Montag, 30. November 2015

Klima, Acker, Gift

Zur täg­li­chen Arbeit der Dol­met­scher­in gehört die Lek­tü­re von Zeitungen und das Hin­ter­fra­gen des Ge­le­senen. Gleich­zeitig mache ich mich in mehreren Sprachen kundig und lege bei Themen, zu denen ich in nächster Zeit Einsätze erwarten darf, eigene Wortlisten an. Dazu schreibe ich in Ausgangs- und Zielsprache meine Zu­sam­men­fas­sun­gen und prüfe damit, ob ich die Begriffe beherrsche.

In Paris startet heute der Weltklimagipfel COP21. Etliche Rah­men­ver­an­stal­tun­gen wurden aus Sicherheitsgründen abgesagt, darunter auch eine Konferenz, auf der die hier berichtende Dolmetscherin normalerweise tätig gewesen wäre. Statt­des­sen sitze ich in Berlin und wasche von Nachbarn gespendete Kinderkleidung aus dem Keller und Flohmarktstofftiere, die ich morgen in einer Notunterkunft für Flüchtlinge abgeben darf. Und trotzdem bin ich mitten im Thema.

Nearly a million rural villagers lost their farms to the drought.
Link zum Syrien-Comic
Denn ich lese einen Text Korrektur, in dem es um Klimawandel und Flüchtlinge geht. Etliche Krisengebiete wurden durch die Macht­ha­ber zu Pulverfässern, aber als Zün­der und Funke fungierte nicht selten die kli­ma­ti­sche Situation. Auch das kenne ich von 'meinen' syrischen Patientinnen des Som­mers: Der Revolution in Syrien war eine mindestens fünfjährige Dür­re­pe­ri­o­de vor­aus­ge­gan­gen.
Im Falle der Verwandten einer meiner "Quel­len" hat die Dürre sieben Jahre ge­dau­ert, dann war nichts mehr vom einst florierenden Hof übrig. Sie zogen zu ihren Angehörigen in die Stadt und die Ver­sor­gung dort wurde für alle täglich kom­pli­zier­ter.

Westliche Asyl"fachleute" würden solche Menschen übrigens als "Wirt­schafts­­flücht­lin­ge" einstufen (und ihnen ohne den Kriegs­hin­ter­grund das Recht auf Asyl ver­weh­ren). Diesen Begriff müssen wir hinterfragen. Das Wort "Kli­ma­wan­del­flücht­lin­ge" ist zu sperrig, also "Klimaflüchtlinge".

Nicht nur unter Dürre hatten die syrischen Bauern an der jordanischen Grenze zu leiden, sondern auch unter Pestizidresistenzen und extrem zähem "Beiwuchs", der die Erträge schon vor der Dürre extrem reduziert hatte. Ähnliches hören wir aus den USA. Es sind Spätfolgen der Verwendung von "Roundup" der Firma Monsanto mit dem Wirkstoff Glyphosat.

Dieses Pestizid wird auch in Deutschland gespritzt, 15.000 Tonnen waren es 2013. Dabei steht der Stoff im Verdacht, Menschen krank zu machen. ZDFzoom hat schon vor zwei Jahren die Gefahren des Wirkstoffs hinterfragt, siehe unten. Der Film geht von armen Tabakbauern in ländlichen Gegenden Argentiniens aus, in denen sich Missbildungen bei Neugeborenen in den letzten zehn Jahren vervierfacht ha­ben. Dabei ist der argentinische Embryologe Andrés Carrasco eindeutig: Ab einer sehr niedrigen Glyphosatdosis beobachtet er bei Hühnerembryonen Fehlbildungen und Krebs. Die massive Verwendung in der ganzen Welt widerspreche allerdings auch ohne wissenschaftliche Gewissheiten dem im Grunde überall gütigen Vor­sor­ge­prin­zip.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ignoriert das Vorsorgeprinzip und hält den Wirkstoff für unbedenklich. Diese Bundesbehörde legt bei ihrer Einschätzung nur geheime und zum Teil of­fen­bar ano­ny­mi­sier­te Studien der Hersteller zugrunde. Verflechtungen des BfR mit der Industrie und dubiose Ver­schleie­rungs­tak­ti­ken führen für uns alle zu einem handfesten Problem, denn die Behörde er­ar­bei­tet die Grund­la­ge für die Verlängerung der Glyphosatzulassung durch die EU für die kom­men­den zehn Jahre.

Mit ihrer Einschätzung steht das BfR inzwischen isoliert da. Die Krebsforscher der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sation haben Gly­pho­sat letztes Frühjahr als "wahr­schein­lich krebserregend bei Menschen" eingestuft. Jetzt musste auch das BfR ein­räumen, dass es Hin­weise auf erhöhte Krebs­raten bei Tier­studien übersehen hat, so Re­cher­chen von MDR und Süd­deutsche Zeitung. Andere Wissenschaftler schalten sich ein. Mehr dazu in der SZ und auch in der Zeit.

Morgen Vormittag wird das Thema im EU-Ausschuss für Umwelt­fragen, öffent­liche Gesund­heit und Le­bens­mit­tel­si­cher­heit diskutiert, die Debatte kann im Eu­ro­parlTV live ver­folgt wer­den, übrigens mit Simultanverdolmetschung.


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Illustrationen: ZDFneo, phoenix, Comic "Years of Living
Dangerously", Symbolia Magazine, by Audrey Quinn
and Jackie Roche

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