Donnerstag, 4. Oktober 2012

TelKo → ViKo

Hallo! Absichtlich oder zufällig sind Sie auf der Seite eines Logbuches aus der Arbeitswelt gelandet. Hier schreibe ich als Sprachmittlerin über meinen viel­fäl­tigen Alltag. Sollten Sie eine Übersetzerin oder Dolmetscherin (DE ⇆ FR und EN → DE) buchen wollen, finden Sie rechts meine Kontaktdaten. Heute berichte ich über sich verändernde Arbeitssituationen.

TelKo war gestern, es lebe die ViKo!

Eine Leinwand, acht Orte mit Menschen an Konferenztischen oder im Büro ...
Die Welt von Industrie und Medien hat ihren eigenen Jargon, der auf unseren Alltag abfärbt. Da wir regelmäßig für Wirtschaft und Sendeanstalten dolmetschen, wissen wir, dass TelKos (Telefonkonferenzen) zu dolmetschen schon ziemlich anstrengend ist, weil das Bild fehlt.

Also sprechen wir abwechselnd mit jenen, für die wir arbeiten, dolmetschen also konsekutiv.

Nun haben wir also die erste große Videokonferenz (la visioconférence) ver­dol­metscht. In verschiedenen Städten saßen Journalisten beisammen, in Paris gab es den Mann mit dem Regler, der Kanäle öffnete, lauter machte oder ge­schlos­sen hielt, damit nicht alle gleichzeitig sprechen konnten. Der Ton war zwar frei von anderen Stimmüberlagerungen, aber es schepperte, pfiff und zirpte in der Leitung. Ergänzend zum Ton warf der Beamer Bildsignale auf die Leinwand. Und während die TelKo noch konsekutiv war, bot sich an, die ViKo simultan zu verdolmetschen. Springen wir rein in die Situation.

Computer mit Textdatei (unleserlich), kleines Pult mit zwei Kopfhörerausgängen, vorne die Leinwand mit der Bitte "Stellen Sie ihr Mikrofon erst an, wenn Sie dazu aufgefordert werden!"
10, 9, 8, 7, 6, ... der Count­down läuft, alle sind gespannt wie die Flitzebogen, wir erleben eine Premiere. Erst stellen sich alle vor: Hier ist Berlin, da Rom, Gruß aus Athen, « bonjour » de Paris, Hello from London ... quer durch Europa sitzen wir jetzt an einem riesengroßen Konferenztisch, an jedem Ort sind Dolmetscher mit dabei.

Auch wenn wir dank der Bildübertragung endlich nicht mehr nur hören, ganz ein­fach gestaltet sich das simultane Dolmetschen in dieser Situation trotzdem nicht. Irgendwo sitzt eine Bildregie und beschließt, welche der Städte jeweils groß ins Bild kommt, oft gibt's jeweils nur eine Kamera im Raum, so dass mehr als die Totale selten drin ist. Wir Dolmetscher lesen aber, weil wir uns ja selbst "rein­quat­schen", auch immer einen Teil der Informationen von den Lippen ab. Das Mundbild auf der Leinwand ist am Ende gefühlt nicht viel größer als das Objektiv der Ka­me­ra direkt daneben, die Bildrate ist gering, manchmal hinken die Signale fürs Vi­su­el­le dem Ton auch etliche Frames hinterher.

Wir sind heilfroh, dass wir zu zweit hier sitzen und am Vortag ein Script des Haupt­­bei­­trags bekommen haben. Der Job, diese Konferenzschalte zu ver­dol­met­schen, ist deutlich anstrengender als andere Einsätze vergleichbarer Länge.

Und noch was. Mir fällt auf, denn ich kenne den Auftraggeber aus anderen Si­tua­tio­nen, dass hier die Zwischentöne wegfallen. Das Medium ist noch zu neu, zu ungewohnt, es zieht viel Aufmerksamkeit auf sich ... und damit sich die Töne nicht überlagern, müssen alle sehr diszipliniert nacheinander sprechen. Niemand traut sich, Anspielungen zu machen, reinzuquatschen, Humor auszudrücken, alles ist völlig explizit.

Rücksprung in die Metaebene. In einer wirklichen Gesprächssituation sehen die Beteiligten ihr Gegenüber, das fällt hier weg. Kommunikationswissenschaftler schätzen, dass der nonverbale Anteil menschlicher Kommunikation 65-90 % aus­macht. Hier erleben wir, dass die Reduzierung auf den kleineren Teil alles sehr trocken macht, fast hart; reiner Zahlenaustausch ließe sich mit dem Medium bestimmt bestens bewerkstelligen, die Weitergabe von Befehlen sicher auch. Redner müssen künftig die veränderte Natur der Informationsweitergabe in einer ViKo berücksichtigen. Noch weiß ich nicht ganz, wie, habe aber erste Vor­ahn­ung­en.

Eins scheint mir von grundlegender Art zu sein: ViKos als Teil längerer Projekte, bei denen mehrere Partner zusammenarbeiten, haben nur dann Zukunft, wenn sich die Beteiligten bereits kennen und/oder regelmäßig zu längeren Ar­beits­pha­sen, Work­shop­wochen oder derlei, zusammenkommen. Dann wird eines Tages auch wieder das Feld des Vagen, Ungefähren, Subtilen möglich sein, das not­wen­dig ist, um in einem gemeinsam erlebten Moment auf kreative Lösungen zu kommen.

Und, liebe Techniker, wir brauchen relle oder virtuelle "ViKo-Pulte", mit denen sich jeder Teilnehmer aus der Menge der Gesprächsteilnehmer selbst jene "ran­zoo­men" kann, die er oder sie sehen möchte.

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Foto: C.E. (Bilder verändert, Datenschutz!)

2 Kommentare:

Alexander hat gesagt…

Einmal mehr ein toller Eintrag mit viel "Gedankenfutter" - danke!

caro_berlin hat gesagt…

Vielen Dank für die Spiegelung :-)
Gruß, CE