Nach manchem Tag in der Dolmetscherkabine gehen wir unzufrieden nach Hause. Es liegt zumeist nicht an den Inhalten, sondern an den Umständen manchen Vortrags. Jede Konferenz hat ihr Kabinenschätzchen. Besonders beliebt bei unsereinem ist der oder die Redner/in, der/die im Schweiße seines/ihres Angesichts buchstäblich bis zur letzten Minute am Manuskript feilt, damit auch auf Seite drei, dritter Absatz, letzter Satz, das zweite Komma an der richtigen Stelle steht. Dann legt er oder sie los, ohne sich uns zuvor kurz vorgestellt oder auch nur eines Blickes quer durch den Raum gewürdigt zu haben, und legt ebenso selbstvergessen ein erstaunliches Sprechtempo vor, als ginge es auf Zeit und nicht um ein kompliziertes Thema. Die Sätze erweisen sich in der Folge von der Art, dass drei Komma fünf von ihnen spielend ausreichen, um ein Manuskriptblatt von 1800 Anschlägen zu füllen. Und weil im Deutschen bekanntlich das Verb am Ende kommt, brauchen wir Dolmetscher eine Behaltensspanne von 8,57 Zeilen (à 60 Anschlägen) inklusive Namen von Autoren, Orten, Jahreszahlen, Fachtermini und komplizierter Sachverhalte, bis wir anfangen können zu sprechen. Das sind dann die wirklichen Kabinenschätzchen am Rednerpult, die uns etwas abverlangen, was 1:1 menschenunmöglich ist. Und erst recht maschinenunmöglich. An Tagen mit solchen Kandidaten kann die schmerzhafte Erinnerung ans Erlebte die Erfolgserlebnisse in der Dolmetscherkabine dann doch so überstrahlen, dass ich am Abend mit der Arbeit nicht zufrieden bin. Das ist schade, weil so unnötig.
Und ich muss dann immer an Tucholsky denken, der fächerübergreifend an allen Hochschulen studiert gehört, und zwar die "Ratschläge für einen schlechten/guten Redner" aus dem Jahre 1932. Ein Ausschnitt:
Sprich mit langen, langen Sätzen – solchen, bei denen du, der du dich zu Hause, wo du ja die Ruhe, deren du so sehr benötigst, deiner Kinder ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weißt, wie das Ende ist, die Nebensätze schön ineinandergeschachtelt, so daß der Hörer, ungeduldig auf seinem Sitz hin und her träumend, sich in einem Kolleg wähnend, in dem er früher so gern geschlummert hat, auf das Ende solcher Periode wartet...nun, ich habe dir eben ein Beispiel gegeben. So mußt du sprechen.
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