Was Dolmetscherinnen und Dolmetscher für die französische Sprache so erleben, können Sie hier mitverfolgen. Wir sind im 2. Coronasommer. Anders als früher, als ich meistens vor Ort tätig war, arbeite ich jetzt oft aus der Ferne.
Mutterseelenallein
sitzt diesen Montag ein junger Mann auf dem Gang des Berliner
Polizeipräsidiums. Er hat am Vortag sein Auto in Frankreich zurücklassen
müssen und fragt sich jetzt, wie er es schnell wiederbekommt.
Ein Malheur ist rasch passiert |
Bei solchen Problemen kann ich helfen. Dass er sich privat eine Dolmetscherin suchen muss, hat ihm ein französischsprechender Polizeibeamter gesagt, dem gegenüber Minuten zuvor ein agent de police auf französischer Seite den Hörer mitten im Telefonat eingehängt hat.
Der Erklärungsversuch des Anrufers war möglicherweise etwas schwer verständlich gewesen, genauer weiß ich es nicht.
Vielleicht hat auch formal was nicht gestimmt. Die Berliner Polizei ist für ihren direkten Tonfall bekannt. In Frankreich indes ist bei einer ersten Kontaktaufnahme immer gut zu wissen, wer wie angesprochen wird — und wo er oder sie ist.
Doch der Reihe nach. Der Wagenhalter war Ende letzter Woche über Belgien und Frankreich privat nach Großbritannien gefahren, um dort eine Person abzuholen, die in Deutschland ins Krankenhaus muss. Auf der Rückfahrt, kurz nach dem Tunnel, der unter dem Kanal entlangführt, forderte die Natur ihren Tribut ein. Der Mann fuhr auf einer Landstraße rechts ran und wollte kurz auf einen Seitenstreifen neben einem Acker parken — oder was er dafür hielt. In Wirklichkeit befindet sich dort ein komplett zugewachsener Graben. Der Wagen ist dann 1,20 Meter in den Graben gerutscht, einige Scheiben zerbrachen, die Airbags gingen auf.
Glücklicherweise sind den beiden Passagiere vor Ort sehr viele nette Franzosen zu Hilfe geeilt. Jemand hat die eingeklemmten Tür aufgemacht, andere haben Polizei und Krankenwagen gerufen. Da zum Glück kein Schaden an Menschen eingetreten war, blieb die Polizei fern. Mitten am Wochenende kam auch der Abschleppdienst nicht umgehend. Der Fahrgast aus England, der aus anderen als den Unfallgründen in ein Krankenhaus sollte, wurde erstmal in ein Hotel einquartiert.
Da die Informationslage vor Ort mau war, es schien sich abzuzeichnen, dass die Versicherung bei einem selbstverschuldeten Unfall im Ausland den Pannenservice und die Rückholung des Wagens möglicherweise nicht übernimmt, und weil auch kein Pannendienst in Sicht war, vor allem aber weil der Patient nicht länger unterwegs sein sollte, fuhren die beiden dann mit dem Zug zurück nach Deutschland.
Der Unfall löste eine Pannenserie an Kommunikationsschwierigkeiten aus: Bestellte Taxis blieen weg, der Besitzer des Unfallwagens schob das auf seine mageren Französischkenntnisse, und der Pannendienst beschrieb unwidersprochen als absolute Notwendigkeit, dass der Mann persönlich nach Frankreich zurückkommen müsse um das Auto eigenhändig aufzuschließen, damit der Abschleppdienst sicher sein könne, dass er selbst der Eigentümer ist. Ein Auto aufzuschließen dauert Sekunden, daran, es zur Not aufzubrechen, arbeitet ein Fachmann auch nicht lange.
2000 Kilometer Hin- und Rückfahrt dauern entschieden länger. Dies als absolute Notwendigkeit darzustellen, klingt unwahrscheinlich in Zeiten, in denen wir heute ganz alltäglich in Konferenzräumen sitzen, die von New York über Nairobi, Berlin, Paris, Genève reichen, um nur ein aktuelles Beispiel zu erwähnen.
Die Dolmetscherin kommt ins Spiel, also ich, per Telefon. Es gibt erste Informationen, dass der Auto-Schutzbrief doch den Rücktransport deckt. In der Sommerpause ist beim Polizeirevier einer mittelkleinen Stadt die Unfallabteilung unbesetzt, ich frage mich durch, suche dann auch nach einer passenden Abschleppfirma, kurzzeitig war sogar mal eine vor Ort, jene, die vom eigenhändigen Aufschließen sprach. Auch dieses Problem löst sich sehr schnell in Wohlgefallen auf.
Das Gute: Der staatliche Abschleppdienst (la fourrière) hat sich in der Zwischenzeit des Autos nicht ermächtigt, damit wäre es sofort teuerer und administrativ komplizierter geworden. Es wurde auch noch nichts polizeilich zu Protokoll gegeben, auf Französisch: aucune main courante n'a été déposée, auch keine Anzeige wegen illegalen Abstellens des Autos, so dass die Polizei auch jetzt nicht handeln muss (pas d'intervention policière) und die Angelegenheit ein reines privat- und versicherungsrechtliches Problem ist, das Kosten für die Pannenhilfe (frais de dépannage) und Abschleppkosten (frais de remorquage) auslöst, zu überschaubaren Pauschalen, plus die Stundensätze der Beteiligten.
Die beste Nachricht zum Schluss: Der Patient ist wohlbehalten in einem deutschen Krankenhaus angekommen, und das ganz ohne das Zutun einer Dolmetscherin.
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Illustration: Lehrbuch (eigenes Archiv)
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