Freitag, 31. Juli 2020

COVIDiary (116)

Ob gezielt an­ge­steu­ert oder eher zufällig, lesen Sie hier eine Seite des ers­ten Dol­met­schblogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Das Co­ro­na­vi­rus macht aus meinem Blog das eher private COVIDiary mit Notizen aus dem ers­ten Berliner Coronasommer.

Nachmittags auf dem Wochen­markt vor dem Haus: In der Schlange fragt ein Paar nach einem Café, hat sich in der Uferseite vertan.
 
Hummeln und Blüten
Berliner Hummelsommer
Wir Dol­met­sche­rin­nen und Dolmetscher sind immer höflich und hilfsbereit. So kommen wir kurz ins Gespräch. Sie seien in Berlin, um gegen Corona zu de­mons­trie­ren. Bei wem sie denn da vor­stel­lig wür­den, frage ich leicht ironisch. Diese Ebene kommt nicht an.
Die beiden ent­­puppen sich als hart­ge­sot­te­ne Corona­­leugner. Sofort ver­su­chen sie, mich zu mis­sio­nieren. Ich habe sie darauf­hin freund­lich gefragt, wie der böse Deep State, der Corona in die Welt gesetzt hat, um uns alle aus­­zu­rot­ten (wie sie ernst­haft er­klärt ha­ben), jetzt sein Chem­­trail­pul­ver versprüht, wo doch kaum Flie­ger in der Luft sind. Darauf haben sie keine Ant­wort.

Ich habe Ihnen dann als Buch "Die Schock-Strategie" von Naomi Klein em­pfoh­len. Sie kannten es nicht. Ma­dame hat Titel und Auto­rin eifrig notiert. Wäre ja noch schöner, wenn immer alle nur Bücher aus ihrer Blase lesen würden.

Klammern zur Befestigung von Kunst und von Wäsche
Klammern zählen
Ich lese gerade ein Buch über "Paris un­term Haken­kreuz", Autor: Kers­ten Knipp. Mehr dazu folgt später. In­halt­­lich schlie­ße ich an einen Krimi an, zu dem ich vor ei­ni­gen Jahren als Dolmetscherin an Dreh­ar­bei­ten zu einem Dokumentarfilm beteiligt war: "Das schwarze Korps", Le corps noir, von Dominique Manotti.

Zwischendurch ist Lesen aber un­prak­tisch. Heute Vor­mittag hieß es bereits: Wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr. We made a big splash. Einma rin ins jute Wassa.
Dann ins Büro, arbeiten. Vorher noch in Biblio­thek und Buch­laden weiteres Le­se­fut­ter ab­ho­len.

Morgen ist Gartenar­beit dran, dann kommt Besuch aus Frankreich. Kom­menden Diens­tag ha­ben wir eine Aus­stellung im Haus, dafür ist auch noch was vor­­zu­­be­­reiten. Im Bastel­kram­kauf­haus für Architekten am Moritz­platz, Modulor, habe ich noch Foldback-Klammern nachgekauft. Berlin mit seinem viel­sei­ti­gen Ein­zel­handel begeistert mich immer wieder.

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Fotos: C.E. (z.T. Archiv)

Donnerstag, 30. Juli 2020

COVIDiary (115)

Bon­jour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich vom Büro aus, das seuchenbedingt brachliegt. Die Spracharbeit geht auch ohne Kundschaft täglich weiter.

Jeden Morgen habe ich eine Englischstunde, meistens via Radio. Oft höre ich auch später nochmal rein, je Interesse. Und zweimal die Woche lerne ich im Tandem mit einer anderen Dolmetscherin zusammen. Natürlich mache ich mir dabei No­ti­zen. Warum die nicht manch­mal auch für den Blog nutzen?

Hörnotizen am Morgen (BBC 4)

Verkehr/Soziales: Einwohnern Großbritanniens steht ein Gutschein in Höhe von 50 Pfund zu, das ist etwas mehr als 55 Euro, um ein altes Fahrrad reparieren zu las­sen. Der staat­li­che Server, der die Gutscheine ausstellt, ist diese Woche zu­sam­men­ge­bro­chen. Die große Nachfrage ist eine gute Sache, die Vorteile des Rad­fah­rens für die Umwelt unbestritten, ebenso für die Gesundheit der Men­schen auch au­ßerhalb von Seu­chen­zei­ten. The scheme is part of a strategy to tackle obesity, "das Projekt ist Teil der Strategie zur Bekämpfung der Fettleibigkeit".

In Großbritannien hat der Radverkehr durch Corona stark zugenommen. Seit Beginn der Gesundheitskrise waren dort bereits 1,3 Millionen Fahrräder vom Han­del ab­ge­setzt worden. Umfragen zufolge sind 68 Prozent der Wege, die dort täglich zu­rück­ge­legt werden, kürzer als fünf Meilen, also ma­xi­mal 8,05 Ki­lo­meter lang, das ist eine Strecke, die sich in bequemem Tempo in weniger als einer halben Stunde zu­rück­le­gen lässt.

Allerdings fahren Menschen aus ärmeren Familien weniger oft Fahrrad, und zwar nur zehn Prozent, participation rates are extremely uneven, heißt es im Radio, wörtlich: "die Teilnah­me­quoten sind extrem ungleichmäßig", oder, wenn ich den Gedanken vom Kopf wieder auf die Füße stelle: die Wahrscheinlichkeit, aufs Fahr­rad zu steigen, sinkt rapide mit dem Einkommen. Nur zehn Prozent der Ärmsten der Bevöl­kerung steigt einmal in der Woche aufs Rad, 75 Prozent sind noch nie mit dem Fahrrad gefahren, aber 30 Prozent dieser Bevölkerungs­gruppe würden gerne damit anfangen.

(Thought for the day, reverend Lucy Winket,  Rector of St James's Church, Pic­ca­dil­ly, ab 7.43 Uhr / bei Zählerstand 1'48'')

Meine Ergänzungen: Wir brauchen Strategien, Radfahren sexy zu machen. Durch Corona wurden überall auf der Welt neue Radstrecken ausgewiesen, auf Neu­deutsch Pop-up-Radweg (auch Corona-Radweg). Etliche davon sollten ver­ste­tigt wer­den.

Diverse Pflanzen in Töpfen
Wildwuchs im Gärtchen
Umwelt: Jetzt sind auch Wildkatzen vom Aussterben bedroht, außerdem der Sta­chel­igel (shedgehog), der Biber (beaver), die Haselmaus (dormouse) und das Eich­hörn­chen (red squirrel). Sie ste­hen neu­er­dings auf der britischen roten Liste der gefährdeten Säugetiere. "Wenn wir jetzt nicht radikal handeln", heißt es im Radio, and a lot bolder, und sehr viel mutiger, "werden unsere Enkelkinder diese Tiere nicht mehr kennenlernen". Viele Na­tur­schutz­pro­jek­te seien überdies zu kurz­fris­tig gedacht und finanziert, es fehle an Nachsteuerungen und am langen Atem.
Zitiert wird Frau Prof. Fiona Matthews, Vorsitzende der Mammal Society, im Programm Today von BBC4, ab 7.44 Uhr / bei Zählerstand 1'44'. 

Jene, die noch immer die Klimakatastrophe anzweifeln, mögen sich vorstellen, dass Ihre Enkel und Urenkel nicht mehr stolz ihre Kastanien-und-Steichholzigel aus dem Kindergarten nach Hause tragen. Gemalte Baumbilder ohne die Maus im Erd­loch und ohne Eichhörnchen, das den Stamm rauf- und runterrennt, werden ärmer sein. Schon heute basteln die Minis nur noch in wenigen Regionen alle Jubeljahre mal einen Wattebauschschneemann.

In der Mailpost: Die Firma BureauxLocaux hat 50.000 Anzeigen verglichen, die vor und nach dem Lockdown veröffentlicht worden sind. In der Region um Paris sind die Gewerbemieten um vier und neun Prozent gesunken, in Mar­seille sogar durch­schnitt­lich um acht Prozent.

Das Kackvirus wütet weiter, besonders übel in Nord- und Südamerika. Der Nach­rich­ten­agen­tur Reuters zufolge gab es allein gestern mindestens 1461 Coronatote, etwa ein Mensch pro Minute.


Weitere Vokabelnotizen
to draw up an account — abrechnen [Rechnungswesen]
bike repair voucher — Fahrradreparaturgutschein
But deeper themes are at play. — Komplexere Probleme sind da im Spiel.
to clear a city street — eine städtische Straße entvölkern
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Foto: C.E.

Mittwoch, 29. Juli 2020

COVIDiary (114)

Bon­jour auf mei­nen Blog­seiten! Ich ar­bei­te seit 2005 in Pa­ris und Ber­lin als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin, früher auch oft als Über­set­ze­rin. (Für den Unterschied: siehe die Unter­zeile oben.) Ich dolmetsche nicht nur, sondern beobachte auch scharf. Manchmal zu scharf.

Wahllichtbildvorlage, das ist ein für mich neues Wort, das ich vermutlich so bald nicht wieder brauchen werde. Ich war ins LKA geladen zu eben dieser. Mir wurden auf Papier acht Portraits vorgezeigt. "Gar nicht so leicht, eine solche Auswahl her­zu­stellen", sagte die Beamtin auf der anderen Seite der Anti-Corona-Ple­xi­glas­schei­be. 

Acht finster dreinblickende ältere Herren waren da zu sehen, offenbar alles Köpfe, die zu echten Fäl­len gehören. Ob sie nicht doch kurz noch einen älteren Kollegen im Flur ge­knipst habe, wollte ich im Scherz von ihr wis­sen. Sie hat das verneint.

Alte Registrierkasse
Zahlen, bitte!
Der dritte war es, ein Al­ler­weltsgesicht, das Foto schon etwas älter. Die Licht­bil­der waren auf einem fo­to­ko­pier­ten Zet­tel zu sehen, erst in schwarz-weiß, dann bunt. Sowas ist deutlich we­ni­ger gla­mou­rös als die Ge­gen­über­stel­lung mit One-way-screen und leben­di­gen Menschen, das Fernseh­krimibild, das einem bei die­ser Gelegenheit im Kopf rum­spukt.
 

Aber ich habe ihn gleich wiedererkannt. Es war ein Bild aus dem Knast, vor der Entlassung. Was dem zugrunde liegt, war indes recht telegen gewesen. Vor über einem Jahr hat mich ein "Pri­vat­­ro" an­gerufen, ob ich denn auch Privatkunden annehmen würde. Ich konnte das nur bejahen. 

Beim Termin erwartete mich ein älterer Mann, der den Habitus eines reichen Ren­tiers mehr schlecht als recht imitiert hat. Er sagte, er wolle nach Berlin ziehen, denn er leide an einer seltenen Krankheit und sein behandelnder Arzt lebe in der deutschen Hauptstadt. Er habe weiter keine Angehörigen mehr, wolle hier in Berlin eine Wohnung kaufen und zu diesem Zwecke zunächst ein Bankkonto eröffnen.

Ich mache die Sache kurz: Am Ende hat er einen gestohlenen Scheck von einer knap­pen Million Euro eingereicht. So weit, dass die Bank ihm dafür Geld gegeben hat, kam es nicht.

Da wir so etwas schon einmal passiert ist, ich bin eben verdammt gut in den Such­ma­schinen verlinkt, ging ich mit etwas Misstrauen zum ersten Termin und habe ei­gent­lich nur auf Unstimmigkeiten gelauert. Das ging schon mit seinem Namen los. Er stellte sich als Zodiac AEROTECHNICS vor. So heißt auch eine fran­zö­si­sche Fir­ma für flug­tech­ni­sche Komponenten, die gerade umfirmiert worden war.

Auch hier kürze ich ab. Die Details wandern mal in einen Krimi, für den ich schon sammle. Die Berliner Polizei wurde zu dem Zeitpunkt involviert, ab dem ich mir sicher war. Am Ende hätte sie ihn ergreifen können, aber sie haben ihn knapp ver­passt.

Für mich war das Ganze mit einigem unbezahlten Aufwand verbunden, ich habe dabei mein kriminalistisches Gespür entdeckt. Vielleicht sollte ich die fran­­si­sche Luft­fahrt­technik­firma mal an­schreiben und ihnen den Hintergrund ihrer Scheck­ver­lust­story erzählen. In einkommenslosen Coronaviruszeiten könnte ich einen Fin­der­lohn, der einem leider gesetzlich bei Schecks nicht zusteht, ziem­lich gut ge­brau­chen. (Wäre es Bargeld gewesen, mir hätten ca. fünf Prozent zugestanden.)

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Foto: C.E.

Dienstag, 28. Juli 2020

COVIDiary (113)

Hello, bon­jour und gu­ten Tag! Hier be­rich­te ich aus mei­nem Berufsleben als frei­be­ruf­liche Konferenzdolmetscherin für die französische Sprache. Vor Monaten wurde aus dem Arbeitstagebuch das eher private COVIDiary. Seit März gab es keine echte Konferenz mehr. Die nächste wird wohl erst 2021 stattfinden.

Biedermeierstuhl
"Was du ererbst von deinen Vätern ...
Die Kellnerin auf der Café­ter­ras­se: "Du kannst zum nächs­ten Ersten meinen Job haben, ich gehe nach Kanada zurück." Die Textarbeiterin, die für bör­sen­no­tier­te Firmen arbeitet: "Schau mal, im Verkauf werden Leute gesucht!" Der Lehrer: "Kannst bei uns anfangen, Quer­ein­stei­ge­rin­nen in den Schuldienst sind gefragt!" Das ist alles lieb gemeint. Ich suche einen gutdotierten Job, gerne Teilzeit, denn ich habe einen Beruf. Ich bin Dol­met­scherin. Ich arbeite regelmäßig, habe nur derzeit kaum be­zahl­te Ein­sätze. Mein Be­rufs­all­tag besteht zu 80 Pro­zent aus Vor­be­rei­tung, aus Leben in der Sprache, Lesen, Nach­be­rei­tung, Gram­matik durch­den­ken, neuen Begrif­fen auf der Spur sein.

In der Küche dolmetsche ich beim Kochen vor mich hin, Sendungen meiner Leib- und Magensender, das ist wie |Schwimmübungen| Nudelkochen ohne Wasser. Das Gehirn ist eine Art ein Muskel. Nur wenn ich diesen Muskel regelmäßig trainiere, kann ich später, wenn's wieder losgeht, die üblichen Spitzenleistungen abliefern.

Derzeit stecke ich in einem Auswahlverfahren, da wird tatsächlich eine Stelle mit einer Dolmetscherin besetzt, Sie dürfen/Du darfst mir die Daumen halten. Au­ßer­dem habe ich nächste Woche ein Vorstellungsgespräch in Sa­chen Film­her­stel­lungs­lei­tung, und einen Vierteltag in der Woche Woche beschäftigt mich schon der Stammkunde mit seinem längerfristigem Bauprojekt. Mal sehen, wie sich das am Ende fügen wird.

Von Herzen wünsche ich mir die Dolmetschfestanstellung, weil das Projekt in­halt­lich genau meinen Arbeitsschwerpunkt und meine Arbeitsweise trifft, und weil ich schon vor Corona davon geträumt habe, längerfristig in ein Team ein­ge­bun­den zu sein und nicht nur punktuell. 

Caroline Louise Emilie Souchay de la Duboissière
Zudem habe ich von meinem Vater unter anderem drei Bieder­mei­er­stühle mit Restau­rie­rungs­be­darf geerbt. Außerdem warten hier zwei Ahnenportraits aus der gleichen Zeit auf Restaurierung, dann das Fotowerk meines Vaters, das ich digitali­sie­ren und im Netz veröf­fent­li­chen möchte, sowie ein von ihm vorberei­tetes Buch, das Einlei­tung und Schluss­wort bekommen, um eine topo­gra­phi­sche Spu­ren­suche er­gänzt wer­den soll. Es geht um ein bis­lang kaum be­leuch­te­tes Ka­pi­tel der deutsch-franzö­sischen Ge­schichte: Um den deutsch-fran­zö­si­schen Krieg von 1870/71.


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Foto: C.E. (mit Fotoshop)
... erwirb es, um es zu besitzen." (JWvG)

Freitag, 24. Juli 2020

COVIDiary (110)

Hallo und gu­ten Tag auf mei­nen Blog­seiten. Ich ar­bei­te seit 2005 in Pa­ris und Ber­lin als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin, früher auch oft als Über­set­ze­rin. (Was das un­ter­schei­det: siehe die Unter­zeile oben.) Derzeit schreibe ich vom Büro aus. Das Co­ro­na­virus macht aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.

Historisches Stadtpanorama in einem Hauseingang
Mein diesjähriges Urlaubsziel
Der sechs­te Mo­nat ohne re­gel­mä­ßige Aufträge bricht bald an.
Wie eine Balletttänzerin oder ein Opernsänger muss ich täg­lich meine Hirn­mus­keln trai­nie­ren, bin also jeden Tag drei Stunden und länger da­mit be­schäftigt, mich à jour zu halten und in „Trocken­schwimmen“ zu üben, um meine Fertigkeiten aufrecht zu erhalten.

Arbeit haben wir Konferenzdolmetscherinnen und -dolmetscher, aber leider kein Einkommen. Und außer Hartz IV will uns die Regierung nichts anbieten. Wer von uns ein wenig fürs Alter vorgesorgt hat, muss diese Rückla­gen erst verfrühstücken, bis unsereinem eine Hilfe zuteil werden soll, die nicht ausreicht. Ich habe Angst, bald über diese Zu­mu­tung, eine schreiende Un­gleich­behandlung mit anderen Bür­ge­rin­nen und Bürgern des Landes, nicht mehr sprechen zu können, vor Bitterkeit zu verstummen. Und ich muss glücklich sein über die fünf bis zehn Prozent ver­blei­ben­der Aufträge, die fürs Ganze nicht ausreichen.

Heute geht durch die Gazetten: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat jegliche Hoffnung auf ein absehbares Verschwinden des Coronavirus gedämpft. „Wir müs­sen lernen, mit dem Virus zu leben“, hat Nothilfe­koordinator Mike Ryan gestern Abend in Genf ver­laut­bart. Die Menschheit müsse lernen, ihren Alltag trotz Virus neu zu gestalten. Er appellierte dabei an die Regierungen aller Länder, alles er­denk­lich Mögliche dafür einzusetzen, Krankheits­übertragungen zu reduzieren. Dazu gehöre auch die Schlie­ßung von Lokalen oder drastische Zu­tritts­be­schrän­kun­gen. Ge­­schlos­­se­ne Räume bleiben problematisch. So lange neue Infektionsketten dro­hen, werden wir Kon­fe­renz­dolmetscherinnen und Konferenz­­dol­metscher den nor­ma­len Arbeitsmodus nicht wiederfinden.

Weitere News: Mein altes Samsung-Handy, das viel zu alt war, um die Corona-Warn-App zu installieren, habe ich letzten Monat zurecht abgeschafft. Das erfahre ich aus den Medien, denn über Wochen soll auf einem Großteil der Smartphones die Warn­funktion nicht richtig funktioniert haben. Vor allem waren davon der Her­stel­ler meines Mobilgerätes sowie die aus dem Hause Huawei betroffen. Als hätte ich es geahnt, habe ich mit dem Mobil­telefon auch die Pro­duk­tions­fir­ma ge­wech­selt.

Kannen, Tassen etc.
Kaffeesachen im alten Buffet
Für mich waren Taschentelefone bislang unwichtig. Wie beim Privathandy geht's bei mir nur um kurze Telefonate zu Ab­spra­chen und die Erreichbarkeit für Fa­mi­lie, Freunde und Kunden. Mal schauen, ob die veränderten tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten mein Nut­zer­ver­hal­ten ändern werden.

Möglich gemacht hat diesen Wechsel üb­rigens die Soforthilfe für Selbständige von Bund und Land, für die ich sehr dank­bar bin. Durch den ersten Teil der Krise bin ich einigermaßen gut gekommen. Das liegt auch daran, dass wir frühen An­trag­stel­le­rin­nen und An­trag­stel­ler aus Berlin 5000 Euro für die privaten Ausgaben nutzen konnten.

Plastikarmer Haushalt
Was mich heute beschäftigt: Wegen des Umbaus der Sprecherbox zur Dol­met­scher­kabine, die im Arbeitszimmer Platz ge­funden hat, gerieten unsere Möbel do­mi­no­artig in Bewegung. (Für mich als Lin­gu­is­tin hat der Satz mehrere Ebenen. Klar, dass ein Möbel beweglich ist … auf Fran­zö­sisch bedeutet meuble als Adjektiv leicht, lose, weich, locker.) Der Be­spre­chungs­tisch aus dem Ar­beits­zim­mer wur­de ab­ge­schafft, ein anderer Schrank musste um­ziehen. Noch ist nicht alles wieder so ver­staut, dass es den Abläufen entspricht.
Bis zum Herbst, wenn wir hoffentlich eine kleine Saison mit Einsätzen via Fern­dol­metschen bekommen werden, daher die Kabine, dürfte das erledigt sein.

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Foto: C.E.

Dienstag, 21. Juli 2020

COVIDiary (108)

Ob geplant oder zufällig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. Die Umstände ma­chen aus meinem Blog aus dem Be­­rufsall­tag das eher private COVIDiary. Auch wenn wir gerade kaum bezahlte Arbeitstage haben, arbeiten Linguistinnen und Linguisten täglich.

Sprache schafft Wirklichkeit, darauf wies bereits Ludwig Wittgenstein hin, als er sagte: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Änderungen wahrzunehmen, sie zusammen­zufassen und in neue Begriffe gerinnen zu las­sen ist Teil unserer Arbeit. Das braucht Zeit, Beobachtungsgabe und wachen Verstand. Wir Übersetzerinnen und Dolmet­scherinnen* verfolgen täglich, was sich in "un­se­ren" Zweit- und Dritt­län­dern tut, denn selten tauchen an mehreren Orten si­mul­tan ver­gleich­ba­re Begriffe auf. Wir suchen beizeiten nach Entsprechungen. Das Phä­no­men nennt sich "ter­mi­no­lo­gi­sches Ar­bei­ten": Wir (er)finden Fachbegriffe.

Fachtermini plus Begriffe, die auch Betroffene verstehen
Ein Bei­spiel dafür ist et­wa 15 Jahre alt. Menschen aus seit Jah­ren kri­sen­ge­schüt­tel­ten Wohn­­quar­­tieren von Berlin und des Pa­ri­ser Groß­raums ha­­ben da­mals ge­mein­sam mit Wis­sen­schaft­lerinnen und Wis­sen­schaft­le­rn wie­der­holt meh­re­re Tage lang Prob­lem­la­gen und Lö­sun­gen für ihre Pro­blem­­viertel diskutiert.

"Clichy-sous-Bois trifft Neukölln" war ein Format, das ein SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter ersonnen hatte; später übernahm das deutsch-französische Jugendwerk die Initiative. Es hat sich sich über Jahre und etliche Begegnungen erstreckt. Am Ende von mehrtägigem "Fachkräfteaustausch" kamen stets Politikerinnen und Politiker hinzu. Dort vermittelte ihnen die Basis, wo der Schuh drückt. Ziel war es, gute Er­fah­rungen, Best practices, zu übertragen. Zwischendurch standen "wir" sogar im Magazin DER SPIEGEL.

Neukölln war spätestens 2005 ein Hotspot der Berliner Gentrifzierung, was die Fi­nanz­kri­se ab 2008 erheblich angefeuert hat. Der englische Begriff gentrification klang damals noch fremd in deutschen Ohren, er wurde grundsätzlich noch eng­lisch aus­ge­sprochen. Wir wussten im Vorfeld, dass wir mit Menschen aller Schich­ten zu tun haben würden, und wir haben im Team länger nach einer passenden "Übersetzung" dieses Worts gesucht. Wir haben das Phänomen als "Verdrängungs­sanierung" bezeichnet und in den Gesprächen parallel den englischen Begriff be­kannt­ge­macht; am Ende wurde beides gleichermaßen verwendet.

Jetzt steht transition auf dem Programm, mir spätestens seit 2012 ein Begriff, auf Französisch la transition éco­no­mi­que, éco­lo­gi­que et sociale, auf Deutsch: wirt­schaft­­li­cher, ökologischer und sozialer Wandel in Rich­tung mehr Nach­hal­tig­keit. Das ist natür­lich zu lang.

Wäre der Begriff "Wende" in der deutschen jünsten Geschichte nicht schon mehr­fach besetzt, Helmut Kohls "geistige und mora­lische Wende", dann DIE Wende im Osten nach 1989, wir könnten in Richtung "Nachhaltig­keitswende" denken. Sy­no­nym­­wör­ter­bü­cher bieten für "Wende" unter anderen diese Begriffe an: Änderung, Innovation, Korrektur, Modifikation, Neubeginn, Neuerung (für mich noch sehr vom Sprach­­gebrauch der DDR geprägt), Neuregelung, Reform, Relaunch, Revision, Re­vo­lu­tion, Sturz, Übergang, Umge­staltung, Umkehr, Veränderung, Volte, Wandel, Wechsel.

Wie ich jetzt weiterarbeite: Zur besseren Visualisierung zeichne ich das Wort­feld auf, Grundbegriffe, Synonyme und ähnliche Wörter, auch für "Nachhaltigkeit", und ich sehe nach, was andere bereits gemacht haben, grase also auch das Umfeld ab, um im Bild zu blei­ben. An die Senioren richtet sich der aus der verantwor­tungs­vol­len Öko­nomie stam­­men­de Begriff "enkelfähig", und ich denke über Adjektive wie "sta­­bil", "kri­sen­si­cher", "zu­kunfts­­fest" und "kat­astro­phentau­glich" nach, wenn wir von der Klima­ka­tas­trophe aus­ge­hen.

Dauerhafte Begriffe sind prägnant, also knackig, kurz und unmissverständlich. Bis transition im an­ge­spro­che­nen Zusam­men­­hang auch auf Deutsch ausgesprochen und als Subs­tan­tiv groß­geschrieben wird, brauchen wir einen flankierenden Begriff, einen sprach­li­chen Reisebegleiter.

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Illustration: C.E. /Quizlet-Lernkarten
*) sowie die Übersetzer und Dolmetscher

Mittwoch, 8. Juli 2020

Abschied

Hier schreibt eine Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin aus Berlin. Derzeit blogge ich kaum. Das hat Gründe.

Er hat lebenslang voller Hingabe geschrieben
Heu­te muss­ten unsere Mut­ter, meine Geschwister und ich uns von un­se­rem ge­lieb­ten Heiner ver­ab­schie­den. Wir sind un­end­lich traurig und un­end­lich dank­bar dafür, ihn in unserer Familie gehabt zu haben. In Co­ro­na­zei­ten müs­sen wir auch dafür dank­bar sein, dass wir am Ende bei ihm sein durften.


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Foto: Familienarchiv

Freitag, 3. Juli 2020

COVIDiary (105)

Haus in Spiegelung, Fensteraufschrift ANTI-CORONA WINDOW
Gesehen in Schöneberg
Bon­­jour, gu­­ten Tag & hel­­lo auf den Sei­­ten des ers­­ten deut­schen Dol­­met­scher­blogs aus dem In­neren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich vom Büro aus, das seuchenbedingt brachliegt. Ich do­ku­men­tie­re hier ein wenig, was wir der­zeit so hören und sehen.

Virologenspruch

What goes around, comes around.
Was rumgeht, kommt rum.



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Foto: C.E.