Collage: C.E.
Was ich anbiete
Sonntag, 31. Oktober 2021
COVIDiary (416)
Collage: C.E.
Freitag, 29. Oktober 2021
COVIDiary (414)
Wie wir Spracharbeiter:innen arbeiten, genauer Konferenzdolmetscher und Übersetzer, beschreibe ich hier. International tätige Simultandolmetscher reisen normalerweise viel. Durch die Pandemie reise ich im zweiten Jahr durch die Wohnung und unsere Nachbarschaft.
Viele Stadtbäume sind noch sehr grün |
Ich habe Nachbarinnen, die dort regelmäßig mitarbeiten, was in zentralen Wohnvierteln der Hauptstadt in Zeiten der Gentrifizierung bedroht ist. Es sind Mütter mit Kindern, die davon profitieren, dass der Weg zum Arbeitsplatz nah ist.
1929 in Berlin |
Es kann nicht sein, dass weniger Vermögende aus den Innenstädten vertrieben werden, wie es derzeit der Fall ist. Hier sollte die Politik dringend aktiv werden.
Ich erinnere mich an eine dazu passende Abbildung aus den 1920-er Jahren aus meinem Fotoarchiv: Hier ist meine Romanheldin Anna mit ihrem erstgeborenen Sohn Maximilian zu sehen, wie sie jemanden besuchen gehen.
Fast 100 Jahre liegen zwischen den beiden Aufnahmen. Geändert hat sich, dass die Marktmeister heute fluoreszierende Westen tragen und damals Anzüge. Überhaupt waren früher die Leute besser gekleidet.
Und dass wir heute mehr Verkaufstrailer haben. Flechtkörbe versus Plastik"körbe", Euro-Paletten versus Handwagen, Unmengen von Plastikfolie versus Rupfen- oder Hanfseil, das sind die anderen Parameter. Es gibt andere Bilder dieser Zeit, auf denen sind schon die typischen Berliner "Büdchen" mit ihren weißen Regenplanen abgebildet, die Sie oben auf dem Bild sehen können. Sie kamen indes nicht in allen Wohnvierteln gleichzeitig auf.
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Fotos: privat. Das Blumenbild möchte ich bald
von den Nachbarn im 1. OG aus nachstellen.
Donnerstag, 28. Oktober 2021
COVIDiary (413)
Sie sind auf den Seiten eines digitalen Tagebuchs aus der Welt der Sprachen gelandet. Seit 2007 blogge ich hier über das Berufsleben der Übersetzer und Dolmetscher. Seit März 2020 gibt es aus den bekannten Gründen kaum Konferenzen, hat sich unsere Arbeit stark verändert.
Heute ist die Luft sauber und nicht zu kühl. Ich sehe in einen wundervoll herbstblauen Himmel hinein.
Mein Balkonmitbewohner und neue Knospen |
Meine Nachbarn von Gegenüber sehe ich das halbe Jahr indes fast nicht mehr, so zugewachsen ist alles. In der Ferne bellt ein Hund. Fahrräder schnurren vorbei, Meisen und Elstern meckern am Ufer, dann pfeifen drei Schwäne mit kräftigen Flügelschlägen den Kanal entlang.
Plötzlich schleicht das Touristenschiff "Fortuna" am Haus vorbei, überraschend leise verglichen mit früher.
Ich kann den Unterschied auch riechen. Die Dieselmotoren scheinen der Vergangenheit anzugehören. Auch Autos höre ich weniger, hier ist der Unterschied sehr gering, aber wahrnehmbar. Ihre Anzahl scheint in unserem Viertel etwas abgenommen zu haben, in absoluten Zahlen oder nur in der Menge des das Viertel durchquerenden Verkehrs, ich weiß es nicht. Das wären dann einige der guten Nebeneffekte der Sch*pandemie.
Was liegt auf dem Schreibtisch? Ein Vertrag, der da dringend wieder runter muss, dann Vokabellisten "Neubau Industriegebäude", "Leben mit Behinderung", "Ökolandbau" zur Wiederholung sowie nur ein (als Ziffer: 1!) Kostenvoranschlag. Außerdem Ablagen, Abrechnungen und Technikplanung. Auch außerhalb der Honorartage ist zu tun.______________________________
Foto: C.E.
Mittwoch, 27. Oktober 2021
COVIDiary (412)
Die Vielfalt der Spracharbeit |
Was wir machen: Übersetzen und Dolmetschen. Obwohl beide Begriffe in den Medien oft wie Synonyme verwendet werden, handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Tätigkeiten: übersetzt wird schriftlich, gedolmetscht mündlich (siehe Untertitel dieses Blogs).
Beides verbindet ein vertieftes Interesse an Sprachen. Doch Interesse allein reicht nicht aus.
Zunächst leben wir jeden Tag mit und in unseren Sprachen. Das ist auch mit vielen Aufenthalten in verschiedenen Ländern verbunden, und zwar idealerweise lebenslänglich. Wir verfügen über ein schnelles Auffassungsvermögen und haben auch in unserer jeweiligen Muttersprache ein geschärftes Sprachgefühl.
Einer Sprache zuzuhören, das Gesagte sofort im Kopf in eine andere zu übertragen, nahezu zeitgleich in einer anderen zu sprechen und den eigenen Output idealerweise noch auf Vollständigkeit zu prüfen, das ist viel Multitasking auf einmal! Wer sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentriert, muss extrem fokussiert sein; allerhöchste Konzentration und komplexe Wortfelder, die oft noch in der Kabine Recherchen nötig machen, bedeutet Teamarbeit. Wir arbeiten bei mittellangen Einsätzen zu zweit, bei langen sogar zu dritt.
Auf internationalen Kongressen, bei Tagungen und Festivals sorgen wir so für Verständigung. Wir passen unsere Dolmetschmodi dabei an die jeweiligen Situationen an. Auch die Sprachkenntnisse und die Anzahl der Teilnehmenden sind zu berücksichtigen.
Die Luft in unseren schallisolierten Kabinen wird oft dünn. Von hier aus funkt die Konferenztechnik das Verdolmetschte auf die Kopfhörer des geneigten Publikums. Sind mehrere Sprachen im Raum, steht am Ende des Raums schon mal eine ganze Straße von Dolmetschkabinen.
Im kleinen Kreis dolmetschen wir konsekutiv, oder aber wir flüstern unseren Endkunden direkt ins Ohr, letztes geht aber nur für eine kurze Zeit, denn die Sitzhaltung dabei ist sehr unnatürlich. Beim Konsekutivdolmetschen stützen wir uns auf Notizen, die auf Außenstehende wie kunstvolle Symbole oder eine Art Kurzschrift wirken. Die Redner:innen legen dann regelmäßig Pausen ein, so dass wir die Inhalte nach und nach übertragen können.
Angeblich soll unser Beruf, einer Studie der Weltgesundheitsorganisation zufolge, der drittstressigste Beruf überhaupt sein, direkt hinter Pilot:innen und Menschen von der Flugsicherung. Mehrere Kollegin:innen haben diese Studie gesucht und nicht gefunden. Was aber verbürgt ist: Unser Beruf ist sowohl physisch als auch psychisch höchst anstrengend. Nach den Einsätzen brauchen wir oft Stunden oder Tage zum Abschalten und Erholen.
Neulich musste ich anlässlich einer Befragung zu einer Gewalttat dolmetschen. Opfer war eine junge Frau. Ich habe eine Zeitlang gebraucht, um mich davon wieder zu befreien. Denn beim Dolmetschen gehen alle Inhalte buchstäblich durch uns hindurch.
Dolmetschen erfordert auch den langen Atem. Die letzte Konferenz, die wir betreut haben, umfasste 22 Redebeiträge in zwei Tagen zuzüglich ausgiebigen Fachgesprächen. Zum Dolmetschen hinzu kommt die intensive Vorbereitung solcher Einsätze. Hier konnten wir uns je Vortrag zwischen zwei und fünf Stunden mit der jeweiligen Thematik befassen. Unsere Zeitinvestition war hier leider überproportional groß und eigentlich unwirtschaftlich. Dem stehen Einsätze gegenüber, für die wir uns weniger intensiv vorbereiten müssen. Im Durchschnitt macht das Dolmetschen selbst 20 Prozent unserer Arbeitszeit aus. So war es jedenfalls vor der Pandemie. Überhaupt sind wir Dolmetscherinnen, das Gros unseres Berufsstandes ist weiblich, Lernprofis.
Als Gedankenstütze zeichne ich immer wieder Wortfelder oder andere Illustrationen, die ich dann mit Aquarellfarben verschönere, denn spielerisch lerne ich am besten. Wie Maler:innen müssen wir Dolmetscher immer die richtige Nuance treffen. Die Bemalung des Heidelberger Stromkastens, siehe Foto, bildet diese Vielfalt hervorragend ab!
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Foto: C.E.
Dienstag, 26. Oktober 2021
COVIDiary (411)
Was Dolmetscher und Übersetzer umtreibt (hier: eine Dolmetscherin
und Übersetzerin), beschreibe ich seit 2007 an dieser Stelle. Meine
Sprachen sind Französisch, natürlich Deutsch, und oft auch Englisch als
Ausgangssprache.
Die zweite Corona-Herbstsaison fand in einer Woche Anfang September statt, da hatten wir Dreifach- und Vierfachbuchungen im Netzwerk. Sonst ist die Herbstsaison keine: Wir haben wenig Anfragen, echte, mehrtägige Konferenzen müssen in den Veranstaltungskalendern mit der Lupe gesucht werden, Delegationsreisen sind selten.
Wenn unsere Kunden uns brauchen, sind wir weiterhin für sie da, geimpft, genesen und getestet, vor Ort, rein digital oder hybrid: Die Konferenzformate sind, wie erwartet, vielfältiger geworden, die Einsätze kürzer.
Daher bringe ich heute ein Bild aus vergangenen Zeiten, das Herbst 2021 allerdings erklärt werden muss.
Nach nicht einmal zwei Jahren erklärungsbedürftig |
Am Boden lag ein Hinweisschild: "Wir sind in Paris". Das war in früheren Zeiten nötig.
Manchmal haben einstmals Redner:innen so Sachen gesagt wie "Hier in Berlin / Paris / Köln / München / Heidelberg ... ". Gerade bei den Hauptstädten musste ich höllisch aufpassen, dass ich aus "Hier in Berlin ..." nicht "Ici, à Paris ..." mache, also die Stadt mitübertrage ... oder eben andersherum.
Derzeit besteht diese Gefahr nicht. Wir reisen äußerst selten. Fragt uns Dolmetscher:innen, ob die Pandemie vorbei ist oder nicht. Ist sie nicht. Die Branche leidet (wie die gesamte Veranstaltungsbranche). Gebucht werden wir äußerst zaghaft, Buchungsanfragen werden zögerlich unterschrieben. Wir hoffen aufs Frühjahr. Es ist leider nur nicht klar, ob es Frühjahr 22 oder Frühjahr 23 sein wird.
(*) Vokabelnotiz
Out of the box thinking bedeutet, klassische Denkmuster zu überwinden, sich mit Kreativität alten Problemen zu widmen. Neues Denken, mutige Schritte und unerwartete Lösungsansätze finden wir Spracharbeiterinnen in der Regel sehr schnell, denn wir sind im Problemlösen gut trainiert.
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Foto: C.E. (Archiv)
Montag, 25. Oktober 2021
COVIDiary (410)
Hello, bonjour, guten Tag! Einblicke in das Leben einer
Spracharbeiterin können Sie hier erhalten. Ich bin Dolmetscherin
für die französische Sprache, und ich übersetze auch aus dem
Englischen. Die neue Woche beginnt mit Erinnerungen.
France Culture auf der Berlinale, u.a. mit Romuald Karmakar, Heike Hurst und Angela Schanelec |
Wenig später frage ich, die Hände sind dabei nicht untätig: "Und was mache ich jetzt?" Sie: "Du machst das Tor auf!"
Ich freue mich sehr darüber.
Natürlich halten Angehörige jedes Mini, das sich schlau zeigt, für einen kleinen Einstein.
Aber im Ernst: Ich nehme an, dass ein Großteil der Bevölkerung das Begriffspaar "auf/zu" für die Bewegung und "offen" für den Zustand nicht sauber beherrscht.
Das ging mir auch mal so. Das ist länger her. Als ich noch mehrheitlich in Frankreich gelebt habe nämlich, denn das Französische kennt diesen Unterschied nicht. Einmal, ich saß am Anfang meiner Dolmetscherinnenlaufbahn auf einer Berlinale-Bühne im Delphi, habe ich diesen Fehler öffentlich gemacht. Peinlich genug, ich hätte es selbst nicht gemerkt. Zum Glück saß eine deutsch-französische Filmkritikerin und Hochschullehrerin mit im Raum. Beim Herausgehen lobte sie mich fürs Dolmetschen und flüsterte mir dann mit der größtmöglichen Nonchanlance einen Merksatz zu à la "Die Tür mach auf, jetzt steht sie offen!"
Die Gute ist leider schon lange nicht mehr bei uns, sie starb vor knapp neun Jahren. Hier der Nachruf: Madame 'Örst. Freude und Trauer liegen eng beieinander.
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Foto: privat (Archiv)
Freitag, 22. Oktober 2021
COVIDiary (408)
Hello, bonjour, guten Tag! Einblicke in das Leben einer Spracharbeiterin können Sie hier erhalten. Ich bin Dolmetscherin für die französische Sprache, und ich übersetze auch aus dem Englischen. Die Woche endet mit einem Blick in den Himmel.
Heute leider nur Stakkato, keine Zeit für 'ne Schönschreibübung.
Von Edwin George Lutz (1913) |
Am Ziel angelangt, spreche ich mit einer beteiligten Person über das Programm des Tages, sofern schon jemand greifbar ist, und kann noch Vokabeln nachschlagen. Heute: Die Planungsstufen eines Gebäudes, also "Entwurfsplanung", le dessin conceptuel, le projet préliminaire, und "Genehmigungsplanung", la planification pour approbation. Wir Dolmetscherinnen kommen immer dann ins Spiel, wenn mehrere Sprachen aufeinandertreffen. Hier stammt die Bauherrin und ein Teil der Handwerksfirmen aus Frankreich.
Unsere Baulexik umfasst inzwischen an die 100 Seiten. Die Kurzfassung ist nur ein Zehntel davon. Bei den 13 Gewerken und ihren Begriffen spielt auch immer mit hinein, was an diesem handwerklichen Produktionsstandort einst hergestellt werden wird.
Die Anreise hat drei Stunden gedauert, die Rückreise wird länger dauern, denn in der Regel gehen alle schön essen anschließend. In den letzten Monaten war das kein Problem, wir konnten gemütlich unter hohen Bäumen im Landgasthof sitzen. Ab diesem Monat wird sich die Rückreisezeit wohl wieder verkürzen.
Und dann sehe ich verträumt in den Himmel. Nicht die Turmschwalben fliegen über die Landschaft, hier ein Blatt aus dem Buch, mit dem mein Vater zeichnen gelernt hat, ich denke, es sind die Wildgänse von Nils Holgerssohn.
Vielleicht sollte ich mich statt Schönschreibübungen ein wenig den Schönzeichenübungen widmen, die über 100 Jahre alt sind. Das Buch gibt es übrigens im Reprint. (Der Link verbirgt sich unter dem englischen Titel.)
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Illustrationen: "bungabungaoha" (YouTube) und
E. G. Lutz: "What To Draw and How To Draw It"
Freitag, 1. Oktober 2021
COVIDiary (391)
Herbstzeit mit Konferenzen, also den wenigen Konferenzen, die pandemiebedingt gerade stattfinden: Kollege A ist "G" wie genesen, Kollegin B ist "G" wie geimpft. Sie sitzen zusammen in ein- und derselben Box, und sie haben seit 20 Monaten auf keiner mehrtägigen Konferenz außerhalb des Wohnorts mehr gedolmetscht.
Der Mensch als Industriepalast |
Und dann das Räuspern: Irgendwas kratzt im Hals, denn so viel Sprechen ist ungewohnt. Zum Glück gibt es eine Räuspertaste, die das jeweils sendende Mikrofon kurz stumm schaltet.
Die Kollegin: "Ich habe einen Frosch im Hals!" Der Kollege lacht: Moi, j'ai un chat dans la gorge! Und ja, auf Französisch ist der Frosch eine Katze. Zumindest in dieser Redewendung.
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Illustration: Dr. Fritz Kahn (1926)
Vergleichbares gab's schon hier.