Dienstag, 20. September 2022

Schmerzensgeld

Über den Arbeits­alltag einer Dol­met­scherin können Sie auf diesen Seiten einiges er­fah­ren. Meine Mut­ter­sprache ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Die Bürokollegin übersetzt Texte ins Eng­lische. Manche Ein­sätze, wünsche ich mir an­schließend, hät­ten besser nicht statt­ge­funden.
Kinder auf einer Spielstraße mit Wimpeln und Hüpfkästchen
Kinderfreiheit: Berliner Spielstraße

Der schlimmste Dol­metsch­tag in mei­nem Leben: Mit einem fran­zö­si­schen Top­ma­na­ger, der in Ber­lin lebt, und seiner 15 Jahre jüngeren Le­bens­ge­fährtin bei einem Straf­recht­ler. Termin: am frühen Nach­mit­tag. Intuitiv ver­an­schla­ge ich einen vol­len Ta­ges­satz. Die ange­forderte Akte kommt im Vor­feld nicht.
Nor­ma­ler­wei­se besteht unsere Arbeit zum Groß­teil aus Vor­be­rei­tung. Hier muss ich ins kalte Wasser sprin­gen. Habe Nach­schla­ge­wer­ke dabei und ein Tablet mit Tas­ta­tur, mit dem ich on­line bin.
Vor Ort wird die Katze aus dem Sack gelas­sen. Der Mann hat eine Straf­an­zeige, da auf seinem Rechner Videos mit sexu­eller Gewalt gegen Kinder gefun­den worden sind.

Die Lebens­ge­fährtin ist am Boden zer­stört. Der Dolmet­scherin bricht die Stimme.

Der Mann stellt das erst als Irrtum dar. Sagt später klein­laut, dass die Vorwürfe be­rech­tigt seien.

Während die Dolmet­scherin spricht, überlegt sie sich, wie sie das, was sie hier sagt und spricht, mög­lichst bald wieder ver­gessen kann. Natür­lich verrin­gert das ein ganz klei­nes biss­chen die Quali­tät der Verdol­met­schung, was hier aber nicht ins Ge­wicht fällt. Aber es ist der Beginn eines Um­gangs mit den belas­ten­den Inhalten.

Die Tor­tur dau­ert eine Stunde. Die Lebens­ge­fährtin des Ange­klagten ver­lässt wort­los die Kanz­lei.

Bei der Bar­zah­lung, die Dolmet­sche­rin besteht bei unbe­kannten Neu­kun­den auf Bar­zah­lung und ob der Summe muss der Betref­fende zum Geldauto­maten, ver­sucht dieser, den Satz noch herun­ter­zu­handeln. Die Erbärm­lich­keit kennt nach un­ten kei­ne Grenze.

______________________________
Foto: C.E. (natürlich zusammenhanglos)

1 Kommentar:

caro_berlin hat gesagt…

Vielen Dank, ja.
Das gesamte Dolmetschhonorar kam mir wie Schmerzensgeld vor!
Gruß!
Caroline Elias