Sonntag, 31. Oktober 2021

COVIDiary (416)

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ar­beiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Fran­zö­sisch, Eng­lisch und Deutsch. Sonn­tag: Hier fol­gen die eher pri­va­ten Sonn­tags­fo­tos!

Der letzte Tag des gol­de­nen Ok­to­bers leuch­tet wirk­lich in den schöns­ten Farben. Hier gibt es einen Blick in un­se­ren Hof­gar­ten am May­bach­ufer:

Bunte Blüten und Blätter als Collage
Die Regentropfenbilder sind vom letzten Jahr zur gleichen Zeit


______________________________
Collage: C.E.

Freitag, 29. Oktober 2021

COVIDiary (414)

Wie wir Sprach­ar­bei­ter:in­nen ar­beiten, genauer Konferenz­dol­metscher und Über­set­zer, beschreibe ich hier. International tätige Simul­tan­dolmetscher reisen nor­ma­ler­wei­se viel. Durch die Pandemie reise ich im zweiten Jahr durch die Woh­nung und unsere Nach­bar­schaft.

Marktwägen und -stände, vom Balkon aus gesehen
Viele Stadtbäume sind noch sehr grün
Einkauf direkt vor dem Haus, regional, un­ver­packt und an der frischen Luft: Wir zäh­len zum privi­le­gierten Teil der Bevöl­kerung, der das regel­mäßig machen kann. Aufgrund von Kanalar­beiten und der Pan­demie wurde der May­bach­ufer­markt, der dienstags und freitags stattfindet, fast bis vor unser Haus verlängert. Und meinen Stand der Bio­gärt­ne­rin­nen gibt es weiterhin, weiter unten am Markt.

Ich habe Nach­barinnen, die dort regelmäßig mit­arbeiten, was in zentralen Wohnvierteln der Haupt­stadt in Zei­ten der Gen­tri­fi­zie­rung be­droht ist. Es sind Mütter mit Kindern, die davon profitieren, dass der Weg zum Ar­beits­platz nah ist. 

1929 in Berlin
Für die Kinder die­ser Mütter ist das auch gut. Es ist schlimm, daran er­in­nern zu müssen, aber eine Stadt ist ein soziales Gefüge, die für alle Platz bie­tet. Nor­ma­ler­weise.

Es kann nicht sein, dass weniger Ver­mö­gende aus den In­nen­städten ver­trie­ben werden, wie es derzeit der Fall ist. Hier soll­te die Politik drin­gend ak­tiv werden.

Ich erin­nere mich an eine dazu pas­sen­de Ab­bil­dung aus den 1920-er Jah­ren aus meinem Foto­archiv: Hier ist meine Roman­heldin Anna mit ihrem erst­ge­bo­re­nen Sohn Ma­xi­mi­lian zu sehen, wie sie je­man­den be­suchen gehen.
Fast 100 Jahre liegen zwischen den beiden Aufnahmen. Geändert hat sich, dass die Markt­meister heute fluores­zie­re­nde Westen tra­gen und da­mals An­züge. Über­haupt waren früher die Leute besser gekleidet.

Und dass wir heute mehr Ver­kaufs­trailer haben. Flecht­körbe versus Plas­tik"körbe", Euro-Palet­ten versus Handwagen, Unmengen von Plas­tik­fo­lie versus Rupfen- oder Hanf­seil, das sind die ande­ren Pa­ra­meter. Es gibt andere Bilder die­ser Zeit, auf de­nen sind schon die typi­schen Ber­liner "Büd­chen" mit ih­ren wei­ßen Regen­pla­nen ab­ge­bil­det, die Sie oben auf dem Bild sehen kön­nen. Sie ka­men in­des nicht in allen Wohn­vier­teln gleich­zei­tig auf.

______________________________
Fotos:
privat. Das Blumenbild möchte ich bald
von den Nachbarn im 1. OG aus nachstellen.

Donnerstag, 28. Oktober 2021

COVIDiary (413)

Sie sind auf den Sei­ten eines digitalen Ta­ge­buchs aus der Welt der Sprachen ge­landet. Seit 2007 blog­ge ich hier über das Be­rufsle­ben der Über­set­zer und Dol­met­scher. Seit März 2020 gibt es aus den be­kann­ten Gründen kaum Konfe­renzen, hat sich unsere Arbeit stark verändert.

Heute ist die Luft sauber und nicht zu kühl. Ich sehe in einen wun­der­voll herbst­blau­en Him­mel hin­ein.

Mein Bal­kon­mit­be­wohner und neue Knospen

Meine Nach­barn von Ge­gen­über sehe ich das hal­be Jahr indes fast nicht mehr, so zu­ge­wachsen ist alles. In der Ferne bellt ein Hund. Fahr­rä­der schnur­ren vorbei, Meisen und Els­tern meckern am Ufer, dann pfeifen drei Schwä­ne mit kräf­ti­gen Flü­gel­schlä­gen den Kanal ent­lang.
Plötzlich schleicht das Tou­ris­ten­schiff "Fortuna" am Haus vorbei, über­ra­schend lei­se ver­gli­­chen mit früher.

Ich kann den Un­ter­schied auch riechen. Die Diesel­moto­ren scheinen der Ver­gan­gen­heit anzugehören. Auch Autos höre ich weniger, hier ist der Unter­schied sehr gering, aber wahr­nehm­bar. Ihre Anzahl scheint in unserem Viertel etwas ab­ge­­nom­men zu haben, in absoluten Zahlen oder nur in der Men­ge des das Viertel durch­que­ren­den Ver­kehrs, ich weiß es nicht. Das wären dann einige der guten Ne­ben­ef­fekte der Sch*pan­demie.

Was liegt auf dem Schreib­tisch? Ein Vertrag, der da dringend wieder runter muss, dann Vo­kabel­listen "Neubau In­dus­trie­ge­bäude", "Leben mit Be­hin­derung", "Öko­land­bau" zur Wie­der­holung sowie nur ein (als Ziffer: 1!) Kos­ten­vor­an­schlag. Au­ßer­dem Abla­gen, Abrechnungen und Technik­planung. Auch au­ßer­halb der Ho­no­rar­tage ist zu tun.

______________________________
Foto:
C.E.

Mittwoch, 27. Oktober 2021

COVIDiary (412)

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ar­beiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Aus Heidel­berg stammt ein Bild, das die Viel­falt un­serer Ar­beit ab­bildet.

Sprecherin mit Mikrofon, Pinsel und Feder
Die Vielfalt der Spracharbeit

Was wir machen: Über­set­zen und Dol­met­schen. Ob­wohl beide Begriffe in den Me­dien oft wie Sy­no­nyme verwendet werden, handelt es sich hier um zwei un­ter­schied­liche Tä­tig­kei­ten: über­setzt wird schrift­lich, gedolmetscht mündlich (siehe Untertitel dieses Blogs).
Beides verbindet ein ver­tief­tes Interesse an Spra­chen. Doch Interesse allein reicht nicht aus.

Zu­nächst le­ben wir jeden Tag mit und in unseren Spra­chen. Das ist auch mit vielen Auf­ent­hal­ten in verschiedenen Län­dern verbunden, und zwar idealer­wei­se le­bens­läng­lich. Wir verfügen über ein schnel­les Auffassungsvermö­gen und haben auch in unserer jeweiligen Mut­ter­spra­che ein geschärftes Sprach­ge­fühl.

Einer Sprache zuzuhören, das Ge­sag­te sofort im Kopf in eine an­dere zu übertragen, nahezu zeit­gleich in einer an­deren zu spre­chen und den ei­ge­nen Out­put ide­aler­wei­se noch auf Vollständigkeit zu prüfen, das ist viel Multi­tas­king auf einmal! Wer sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentriert, muss extrem fokus­siert sein; al­ler­höchs­te Kon­zen­tra­tion und komplexe Wort­fel­der, die oft noch in der Kabi­ne Re­cher­chen nötig machen, be­deu­tet Teamarbeit. Wir arbeiten bei mittel­langen Ein­sätzen zu zweit, bei langen sogar zu dritt.

Auf internationalen Kongres­sen, bei Tagungen und Fes­ti­vals sorgen wir so für Ver­stän­di­gung. Wir passen unsere Dol­metsch­mo­di dabei an die jeweiligen Situationen an. Auch die Sprach­kennt­nisse und die An­zahl der Teil­neh­men­den sind zu berück­sich­ti­gen. 

Die Luft in unseren schall­iso­lier­ten Kabinen wird oft dünn. Von hier aus funkt die Kon­fe­renz­tech­nik das Ver­dol­metschte auf die Kopf­­hörer des geneig­ten Publi­kums. Sind mehrere Spra­chen im Raum, steht am Ende des Raums schon mal eine ganze Straße von Dol­metsch­ka­binen.

Im kleinen Kreis dolmetschen wir konse­kutiv, oder aber wir flüstern unseren End­kun­den direkt ins Ohr, letztes geht aber nur für eine kurze Zeit, denn die Sitz­hal­tung dabei ist sehr unnatürlich. Beim Konsekutiv­dol­met­schen stützen wir uns auf Notizen, die auf Außen­ste­hen­de wie kunst­vol­le Symbole oder eine Art Kurz­schrift wirken. Die Redner:innen legen dann regel­mäßig Pausen ein, so dass wir die In­hal­te nach und nach übertragen können. 

Angeblich soll unser Beruf, einer Studie der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation zufolge, der dritt­stres­sigs­te Beruf überhaupt sein, direkt hinter Pilot:innen und Men­schen von der Flug­si­che­rung. Meh­re­re Kol­legin:innen haben diese Studie ge­sucht und nicht ge­fun­den. Was aber verbürgt ist: Unser Beruf ist sowohl phy­sisch als auch psy­chisch höchst an­stren­gend. Nach den Ein­sätzen brauchen wir oft Stunden oder Tage zum Abschalten und Er­holen.

Neulich musste ich anlässlich einer Befragung zu einer Gewalt­tat dolmet­schen. Opfer war eine junge Frau. Ich habe eine Zeit­lang gebraucht, um mich davon wie­der zu befreien. Denn beim Dolmet­schen gehen alle In­hal­te buchstäb­lich durch uns hin­durch.

Dolmetschen erfordert auch den langen Atem. Die letzte Kon­fe­renz, die wir be­treut haben, umfasste 22 Redebeiträge in zwei Tagen zuzüglich ausgiebigen Fach­ge­sprächen. Zum Dolmetschen hinzu kommt die intensive Vorbereitung solcher Ein­sätze. Hier konnten wir uns je Vortrag zwischen zwei und fünf Stun­den mit der jeweiligen Thematik befassen. Unsere Zeitin­vestition war hier leider über­pro­por­tio­nal groß und eigent­lich unwirt­schaft­lich. Dem stehen Einsätze gegenüber, für die wir uns weniger intensiv vorbe­reiten müssen. Im Durch­schnitt macht das Dol­met­schen selbst 20 Prozent unserer Arbeitszeit aus. So war es jeden­falls vor der Pan­de­mie. Über­haupt sind wir Dolmet­scherin­nen, das Gros unseres Berufs­stan­des ist weiblich, Lern­profis.

Als Gedan­ken­stütze zeichne ich immer wieder Wort­fel­der oder andere Il­lus­tra­tio­nen, die ich dann mit Aquarellfarben verschönere, denn spielerisch lerne ich am besten. Wie Maler:innen müssen wir Dolmetscher immer die richtige Nu­ance tref­fen. Die Be­ma­lung des Heidel­berger Strom­kastens, siehe Foto, bildet diese Viel­falt her­vor­ra­gend ab!

______________________________
Foto:
C.E.

Dienstag, 26. Oktober 2021

COVIDiary (411)

Was Dol­met­scher und Über­setzer um­treibt (hier: eine Dol­met­sche­rin­ und Über­set­ze­rin­), be­schreibe ich seit 2007 an dieser Stelle. Meine Spra­chen sind Franzö­sisch, natürlich Deutsch, und oft auch Englisch als Ausgangs­sprache.

Die zweite Corona-Herbst­saison fand in ei­ner Woche An­fang Sep­tember statt, da hatten wir Drei­fach- und Vier­fach­bu­chun­gen im Netz­werk. Sonst ist die Herbst­sai­son kei­ne: Wir ha­ben wenig Anfragen, echte, mehr­tägige Konfe­renzen müssen in den Ver­an­stal­tungs­ka­len­dern mit der Lupe gesucht werden, De­le­ga­tions­rei­sen sind selten.

Wenn unsere Kunden uns brauchen, sind wir weiterhin für sie da, gei­mpft, ge­ne­sen und getes­tet, vor Ort, rein digital oder hybrid: Die Kon­fe­renz­for­mate sind, wie er­war­tet, viel­fäl­tiger geworden, die Ein­sät­ze kürzer.

Daher bringe ich heu­te ein Bild aus ver­gan­ge­nen Zeiten, das Herbst 2021 aller­dings er­klärt werden muss.

Mikrofon auf dem Boden, daneben ein Schild "Wir sind in Paris"
Nach nicht einmal zwei Jahren erklärungsbedürftig
Das Archiv­bild zeigt unsere Dol­met­scher­ecke in ei­ner Mit­tags­pau­se. Wir waren bei einer De­le­ga­tions­rei­se in Paris, reis­ten von Mi­niste­rium zu Be­hör­de zu Un­ter­neh­men, daher hatten wir mit mobiler Tech­nik out of the box (*) gear­beitet und nicht in ei­ner Dolmet­scher­ka­bi­ne ge­ses­sen.

Am Boden lag ein Hinweis­schild: "Wir sind in Paris". Das war in früheren Zeiten nötig.

Manchmal haben einst­mals Red­ner:in­nen so Sa­chen gesagt wie "Hier in Ber­lin / Paris / Köln / Mün­chen / Hei­del­berg ... ". Gerade bei den Haupt­städten musste ich höl­lisch auf­passen, dass ich aus "Hier in Berlin ..." nicht "Ici, à Paris ..." mache, also die Stadt mit­über­trage ... oder eben anders­herum.

Derzeit besteht diese Gefahr nicht. Wir rei­sen äußerst selten. Fragt uns Dol­met­scher:innen, ob die Pan­demie vorbei ist oder nicht. Ist sie nicht. Die Bran­che lei­det (wie die gesamte Ver­an­stal­tungs­bran­che). Gebucht wer­den wir äußerst zag­haft, Bu­chungs­an­fragen werden zö­ger­lich un­ter­schrie­ben. Wir hof­fen aufs Früh­jahr. Es ist lei­der nur nicht klar, ob es Früh­jahr 22 oder Früh­jahr 23 sein wird.


(*) Vokabelnotiz
Out of the box thinking bedeutet, klas­si­sche Denk­muster zu überwinden, sich mit Kreati­vi­tät alten Probl­emen zu widmen. Neues Denken, mutige Schritte und un­er­war­tete Lösungs­ansätze finden wir Sprach­ar­bei­te­rin­nen in der Re­gel sehr schnell, denn wir sind im Problem­lösen gut trainiert.
______________________________
Foto:
C.E. (Archiv)

Montag, 25. Oktober 2021

COVIDiary (410)

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­terin können Sie hier ­ erhalten. Ich bin Dol­met­scherin für die fran­zö­sische Sprache, und ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen. Die neue Woche be­ginnt mit Erinnerungen.

Menschen sitzen um einen runden Tisch herum: Rundfunk
France Culture auf der Berlinale, u.a. mit Romuald Karmakar,
Heike Hurst und Angela Schanelec
Große Freude: Die Nichte, noch nicht einmal drei Jahre alt, fragt: "Warum steht das Tor offen? Machen wir's zu!"
Wenig später frage ich, die Hän­­de sind da­bei nicht untätig: "Und was mache ich jetzt?" Sie: "Du machst das Tor auf!"
Ich freue mich sehr darüber.
Natür­lich halten Ange­hörige jedes Mini, das sich schlau zeigt, für einen kleinen Ein­stein. 

Aber im Ernst: Ich nehme an, dass ein Groß­teil der Bevöl­kerung das Be­grif­fs­paar "auf/zu" für die Bewe­gung und "offen" für den Zustand nicht sauber beherrscht. 

Das ging mir auch mal so. Das ist länger her. Als ich noch mehrheitlich in Frank­reich gelebt habe nämlich, denn das Franzö­si­sche kennt diesen Unterschied nicht. Einmal, ich saß am Anfang meiner Dolmetscherin­nen­lauf­bahn auf einer Ber­li­na­le-Bühne im Delphi, habe ich diesen Fehler öffent­lich gemacht. Peinlich ge­nug, ich hätte es selbst nicht gemerkt. Zum Glück saß eine deutsch-französische Film­kri­ti­kerin und Hochschul­leh­rerin mit im Raum. Beim Heraus­geh­en lobte sie mich fürs Dol­met­schen und flüs­ter­te mir dann mit der größt­mög­li­chen Non­chanlance einen Merk­satz zu à la "Die Tür mach auf, jetzt steht sie offen!"

Die Gute ist leider schon lange nicht mehr bei uns, sie starb vor knapp neun Jah­ren. Hier der Nachruf: Madame 'Örst. Freude und Trauer liegen eng bei­ein­an­der.

_________________________
Foto:
privat (Archiv)

Freitag, 22. Oktober 2021

COVIDiary (408)

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­terin können Sie hier ­ erhalten. Ich bin Dol­met­scherin für die fran­zö­sische Sprache, und ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen. Die Woche en­det mit einem Blick in den Himmel.

Heute leider nur Stak­ka­to, kei­ne Zeit für 'ne Schön­schreib­übung. 

Fliegende Vögel, die sich aus wenigen Linien zeichnen lassen
Von Edwin George Lutz (1913)
Abfahrt zu nacht­schla­fe­ner Zeit, Rück­kehr nach Berlin bei Ein­bruch der Dunkel­heit, völlig normal für gute Kunden und im Herbst an langen Tagen. Es geht auf eine Bau­stelle. In der Regel bin ich eine halbe Stun­­de vor Ter­min vor Ort, bei län­­geren Ent­­fer­­­nun­­gen wird es mehr: Heute an­dert­halb Stun­den frü­her, denn ich rei­se mit dem ÖPNV.

Am Ziel angelangt, spre­che ich mit einer betei­lig­ten Person über das Pr­ogramm des Tages, sofern schon je­mand greifbar ist, und kann noch Vokabeln nach­schla­gen. Heute: Die Planungs­stufen eines Gebäudes, also "Entwurfs­planung", le dessin conceptuel, le projet préliminaire, und "Geneh­mi­gungs­­pla­­nung", la planification pour approbation. Wir Dolmet­scherinnen kommen immer dann ins Spiel, wenn mehrere Sprachen aufein­an­der­tref­fen. Hier stammt die Bau­herrin und ein Teil der Handwerksfirmen aus Frankreich.

Unsere Baulexik umfasst inzwischen an die 100 Seiten. Die Kurzfassung ist nur ein Zehntel davon. Bei den 13 Gewerken und ihren Begriffen spielt auch immer mit hinein, was an diesem hand­werk­lichen Produktions­standort einst hergestellt wer­den wird. 

Die Anreise hat drei Stunden gedauert, die Rückreise wird länger dauern, denn in der Regel gehen alle schön essen anschließend. In den letzten Monaten war das kein Problem, wir konnten gemüt­lich unter hohen Bäumen im Land­gasthof sitzen. Ab diesem Monat wird sich die Rück­rei­se­zeit wohl wieder verkürzen. 

Und dann sehe ich verträumt in den Himmel. Nicht die Turmschwalben fliegen über die Landschaft, hier ein Blatt aus dem Buch, mit dem mein Vater zeichnen gelernt hat, ich denke, es sind die Wildgänse von Nils Holgerssohn.

Vielleicht sollte ich mich statt Schönschreibübungen ein wenig den Schön­­zei­chen­übun­­gen widmen, die über 100 Jahre alt sind. Das Buch gibt es übrigens im Re­print. (Der Link verbirgt sich unter dem en­gli­schen Titel.)




______________________________
Illustrationen: "bungabungaoha" (YouTube) und
E. G. Lutz: "What To Draw and How To Draw It"

Freitag, 1. Oktober 2021

COVIDiary (391)

Herz­lich will­kom­men auf den Blog­sei­ten ei­ner Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­metscher und Über­setzer machen, wie sie arbeiten, wie sie leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema, außerdem Unterschiede zwischen Sprachen, Ländern und Leuten.

Herbst­zeit mit Kon­fe­renzen, also den we­nigen Kon­fe­renzen, die pan­de­mie­bedingt gerade stattfinden: Kollege A ist "G" wie genesen, Kol­legin B ist "G" wie geimpft. Sie sit­zen zusam­men in ein- und derselben Box, und sie haben seit 20 Mona­ten auf keiner mehr­tä­gi­gen Kon­fe­renz au­ßer­halb des Wohn­orts mehr gedolmetscht.

Der Mensch als Industriepalast, historische Grafik
Der Mensch als Industriepalast
Alles fühlt sich neu an. Und ja, es gibt kurz Selbst­zweifel à la "Kann ich das überhaupt noch?", denn Dol­­met­­schen ist Üb­ungs­sache. In den Co­ro­na­jahren haben alle über­wie­gend kurze Formate online ver­dol­metscht und natürlich März 2020 auch nicht von einem zum an­de­ren Moment "abtrai­niert", wie es man­chen sport­lich Akti­ven nach einem Unfall passiert, sondern sich in den Lock­downs auch neben den wenigen Einsät­zen, die es gab, in vielfältiger Weise mit Inhal­ten und Spra­chen be­fasst, um fit zu blei­ben.
Und dann das Räuspern: Irgendwas kratzt im Hals, denn so viel Spre­chen ist un­ge­wohnt. Zum Glück gibt es eine Räusper­taste, die das jeweils sen­den­de Mikrofon kurz stumm schaltet.

Die Kol­legin: "Ich habe einen Frosch im Hals!" Der Kollege lacht: Moi, j'ai un chat dans la gorge! Und ja, auf Französisch ist der Frosch eine Katze. Zu­min­dest in die­ser Re­de­wen­dung.

______________________________
Illustration: Dr. Fritz Kahn (1926)
Vergleichbares gab's schon hier.