Freitag, 31. Januar 2020

Klickworker

Bonjour, welcome, guten Tag! Hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin. Was wir arbeiten, wie das geschieht und wie wir anzusprechen sind, ist für Au­ßen­ste­hen­de oft ein Buch mit sie­ben Sie­geln. In meinem Blog gebe ich kurze Ein­- und Drauf­blicke. 

So richtig geht die Saison erst im April oder Mai los. Wir erleben derzeit einen kleinen Saisonstart, und so hatte ich nach meinem Grippewochen denn auch die ersten beiden öffentlichen Einsätze.

Laptops, Mikros und Kopfhörer auf eienm Tisch vor einer Glasscheibe
Gleich geht's los
Am Don­ners­tag­abend ging es um "Klick­worker" und damit um die zuneh­men­de Tendenz in der Ar­beits­welt, Aufga­ben in immer klei­ne­re Teile zu zer­tei­len, um sie auf immer mehr Men­schen zu über­tra­gen, denen sich die Firmen immer weniger verpflichtet fühlen. Diese Klickworker erledigen sogenannte "Micro-Jobs", Kleinstaufträge, und erhalten dafür "kleines Geld".

Die Vergü­tun­g dieser prekären Arbeit rei­cht weder zum Leben noch zum Ster­ben. Manche Berufe laufen Gefahr, in die Hände derartiger "Ar­beit­ge­ber" zu fallen, die eigentlich "Ar­beit­weg­neh­mer" sind: Fahr­rad­ku­rierin, Rei­ni­gungs­kraft, Nachhil­fe­leh­rer und Lektorin, um nur einige Bei­spie­le zu geben.

Soziologen sprechen von der "Uberisierung (*) der Wirtschaft", sie beschreiben ei­ne regelrechte "Plattform­ökonomie", bei der sich die Geldströme zu den im Netz prä­sen­ten An­bie­tern bewegen, die ihrerseits dann jene, die die Arbeit machen, mit Cent­beträgen abspeisen. Hier entsteht ein neues Proletariat, das Cybertariat.

création de valeur — Wertschöpfung | cybertariat — Cybertariat | cybertravail — e-work | dare-dare — schnurstracks | dégradation des conditions de travail — Verschlechterung der Arbeitsbedingungen | détenteurs des algorithmes — Eigentümer der Algorithmen | distribution très inégalitaire des revenus — höchst ungleiche Verteilung des Einkommens | éboueur du net — Müllwerker des Internet | économie collaborative, l’économie du partage ou l’économie circulaire — kollaborative Wirtschaft [+++], die Wirtschaft des Teilens [+++] oder die Kreislaufwirtschaft | emploi formel —offizielle Beschäftigung | enceintes connectées — angeschlossene Lautsprecher (ans Internet) || enquêtes empiriques approfondies — vertiefte empirische Untersuchungen | entériner —  befürworten
Ransprung an den Monitor (in ein zweites Fenster laden)
Die Fran­zo­sen haben sogar ei­nen Ober­be­griff für die Vor­gänge geprägt, la tâ­che­ron­ni­sa­tion du monde du tra­vail, was wir mit "die Ver­ta­ge­löh­ne­rung der Arbeitswelt" wie­der­ge­ben könnten. Wir su­chen noch ei­nen Begriff, der ein­gän­gi­ger ist. Auch in der Lexik rechts sind einige Be­grif­fe nur Platz­hal­ter (mit +++ be­zeich­nen wir, was vor­läu­fig ist).

Dabei beobachten wir immer wieder mit großem Interesse, wie Begriffe entstehen, und damit Ent­wick­lun­gen durch die Möglichkeit, sie zu benennen, überhaupt erst an­greif­bar wer­den. In Frankreich gibt es auch einen zusammenfassenden Begriff für die großen Internet­firmen, die meistens in den USA beheimatet sind, und die sich durch die Kom­bi­nation bestehender Steuer­tricks groß­teils bis gänz­lich um die Entrichtung von Steuern drücken. Auf Französisch, diese Sprache liebt Ab­kür­zun­gen, werden sie les GAFAM genannt, manchmal auch nur les GAFA, die Firmen à la Google-Amazon-Facebook-Apple-Microsoft. Auf deutschen Konferenzen haben wir "Big Five der IT" gehört.

Wir Übersetzer- und Dolmetscher/innen kennen übrigens die Be­dro­hung durch mo­dernes Tagelöh­nerwesen auch. Letzten Don­ners­tag habe ich wie in einem schlech­ten Film auf dem Weg in die Dolmet­scher­kabine nicht nur die Fachtermini me­mo­riert, son­dern gleich ver­wendet. Es geht um einen ziemlich krassen Fall von Platt­form­öko­no­mie, wo Übersetzern im Rahmen von Film­her­stellung verglichen mit dem, was Sender direkt zahlen, an die 96 % des Honorars vom Flaschenhals "Agen­tur" gestoh­len werden.

Ich kann das nur mit diesem eindeutigen Begriff des Diebstahls be­le­gen; dem­je­ni­gen, der die Arbeit macht, nur noch Krüm­el vom Brot an­zu­bieten, ist tatsächlich nichts anderes, hier liegt kein Fall von kas­ka­dier­ter Un­ter­ver­ga­be vor. Der An­ge­le­gen­heit werde ich weiter nach­gehen. Da ich an einem früheren Be­rufs­le­ben Jour­na­lis­tin war, schreibe ich ein Film­ex­po­sé dazu. Und habe jetzt auch den Vergleich: vier Prozent sind fast noch gut, verglichen mit den 0,5 Prozent, die eine Näherin in Bangladesh für die Arbeit bekommt. Achtung, Ironie! (Wir akade­mi­schen Klick­wor­ker mit ei­ge­ner Tech­nik ...)

Und der etwas alter­tümliche Begriff vom Tage­löhner be­kommt hier sein Pen­dant: Sol­che Fir­men, die ei­nen nicht un­er­heb­li­chen An­teil ihrer so ent­stan­de­nen Ge­win­ne in aggres­si­ves Mar­ke­ting und Wer­bung stecken, um z.B. bei den GA­FAM gut da­zu­ste­hen, sind di­gi­ta­le We­ge­la­ge­rer. (Ich weiß, das sind jetzt schon Kampf­be­grif­fe.)

Der zweite Dolmetscheinsatz war nicht weniger brisant, es ging um die Kli­ma­ka­tas­tro­phe und wie am besten damit um­zu­gehen ist.

Licht, Technik, Wasserflasche und Gläser, Dolmetscherin
Konzentrierte Vorbereitung
Zu einzelnen Teilen dieser Ver­an­stal­tung plane ich in der nächsten Zeit noch etwas zu schrei­ben. Ich denke noch nach. Wir saßen bei dem Ein­satz nicht in einer Dol­met­scher­ka­bine, sondern am Ran­de der Bühne, wo wir prompt vor Fotoobjektive geraten sind.

Hier sitze ich hoch­kon­zen­triert (noch blass und mit Augenringen von der Grippe) und stu­diere die letzten Stich­punkte von Redebeiträgen.

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Foto 30.1.:
C.E.
Foto 31.1.: WRB 2020-01
(*) nach dem Fahrdienstanbieter "Uber"

Montag, 27. Januar 2020

Arbeitsverhinderung

Hier bloggt seit vie­len Jah­ren eine Dolmetscherin. Manch­mal besteht unsere Ar­beit leider aus dem Umgang mit Arbeits­ver­hin­de­rung. Wie kommt das? Einerseits schei­nen immer mehr Berufe abgewertet und zu "Jobs" zu werden, au­ßer­dem nimmt das Wissen um die Be­­son­­der­­hei­­ten von Sprach­berufen merklich ab.

Anfrage: 450.000 An­schläge Prä­sen­ta­tion einer Serie und die ers­ten drei Folgen flugs ins Deutsche, am besten binnen Wochenfrist, der Grafiker brau­che die Texte schnell, dann müsse es zum Drucker, damit alles vor der Ber­li­nale recht­zeitig fer­tig wird.

Moment mal! Warum die Eile? Die Berlinale beginnt erst in vier Wochen. 

Handschriftlicher Text mit Änderungen auf Tastatur
Qualität braucht Zeit
Die Übersetzerin soll innerhalb von ei­ner Woche etwas übertragen, was dann drei Wochen lang von Grafik und Druck bearbeitet wird? Wisst Ihr ei­gent­lich, dass Übersetzen mit Nach­den­ken ver­bun­den ist? In­tel­lek­tu­ell an­stren­gend?

Gut, natürlich braucht auch Grafik ihre Zeit, aber Schrift- und Farbauswahl so­wie das Platzieren von Fotos wird keine zwei Wochen beanspruchen! Oder ist das Drucken für die Maschinen derlei geistig ermüdend, dass es nicht binnen einiger Tage zu er­le­digen ist? Zu­mal die Auflage nicht in die Millionen geht. Der Kunde sitzt in Berlin, am lan­gsamen Post­versand wird's nicht liegen.

Verkehrte Welt. Denn so ein Dreh­buch ent­stand nicht in einer Woche — und Zeit ist auch für uns Über­set­zer eine wichtige Res­sour­ce. Hier zu meinem "Merkblatt Drehbuchübersetzung" aus dem Jahr 2014: klick! (Siehe 2. Hälfte des Blogposts.)

Andere Episode, ähnliches Ungemach: Letzten Freitag durfte ich auf Sender­kosten einen Tag lang einen Schnei­de­raum blockie­ren, leider mit keinem Ergebnis. Nun, Ho­no­ra­re wer­den fließen und sind geflossen: Ein TV-Team ist nach Nord­afrika geflogen, um dort Inter­views zu machen. Es ging um Flucht­routen und die Sahara. Mehr sage ich jetzt nicht, denn das Team wird ein weiteres Mal auf­bre­chen müssen.

Bei der ersten Dreh­reise hatte man sich auf den Chauffeur verlassen, der zugleich Quartiers­macher, Reise­führer und "Über­setzer" war. Das gedrehte Material war allerdings nicht zu schneiden. Es strotzte bei den Antworten nur so von Stellen wie "Wie ich vorhin schon sagte ist es genau so ...", "Also, die Frage ist gut formuliert, das stimmt, genau ...", "Exakt das, und was die Sache noch schlimmer macht ist, dass wir ja wie eben bespro­chen, versucht haben, also im Rahmen der Mög­­lich­­kei­ten, naja einfach war's nicht, aber der Onkel des Bürger­meisters sitzt ja im Par­la­ment, und der kennt wiederum ..."

Floskeln, Sprüche und An­spie­lun­gen auf das Vorge­spräch sind leider am Ende in einen stringenten Beitrag nicht ein­zu­fügen. Wir haben keinen Satz gefunden, der ohne mehrere Zwi­schen­­schnitte funktio­niert hätte, bei dem die Inter­view­ten ein­deu­tig auf Ort und Umstände einge­gangen wären, der Zeu­ge Stel­lung bezogen hät­te. Die erwarteten Aus­­sagen wurden leider nicht wie­derholt.

Kurz: Im Mate­rial war nichts Sende­fähiges drin, nüscht, nada, niente. Das Thema ist hoch­politisch, das Ganze sollte juristisch wasserfest sein.

Und weil vom deutschen Team niemand Französisch sprach und sich alle auf eine eigerlegende Wollmilchsau verlassen haben, die alles andere als ein Sprachprofi war und auch nichts von Film wusste, ist der sicher sehr teuere Dreh jetzt für die Tonne.

Hier wurde an der falschen Stelle gespart.

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Foto: C.E. (Archiv)

Freitag, 24. Januar 2020

Les Misérables ("Die Wütenden")

Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin, derzeit in Berlin. Ich arbeite aber auch in Paris, Brüssel, Köln, Cannes und dort, wo wir gebraucht werden. Und so kann es sein, dass wir in einem Münchener Palais sitzen, uns the­ma­tisch aber in der Pariser Banlieue befinden.

Reisen stehen in meinem Beruf ständig auf dem Programm. Einerseits in­halt­lich, es gibt kein Thema, das Über­set­zer und Dol­met­scher nicht schon mal bearbeitet ha­ben.

Interviewsituation
Das Mikro wird angesteckt
Bei mir geht das von Agrar­fra­gen bis zur Zer­le­gung des Lichts im Kino über Themen der Energie- oder Ge­bäu­de­tech­nik. Oft unterstütze ich gro­ße Kon­­fe­­­ren­­zen oder reise mit De­le­ga­tio­nen durchs Land, um Neu­bauten, Fa­bri­ken usw. ken­nenzu­­­­ler­­nen. Dabei bin ich nicht nur in Deutsch­­land un­ter­wegs, auch in die Pa­­ri­­ser Ban­lieue ging's schon mal be­rufs­be­dingt.

Dieses Thema kam nach Jahren Pause für mich wieder auf die Tagesordnung, die­ses Mal in einem Fernsehinterview. Zum Film "Die Wütenden", auf Französisch Les Misérables, der diese Woche ins Kino gekommen ist, durfte ich einige Ge­sprä­che dolmetschen. Das ging im Sommer am Rande des Münchener Filmfests los, die letzten fanden Mitte Dezember in Berlin statt. Bei manchen Journalisten muss ich allerdings nur einige Begriffe übertragen oder die eine oder andere Frage nach­jus­tie­ren.

Den Film "Die Wütenden", der in Montfermeil angesiedelt ist, dort, wo auch Victor Hugos Les Misérables zum Teil gespielt haben, kann ich nur empfehlen. Sogar Prä­si­dent Macron soll ihn gesehen und befunden haben, die Politik möge doch etwas für die Menschen in den Vororten ma­chen. Für das ZDF wurde letzten Sommer in einem ele­gan­ten Mün­che­ner Salon mit grünen Vorhängen gedreht. Später durfte ich das In­ter­view noch für den Schnitt übersetzen.

Screenshot des Interviews
Screenshot des Beitrags
Dafür habe ich in Form eines Transkripts an die 30 Minuten Interviews übertragen, habe also immer den Beginn und das Ende der jeweiligen Ant­wor­ten markiert und die Fragen zusammengefasst.

Die Markierung erfolgt nor­ma­ler­wei­se, indem wir die Zäh­ler­kenn­zif­fern der je­wei­li­gen Film­stel­len mit auf­schrei­ben, die "Time­codes".

Hier geht's entlang zum Onlinevideo des Berichts von Sabine Schultz (verfügbar bis zum 20.01.2021).

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Fotos: C.E. und ZDF

Donnerstag, 23. Januar 2020

Offline

Guten Tag, bon­jour & hel­lo auf mei­nen Blog­sei­ten aus der Ar­­beits­­welt! Hier ver­öf­­fent­­li­che ich kurze (anonymisierte) Episoden aus meinem viel­sei­ti­gen All­tag, Gedanken zu Kultur und Sprache sowie Hinweise zu unserer Art und Weise des Arbeitens.

Klausurtagung offline
Wir Dolmetscher übertragen mehr als Wör­ter. Wir haben nicht nur im Vorfeld die Vo­ka­beln des jewei­ligen Bereichs einge­hend stu­diert, sondern uns auch die Inhalte an­ge­le­sen. Wir kennen kul­tu­relle Beson­der­heiten der Länder un­se­rer Spra­chen, wis­sen um den Sinn des Treffens, die Absicht der Veran­stalter, und wir können daher auch spezifi­sche Begriffe und Rede­wen­dun­gen übertragen.

Dabei tragen wir stets eine große Ver­ant­wor­tung. Denn es geht ja nicht nur um das Gesagte, auch das Un­ge­sagte nehmen wir wahr, be­ob­ach­ten und interpretieren (oft un­be­wusst) Gestik und Mi­mik, Stimm­la­ge und Sprech­ge­schwin­dig­keit.

Mancher Redner, manche Rednerin stehen unter Stress. Von solcher Hektik dürfen wir uns auf Veranstaltungen nicht mitreißen lassen. Diese Coolness hat ihren Preis. Wir brauchen intensive Vorbereitungs-, aber auch Ruhephasen. Und wir benutzen Hilfsmittel: Vokabellisten, Text- und Audioquellen für die Vor­bereitung, das Ma­te­rial vom letzten Einsatz einer ähn­li­chen The­matik, sofern wir das be­hal­ten durf­ten, Wörterbücher auf Papier und na­tür­lich als elektro­ni­sche Dateien.

Entsprechend wichtig ist es oft, dass wir Zugang zum Internet haben, um noch schnell etwas nach­zuschlagen. Das ist nicht immer gegeben. Es gibt Klau­sur­ta­gun­gen, bei denen sind wir von der Außenwelt abgeschnitten. Das ist nicht immer bequem.

Für potentielle Kunden: Daher kann es manchmal einen bis zwei Tage dauern, bis wir Ihnen ein Kostenangebot zumailen können.

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Foto: C.E. (Archiv)

Freitag, 17. Januar 2020

Zum Zvieri

Herzlich willkommen auf den Sei­ten des ersten deut­schen Web­logs aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Hier schreibt ei­ne Fran­zö­sisch­dol­metscherin über ihre Einsätze in Ber­lin, Paris, Cannes und anderswo. Derzeit sind wir in der Win­ter­pau­se. Heute denke ich über Cross­over oder Multi­kulti in der Küche nach.

Häuslich zu sein erlaubt uns das Pflegen von Ritualen: Widme ich mich jetzt dem leckeren Apfelkuchenrezept oder gibt es etwas sächsischen Stollen mit Orangentee und Hafermilch oder Zitrone?

Sächsischer Stollen
Stollen habe ich jetzt noch im Brot­fach. Ganz klas­sisch wird er hier nicht im Herbst ge­kauft und ge­ges­sen, sondern erst zu Win­ter­be­ginn an­ge­schnitten. His­to­ri­scher­wei­se sind das die Extra-Ka­lo­rien für den Win­ter und auch eine Art und Wei­se, Le­bens­mit­tel zu kon­ser­vie­ren. Das Ap­fel­ku­chen­re­zept klingt allerdings wun­derbar. Es stammt aus der Schweiz.

Es kam mit dem Hinweis "zum Zvieri". Für alle im Post­zustel­lungs­bereich au­ßer­halb der Schweiz sei mir als Linguis­tin eine kleine Übersetzung erlaubt: Das Zvieri ist die nachmit­täg­liche Zwischen­mahlzeit, etwa: „zu vier Gegessenes".

Franzosen würden le goûter dazu sagen, in Deutschland wä­re das "Kaf­fee und Ku­chen", wenn auch die Be­griffe aus der Schweiz und aus Frank­reich, ohne Koffein, mehr aus dem Fa­mi­lien­le­ben mit Kindern stam­men.

So, mal schauen, was es heute in Berlin bei uns zum Zvieri gibt!

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Foto: C.E.

Donnerstag, 16. Januar 2020

Piff-paff-bumm

Was und wie Kon­fe­renz­dol­metscher und Übersetzer (und Dolmetsche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen) arbeiten, darüber berichte ich hier im 13. Jahr. Im Winter fin­den kaum Konferenzen statt. Derzeit erhole ich mich von einer Grippe und denke übers Leben nach.

Krank zu sein macht dankbar, bescheiden und auf­merk­sam für die Dinge um uns he­rum. "Als hättest du derlei nötig!", wider­spricht mir mein Inneres. Ich lese die Zei­tung und be­kom­me schlechte Laune. Warum muss ich immer an Albert Ein­stein denken, der der­mal­einst sagte: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, al­les beim Alten zu las­sen und gleich­zeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert."

Privates Silvesterfeuerwerk
Die­ser Diagnose zufolge weiß ich, was ich der­zeit von Politik und weiten Kreisen der Wirt­schaft halten darf. Selbst dann, wenn ver­meint­lich Neues gedacht wird, verläuft es in alten Bah­nen. Wenigstens hören wir in­zwi­schen immer lauter Kritik; sie wird auch von den Medien wie­der­ge­ge­ben.

Nach­trag zu Silvester (was ich zum Teil ver­schlief. Da aber in Kreuz­berg vom 30.12. gegen Mittag bis in die ers­ten Tage des neu­en Jah­res dau­er­ge­knallt wird, konnte ich es nicht ver­pas­sen): Schätzun­­gen zufolge sollen die Böller, mit denen das neue Jahr begrüßt wurde, allein in Deutsch­land 133 Mil­lio­nen Euro gekostet haben. Was für eine  Geld­ver­nich­tung!

Menschen mit Atem­wegs­er­kran­kungen wie ich haben sich zudem über die Erhöhung des Fein­staubs gefreut. Dem Bundes­umweltamt zufolge wurden zum Jahres­wechsel 16 Prozent der Menge in die Luft geblasen, die der Straßen­verkehr pro Jahr frei­setzt. Doch nicht genug. Freunde von mir, die den Krieg in Aleppo knapp überlebt haben, Teile ihrer Fa­milie kamen darin um, verlassen in diesen Tagen nicht das Haus. Die Kinder sind dann wie verstört. Ja, sie wissen sehr genau, was die Knal­lerei hier bedeutet. Aber die Erin­ne­rungen sitzen tief.

Ich kann sie verstehen. Auf manchen Berliner Straßen wirkt Silvester fast wie ein (vergleichsweise gemä­ßigter) Bürger­krieg. Mein Schafpelz­mantel, der mich viele Winter schon zuverlässig er­freut, das Geschenk einer Freun­din, davor hatte die Jacke sie gewärmt, hat an der Unterseite des linken Ärmels einen Ster­nen­nebel aus­ge­brann­ter Stellen. Da haben vor einigen Jahren einige Idioten auf dem Geh­weg Knaller auf mich geworfen, ich hob den Arm zum Schutz, meine Haare fin­gen Feuer, mein Be­glei­ter hat hel­den­haft sei­nen Schal geopfert.

Seitdem vermeide ich zum Jahres­wechsel auch in gesun­dem Zu­stand den Gang nach drau­ßen. Lässt es sich partout nicht vermeiden, trage ich Ohrstöp­sel. Denn die Gefahren sind groß. Ein Bekannter trug in einer Silvester­nacht einen Hör­scha­den davon, weil Idioten in der U-Bahn mit Böllern um sich warfen. Er war frü­her Or­chester­mu­si­ker und ist heute Musiklehrer. (Auch bei uns Dolmetschern zählt das Gehör zum Berufs­kapital.)
 
Krankenhäuser vermelden in Zusammenhang mit dem Feuerwerk schwerste Ver­let­zungen, Verstüm­me­lungen und Tote. 2019/20 starben den Medien zufolge vier Kin­der unter zehn Jahren. Solche Minis können noch gar keine Gefah­ren ab­schät­zen, weshalb sie ja sogar auf dem Geh­weg fahr­rad­fah­ren dür­fen. Aber die Eltern lassen sie mit Feuerwerkskörpern "spielen" bzw. diese sind auch für Lüt­te be­schaf­fbar ...
 
Dann ist da noch das liebe Vieh: Haus- und Wildtiere leiden in der Nacht zu Neu­jahr Todes­ängste oder sterben in Feuers­brünsten wie die Insassen des Affenhauses im Krefelder Zoo. Das alles ist ebenso vermeid­bar wie die Tot­ge­burten in Ställen von Tierzüchtern. Einer befreun­de­ten Tier­ärztin zufolge gibt das um Silvester ein Drittel mehr Fälle als sonst.

Böllerdreck, in Berlin bis in den Februar vorzufinden
Zum Glück ist Rau­chen in öf­fent­li­chen, ge­schlos­se­nen Räumen heute verboten. Vor über 20 Jahren, zu Be­ginn mei­nes 1. Berufs­le­bens, wur­de in Ge­mein­schafts­büros noch ge­raucht.
Mit mei­nen empfind­li­chen Lun­gen war ich des­halb oft krank. Das hat mir da­mals die Karriere im Sender erschwert, denn der/die Abwe­sen­de hat nie­mals recht.

Den letzten Satz habe ich jetzt gröblich dem Französischen entlehnt, l'absent(e) a toujours tort, "der/die Abwesende ist immer im Unrecht", so das Sprichwort. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätte es diese doofe Qualmerei nicht gegeben!

Um nicht miss­ver­stan­den zu werden: Gegen ein zentrales Sil­ves­ter­feu­er­werk habe ich wenig einzuwenden. Ich bin mir aber sicher, dass wir uns in 15 Jahren über die private Knal­lerei von heute im Nach­hin­ein ge­na­uso wundern werden wie über die Rau­che­rei in der Bahn, in Restau­rants, Flugzeugen, Büros und Lehrerzimmern von vor 20, 30 Jahren.

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Fotos: C.E. (Archiv)

Mittwoch, 15. Januar 2020

Lesezeit! Gutes Neues!

Bonjour, hier bloggt seit mehr als ei­nem Dut­zend Jah­re eine Über­set­ze­rin und Dolmetscherin. Ich arbeite in Paris, Lyon, Köln, Berlin, Marseille, Brüssel, Erfurt, München und dort, wo Sie mich brauchen. Im Januar pausiert das all­ge­mei­ne Kon­fe­renz­ge­sche­hen.

Pause ist auch sonst das Stichwort: Zu Jah­res­en­de wird es immer still, zwischen den Jahren ist nicht viel los, und zu Jahres­an­fang kommen nur wenig Anfra­gen. Also plane ich das, was in der dunklen Jahres­zeit ohne­hin die beste Sache ist: lesen.

Aller­dings bin ich diesen Winter, bevor ich richtig losle­gen konnte mit dem Lesen, krank geworden. Dieses Mal hat mich kein grip­pa­ler Infekt erwischt, sondern eine echte Grippe. Die letzte hatte ich 2008, ich musste mich drein­finden, was nicht einfach war. Und war dann erst­mal so schlapp, dass ich nicht mal daran denken konnte, zum Buch zu grei­fen.

Altes Foto: Junge Dame mit Buch und Zeitschrift
Stille Leserin

So sind meine Neu­jahrs­wün­sche an Sie, liebe Leserin, lieber Leser dieser Zeilen, auch ein Nach­trag: Für 2020 wünsche ich alles Gute, Gesund­heit und Gelassen­heit in den wichtigen Lebenslagen! Und natürlich viel Zeit für gute Bücher!

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Foto: Eigenes Archiv