Mittwoch, 27. Oktober 2021

COVIDiary (412)

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ar­beiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Aus Heidel­berg stammt ein Bild, das die Viel­falt un­serer Ar­beit ab­bildet.

Sprecherin mit Mikrofon, Pinsel und Feder
Die Vielfalt der Spracharbeit

Was wir machen: Über­set­zen und Dol­met­schen. Ob­wohl beide Begriffe in den Me­dien oft wie Sy­no­nyme verwendet werden, handelt es sich hier um zwei un­ter­schied­liche Tä­tig­kei­ten: über­setzt wird schrift­lich, gedolmetscht mündlich (siehe Untertitel dieses Blogs).
Beides verbindet ein ver­tief­tes Interesse an Spra­chen. Doch Interesse allein reicht nicht aus.

Zu­nächst le­ben wir jeden Tag mit und in unseren Spra­chen. Das ist auch mit vielen Auf­ent­hal­ten in verschiedenen Län­dern verbunden, und zwar idealer­wei­se le­bens­läng­lich. Wir verfügen über ein schnel­les Auffassungsvermö­gen und haben auch in unserer jeweiligen Mut­ter­spra­che ein geschärftes Sprach­ge­fühl.

Einer Sprache zuzuhören, das Ge­sag­te sofort im Kopf in eine an­dere zu übertragen, nahezu zeit­gleich in einer an­deren zu spre­chen und den ei­ge­nen Out­put ide­aler­wei­se noch auf Vollständigkeit zu prüfen, das ist viel Multi­tas­king auf einmal! Wer sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentriert, muss extrem fokus­siert sein; al­ler­höchs­te Kon­zen­tra­tion und komplexe Wort­fel­der, die oft noch in der Kabi­ne Re­cher­chen nötig machen, be­deu­tet Teamarbeit. Wir arbeiten bei mittel­langen Ein­sätzen zu zweit, bei langen sogar zu dritt.

Auf internationalen Kongres­sen, bei Tagungen und Fes­ti­vals sorgen wir so für Ver­stän­di­gung. Wir passen unsere Dol­metsch­mo­di dabei an die jeweiligen Situationen an. Auch die Sprach­kennt­nisse und die An­zahl der Teil­neh­men­den sind zu berück­sich­ti­gen. 

Die Luft in unseren schall­iso­lier­ten Kabinen wird oft dünn. Von hier aus funkt die Kon­fe­renz­tech­nik das Ver­dol­metschte auf die Kopf­­hörer des geneig­ten Publi­kums. Sind mehrere Spra­chen im Raum, steht am Ende des Raums schon mal eine ganze Straße von Dol­metsch­ka­binen.

Im kleinen Kreis dolmetschen wir konse­kutiv, oder aber wir flüstern unseren End­kun­den direkt ins Ohr, letztes geht aber nur für eine kurze Zeit, denn die Sitz­hal­tung dabei ist sehr unnatürlich. Beim Konsekutiv­dol­met­schen stützen wir uns auf Notizen, die auf Außen­ste­hen­de wie kunst­vol­le Symbole oder eine Art Kurz­schrift wirken. Die Redner:innen legen dann regel­mäßig Pausen ein, so dass wir die In­hal­te nach und nach übertragen können. 

Angeblich soll unser Beruf, einer Studie der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation zufolge, der dritt­stres­sigs­te Beruf überhaupt sein, direkt hinter Pilot:innen und Men­schen von der Flug­si­che­rung. Meh­re­re Kol­legin:innen haben diese Studie ge­sucht und nicht ge­fun­den. Was aber verbürgt ist: Unser Beruf ist sowohl phy­sisch als auch psy­chisch höchst an­stren­gend. Nach den Ein­sätzen brauchen wir oft Stunden oder Tage zum Abschalten und Er­holen.

Neulich musste ich anlässlich einer Befragung zu einer Gewalt­tat dolmet­schen. Opfer war eine junge Frau. Ich habe eine Zeit­lang gebraucht, um mich davon wie­der zu befreien. Denn beim Dolmet­schen gehen alle In­hal­te buchstäb­lich durch uns hin­durch.

Dolmetschen erfordert auch den langen Atem. Die letzte Kon­fe­renz, die wir be­treut haben, umfasste 22 Redebeiträge in zwei Tagen zuzüglich ausgiebigen Fach­ge­sprächen. Zum Dolmetschen hinzu kommt die intensive Vorbereitung solcher Ein­sätze. Hier konnten wir uns je Vortrag zwischen zwei und fünf Stun­den mit der jeweiligen Thematik befassen. Unsere Zeitin­vestition war hier leider über­pro­por­tio­nal groß und eigent­lich unwirt­schaft­lich. Dem stehen Einsätze gegenüber, für die wir uns weniger intensiv vorbe­reiten müssen. Im Durch­schnitt macht das Dol­met­schen selbst 20 Prozent unserer Arbeitszeit aus. So war es jeden­falls vor der Pan­de­mie. Über­haupt sind wir Dolmet­scherin­nen, das Gros unseres Berufs­stan­des ist weiblich, Lern­profis.

Als Gedan­ken­stütze zeichne ich immer wieder Wort­fel­der oder andere Il­lus­tra­tio­nen, die ich dann mit Aquarellfarben verschönere, denn spielerisch lerne ich am besten. Wie Maler:innen müssen wir Dolmetscher immer die richtige Nu­ance tref­fen. Die Be­ma­lung des Heidel­berger Strom­kastens, siehe Foto, bildet diese Viel­falt her­vor­ra­gend ab!

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Foto:
C.E.

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