Neulich fragte mich eine frühere Kollegin, die heute als Redakteurin arbeitet, ob ich nicht meine Arbeit als Dolmetscherin gleich als Recherche verwenden wolle, um nebenbei journalistische Beiträge herzustellen. Wir diskutierten eine Weile und spontan habe ich ihr zugestimmt: Ich begegne allen möglichen Filmstars anlässlich von Filmstarts, es wäre ungemein praktisch, beides zu verbinden. Recycling gewissermaßen, und Ressourcen zu schonen ist doch immer gut! Beim zweiten Hinsehen geht das indes nicht. Es gibt viele Gründe, die sich aus den verschiedensten Perspektiven heraus erklären.
Da ist die Perspektive der Dolmetscherin. Ich sage immer "ich", wenn der Filmschaffende "ich" sagt. Ich (Dolmetscherin) übertrage seine Gedanken 1:1. Ich bin ihm und seinen Ideen treu, streiche nicht, füge nichts hinzu, bemühe mich um das gleiche Sprachniveau. Sein Sprachrohr zu sein fordert alle meine Energie. Würde ich mir "nebenbei" Zitierfähiges merken wollen, wäre meine Aufmerksamkeit für die sprachlichen Belange gemindert. Ich bin hier, weil ich für den Filmkünstler da bin, ich vertrete seine Interessen.
Dann ist da die Journalistin. Als Pressevertreterin betrachte ich alles von außen. Ich bin kritisch, neugierig, offen, hinterfrage, beobachte, hake nach. Dazu brauche ich 100 % meiner Energie: um zu merken, wo Widersprüche sind, um in charmanten und doch bestimmten Worten nachzuhaken und mehr zu erfahren. Kurz: Ich bin hier, weil ich als Stellvertreterin des Publikums da bin, ich vertrete ihre Interessen.
Auch die Position der anderen schreibenden Kollegen will bedacht sein. Journalisten, die auf die Übersetzung angewiesen sind, möchten sie möglichst vollständig hören und sprachlich richtig wiedergegeben. Das kann, wer Übersetzung benötigt, oftmals nicht einschätzen. Wäre ich einer dieser Kollegen, ich stünde einer dolmetschen Journalistin (oder einem als Journalist tätigem Dolmetscher) auch aus noch einem Grund kritisch gegenüber: Ich hätte das Gefühl, meine Exklusivität zu verlieren. Sicher, oft finden Interviews in Kleingruppen statt, dennoch wird ein Journalist/eine Journalistin in Doppelfunktion, wenn er oder sie vor ihrem oder seinem eigenen Interview über Stunden dolmetscht, letztlich von den Gedanken aller profitieren. Und es gibt durchaus so etwas wie ein Urheberrecht auf Fragen. Für wen ist die dolmetschende Journalistin dann vor allem da?
Als Leser/Leserin erwarte ich, dass Berichterstatter unabhängig sind. Dass sie in der Zeit, die sie haben, für mich die spannendsten Informationen herausfinden und möglichst objektiv berichten. Ein Pressevertreter, der auch dolmetscht, kann sich nicht entscheiden zwischen "Sprachrohr des Filmschaffenden" und "Diener des Publikums". Gleichzeitig kann er nicht beides sein, also macht er beides halb - und das ist den Arbeitsergebnissen jener, die beides verbinden, leider anzumerken.
Noch einen Aspekt der Berichterstattung muss ich erwähnen, und angesichts von einem Dutzend Filmstarts in der Woche sicher kein geringer. Wie kommen welche Filme ins Programm? Die Journalisten sichten das Angebot und wählen aus, schlagen vor, die Sender beauftragen. Es ist sicher vorteilhaft, wenn sich Journalisten und Filmkritiker spezialisieren, sie werden dann mit dem jeweiligen Filmland rasch in Verbindung gebracht und platzieren ihre Beiträge mit größerer Leichtigkeit als die Konkurrenz. Wenn aber ein Journalist für Pressevertreter dolmetscht, ist er versucht, aus Gründen der Zeitökonomie auch einen Beitrag zu genau diesem Film anzubieten. Wie neutral und unabhängig ist er dann noch? Und müsste nicht der Sender vor seinem Beitrag einen Werbejingle senden, "der nachfolgende Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Filmverleih XYZ", weil ja der Verleih die Recherche bezahlt hat?
Das Publikum fragt sich leider nicht, wie der Film ins Programm kam - ob es daran liegt, weil er hervorragend ist oder weil Journalist und Verleih besonders gute Kontakte zum Sender haben? Mancher sprachbegabte Pressevertreter ist auf der ganzen "Produktstrecke" tätig, er oder sie schreibt das Presseheft, dolmetscht ausländische Gäste und bringt am Ende den eigenen "unabhängigen" Beitrag. Das Thema lässt sich übrigens erweitern: Journalisten sitzen in Filmfördergremien und in Juries zur Programmauswahl von Festivals.
Wir müssten uns fragen, wie wir miteinander umgehen und wie fair wir sind - das schrieb mir letztens eine Journalistin zu dem Thema, und sie schloss: "Eigentlich sollte es normal sein, keine eigenen Beiträge anzubieten, wenn man für den Verleih oder ein Festival arbeitet. In welcher Funktion auch immer."
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