Freitag, 21. August 2015

Urlaubsjob

Bien­ve­nue, herz­lich will­kom­men! Sie le­sen hier im Blog einer Dol­met­scher­in und Übersetzerin für die französische Sprache, die für Politik, Wirtschaft, Kultur und Bil­dung tätig ist. Manchmal aber auch dort, wo einfach nur Not am Mann (oder der Frau) ist. 

Heute habe ich von einer neu­en Variante meines Dolmetscharbeitsplatzes zu be­rich­ten, der Putzmittelkammer.

Kleine Wüstenprinzessin
Hier stehen drei un­ter­schied­li­che Stühle, dem einen fehlt eine Armlehne, dem anderen das Rückenteil, der dritte ist einfach nur hässlich. Hinter uns der Vorrat an Putzmitteln in milchigen Kanistern und ein kleines Fenster. Neben mir stehen Schrubber.
Die Registrierung der Flücht­linge und die erste Ver­sor­gung finde in Berlin auf einem Ni­veau statt, das zum Teil nicht einmal Dritte-Welt-Ländern entspricht, raunt mir ein sichtlich schockierter jun­ger Arzt zu.

Dort gebe es wenigstens nach westlichen Standards gepackte Sets und Zelte mit der nötigen Grundausstattung. — Hier ist alles zusammengestückelt, gespendet. Denn seit Wochen überlässt das Land Berlin es Freiwilligen, sich im Vorfeld der Re­gist­rier­ung um hunderte oft in der prallen Sonne wartende Menschen zu küm­mern. Es fehlt an allem: Sonnenschutz, Lebensmittel, ausreichend Wasser, Kin­der­be­treu­ung und eben auch medizinische Hilfe. Ehrenamtliche springen ein.

Die unter dem Slogan "Moabit hilft!" engagierten Bürger sichern die humanitäre Grundversorgung ab, die eigentlich der Staat leisten müsste. Nach ersten spon­ta­nen Wasserspenden und Tagen, an denen sich der Einsatz für die Beteiligten oft wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein angefühlt hat, sind nach und nach die Caritas, die Johanniter und auch die Dia­ko­nie erwacht. (Die Reihenfolge ist hier völlig willkürlich, kann sein, dass auch schon mal jemand der Genannten zwi­schen­durch vor Ort war. Das Gros der Aktionen, die Spendenaufrufe und auch die me­dia­le Verbreitung der Hilfegesuche geht auf jeden Fall auf Anrainer und von diesen Alarmierte zurück.)

Ich spreche über die zentrale Verwaltungsstelle, das Landesamt für Gesundheit und Soziales, LaGeSo. Ehrenamtlich arbeiten hier und im Bereich der Kirchen, der Obdachlosenanlaufstellen, Migranten- und Mütter-Kind-Vereine Ärzte, Psychologen und Sprach­kun­dige, darunter auch Dolmetscher. So kam ich zu meinen ersten Ein­sätzen, unter anderem am oben beschriebenen Ort. Wenn heute Abend 18.00 Uhr das LaGeSo schließt, wird den verbleibenden Männern, Frauen und Familien hof­fent­lich ein Bett in einer Unterkunft angeboten werden. Ich habe mit Leuten gesprochen, die einige Nächte lang im Tiergarten kampiert haben.

Gentleman of the South
Einmal bekam eine Frau einen Weinkrampf und war nicht mehr zu beruhigen. Für die Übersetzung des Psy­cho­lo­gengesprächs war zunächst eine 17-jährige Gymnasiastin aus Baden-Württemberg im Gespräch, die in den großen Ferien Freunde in Berlin be­sucht und sich spontan en­ga­giert hat. Die Hin­ter­grün­de für den Zu­sam­men­bruch der Flücht­lings­frau sind er­schüt­ternd.

Ich kann und will hier nicht mehr dazu schreiben.

Eine andere Patientin stammte aus Zentralafrika, musste als Kind die Ermordung der eigenen Familie miterleben, wurde dann gezwungen, als Kindersoldatin zu kämpfen, ging später als Haushaltshilfe nach Syrien, wurde dort weiter aus­ge­beu­tet und missbraucht. (Der Einsatz liegt schon länger zurück, hier kann ich of­fen­bar zusammenfassen.)

Natürlich habe ich nicht nur mehr Vokabular, sondern auch mehr professionelle Dis­tanz zu dem, was ich übertrage, als es die junge Schwäbin gehabt hätte. In der Nacht danach habe ich trotzdem bis vier Uhr morgens nicht geschlafen. In nor­ma­len Fällen bekommen wir nach solchen Einsätzen Supervision angeboten, Helfer ris­kieren Sekundärtraumatisierungen. Hier gibt es stattdessen als einzigen Lohn das nicht unbedeutende Gefühl, wenigstens etwas geholfen zu haben. Für das Geld, für das ich sonst länger in den Urlaub gefahren wäre, bringe ich Windeln und Babygläschen mit (und spende für andere Stellen).

Wie desolat Berlin ist, zeigt sich hier (und am Flughafenbau*). Die Hütte brennt. Wir rennen hin und helfen mit einer Menschenkette, die kleine Wassereimer zum Brand­herd befördert. Wir leben in einer modernen Gesellschaft, die Löschzüge ste­hen bereit. Der Staat sind wir. Wir haben Regierungsvertreter gewählt und Men­schen zur Verwaltung delegiert, die wir täglich bezahlen, die ihre Arbeit offenbar nicht ausreichend getan haben. Unter den Helfern schwillt der Groll.

Bald endet die Urlaubs- und Feriensaison. Auch wir Freiberufler müssen dann wie­der an den Umsatz denken. Nicht vorzustellen, was passiert, wenn bis dahin die Verwaltung nicht aus dem Knick gekommen sein sollte.


Hier der 1. Teil meiner kleinen Reihe zum Thema, Das rosa Kaninchen.
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P.S. Danke an Reinhard Ahrens für Fotos und Engagement!
*) Namensvorschlag für Schönefeld: "Flughafen Deutsche
Einheit", beides ist ähnlich lang + kompliziert zu erlangen

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