Freitag, 3. April 2015

A und O

Bonjour, welcome! Sie sind mitten in eine Fortsetzungsgeschichte hineingeraten. Was bisher geschah: Im neunten Jahr führt hier eine Dolmetscherin und Über­setz­er­in ihr digitales Arbeitstagebuch. Los ging es mit Filmgesprächen und Pres­se­kon­fe­ren­zen der Berlinale, mit einem lässigen Dialog zweier Schauspieler, inzwischen hat sich die Autorin dieser Zeilen als Dolmetscherin auf Ministerebene hoch­ge­ar­bei­tet.

Noch ein Post Scriptum zum Ministereinsatz vom Anfang dieser Woche, weil die Frage gestellt wurde: "Sind Dir irgendwelche sprachlichen Besonderheiten auf­ge­fal­len?"

Mediendolmetschen:
Knut Elstermann, P
ierre-Yves Vandeweerd  und die Autorin
Ja, aber mit Zeitverzögerung. Die deutsche Politiksprache kennt umgangssprachlich wir­kende Begriffe, die in die De­bat­ten und Interviews ein­flie­ßen, die auf Französisch al­ler­dings technisch-deskriptiv blei­ben. Ich denke da an die deut­sche "Schuldenbremse", die Deckelung der Neu­ver­schul­dung, die auf Schweizer Fran­zö­sisch, Linguee.fr zufolge, mit frein à l'endettement / aux dépenses wiedergegeben wird.

Das Wörterbuch Pons.de hat vor kurzem den in Frankreich gebräuchlichen Begriff la règle d'or, die goldene Regel, aufgenommen, der mir zum ersten Mal aktiv in einem Dolmetscheinsatz untergekommen ist. 2011 dolmetschte ich wiederholt für französische Europapolitiker, die mit Vertretern aus dem Haushaltsausschuss der Bun­des­re­gie­rung ins Gespräch kamen. Ich hantierte erst noch mit einer selbstgebastelten deskriptiven Langfassung, dann flüsterte mir jemand aus dem Stab des Ministers diese Kurzformel zu.

'Règle d'or' würden Franzosen sagen
So ähnlich erging es mir diese Woche mit der "NATO-Speer­spitze". Wörtlich übersetzt würde die Formation fer de lance heißen, und bei meiner Re­cher­che im Netz finde ich viele Stellen, wo diese Ver­sion im ent­spre­chen­den Zu­sam­men­hang vorkommt, nur ist leider der gebräuchliche Be­griff le groupement tac­tique, die (taktische) Kampf­grup­pe. Diesen Begriff sort­ie­re ich zu Hause in die be­tref­fen­de Fachlexik ein.

Außerdem helfen mir die Termini technici, passende Hintergrundtexte im Netz zu finden. Das Ganze wird dann zusammen abgelegt und bei Bedarf wieder her­vor­ge­holt. So wie im Vorfeld meiner Verdolmetschung eines Hörfunkinterviews auf der Berlinale vor vier Jahren.

Lexik in einer Archivbesprechung
Im Film "Territoire perdu" von Pierre-Yves Van­de­weerd geht es um Flücht­lings­la­ger in der Sahara. Hier spielt nicht nur die Politik eine zentrale Rol­le, son­dern auch die Ton­spur. So habe ich zur Vor­be­rei­tung die Wörterliste wie­der­holt, die ich einst bei der Be­glei­tung eines Sound­künst­lers an­ge­legt hatte, der zur Ver­ton­ung eines Spiel­films nach Ber­lin geholt worden war.

Warum etliche politische Fachbegriffe auf Deutsch so wenig konkret, dafür so bil­der­reich sind und damit ganz anders, als es das Ausland von den vermeintlich so rational agierenden Teutonen erwartet, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist das Ganze auch das Arbeitsergebnis ge­schickter, auf Kommunikation spezialisierte Po­li­tik­be­ra­ter. Ich wer­de jedenfalls weitere Beispiele sammeln.

Das Dokumentieren ist in diesem Beruf das A und O. Ebenso wichtig ist es, einen langen Atem zu beweisen, damit einem die sprachlichen Besonderheiten der un­ter­schied­lichsten Milieus in Fleisch und Blut übergehen.

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Fotos: Petra Hippler und C.E. (Archiv)

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