüllenden Film, das ebenso unterhaltsam wie realistisch abgearbeitet wird (Casting:
Nina Haun).
Dabei bemühen sich seine Macher um ein hohes Maß an Wirklichkeitsdarstellung. Schön die vielen Momente, wo Kommunikation leicht schiefgeht oder unterbrochen wird: Das Paar joggt im Park, er spricht dabei mit einer Frau, die er für seine Gattin hält, bis er bemerkt, dass es eine fremde Joggerin ist; die rumänische Studentin versteht nicht gleich das Wort "Landsmännin", das der ziemlich garstig daherkommende Vater ausspricht, Blicke werden getauscht, dann fragt der Vater mit Einfachstvokabular, langsam und zu laut nochmal nach; das Paar unterhält sich im geparkten Auto, da klopft jemand an die Scheibe und will wissen, ob man den Parkplatz denn ewig blockieren wolle usw.
An diesem Realismus möchte ich den Film messen. Mich interessiert natürlich als kleine
déformation professionnelle und Bloggerin zum Thema "Dolmetschen", wie echt unsere Arbeitswelt abgebildet wird.
Zunächst gar nicht: Sie hätte viele Jobs abgesagt, heißt es am Anfang. Ira gibt von einem Moment zum anderen ihr Arbeitszimmer auf, um für die junge Frau aus Rumänien Platz zu schaffen. Sie arbeitet aber auch sonst nicht, liest keine Zeitung, informiert sich nicht, was alles der Umgewöhnung an die neuen Umstände geschuldet sein mag. In dieser Phase treten potentielle Arbeitgeber allenfalls als Anrufer auf den Plan: Irgendwann fällt bei einem Telefonat der Satz, dass sie dieses Jahr mehr organisieren müsse als im Vorjahr.
Dann sagt sie ihrem Mann, dass sie nächsten Monat an "dem Kongress" teilnehmen wolle. Wie lange das dauere, fragt Marquard zurück. "Zwei Wochen", antwortet Ira und zeigt sich besorgt darüber, ob die anderen in der Zeit den Vater allein würden versorgen können. Die lakonische Haltung des Gatten, die hier und später zum Ausdruck kommt, fand ich sehr überzeugend. Seine zu seiner Frau gesprochenen Sätze "Du bist die Hälfte des Jahres gar nicht zu Hause", oder: "Den Sohn hab ich fast allein erzogen" spiegelt eine Berufswirklichkeit von Konferenzdolmetschern, die viel auf Achse sein müssen (weshalb die wenigsten wie die Filmheldin ihr(e) Kind(er) mit Mitte zwanzig bekommen).
Ohne Unterstützung durch das Umfeld ist derlei nicht möglich. Und hier hat offenbar der abgesicherte und unkündbare Gatte viele Jahre zurückgesteckt.
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Nur die Dolmetscherin im Vordergrund ist im On
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Nach einer Stunde und fünf Minuten Film kommt endlich auch die bislang nur behauptete berufliche Existenz Iras im Bild vor. Von der Konferenz, auf die sie sich zuvor offenbar nicht vorbereiten musste, was unserem Alltag nicht entspricht, sehen wir erst einen großen, im Halbdunkel liegenden Raum samt geneigter Hörerschaft. Dann vernehmen wir babylonisches Sprachengewirr, die Kamera schwenkt aus einer Kabine zur Seite und zeigt die Reihe der Dolmetscher in fest installierten Dolmetscherkabinen, die theoretisch durch seitliche Fenster zueinander Sichtkontakt hätten.
Dem Ton nach sehen wir aus der Englisch-Kabine in die Französisch-Kabine hinein. Doch wirkt es wie eine große Kabine für drei, denn die gläserne Trennwand dazwischen fällt beim Schwenk nur denen auf, die von ihr wissen. Die Kamera endet auf Ira, die einen kaum verständlichen Satz, eher umgangssprachlichen Satz auf Französisch sagt, während die Englisch-Kollegin, angeschnitten und im Vordergrund, etwas ganz anderes erzählt.
So weit, so ungewöhnlich, indes: diese inhaltliche Differenz kann am doppelten "Décalage" liegen, der Verschiebung, die daraus entsteht, dass Dolmetscher ja erst einmal begreifen müssen, worum es geht, bevor sie weitersprechen (1. Zeitverzögerung), und durch den "Pivot", also einer zentralen Sprache als Dreh- und Angelpunkt, von der sich die Dolmetscher jene Informationen holen, die der Dolmetscher dieser Sprache zum Beispiel von einem Redner übernommen hat, der sich einer exotischen Sprache bedient (2. Verzögerung).
An dieser Sequenz ist also eigentlich nicht viel auszusetzen, außer, dass ich mir weniger
décalage und eine deutlicher trennende Kabinen(glas)wand gewünscht hätte, weil es hier so aussieht, als säßen drei Leute in ein- und demselben Kabuff und sprächen zugleich zwei Sprachen. Ein anderes falsches Moment hat sich indes leider deshalb eingeschlichen, weil das vermeintlich ästhetischere Bild Vorrang über dem Wirklichkeitsanspruch des Abgebildeten erhielt. Ich erkläre mich: In der Kabine ist der Stuhl neben Ira frei, der "Kollege" sitzt einen Platz weiter. Das geschah fürs Bild, damit Katja Riemann optisch "freigestellt" ist (die sonst exzellente Kamera: Benedict Neuenfels). Dieses "Alleinsitzen" entspricht aber leider gar nicht der Art, wie wir arbeiten. Dolmetschen ist Teamarbeit, die Kollegen passen mit auf und notieren im Bedarfsfall Namen, Daten und Orte auf den
Schmierzettel.
Die Szene wurde augenscheinlich am Rande eines echten Kongresses in einer "stummen" Kabine gedreht. "Stumm" heißt sie deshalb, weil sie nicht "auf Sendung" geht ... (solche Kabinen dienen oft zu Schulungszwecken). Das Mikrofon der Englisch-Kollegin aus dem Vordergrund zeigt durch rotes Licht an, dass von ihm aus übertragen wird. Das Mikro von Schauspielerin Katja Riemann ist dunkel.
Am besten wurde der
dress code unseres Berufes getroffen, das schmal geschnittene Kostümchen, die unauffällige Frisur und, einige Szenen später, das Rollköfferchen, manche sprechen hier von der Anmutung einer
Stewardess. (Glückwunsch, Kostümbildnerin
Silke Sommer!)
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"dolmetschen" wäre hier das richtige Verb |
Unglaubwürdig ist aber, dass der Kongress, der durch die nächsten Bilder als Begleitprogramm zu einer Messe erzählt wird, zwei Wochen dauern soll. (Hätte man komplizierte Sitzungen in Brüssel oder Straßburg samt einer Tagungswoche gewählt, wäre die Chose glaubhaft gewesen.) Auch nicht plausibel nach dem, was ich aus der Praxis kenne, ist die nächste Szene. Ira spricht mit einem Italiener, der endlich wissen wollte, wie denn die Stimme aussieht, der er jetzt so lange gelauscht hat. (Wie? Ira sprach doch in der Kabine gerade Französisch, nicht Italienisch!) Der Italiener hätte Ira die nächsten Tage gebucht, wird kurz darauf vermittelt, als ein Franzose Ira vom Fleck weg nicht nur betörend ansieht, sondern sie ebenfalls buchen will. Er werde das mit den Veranstaltern klären, sagt darauf der Franzose. |
Erst ganz am Ende wird ausgesprochen, dass der Spielort Hannover war. Die Kongresse und Messen, auf denen ich gearbeitet habe, sind eindeutig anders, was das Buchen und der Aufgabenzuschnitt von Dolmetschern angeht.
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« Non merci, pas à cette heure ... » |
Der betörend dreinblickende Franzose verführt Ira dann auch gleich. Nach dem Akt im Hotelzimmer bekundet er Hunger, ob es ihr denn nicht auch so ergehe, fragt er dann. "Nein, nicht um diese Uhrzeit", antwortet sie darauf lachend,
non, pas à cette heure - der Untertitler machte aus dem "diese" das gleichlautende "sieben" ...
(Ob derlei Anmache einer Dolmetscherin durch Kunden plausibel ist oder nicht, vermögen Sie selbst zu entscheiden; im berühmtesten Fall brachte es eine Sprachmittlerin an einen europäischen Königshof.)
Und dann rechne ich die Angaben des Films durch. Ira sei das halbe Jahr auf Achse, heißt es, von 220 Arbeitstagen (hier sind Ferienzeiten schon abgezogen) also die Hälfte. Ich persönlich kenne keinen freiberuflichen Dolmetscher, der (wiederum die Reisetage abgerechnet) 170 oder mehr Tage im Jahr dolmetscht. Denn das Dolmetschen verlangt zwingend nach Vorbereitung, die Themen wechseln. Wenn Konferenzdolmetscher sehr viel machen, also auch Routine für Stammkunden dabei ist, sind 100 Honorartage für viele die Belastungsobergrenze. Dann kommen geschätzte 50 Reisetage hinzu, die in dieser Liga auch bezahlt werden. Wenn Ira als Dolmetscherin also wirklich vor allem auf internationalen Kongressen tätig sein soll, kommt sie mit Honoraren und Entschädigungen für Reisetage
(frais d'approche / de déproche) gut und gerne auf einen Jahresumsatz von 100.000 Euro. Gatte Marquard verdient als Beamter sicher deutlich weniger, aber regelmäßig; man lebt in einer kleinen Vierzimmerwohnung, der Sohn studiert zwar in New York, aber wer, wenn nicht Angehörige dieser Schicht, sollen, unterstützt von der Pflegeversicherung für einen Schlaganfallpatienten, einen guten Pflegeplatz bezuschussen können? (Oder liege ich hier falsch? Auch der Vater ist nicht bettelarm, bezieht ja Rente, bewohnte eine eher großzügige Wohnung.)
"Die Kategorie (Pflegeheim), die wir uns leisten können" bezeichnet Dolmetscherin Ira als "schäbige Parallelwelt", was Besseres sei nicht drin. Der Gatte schlägt daraufhin vor, den Gürtel enger zu schnallen, ein paar Jahre auf Urlaub verzichten ... Sie winkt ab, sie wolle Vater nicht abschieben. Nein, der grundlegende Plot des Films wankt jetzt nicht, die Hauptmotive für die heimische Pflege scheinen woanders zu liegen. Werden wir kurz
extradiegetisch, kehren wir in die Geschichte der Figur Ira zurück: Der Vater hatte ihre Mutter und sie früh verlassen, um eine zweite Familie zu gründen. Ira versucht, Vergangenes aufzuholen; sie, die noch heute verletzt ist, möchte es besser machen. Wie so oft im wirklichen Leben werden die wichtigsten Gründe also nicht klar ausgesprochen. Und wo wir bei der Sprache sind: Auf den Punkt geschrieben wurden die oft doppeldeutigen Dialoge (Drehbuch:
Daniel Nocke) und die Anlage der Figuren wie die Konkurrenz zwischen den Halbgeschwistern und die
Wir-sind-ja-so-liberal-wir-besprechen-alles-Haltung von Ira und Marquard den anderen Generationen gegenüber — bei gleichzeitiger Dominanz. Da fühle ich mich als Vertreterin dieser Generation wunderbar böse getroffen!
Das schönste Fernsehfilmsprachkuddelmuddel des Jahres (bei aller Unglaubwürdigkeit des Gesprächsthemas) ist übrigens bei 1:06.
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Fotos: Screenshots / ARD
P.S.: Fürs nächste Filmprojekt mit Figuren, die Dol-
metscher sind: Wir bieten Beratung, Übersetzung,
Sprachcoaching und Untertitel aus einer Hand.