Donnerstag, 11. Juni 2015

Auf dem Schreibtisch XXII

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch rein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Brüssel und gerne dort, wo Sie mich brauchen! Heute wieder: Blick auf den Schreibtisch.

Anfang der Woche haben wir für die Studiengruppe eines Großunternehmens gedolmetscht, heute Abend ist ein Vortrag dran. Nach dem Ein­satz ist im­mer vor dem Ein­satz, wir ver­wen­den das Gelernte, um gleich den nächsten Einsatz dieser Art vorzubereiten. Ebenso kann ich für heute auf die Arbeit zweier Kolleginnen zurückgreifen.

Vokabellernschreibtisch
Thematisch geht es dieser Tage um:
  • Startups in Berlin
  • Schlaf und Diabetes
  • Krimis, die den 2. Weltkrieg als Hin­ter­grund­mu­sik haben 
  • Kunstwerke aus Frank­reich, die nach 1940 vom deutschen Militär ge­stoh­len worden sind, Stichwort "Pro­ve­ni­enz­for­schung"
  • Afrika und Nachhaltigkeit
Geschichte dominiert derzeit, gefolgt von Wirtschaft, Gesundheit und Geopolitik.

Ohne Vor- und Nachbereitung würde es uns Dolmetschern oft die Sprache ver­schla­gen.

Nur die gründliche, langwierige Einarbeitung, die Arbeit an den Fachbegriffen und das Dokumentieren von Einsätzen (was wieder die Lexiken nährt) versetzen uns überhaupt in die Lage, unsere Arbeit sinnvoll zu machen. Denn Dolmetscher sind keine Sprachmaschinen, sondern mitdenkende Wesen.

Deshalb wird man uns auch in nächster Zeit nicht durch Maschinen ersetzen kön­nen, dafür sind Sprachen, Argumentationsmuster, Sprechstrategien wie Ironie, Auslassungen usw. einfach zu komplex. Oder denken Sie einfach nur an Sprach­feh­ler oder Versprecher ...

Unsere Vorbereitungszeit wird nicht extra vergütet, sie ist im Honorar inbegriffen. Die Branche denkt allerdings darüber nach, das zu ändern, seit immer mehr Kon­fe­ren­zen erst von drei auf zwei und nun auf anderthalb Tage verkürzt worden sind — bei nahezu gleich­blei­ben­der Sprecherzahl. Es gibt mehr Keynotes, die Tage werden länger, die ein­zel­nen Beiträge kürzer. Der Vorbereitungsaufwand ist damit, run­ter­ge­bro­chen auf den einzelnen Honorartag, erheblich gewachsen.

In diesem Zusammenhang erfolgt nochmal meine Warnung vor dubiosen Sprach­mak­lern, die derzeit wie die Pilze aus dem regennassen Boden schießen (sie lassen sich im In­ter­net ja auch prima mit aller vermeintlichen Seriosität simulieren): Diese bieten Ihnen als Erstkunden mög­lich­er­wei­se einen großen Preis­nach­lass an, was ja auf den ersten Blick gut klingt. Zum Dol­met­sche­r/zur Dolmetscherin ge­lan­gen von Ihrem Geld dann 40 bis 60 %. Ergebnis: Sie bekommen jemanden, der sich, weil er (oder sie) von Einsatz zu Einsatz hetzt, nicht in in der Intensität vor­be­rei­ten kann, wie Sie es zu Recht erwarten. Außerdem lassen sich erfahrene Kol­le­gin­nen und Kol­le­gin­nen auf derlei nicht ein.

Hier, wie Sie Agenturen/Sprachmakler vermeiden können: Link zu "Wie erkenne ich Freiberufler?"

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Foto: C.E.

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