Freitag, 30. April 2021

COVIDiary (299)

Hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Derzeit leben wir in einer Welt der Umbrüche. Zum ersten Mal dieses Jahr sitze ich wieder in einer Dolmetscherkabine bei an­ge­stamm­ten Kunden aus dem Kultur- und Bildungsbereich. 

Der Kollege kommt im Flugzeug aus Paris zum Einsatz, denn wir sind mal wieder VOR ORT. Unfassbar. Aber auch nur wir sind hier ... und der Techniker.

Interpreter out of the box

Mein Kol­le­ge merkt an, dass das Wort "Flug­zeug" ein verschwun­dener Be­griff sei, es gebe heute nur noch Flie­ger; früher al­ler­dings habe das Wort einen Men­schen be­zeich­net. Dieser Kollege, er ist nicht mehr ganz jung, lebt in Frankreich und hat schon die zwei­te Impfung erhalten. Nein, ich ver­spü­re keinen Impfneid, um das nächste Co­ro­na­wort zu erwähnen. Andere sind grö­ße­ren Gefahren aus­ge­setzt als aus­ge­rech­net ich.

Es wird ein Kurzeinsatz mit fast 50 Prozent Nach­spiel­zeit werden, denn irgend­wie will der ausge­hen­de Ton meines Postens nicht so, wie er soll. Unsere Teil­neh­merinnen und Teil­nehmer am For­schungs­tag hören zwi­schen­durch rein gar nichts.

Die vielen Zoom-Erfah­rungen hatten uns dazu verführt, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Und ja, wir hätten vorab alle Funktionen austesten müssen.

Zwischendurch bin ich al­ler­dings gut zu hören. Während der Kollege dran ist, er sitzt in der Box, suchen wir nach der Fehler­quelle. Beim Dolmet­schen mache ich die Kame­ra immer aus, über die das große Gerät verfügt, es müssen nicht alle mei­ne Wort­such­gri­massen sehen. Erst denke ich, dass wenn ich die Kamera aus­stel­le, vielleicht auch der Ton automa­tisch ausge­stellt wird; das teste ich wie­der­holt, dem ist nicht so. Schließlich vermute ich, dass die schwarze Box, an die der Kopf­­­hörer an­ge­schlos­sen wurde, einen Wackelkontakt hat. 

Als ich eine kleine Es­sens­pause einlege, schiebe ich diese Box ein Stückchen weiter nach hin­ten. An­schlie­ßend ist der Ton erneut weg. Beim ersten Feh­ler­such­durch­lauf haben wir auch alle Kabel aus- und wieder einge­steckt. Der Vormit­tag wird am Ende zu kurz sein, um den Fehler zu finden.

Zwischen­durch und um nicht zu viel Zeit ins Land streichen zu lassen, biete ich dem ein­zi­gen Kunden, der eine Verdolmetschung ins Deutsche braucht, an, ihm den Ton über das Mobiltelefon zu liefern. Gesagt, getan. Mit einem Gastzugang logge ich mich ein zwei­tes Mal ein, dieses Mal mit meinem eigenen Rechner, und setze mich an das andere Ende des Raums. (Der Techniker sucht inzwischen nach dem Fehler.) 

Der Ton ist nicht super, er kommt vom Lautsprecher des Geräts, mein eigener Kop­fhörer liegt leider im eigenen Sprachatelier. Die Redner:innen sind etwa brief­mar­kengroß zu sehen, mit Lippenablesen bei Tonstauchungen komme ich da auch nicht weit. Ich schaue kurz auf die visuellen Beispiele, höre dann wieder scharf hin, dol­met­­sche mit größerem Zeit­verzug als sonst. Am Ende bin ich glück­lich: Mein einer Dolmetschkunde ist auch der Bericht­er­statter des Morgens, und er bringt die Er­kennt­nis­­se sehr gut rüber.

In der Pause gibt es neben Butter­broten auch noch Cup cakes, die eine jugend­li­che Nachbarin gebacken hat. Thank you very much, Pearl! They were very tasty!

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Foto:
C.E.

Mittwoch, 28. April 2021

COVIDiary (298)

Im Blog aus der Welt der Spra­chen be­schrei­be ich derzeit, wie die Pan­de­mie un­se­re Arbeit verändert hat. Wir Selb­stän­digen sitzen seit 14 Monaten meistens zu­hau­se. Aus der Dol­met­scher­kü­che nehme ich auch an Kon­fe­ren­zen teil.

Neulich war ich zu Gast "bei" einer Videokon­ferenz, die sechs Stunden ge­dau­ert hat. Die Sache lief natür­lich über das Netz. Ich ken­ne die Kol­le­gin­nen und habe auf deren Bit­te hin ei­ni­ge Minuten lang den "Kabinen­sound" auf­ge­nom­men, wie er bei den Kund:innen ankommt. Wir machen das füreinander mitunter als Qua­li­täts­check. Leider war ein we­nig Ge­ra­schel dabei, das ver­meidbar ge­wesen wäre. Au­ßer­dem wa­ren im Hintergrund andere Töne zu hören, über die ich am Ende noch schreiben werde.

Alle Tassen im Schrank
Die Konferenz wurde von zwei Kollegin­nen ver­dolmetscht. Sechs Stunden ist eigent­lich zu lang angesichts der extrem an­stren­­genden digitalen Arbeit, denn der Ton ist gestaucht, ge­le­gent­lich hängt ein Da­ten­paket, was zu Artefakten wie Echos oder Verzerrungen führt; ge­le­gent­lich hat das weltweite Netz auch Schluck­auf und pro­du­ziert kurze Tonlöcher, in die einige Worte hinein verschwun­den sind. Zudem verwendet nicht jeder und jede da drau­ßen ein Headset, das Um­ge­bungs­ge­räu­sche filtert. So oft hören wir hier die ei­ge­ne Stimme als leises Echo, dort Hun­de­­ge­bell und Kinder­geschrei, oder aber den Klavier­stimmer, der sich nicht mehr ver­schie­ben ließ.

Um mit der Menge der Vorträge klar­zu­kommen, wurden etliche von ihnen im Vor­feld auf­ge­zeich­net und den Dolmetsche­rinnen zugeschickt, zusam­men mit Rede­notizen oder Ma­nus­kript. In einem Fall war ein sehr schnell gespro­chener Bei­trag vom Kunden sogar als Transkript in Auftrag gege­ben worden. Damit konnten die Kollegin­nen schon eine Woche vor der Veranstal­tung eine jeweils andere Sprachen­fassung herstellen. Sie haben die Vorträge wiederholt angehört, Notizen gemacht, vielleicht den einen oder anderen Satz ausgeschrieben und dann alles auf­ge­nom­men und den Ton geschnitten. Der Tontechniker bekam MP3-Da­te­ien zuge­sandt und hat die entsprechenden Sprachenfassungen der Vor­trags­fil­me in den Ta­ges­ab­lauf eingebaut. (Mit Audacity lassen sich die Tonaufnah­men pri­ma schnei­den, das klappt fast intuitiv.)

Das geneigte Publikum konnte übrigens sehr einfach unterscheiden, welche Bei­trä­ge spontan gedolmetscht und welche im Voraus bearbeitet worden waren, und zwar an den Hintergrundgeräuschen. Die Kolleginnen trafen sich am Konferenztag mit dem Techniker und dem Moderatorenteam in einem For­schungs­zen­trum, saßen dort in einem relativ kleinen Raum und befanden, dass die Klimaanlage, die ja in der Regel auch für fri­sche Luft sorgt, muffige Gerüche verströmt hat. Also wurde sie vom Haus­meister abgestellt, statt­dessen die Fenster sperr­an­gel­weit geöffnet.

Fritierkorb für die Spülsachen

Und nun begab es sich in diesem zweiten Coronafrühjahr, dass die heimische Vogelwelt un­ge­stört von rau­chen­den und kaf­fee­­trin­ken­den Mit­­­tags­­päus­­lern und -päusle­rin­nen auf dem Kan­ti­nen­­bal­­kon hatte brüten kön­nen. Die spontan über­tra­ge­nen Vorträge, es waren nur noch einige, sowie sämt­li­che Dis­kus­sio­nen, die aus dem For­schungs­zen­trum übertragen wurden, durchzog früh­lings­­haf­ter Hin­ter­grund­sound!

Wobe mir immer wieder einfällt, dass diese Piepmätze ja Miniflugsaurier sind. Hach, das Leben macht mit Bildung doch einfach mehr Spaß!

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Fotos: C.E.

Sonntag, 25. April 2021

COVIDiary (296)

Bon­jour & hel­lo! Seit 2007 blog­ge ich hier über das Ar­beits­le­ben der Über­set­zer und Dol­met­scher. Meine Ar­beits­spra­chen sind Fran­zö­sisch, Deutsch und Englisch. Durch Corona reise ich seit einem Jahr durch meine ei­ge­ne Wohnung. Der Sonn­tag ge­hört den pri­va­ten Sonn­tags­fo­tos.

Stillleben in der Küche

Seit einigen Wochen gibt es ein neues Wort der Co­ro­na-Pan­de­mie: mü­tend. Ich bin es müde, ich bin wütend, ich bin es aber auch müde, wütend zu sein, vor allem wegen der gras­sie­renden Dummheit. Und Bildung schützt vor Dumm­heit nicht, auch mal wieder ver­standen.

À propos verstehen: "Ein Ver­stand ist wie ein Fall­schirm: Er funktio­niert nicht, wenn er nicht offen ist." (Frank Zappa)

Während­dessen in der Küche neben dem Dolmetsch­büro: Neue Brot­sorten testen und sich erfreuen am neualten Brot­kasten. Demnächst muss auch eine neu­alte Tee­kanne her. Die Läden sind zu, Deutsch­land räumt weiter auf und stellt die drit­te und vier­te Tee­kanne als Klein­anzeige im Internet ein. Ich verbinde das mit Spaziergängen.

Klappe auf, Klappe zu.
Fast alle Bedürf­nisse lassen sich der­zeit so decken. Die Rest­nut­zungs­dauer zu verlän­gern ist über­dies eine öko­lo­gi­sche Le­bens­hal­tung. Alles liegt ir­gend­wo rum, ist schon ge­kauft wor­den, muss nur den Stand­ort wechseln.
Das gilt aber meis­tens nicht für Schnür­senkel, Schuhe und Gür­tel (Danke, A.O.!). Wie ist es mit Hosen? Die Corona­pfun­de haben dafür ge­sorgt, dass mir derzeit noch drei Stück passen.

Eine ist jetzt kaputt­ge­gan­gen. Mal sehen, ob es auch Jeans in meiner Größe in den Kleinan­zeigen gibt. Für die­sen Second-Hand-Coro­na­zeit-Handel kenne ich noch kein neues Wort. Da draußen vielleicht jemand?

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Fotos:
C.E.

Donnerstag, 22. April 2021

COVIDiary (293)

Bon­jour & hel­lo! Aus dem Ar­beits­le­ben der Über­set­zer und Dol­met­scher können Sie hier einiges erfahren. Ich arbeite mit den Sprachen Französisch, Deutsch und Englisch. In den Pan­de­mie­zei­ten ist so vie­les anders. Die einen Kun­den ver­suchen, die Preise zu drücken, die ande­ren freuen sich an meinem breiten Bil­dungs­hin­tergrund.

Gestern Abend ist Marc Ferro gestorben. Das ist ein großer Verlust. Wäre 1. nicht die Mauer gefallen und 2. ich nicht vom TV im wieder­vereinten Deutschland auf­ge­so­gen worden, erst als Redakteurin, dann im Bereich Produktion und Spra­che, er wäre einer meiner zwei Doktor­väter geworden.

Marc Ferro wusste sehr viel über Frankreich zu erzählen, und sein einzigartiger Blick auf Geschichte, bei dem er den Film der Liste historischer Quellen hin­zu­ge­fügt hat, und zwar Spielfilme in der gleichen Art und Weise wie Do­ku­men­ta­ri­sches, hat das Fach dort verändert, wo es über unsere Zeit und das letzte Jahrhundert spricht.

Dabei hat er das, was oft als "Sitten­geschichte" bezeichnet wird, den Umgang mit­ein­an­der, Wörter und ihr begriffliches Hinterland, Alltags­ge­wohnheiten, weit ver­brei­te­te Sichtweisen, kulturell Kon­no­tier­tes, ebenbürtig neben die His­to­rio­gra­phie politischer, wirtschaftlicher, militäri­scher und anderer Ereig­nisse und Ent­wick­lungen gestellt. Seine unterhaltsame, klare und auch witzige Art der Vermitt­lung ist leider in deutschen akade­mischen Welt undenkbar gewesen, weshalb ich dieses Feld, das ich als Historiker­tochter auch für mich erwogen hatte, mit mei­nem Um­zug nach Berlin schnell zum Hobby erklärt habe.

Mich hat Marc Ferro stark beeinflusst. Andere zu langweilen, sei ver­boten, sagte er mal. Wir sollten unterhalten, bilden und Vor­bild sein, so ähnlich hat er es zu­sam­men­gefasst.

France Culture hat Marc Ferro eine wunderbare Rückschau gewidmet: France Culture, Marc Ferro à voix nue.

Im Büro: Absage von heftig unterfinanzierten Untertiteln für ein Berliner Museum aus dem Feld der "kulturellen Leuchttürme", stattdessen Pflege einer aktuellen Bau­lexik. Daneben darf ich über die Fort­enwicklung meiner Küche weiterdenken. Eine mei­ner Referenzen lautet hier Marga­rete Schütte-Lihotzky. Ihr verdan­ken wir mit der "Frankfurter Küche" die Mutter aller Einbauküchen, die 2026 ihren hun­derts­ten Geburtstag feiern wird. 

Aus dem unten verlinkten Film
Schütte-Lihotzky ließ sich damals von der for­dis­ti­schen Analyse der Arbeits­ab­läufe inspirieren, außerdem hat sie Erkennt­nisse eingearbeitet wie dass Blau die ideale Kü­chen­far­be ist (weil Fliegen und anderes Geflügeltes sie nicht mögen, siehe die Dominanz dieser Farbe im südlichen Mit­tel­meer­raum).

 

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Illustration: Schütte-Lihotzky

Freitag, 16. April 2021

COVIDiary (291)

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Meine Sprachkenntnisse (Französisch, Englisch) trainiere ich täglich, auch an Tagen, an denen ich (wie in den Corona-Jahren) nur wenige Einsätze habe. 

His master's voice
Der Himmel ist wie frisch­ge­schrubbt, die Nach­barn er­kennt mein Gehör auf der Treppe am Gang, eine Nach­ba­rin links am Niesen (ich rufe "Gesundheit!" durch die Wand), die unten am Mu­sik­geschmack, und für rechts backe ich nach­her einen Ku­­chen mit.
Im 14. Monat sitze ich nun im eigenen Ar­beits­zim­mer, dol­met­sche und lerne von hier aus.

Gänge zur Bibliothek sind rar, waren zwischendurch immer wieder mög­lich. Die Selbstversorgungsquote mit Mittagessen ging durch die Decke, die Anzahl der zu Fuß zurückgelegten Kilometer bleibt hoch, nichts Neues von 3. Coronawelle aus Berlin.

Meine sechs Monate Schlappitude (auch Fatigue ge­nannt) nach der bö­sen Vi­rus­er­kran­kung habe ich letztes Jahr einigermaßen gut weggesteckt, zum Glück kenne ich den Hirn­nebel nur nach langen Dolmetsch­ein­sätzen und keinen Post-Covid-brain fog.

Dieser Tage leidet meine Stimme unter neuerdings wieder längeren Ein­sätzen. Ich ha­be in letzter Zeit viel übersetzt und die Über­setzungen dabei nicht selten dik­­tiert. Derzeit gibt es Sitzungen zu verdol­metschen, Bie­ter­ge­sprä­che, Planungs­treffen, Seminare. Ich spreche mit Kol­le­gin­nen der Berufsverbände über die Zu­kunft, mit anderen über eigene Projekte. Und Bäng!, ich bin mal wieder heiser.


Heute ist der Welttag der Stimme. Was mache ich für eine gute Stimme? Ich trinke Salbeitee mit Honig in kleinen Schlucken, den ich aus ganzen Blät­tern braue, mei­ne eigene Ernte reicht immer den halben Winter. Eine Freundin empfiehlt mir als Tee Odermen­ningkraut, das gibt es in der Apotheke, und davon einen ziemlich hochpro­zentigen Aufguss. Wichtig ist an solchen Tagen: Schweigen. Und Emser Salz lutschen, isländische Mooskraut­pastillen oder Gelo­Revoice. Mein leises Gekrächze wird dadurch besser.

Flüstern ist dabei zu vermeiden, denn darunter leiden die Stimmbänder, werden nur noch mehr strapaziert. Und was ich auch vermeide, denn es verschleimt die Stimme: Milch- und Käse­produkte, Lein­samen und Nüsse im Müsli, Fruchtsäfte.

Als Profisprecherin werde ich mir auch bald wieder eine Auffrischungsphase bei der Sprech­er­zieherin schenken, der Artiku­lation, Atmung und Stimm­band­pflege wegen. Also sobald es wieder möglich ist.

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Foto:
folgt

Donnerstag, 15. April 2021

COVIDiary (290)

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Wie Konferenzdolmetscher und Übersetzer arbeiten und leben, auch die jeweiligen -innen, der Beruf ist über­wie­gend weiblich, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Au­ßer­dem denke ich über die Sprachen nach. Der Corona­virus hat aus dem Arbeits­ta­ge­buch ein sub­jek­ti­ves COVIDiary gemacht. 

Pandemien und föderale Landesstrukturen passen nicht gut zusammen.

Derzeit steigen die Zahlen, von täglich 30.000 Neuinfektionen und 300 Toten sind wir nicht weit entfernt. Und worüber debattiert das Land? Über Lockerungen und Urlaubsplanung. Vor einem Jahr gab es 300 Neuinfektionen täglich und den harten Lockdown.

Auch Onlinefatigue genannt

Eine Pandemie und förderale Strukturen, die Menschen aus betroffenen Branchen auffangen sollten, (Volks-)Hochschulen, Kunst, Büh­ne, Tourismus, Mes­se- und Kon­gress­­wesen etc., war keine gute Idee, weil nach der ersten Schock­reak­tion die Entscheider anfingen zu warten, zu den Nach­barn und der Su­pra­struk­tur schielten, ob und wie diese aktiv wurden.

Dieses Warten, Beobachten und Nach-oben-Schielen haben wir jetzt im Bereich der Pandemiebekämpfung. Dazu die gesamtpolitische Lage, die Neigung vieler, sich zu profilieren: Pandemie und eine förderale Landesstruktur im Su­per­wahl­jahr passen nicht zusammen. Denn Gesundheits­politik ist aktuell Ländersache und ohne die sich reibenden Regionalfürsten nicht durch­setzbar.

Aber die Woh­nungs­po­litik muss offenbar Bundes­sache sein! (Ironie aus.) Und die Bil­dungs­po­li­tik darf es wiederum nicht. (Ironie aus.) Rück­sprung: Mit 14 Jah­ren habe ich aufgrund eines simplen inner­deut­schen Umzugs ein Schuljahr ver­loren, denn der baden-württembergische Gymnasial­direktor hat bei meinem hes­si­schen Ge­samt­schu­lzeugnis ein­fach jede Note um den Faktor eins verschoben, die Einsen wurden Zweien, die Mathe-Vier zur Mathe-Fünf und ... plötzlich fehlte "mindestens eine Eins" zum Aus­gleich. In seinen Augen war ich sitzengeblieben, er durfte das so entscheiden, weil je­des Bundesland seine eigene Bildungspolitik betreibt.

Damals waren in Baden-Württemberg Legasthenie und Dyskalkulie noch nicht be­kannt, Menschen wie ich fielen in der Regel durch die Raster. (Geblieben von den Einschrän­kungen ist fast nichts, Wörter wie Legasthenie schaue ich alle paar Mo­na­te nach, weil mir im Kopf das H immer wieder verrutscht, das ist alles.)

Andere Fächer habe ich ohne Mühen "aufgesogen", Bio zum Beispiel, und Logik hat mir auch gelegen, ich weiß, was eine exponentielle Kurve ist — und warum asia­ti­sche Länder so eindeutig sind in ihrer Seuchen­bekämpfung. Damit sind wir wie­der im Hier und Heute. Die halbherzigen Maßnahmen, die das Ganze in die Länge zie­hen, nerven nur noch.

Eine Pandemie passt nicht zu Phasen der Meinungs­bildung, der Abstimmung auf ver­schie­de­nen Ebenen, zur demokra­tischen Beschlussfassung unter Be­rück­­sich­­ti­­gung aller divergierenden Interessen. Mit der Schwerkraft verhan­deln wir ja auch nicht.

Diese Woche im französischen Radio (ich glaube am Dienstag, in der Mor­­gen­sen­dung von France Culture, kurz nach sieben): Das französische Hotel- und Gast­stät­ten­ge­werbe rechnet damit, nicht vor März 2022 wieder einigermaßen normal ar­bei­ten zu können. Als Geschäftsreisende in Sachen Sprache übertrage ich das schon beim Hören auf meine Branche. Derzeit haben wir pro Kollgen­duo hier eine, zwei Kon­fe­renz­an­frage(n) für kurze Veranstal­tungen im Quartal statt vor­co­ro­na­tisch einer bis zwei pro Woche. Online-Events kompensieren nicht im Ansatz, was weggefallen ist, was sicher auch an der Onlinefatigue liegt, die sich im Land aus­breitet.

Und in der Zwischenzeit nehmen manche Abgeordnete und Funktionsträger Vor­tei­le aus ihrer Amtsausübung wahr, die eigentlich nicht mit der Amtsaus­übung wahr­genommen werden dürfen, kassieren Geld, Stichwort Masken­affäre(n), sogar der designierte CDU-Kanzlerkandidat hat seine, oder schustern anderen Gewinne in ei­ner Art und Weise zu, die nur noch als schamlos etikettiert werden kann, was natürlich die Wut der Machtlosen, Ausge­grenzten, Berufs­un­tä­tigen und Long-Covid-Berufs­un­­fä­­hi­­gen sowie der Schwurbler aller Couleur weiter erhöht. Da braucht sich ein Cocktail zu­sam­men, der mir Sorgen bereitet.

Heute hat das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt. Ich darf mich da gleich einlesen (für einen Journalisten). Wir haben weiterhin Spät­win­ter­wetter, der schwächelnde Golfstrom sorgt für eine gleichbleibende Lage, was angesichts voll­laufender Intensiv­stationen zur Abwechslung mal eine gute Koinzidenz ist.

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Foto: Netzfund, leicht verändert

Sonntag, 11. April 2021

COVIDiary (287)

Ob ge­plant oder zu­fäl­lig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. Ich arbeite mit den Sprachen Deutsch, Französisch und Eng­lisch. Als Dol­met­sche­rin be­schäf­ti­gen mich oft Themen der Nachhaltigkeit, Ökologie und Ökonomie, so auch im Pri­vat­leben. Sonntagsfoto!

Stuhl, Tisch, Regal, Küchenbank und ein Blumenstrauß
Die Bank im Hintergrund
Corona plus Cocooning = Corooning. Ein Mö­bel hat einen Holzwurm. Ich habe ihn ge­hört. Das hat mich mich an einen Spre­­cher­in­nen­ein­satz erinnert, wo ich für das Werk einer Studentin zwei, drei Te­le­fon­stim­men­mut­ter­sätze einsprechen durfte. Wir saßen bei ihr im WG-Zimmer in Kreuz­berg, kaum lief die Auf­nahme, machte es tock-tock-tock. Stoppte sie das Gerät, war es wieder still. Drückte sie auf "Start": tock-tock-tock. Ge­spens­tisch.

Was haben wir gelacht, als nach langem Su­chen die Quel­le klar war: Ein mediengeiler Holzwurm hockte frustriert im Melk­sche­mel ihres stei­ri­schen Groß­vaters und morste fle­hent­lich nach einem Holz­wurm­weib­chen in der Gegend herum.

Jetzt also unsere Küchenbank! Der Holzwurmtod auf natürliche Weise geht so: Eine Schale mit Eicheln hin­ein­stellen, eine andere drunter. Weil sie so schön weich sind, ziehen Holzwürmer sie dem Holz vor. Ich habe den Inhalt der Schale immer wieder auf den Kompost getan und neue Eicheln angeboten. Das Mehl auf dem Kü­chen­bo­den wurde weniger, dann kam nichts mehr nach. Da hatte ich wohl alle Holz­würmer umgesiedelt.

Nächster Schritt: Wir haben das Möbel umgedreht und Rizinusöl mit einer Spritze in die Löcher gespritzt, das verhindert, dass welche nachkommen. Schließ­lich hat mir mein Lieblings­mensch noch etwas echtes Wachs von den Bienen­stöcken spen­diert, er imkert ja. Als die Löcher ausgetrocknet waren, habe ich kleine Wachs­würs­tchen geknetet, sie in die Wurm­löcher reingeschoben und die Löcher damit "versiegelt".

Vor Corona hätte ich das Möbel in ein Dampfbad gegeben, aber wer weiß, ob die arbeiten, außerdem halte ich die Bar­mittel zusammen, wer weiß, wie lange das noch geht. Sicher länger, als alle annehmen. Ich rechne mit einer langsamen Nor­mali­sierung im nächsten Frühjahr. Bis dann wieder Kon­fe­ren­zen stattfinden wie zuvor, sich die Menschen regelmäßig trauen, auf Bil­dungs­fahrt nach Berlin zu ge­hen, wird es wohl bis Anfang 2024 dauern. Ein Teil wird aus Kosten- und Um­welt­grün­den künftig hybrid durchgeführt werden. Wir müssen unsere Preis­mo­delle über­ar­beiten.

Jetzt muss ich nur die Küchenbank nur weiter beobachten. Und gut hinhören!

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Foto:
C.E.