Krank zu sein macht dankbar, bescheiden und aufmerksam für die Dinge um uns herum. "Als hättest du derlei nötig!", widerspricht mir mein Inneres. Ich lese die Zeitung und bekomme schlechte Laune. Warum muss ich immer an Albert Einstein denken, der dermaleinst sagte: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert."
Privates Silvesterfeuerwerk |
Nachtrag zu Silvester (was ich zum Teil verschlief. Da aber in Kreuzberg vom 30.12. gegen Mittag bis in die ersten Tage des neuen Jahres dauergeknallt wird, konnte ich es nicht verpassen): Schätzungen zufolge sollen die Böller, mit denen das neue Jahr begrüßt wurde, allein in Deutschland 133 Millionen Euro gekostet haben. Was für eine Geldvernichtung!
Menschen mit Atemwegserkrankungen wie ich haben sich zudem über die Erhöhung des Feinstaubs gefreut. Dem Bundesumweltamt zufolge wurden zum Jahreswechsel 16 Prozent der Menge in die Luft geblasen, die der Straßenverkehr pro Jahr freisetzt. Doch nicht genug. Freunde von mir, die den Krieg in Aleppo knapp überlebt haben, Teile ihrer Familie kamen darin um, verlassen in diesen Tagen nicht das Haus. Die Kinder sind dann wie verstört. Ja, sie wissen sehr genau, was die Knallerei hier bedeutet. Aber die Erinnerungen sitzen tief.
Ich kann sie verstehen. Auf manchen Berliner Straßen wirkt Silvester fast wie ein (vergleichsweise gemäßigter) Bürgerkrieg. Mein Schafpelzmantel, der mich viele Winter schon zuverlässig erfreut, das Geschenk einer Freundin, davor hatte die Jacke sie gewärmt, hat an der Unterseite des linken Ärmels einen Sternennebel ausgebrannter Stellen. Da haben vor einigen Jahren einige Idioten auf dem Gehweg Knaller auf mich geworfen, ich hob den Arm zum Schutz, meine Haare fingen Feuer, mein Begleiter hat heldenhaft seinen Schal geopfert.
Seitdem vermeide ich zum Jahreswechsel auch in gesundem Zustand den Gang nach draußen. Lässt es sich partout nicht vermeiden, trage ich Ohrstöpsel. Denn die Gefahren sind groß. Ein Bekannter trug in einer Silvesternacht einen Hörschaden davon, weil Idioten in der U-Bahn mit Böllern um sich warfen. Er war früher Orchestermusiker und ist heute Musiklehrer. (Auch bei uns Dolmetschern zählt das Gehör zum Berufskapital.)
Krankenhäuser vermelden in Zusammenhang mit dem Feuerwerk schwerste Verletzungen, Verstümmelungen und Tote. 2019/20 starben den Medien zufolge vier Kinder unter zehn Jahren. Solche Minis können noch gar keine Gefahren abschätzen, weshalb sie ja sogar auf dem Gehweg fahrradfahren dürfen. Aber die Eltern lassen sie mit Feuerwerkskörpern "spielen" bzw. diese sind auch für Lütte beschaffbar ...
Dann ist da noch das liebe Vieh: Haus- und Wildtiere leiden in der Nacht zu Neujahr Todesängste oder sterben in Feuersbrünsten wie die Insassen des Affenhauses im Krefelder Zoo. Das alles ist ebenso vermeidbar wie die Totgeburten in Ställen von Tierzüchtern. Einer befreundeten Tierärztin zufolge gibt das um Silvester ein Drittel mehr Fälle als sonst.
Böllerdreck, in Berlin bis in den Februar vorzufinden |
Mit meinen empfindlichen Lungen war ich deshalb oft krank. Das hat mir damals die Karriere im Sender erschwert, denn der/die Abwesende hat niemals recht.
Den letzten Satz habe ich jetzt gröblich dem Französischen entlehnt, l'absent(e) a toujours tort, "der/die Abwesende ist immer im Unrecht", so das Sprichwort. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätte es diese doofe Qualmerei nicht gegeben!
Um nicht missverstanden zu werden: Gegen ein zentrales Silvesterfeuerwerk habe ich wenig einzuwenden. Ich bin mir aber sicher, dass wir uns in 15 Jahren über die private Knallerei von heute im Nachhinein genauso wundern werden wie über die Raucherei in der Bahn, in Restaurants, Flugzeugen, Büros und Lehrerzimmern von vor 20, 30 Jahren.
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Fotos: C.E. (Archiv)
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