Manche Menschen geben sich vordergründig die Hand — und treten einander einem berühmten TV-Spot zufolge unter dem Tisch ans Bein. Je nach Machtverhältnissen ist das Händeschütteln ja auch gar nicht freiwillig, ich erinnere an die Geburtsstunde der SED.
Einst: Berliner Händeschütteln |
Zweite Zeile der Rechnung: Die Mehrwertsteuer, dritte Zeile Rechnungsbetrag. Als vierte und fünfte Zeile und vor dem Sätzchen "... bitte um Überweisung" kommt seit vielen Jahren bei mir die Nachkalkulation. Wie bei Films übrig (den historischen Plural verwende ich gern auch heute noch), rechne ich im Anschluss an die Arbeit, wie sich die Sache wirklich verhalten hat, kurz: welcher Prozentsatz an Ersparnis sich für die Produktionsfirma ergeben hat, damit alle über den Wert des Gelieferten auf dem Laufenden sind.
Kaum ist die Rechnung abgeschickt, erhalte ich eine zauberhafte Dankesmail des Produzenten. So mag ich das. Von Herzen Danke fürs Danksagen nach München, Tusch und Händeschütteln.
Manches andere Händeschütteln ist gezwungener, ich sagte es bereits. Unlängst erreichte mich ein langjähriger, staatlicher Kunde mitten im wohlverdienten Kurzurlaub und fragte mich, ob ich 50 Stunden später für ihn in Berlin würde dolmetschen können. Da ich meinen treuen Kunden gegenüber treu bin, reiste ich vorfristig ab — und arbeitete auch für ein eher symbolisches Honorar, denn der Abend war kurzfristig anberaumt und im Vorfeld nicht kalkuliert worden. Bei der Buchung fiel das Wort "Freundschaftspreis". Rasche Begleichung des Honorars wurde versprochen.
Am Tag nach dem Einsatz schickte ich meine Rechnung — natürlich mit der üblichen Nachkalkulation. Auch dieser Kunde soll wissen, welchen Preisvorteil er genießt. Und meinen Dank für Auftrag und Vertrauen sprach ich auch noch aus, auch das wie immer.
Doch das Geld ließ auf sich warten. Als einige Wochen später das Zahlungsziel längst verstrichen ist, hake ich vorsichtig nach. Ach ja, so die Antwort einer relativ neuen Assistentin dieses langjährigen Kunden, man hätte mich eigentlich bitten wollen, die Rechnung zu überarbeiten, diesmal "ohne die Worte nach den Zahlen". Meine Nachkalkulation ist gemeint. Dabei ist sie wichtig, auch fürs Image. Ich erkläre mich: In besonderen Ausnahmefällen komme ich meinen Kunden entgegen, aber unter Kollegen macht es überhaupt keinen guten Eindruck, für Sonderhonorare zu arbeiten. Mir gefällt es ja selbst nicht, die Gefahr des Preisdumpings ist oft nah. Und Berufsverbände distanzieren sich zurecht von Menschen, die sich als unlautere Wettbewerber verhalten.
Heute: Marseiller Arbeitsvermittlungsfirma |
Meine Freunde behandele ich besser, und ich lade sie auch ein, wenn es was zu feiern gibt. Am Rand eines branchenüblichen Großevents lobt mein Kunde in den Tagen darauf einige festliche Veranstaltungen aus. Anders als noch vor Jahren werde ich nicht dazu eingeladen. (Was mich verletzt, als ich später erfahre, dass dort Menschen zugegen waren, die weitaus weniger für dieses Haus und in der Szene aktiv sind.)
Nach drei Monaten erhalte ich mein Honorar, nachdem ich es mit Humor und einer letzten Mahnung in Gedichtform versucht habe.
Einige Wochen später stehe ich mit einem anderen Kunden, einem Filmverleih, wegen eines (voll dotierten) Auftrags in Kontakt. Und muss miterleben, wie jene namhafte Institution ihren Einfluss geltend macht, weil sie im Anschluss an jene Filmpremiere, um deren Verdolmetschung es geht, einen Empfang ausrichten wird. Kurz: Ein direkter Konkurrent wird hochoffiziell und dringend von jener Institution empfohlen ...
Ich finde das dreist. Bin sprachlos und weiß nicht, wie ich damit verfahren soll.
Zumal nämlicher Konkurrent gar kein Dolmetscher ist, die Dolmetschgage (welcher Höhe fragt sich?) als Mitnahmeeffekt bei seinen journalistischen Recherchen einstreicht und eine Übertragungsquote von etwa 60 % des Gesagten inklusive etlicher Irrtümer hat. Kein Profi eben, aber jemand, der jovial und smart auftritt, jubelperserischer Rundfunkbeitrag über den jeweiligen Film inklusive. Jene, die nicht ausreichend Französisch (oder Deutsch) sprechen, sehen seinen sicheren Auftritt und schließen auf die vermeintliche Qualität der Arbeit. Die wenigen Zweisprachigen im Saal, denen akkurates Arbeiten wichtig ist, hüsteln in ihr Taschentuch und enthalten sich höflicherweise öffentlich jeglichen Kommentars.
Was muss ich daraus ableiten: Genau hinhören, wenn jemand "Freundschaftstarif" sagt. Bei namhaften Institutionen keine hohen Rabatte einräumen, stattdessen bei diesem bewussten Haus nächstes Mal lieber Vorkasse verlangen, als wär's ein unsolider Kunde. (Es ist ein unsolider Kunde.) Auf den Tag genau mahnen und bei Verstreichen gleich einen Termin mit dem Vorgesetzten des Mitarbeiters machen, der die Chose verbockt hat. Diesen Termin jetzt nachholen — und völlig entspannt nachfragen, ob man sich bei einem Anwalt eigentlich genauso verhalten würde.
Denn — und auch das werde ich hervorheben — gute Freunde sind mehr wert als ein paar Ersparnisse und langmütiges Stillhalten, wenn sich eine neue Assistentin mal unprofessionell verhält. Meiner Freunde kann ich mich rühmen, ich kann mich auf sie verlassen und sie sich auf mich. Sie stehen mir bei in schlechten Tagen und feiern mit mir die guten. Ihnen verdanke ich Hinweise und Unterstützung, die über das 0815-Programm hinausgehen. Sind sie kompetent, kann ich mich mit ihnen freuen und mich in ihrer Aura sonnen, anstatt sie als Konkurrenz zu empfinden. Denn mir will wie so oft kein plausibler Grund für die erlittene Nachlässigkeit (oder Boshaftigkeit?) einfallen als dieser: Neid und mangelndes Selbstbewusstsein.
Kurz: Obacht beim Händeschütteln. Und sofort beim ersten Anzeichen, dass etwas nicht stimmt, laut geben, sonst wird man zwangsvereinigt mit Kumpanen, die man gar nicht will, oder kriegt einen vors Schienbein. Aïe !
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Fotos: C.E.
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