Herzlich willkommen! Hier bloggt eine Dolmetscherin. Wie Konferenzdolmetscher und Übersetzer arbeiten und leben, auch die jeweiligen -innen, der Beruf ist überwiegend weiblich, ist hier seit 2007 regelmäßig Thema. Außerdem denke ich über die Sprachen nach. Der Coronavirus hat aus dem Arbeitstagebuch ein subjektives COVIDiary gemacht.
Pandemien und föderale Landesstrukturen passen nicht gut zusammen.
Derzeit steigen die Zahlen, von täglich 30.000 Neuinfektionen und 300 Toten sind wir nicht weit entfernt. Und worüber debattiert das Land? Über Lockerungen und Urlaubsplanung. Vor einem Jahr gab es 300 Neuinfektionen täglich und den harten Lockdown.
Auch Onlinefatigue genannt |
Eine Pandemie und förderale Strukturen, die Menschen aus betroffenen Branchen auffangen sollten, (Volks-)Hochschulen, Kunst, Bühne, Tourismus, Messe- und Kongresswesen etc., war keine gute Idee, weil nach der ersten Schockreaktion die Entscheider anfingen zu warten, zu den Nachbarn und der Suprastruktur schielten, ob und wie diese aktiv wurden.
Dieses Warten, Beobachten und Nach-oben-Schielen haben wir jetzt im Bereich der Pandemiebekämpfung. Dazu die gesamtpolitische Lage, die Neigung vieler, sich zu profilieren: Pandemie und eine förderale Landesstruktur im Superwahljahr passen nicht zusammen. Denn Gesundheitspolitik ist aktuell Ländersache und ohne die sich reibenden Regionalfürsten nicht durchsetzbar.
Aber die Wohnungspolitik muss offenbar Bundessache sein! (Ironie aus.) Und die Bildungspolitik darf es wiederum nicht. (Ironie aus.) Rücksprung: Mit 14 Jahren habe ich aufgrund eines simplen innerdeutschen Umzugs ein Schuljahr verloren, denn der baden-württembergische Gymnasialdirektor hat bei meinem hessischen Gesamtschulzeugnis einfach jede Note um den Faktor eins verschoben, die Einsen wurden Zweien, die Mathe-Vier zur Mathe-Fünf und ... plötzlich fehlte "mindestens eine Eins" zum Ausgleich. In seinen Augen war ich sitzengeblieben, er durfte das so entscheiden, weil jedes Bundesland seine eigene Bildungspolitik betreibt.
Damals waren in Baden-Württemberg Legasthenie und Dyskalkulie noch nicht bekannt, Menschen wie ich fielen in der Regel durch die Raster. (Geblieben von den Einschränkungen ist fast nichts, Wörter wie Legasthenie schaue ich alle paar Monate nach, weil mir im Kopf das H immer wieder verrutscht, das ist alles.)
Andere Fächer habe ich ohne Mühen "aufgesogen", Bio zum Beispiel, und Logik hat mir auch gelegen, ich weiß, was eine exponentielle Kurve ist — und warum asiatische Länder so eindeutig sind in ihrer Seuchenbekämpfung. Damit sind wir wieder im Hier und Heute. Die halbherzigen Maßnahmen, die das Ganze in die Länge ziehen, nerven nur noch.
Eine Pandemie passt nicht zu Phasen der Meinungsbildung, der Abstimmung auf verschiedenen Ebenen, zur demokratischen Beschlussfassung unter Berücksichtigung aller divergierenden Interessen. Mit der Schwerkraft verhandeln wir ja auch nicht.
Diese Woche im französischen Radio (ich glaube am Dienstag, in der Morgensendung von France Culture, kurz nach sieben): Das französische Hotel- und Gaststättengewerbe rechnet damit, nicht vor März 2022 wieder einigermaßen normal arbeiten zu können. Als Geschäftsreisende in Sachen Sprache übertrage ich das schon beim Hören auf meine Branche. Derzeit haben wir pro Kollgenduo hier eine, zwei Konferenzanfrage(n) für kurze Veranstaltungen im Quartal statt vorcoronatisch einer bis zwei pro Woche. Online-Events kompensieren nicht im Ansatz, was weggefallen ist, was sicher auch an der Onlinefatigue liegt, die sich im Land ausbreitet.
Und in der Zwischenzeit nehmen manche Abgeordnete und Funktionsträger Vorteile aus ihrer Amtsausübung wahr, die eigentlich nicht mit der Amtsausübung wahrgenommen werden dürfen, kassieren Geld, Stichwort Maskenaffäre(n), sogar der designierte CDU-Kanzlerkandidat hat seine, oder schustern anderen Gewinne in einer Art und Weise zu, die nur noch als schamlos etikettiert werden kann, was natürlich die Wut der Machtlosen, Ausgegrenzten, Berufsuntätigen und Long-Covid-Berufsunfähigen sowie der Schwurbler aller Couleur weiter erhöht. Da braucht sich ein Cocktail zusammen, der mir Sorgen bereitet.
Heute hat das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt. Ich darf mich da gleich einlesen (für einen Journalisten). Wir haben weiterhin Spätwinterwetter, der schwächelnde Golfstrom sorgt für eine gleichbleibende Lage, was angesichts volllaufender Intensivstationen zur Abwechslung mal eine gute Koinzidenz ist.
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Foto: Netzfund, leicht verändert
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