Dienstag, 9. November 2021

COVIDiary (423)

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ar­beiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema, aber auch meine Er­fah­run­gen und Prä­gun­gen, die mich da­zu befä­hi­gen, in den Be­rei­chen Kul­tur, Po­li­tik, So­zia­les und Wirt­schaft zu ar­bei­ten. Denn Dol­met­schen setzt eine gute All­ge­mein­bil­dung vor­aus. Für ma­nche The­men hat mich die Her­kunft sen­si­bi­li­siert.

Gleich zu Beginn dieses tiefdunklen Monats No­vember liegt der deutsche Ge­denk­tag überhaupt. Schil­lernd lie­gen wie Schichten von Eis im ver­schmutzten Kanal­was­ser die Jahre über­ein­ander: 1848, 1918, 1923, 1938, 1989.

Gut, der zugefrorene Land­wehrkanal ist für später. Heute spreche ich vom 9. No­vem­ber. Die Folgen ei­ni­ger der seriellen Da­ten, Hitler­putsch, Ver­nich­tungs­politik gegen Minder­heiten und die Fol­gen wie Krieg und Tei­lung des Landes, haben meine Ge­schwister und ich jahr­zehn­te­lang im eigenen Leb­en stark erlebt.

Mit Mauer stimmt der Plural "jahr­zehn­te­lang" nur für mich, mit Tren­nungs­folgen des Lan­des für alle vier. Wir waren (sind?) Mauerkinder in dem Sinne, dass unsere nächs­ten An­ge­hö­ri­gen in der "Zone" ge­lebt ha­ben, wie unsere Oma es noch lan­ge gesagt hat, und da­mit nur schwer be­such­bar waren. Das hat uns nicht da­von ab­gehal­ten, dort oft zu sein. So oft, dass unser Va­ter in der West­re­pu­blik nach Gün­ter Guil­laume nicht die gro­ße be­ruf­liche Kar­riere ma­chen konnte, zu der er das Po­ten­tial hat­te, aber das ist eine an­dere (kaum erzäh­lte) Ge­schi­chte.

Mit dem Auto über Grenze zu fahren, war keine ein­fache Sache. Wir Kin­der wurden zum Klappe­halten ver­donnert. Wir sind alle recht ge­sprächig, und in li­beralen Fa­mi­lien kamen solche Sprüche mit Bas­ta-Men­ta­li­tät höchst sel­ten. Ich habe das Ge­fühl noch in den Kno­chen: Erst müssen wir lange, sehr lange war­ten, dann treten frem­de Leute mit Macht und in Uni­form ans Auto heran und geben ihre Be­feh­le. Die El­tern haben Angst. Die sonst immer so mäch­ti­gen und einen sicher be­schüt­zenden Eltern ha­ben Angst!

Das wa­ren schon prägende Er­fah­rungen.
Grenz­über­gangs­stelle Dre­witz-Drei­linden alias Check­point Bravo (1986)

Höchst ir­ri­tie­rend für mich: Diese Lüt­ten sehen aus wie meine jüngs­ten Ge­schwis­ter in jün­geren Jahren. Sie können es gar nicht sein, es sei denn, das Bild würde von 1981 stam­men und meine El­tern hätten die Mi­nis mal mit an­de­ren Eltern rei­sen las­sen. Quatsch!

Mein zweiter Bruder ver­mel­det in­zwi­schen auf das Bild, er habe die Grenz­über­gangs­si­tuatio­nen gar nicht als sooo schlimm in Er­in­ne­rung.
Umso besser!

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Foto:
Foto von David Wintzer, Wikicommons

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