Mittwoch, 3. Juni 2015

Ausführliche Notizen

Will­kom­men auf der Sei­te ei­ner Fran­zö­sisch­dol­met­scher­in und -über­set­zer­in aus Berlin. Hier kön­nen Sie Einblicke in meinen Alltag nehmen. Letzte Woche im Cen­tre Français de Wedding, einem der deutsch-fran­zö­si­schen Orte Berlins: Blick in den Notizblock, es war übrigens ein ehrenamtlicher Einsatz.
 
Wir Dolmetscher notieren im Falle von zeitversetzem Dolmetschen das, was gesagt und nachzusprechen ist, mittels Notizen in Form von Symbolen und sprach­un­ge­bun­denen Kürzeln. Soweit die Theorie. Diese Kürzel sind oft grandios in ihrer Ein­fach­heit und Veränderbarkeit.

Hier ein Beispiel:
inte —  interessant (ohne Unterstreichung)
inte —  sehr interessant (einfache Unterstreichung)
inte — außerordentlich interessant (doppelte Unterstreichung)
inte — nicht ohne Interesse  (gepunktete Unterstreichung)
........

Schon mit der Punktlinie stoße ich an die Grenzen dessen, was der Pro­gram­mier­code html erlaubt. Unterstrichen in Wellenform würde bedeuten: kein Interesse; inte — kein Interesse mehr.
 
Notizentechnik arbeitet mit Abkürzungen und vor allem mit Symbolen (siehe un­ten). Inte ist schon sehr lang, was aber nur daran liegt, dass int bereits mit "in­ter­na­tional" belegt ist. Diese Methode ist auf jeden Fall wunderbar für Sätze wie: "Ich möchte heute die hier ver­sam­mel­ten Arbeitgeber, Arbeiter und Personen der Zivilgesellschaft in der deutschen Hauptstadt begrüßen! Wir als Unternehmen arbeiten mit unseren Fa­bri­ken seit Jahren auf dem Weltmarkt, und wir tun alles dafür, dass das auch in Zei­ten der Globalisierung so bleibt!" Sie eignet sich weiter für Zahlen, Daten, Fakten (Bild­bei­spiel über Bildungsstatistik).

Zu L'Absence von Mama Keïta
Schwieriger mit Symbolen abzubilden sind Sätze wie diese: "Beim Dreh mussten wir sehr große Unterschiede überwinden. Die senegalesischen Schauspieler haben nicht viele Möglichkeiten, in Übung zu bleiben und sich zu professionalisieren, denn dort wird nur alle drei Jahre ein Film gedreht. Ich musste daher mit sehr viel Verständnis an die Sache herangehen. Ich durfte nicht ungeduldig sein, was ich sonst oft bin, durfte zugleich keine Abstriche in Sachen Qualität machen ..."
Dafür kenne ich keine Zeichen, jedenfalls nicht auf die Schnelle. Je länger ein Ge­spräch dauert, je feiner und verästelter es wird, desto mehr neige ich zum mehr oder weniger wörtlichen Mitschreiben.

Meistens notiere ich in der Zielsprache, außer, ich bin schon recht müde vom Ein­satz. In der Ausgangssprache notiere ich alles, zu dem mir in der Zielsprache nicht gleich die Entsprechung einfällt. Bin ich mir nicht ganz sicher, kann es sein, dass ich sogar beide Varianten aufschreibe, konkretes Beispiel (rechte Spalte, ab 8. Zeile): le jeune premier — der jugendliche Held.

Symbole und der Buchstabe "E"
Diese Mitschrift hat mir beim Dol­met­schen als visuelle Stütze geholfen. In der Situation selbst habe ich aber frei gesprochen und dabei die In­for­ma­tionen zusammengefasst. Der Redner, es handelt sich um den Regisseur Mama Keïta, der ganz wunderbar über seinen Film L'Absence sprach, berichtete ein­mal mit zwei inhatlich nicht mo­ti­vier­ten Schlei­fen in der Menge von drei­ein­halb No­tiz­zetteln lang, was zu be­wäl­ti­gen mir beinahe Sze­nen­app­laus ein­ge­bracht hät­te.

Und für den jugendlichen Helden gibt es einfach mal kein Symbol, es sei denn, ich hätte mir mal selbst eines ausgedacht, weil z.B. bei einer Konferenz über Dra­ma­tur­gie sehr häufig von einem solchen die Rede gewesen wäre.


P.S.: Sind mir Eigennamen nicht bekannt, schreibe ich sie so auf, wie ich sie höre, Beipiel rechts oben: der vor zwei Jahren verstorbene Mouss Diouf, der einen Zu­häl­ter gespielt hat.
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Foto: C.E.

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