Montag, 8. Juni 2015

Nicht Jacke wie Hose

Bonjour, guten Tag! Hier bloggt eine Dolmetscherin aus Berlin, Paris, Schwerin und von dort, wo Sie mich brauchen! Heute musste ich mich leider ärgern.

Anzug mit Testbildmuster
Mann mit Sendungsbewusstsein
Eine international tätige Firma aus dem Bekleidungssektor möchte eine neue Serie von Commercials drehen. Die Firma ist (auch) intensiv zwischen Frankreich und Deutschland tätig. In Berlin sollen die Auf­nah­men für die Werbefilme stattfinden. Im Vorfeld gibt es einen kurzen Tag zur Kon­takt­aufnah­me, dann ist ein Crea­tive workshop geplant, wie die Werbefilmer auch in einem deutschen Satz sagen, die­ser soll zwei Tage dauern, dann folgt ein Tag mit der Chef­eta­ge aus Paris, an­schlie­ßend drei mal zwei Drehtage in Berlin und Hamburg, am Ende noch ein Tag bei der Roh­schnitt­ab­nah­me. Zehn Tage sind es also insgesamt. Ich schreibe den Kos­ten­vor­an­schlag.

Als ich am ersten Tag, es waren drei Gespräche à maximal 50, 60 Minuten mit et­li­chen Pausen dazwischen angekündigt, ausnahmsweise alleine gedolmetscht hatte, habe ich wiederholt klargestellt, dass wir eigentlich zu zwei hätten sein müs­sen. Damals habe ich, als ausgerechnet das erste Gespräch doch gut 70 Mi­nu­ten lang dauerte, vor allen deutlich die Grenzen dessen, was so ein armes Dol­met­scher­hirn zu leisten im­stan­de ist, aufgezeigt: Ich bat um eine Pause. Anschließend wurden nochmal knapp 20 Mi­nu­ten drangehängt.

Wand, mit Nähmaschine und Maßband bemalt
Früher war die DDR das Billiglohnland
Die anderen Termine am Tag waren kurz, der eine dauerte knapp 40, der andere nur 25 Minuten. Alle waren glücklich über meine Arbeit und äußerten sich darüber hocherfreut, mich gefunden zu haben. Abends wurde auf die begonnene Zu­sam­men­ar­beit angestoßen. Tags drauf klin­gel­te es an der Tür, der Kunde hat mir sogar noch einen großen Blumenstrauß und Pralinen ins Büro geschickt.
Dass wir eigentlich immer zu zweit ar­bei­ten, hatte ich bei meinen Dankesworten auch noch einmal schriftlich bekräftigt. (Der erste Termin war so kurz­fris­tig an­be­raumt, dass ich auch niemanden mehr hinzuziehen konnten, denn er lag direkt zu Beginn der Kon­gress­sai­son.)

Wir rechnen mit zwei Dolmetscherinnen für zehn Tage. Drehs dauern meistens lange, Außendrehs besonders: hier geht's auch ums richtige Licht und darum, dass gerade kein Flugzeug zu hören ist. Wir kalkulieren daher mit einer höheren Summe als der sonstigen Verhandlungsbasis, die der Satz des Auswärtigen Amtes ist. Wir legen den Solo-Eil-Tarif vom ersten Termin zugrunde und erläutern das auch, dazu kommt ein kleiner Mengenrabatt, das ist branchenüblich.

Out of the blue geht die große Feilscherei los. To make a long story short: Das in­ter­na­tio­na­le Bekleidungslabel möchte auf jeden Fall nur eine Dolmetscherin dabei haben, und es besteht auf einem großen Mengenrabatt, mehr als 450 Euro möchte es nicht pro Tag zahlen, das Ganze als Pauschale, 4500 Euro, "bis das Projekt ab­ge­schlos­sen ist".

No way. Erstens kann ich nicht beeinflussen, welche Art von Problemen die Fer­tig­stel­lung der Filme möglicherweise verzögert. Außerdem weiß ich, was für Summen in der Werbebranche üblich sind und dass da alles extra kostet. Es tut weh, dass ausgerechnet an der nicht wertgeschätzten Spracharbeit geknausert werden soll. Und nach einem solchen Arbeitstag als Solo-Sprachartist ist ein Dolmetscher na­he­zu brain dead, weil der Haufen Wer­be­fuz­zis, der immer im Wechsel atmet, nach­denkt und spricht, ständig mehrstimmig mit (oft falschem) Denglish um sich wirft.

No hand shaking
Geiz ist eine ansteckende Krankheit
Dolmetschen ist extrem an­stren­gend, wenn Leute aber innerhalb eines Satzes ständig die Sprache wechseln und dann auch noch schlecht sprechen, ist die Anstrengung doppelt so groß, die Stab­über­ga­be unter uns Kol­le­gin­nen oft schon nach zehn Mi­nu­ten fällig.

Und auch die Filmfachtermini sind nicht ohne.

Der weltberühmte Herren- und Damenschneider, auch er lässt in Asien nähen, macht einen zweistelligen Mil­liar­den­um­satz im Jahr. Seine Anwälte hired er dort­selbst sicher auch for some bucks! Nee, nee, ich bin not amused.

Und ich mache mir über "meinen Kunden" ebenso viele Sorgen wie über unsere Branche. Wen werden sie da jetzt verheizen? Und mit welchem Ergebnis?

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Foto: C.E. (Fabrikmauer aus Crimmitschau)

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