Dienstag, 27. Juli 2021

COVIDiary (346)

Was Dol­met­scher­in­nen und Dol­met­scher für die fran­zösische Sprache so erleben, können Sie hier mitverfolgen. Wir sind im 2. Coronasommer. Anders als früher, als ich meistens vor Ort tätig war, arbeite ich jetzt oft aus der Ferne.

Mutterseelenallein sitzt diesen Montag ein junger Mann auf dem Gang des Berliner Polizeipräsidiums. Er hat am Vortag sein Auto in Frankreich zurücklassen müssen und fragt sich jetzt, wie er es schnell wiederbekommt.

Ein Malheur ist rasch passiert

Bei solchen Problemen kann ich hel­fen. Dass er sich privat eine Dol­met­sche­rin suchen muss, hat ihm ein französischsprechender Po­li­zei­be­­am­ter gesagt, dem ge­gen­über Mi­nu­ten zuvor ein agent de police auf fran­zö­si­scher Seite den Hörer mitten im Telefonat ein­gehängt hat.

Der Erklä­­rungs­versuch des Anrufers war mögli­cherweise etwas schwer ver­stän­d­lich gewesen, genauer weiß ich es nicht.

Vielleicht hat auch formal was nicht gestimmt. Die Berliner Polizei ist für ihren di­rek­ten Tonfall bekannt. In Frankreich indes ist bei einer ersten Kontaktaufnahme immer gut zu wissen, wer wie angesprochen wird — und wo er oder sie ist.

Doch der Reihe nach. Der Wagenhalter war Ende letzter Woche über Belgien und Frankreich privat nach Großbritannien gefahren, um dort eine Person abzuholen, die in Deutschland ins Krankenhaus muss. Auf der Rückfahrt, kurz nach dem Tun­nel, der unter dem Kanal entlangführt, forderte die Natur ihren Tribut ein. Der Mann fuhr auf einer Landstraße rechts ran und wollte kurz auf einen Seitenstreifen ne­ben einem Acker parken — oder was er dafür hielt. In Wirklichkeit befindet sich dort ein komplett zugewachsener Graben. Der Wagen ist dann 1,20 Meter in den Graben gerutscht, einige Scheiben zerbrachen, die Airbags gingen auf. 

Glücklicherweise sind den beiden Passagiere vor Ort sehr viele nette Franzosen zu Hilfe geeilt. Jemand hat die eingeklemmten Tür aufgemacht, andere haben Polizei und Krankenwagen gerufen. Da zum Glück kein Schaden an Menschen eingetreten war, blieb die Polizei fern. Mitten am Wochenende kam auch der Abschleppdienst nicht umgehend. Der Fahrgast aus England, der aus anderen als den Unfallgründen in ein Krankenhaus sollte, wurde erstmal in ein Hotel einquartiert. 

Da die Informationslage vor Ort mau war, es schien sich abzuzeichnen, dass die Ver­si­che­rung bei einem selbstverschuldeten Unfall im Ausland den Pan­nen­ser­vice und die Rückholung des Wagens möglicherweise nicht übernimmt, und weil auch kein Pan­nen­dienst in Sicht war, vor allem aber weil der Patient nicht länger un­ter­wegs sein sollte, fuhren die beiden dann mit dem Zug zurück nach Deutschland. 

Der Unfall löste eine Pannenserie an Kommunikationsschwierigkeiten aus: Bestellte Taxis blieen weg, der Besitzer des Unfallwagens schob das auf seine mageren Fran­zö­sisch­kennt­nis­­se, und der Pannendienst beschrieb unwidersprochen als absolute Not­wen­dig­keit, dass der Mann persönlich nach Frankreich zurückkommen müsse um das Au­to eigen­hän­dig auf­zu­schlie­ßen, damit der Abschleppdienst sicher sein könne, dass er selbst der Eigentümer ist. Ein Auto aufzuschließen dauert Se­kun­den, da­ran, es zur Not auf­zu­bre­chen, arbeitet ein Fachmann auch nicht lange.

2000 Kilometer Hin- und Rückfahrt dauern entschieden länger. Dies als absolute Not­wen­dig­keit darzustellen, klingt unwahrscheinlich in Zeiten, in denen wir heute ganz alltäglich in Konferenzräumen sitzen, die von New York über Nairobi, Berlin, Paris, Genève reichen, um nur ein aktuelles Beispiel zu erwähnen. 

Die Dolmetscherin kommt ins Spiel, also ich, per Telefon. Es gibt erste In­for­ma­tio­nen, dass der Auto-Schutzbrief doch den Rücktransport deckt. In der Sommerpause ist beim Po­li­zei­re­vier einer mittelkleinen Stadt die Unfallabteilung unbesetzt, ich frage mich durch, suche dann auch nach einer passenden Ab­schlepp­fir­ma, kurz­zei­tig war so­gar mal eine vor Ort, jene, die vom eigenhändigen Aufschließen sprach. Auch die­ses Pro­blem löst sich sehr schnell in Wohlgefallen auf. 

Das Gute: Der staatliche Abschleppdienst (la fourrière) hat sich in der Zwi­schen­zeit des Autos nicht ermächtigt, damit wäre es sofort teuerer und ad­mi­nis­tra­tiv kom­pli­zier­ter geworden. Es wurde auch noch nichts polizei­lich zu Proto­koll ge­ge­ben, auf Fran­zö­sisch: aucune main courante n'a été déposée, auch keine An­zei­ge wegen illega­len Abstellens des Autos, so dass die Polizei auch jetzt nicht handeln muss (pas d'in­ter­ven­tion policière) und die Ange­le­genheit ein reines privat- und ver­si­che­rungs­recht­li­ches Problem ist, das Kosten für die Pan­nenhilfe (frais de dé­pan­nage) und Abschlepp­­kosten (frais de re­mor­quage) auslöst, zu überschaubaren Pau­scha­len, plus die Stun­den­sätze der Beteiligten.

Die beste Nachricht zum Schluss: Der Patient ist wohl­be­halten in einem deut­schen Kran­kenhaus angekommen, und das ganz ohne das Zutun einer Dolmetscherin.

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Illustration:
Lehrbuch (eigenes Archiv)

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