Ein langjähriger Kunde ruft an und erbittet einen Kostenvoranschlag für ein öffentlich geführtes Interview an einem Sonntagnachmittag. Das Ganze soll maximal zwei Stunden dauern und ist zu einem Thema, in dem ich mich einigermaßen zu Hause fühle. Für kurze Einsätze zu Veranstaltungen aus meinen Fachgebieten berechne ich einen sogenannten "halben Tag", der Preis liegt bei um die 550 Euro (abhängig von der Vorbereitung sowie vom Gesamtbudget des Ganzen).
Der Kunde meldet sich zurück, wegen der im Jahresdurchschnitt gestiegenen Energiekosten könne er mir nur weniger anbieten. Wieviel?, frage ich. Darauf der Kunde: "Der Podiumsgast weiß zur Stunde noch nicht, von welcher Stadt aus er anreist, die Flugkosten verdreifachen sich außerdem noch ...!" Erst danach kommt ein sehr kleinlautes "250 Euro — inklusive Mehrwertsteuer". Ich schrieb daraufhin folgenden Brief, mehr für die Chefetage als für den Mitarbeiter des langjährigen Kunden, den ich voll und ganz auf meiner Seite weiß.
Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei erhalten Sie meinen Kostenvoranschlag — meine Dienstleistung erhalten Sie als Stammkunde wieder zum reduzierten Preis. Indes, ich kann auf Ihr Honorarangebot nicht eingehen, weder in der Höhe noch in der Frage der Mehrwertsteuer.
Soweit ich informiert bin, sind Sie wie andere Institute dieser Art zum Verrechnen der Mehrwertsteuer nach deutschem Gesetz berechtigt. Da das Netto-Honorar im Falle einer “Inklusiv-Regelung” erneut um knapp 20 % sinken würde, kann ich meine Dienstleistung zu meinem Bedauern nicht zu ihrem Wunschtarif anbieten.
Zum Vergleich: Der Einsatz von zwei Stunden in ihrem Haus bedeutet für eine professionelle Dolmetscherin einen Zeitaufwand von
2 Stunden vor Ort
1 Stunde An-/Abreise
8 Stunden verteilt auf zwei Tage für die Vorbereitung (bei einem bekannten Thema)
__________________________________________
11 Stunden insgesamt ohne Nachbereitung (Einpflegen von Fachtermini in die eigene Fachwortdatenbank)
Bei einem Nettohonorar von 218,48 Euro komme ich bei elf Stunden Arbeitsaufwand auf einen Stundensatz von 19,86 Euro.
Das ist in Berlin das Honorar für Nachhilfe durch einen Studierenden. Als doppelt qualifizierte Akademikerin mit mehrjähriger Berufserfahrung habe ich einen Netto-Stundenpreis von 50,00 bis 75,00 Euro.
Das Argument anderer sich verteuernder Positionen kann ich sehr gut nachvollziehen, erlaube mir aber zu bedenken zu geben, dass sich auch meine Gestehungskosten in der Krise ebenfalls ständig verteuern (Büromiete, Kommunikation, Nebenkosten).
Ich hoffe, mit dieser genauen Aufstellungen in Ihrem Haus die Diskussion mit Sachargumenten befördert zu haben — und verbleibe mit den allerbesten Grüßen,
Ihre
Caroline Elias
3 Kommentare:
Hi Caro,
prima argumentiert! Ich finde, die Organisatoren sollten Studenten bitten zu dolmetschen. Oder die Diskussion gleich auf schlechtem Englisch führen, das wäre ähnlich publikumswirksam. Oder aber einen Billigflieger bitten, doch den Pilot in Ausbildung ans Steuerknüppel zu lassen. Oder den Stargast in der Jugenherberge einzuquartieren, die Verdolmetschung per Dosentelefon zu übertragen (für den Link auf meinen Namen klicken :-/
Einsparpotentiale zuhauf!
Beste Grüße von
Deinem Kalle
Danke :-)
Wasser auf meine Mühlen ...
Herzlich, Caroline
Und dann beklagen solche Leute sich auch noch, wenn sie genau das bekommen, wofür sie bezahlt haben...
Kommentar veröffentlichen