Heute habe ich von einer neuen Variante meines Dolmetscharbeitsplatzes zu berichten, der Putzmittelkammer.
Kleine Wüstenprinzessin |
Die Registrierung der Flüchtlinge und die erste Versorgung finde in Berlin auf einem Niveau statt, das zum Teil nicht einmal Dritte-Welt-Ländern entspricht, raunt mir ein sichtlich schockierter junger Arzt zu.
Dort gebe es wenigstens nach westlichen Standards gepackte Sets und Zelte mit der nötigen Grundausstattung. — Hier ist alles zusammengestückelt, gespendet. Denn seit Wochen überlässt das Land Berlin es Freiwilligen, sich im Vorfeld der Registrierung um hunderte oft in der prallen Sonne wartende Menschen zu kümmern. Es fehlt an allem: Sonnenschutz, Lebensmittel, ausreichend Wasser, Kinderbetreuung und eben auch medizinische Hilfe. Ehrenamtliche springen ein.
Die unter dem Slogan "Moabit hilft!" engagierten Bürger sichern die humanitäre Grundversorgung ab, die eigentlich der Staat leisten müsste. Nach ersten spontanen Wasserspenden und Tagen, an denen sich der Einsatz für die Beteiligten oft wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein angefühlt hat, sind nach und nach die Caritas, die Johanniter und auch die Diakonie erwacht. (Die Reihenfolge ist hier völlig willkürlich, kann sein, dass auch schon mal jemand der Genannten zwischendurch vor Ort war. Das Gros der Aktionen, die Spendenaufrufe und auch die mediale Verbreitung der Hilfegesuche geht auf jeden Fall auf Anrainer und von diesen Alarmierte zurück.)
Ich spreche über die zentrale Verwaltungsstelle, das Landesamt für Gesundheit und Soziales, LaGeSo. Ehrenamtlich arbeiten hier und im Bereich der Kirchen, der Obdachlosenanlaufstellen, Migranten- und Mütter-Kind-Vereine Ärzte, Psychologen und Sprachkundige, darunter auch Dolmetscher. So kam ich zu meinen ersten Einsätzen, unter anderem am oben beschriebenen Ort. Wenn heute Abend 18.00 Uhr das LaGeSo schließt, wird den verbleibenden Männern, Frauen und Familien hoffentlich ein Bett in einer Unterkunft angeboten werden. Ich habe mit Leuten gesprochen, die einige Nächte lang im Tiergarten kampiert haben.
Gentleman of the South |
Ich kann und will hier nicht mehr dazu schreiben.
Eine andere Patientin stammte aus Zentralafrika, musste als Kind die Ermordung der eigenen Familie miterleben, wurde dann gezwungen, als Kindersoldatin zu kämpfen, ging später als Haushaltshilfe nach Syrien, wurde dort weiter ausgebeutet und missbraucht. (Der Einsatz liegt schon länger zurück, hier kann ich offenbar zusammenfassen.)
Natürlich habe ich nicht nur mehr Vokabular, sondern auch mehr professionelle Distanz zu dem, was ich übertrage, als es die junge Schwäbin gehabt hätte. In der Nacht danach habe ich trotzdem bis vier Uhr morgens nicht geschlafen. In normalen Fällen bekommen wir nach solchen Einsätzen Supervision angeboten, Helfer riskieren Sekundärtraumatisierungen. Hier gibt es stattdessen als einzigen Lohn das nicht unbedeutende Gefühl, wenigstens etwas geholfen zu haben. Für das Geld, für das ich sonst länger in den Urlaub gefahren wäre, bringe ich Windeln und Babygläschen mit (und spende für andere Stellen).
Wie desolat Berlin ist, zeigt sich hier (und am Flughafenbau*). Die Hütte brennt. Wir rennen hin und helfen mit einer Menschenkette, die kleine Wassereimer zum Brandherd befördert. Wir leben in einer modernen Gesellschaft, die Löschzüge stehen bereit. Der Staat sind wir. Wir haben Regierungsvertreter gewählt und Menschen zur Verwaltung delegiert, die wir täglich bezahlen, die ihre Arbeit offenbar nicht ausreichend getan haben. Unter den Helfern schwillt der Groll.
Bald endet die Urlaubs- und Feriensaison. Auch wir Freiberufler müssen dann wieder an den Umsatz denken. Nicht vorzustellen, was passiert, wenn bis dahin die Verwaltung nicht aus dem Knick gekommen sein sollte.
Hier der 1. Teil meiner kleinen Reihe zum Thema, Das rosa Kaninchen.
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P.S. Danke an Reinhard Ahrens für Fotos und Engagement!
*) Namensvorschlag für Schönefeld: "Flughafen Deutsche
Einheit", beides ist ähnlich lang + kompliziert zu erlangen
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