Die Speiseröhre führt nicht in den Magen |
Den lustigen Teil ziehe ich vor, dann habe ich ihn hinter mir, denn zum Lachen ist mir nicht zumute: Ernährung via Tropf nennen die Deutschen eine Infusion, en français la perfusion, was zu verhuddeln nicht angesagt ist, denn unter une infusion verstehen Franzosen wiederum ... Kräutertee! (Ich habe das hier sicher schon mal gebracht, aber mit einer solchen eher lustigen "Auffrischung" begann gestern Nacht meine medizinische Lernstunde. Die Buchung war kurzfristig.)
Der Rest war traurig. Zwischen OP-Planung und Elterngespräch wurde ich begrüßt, spielte Mäuschen und schrieb erst einmal Medizinerjargon mit. Es geht um ein Frühgeborenes mit extrem niedrigem Geburtsgewicht, das nach etwas mehr als der halben 'Brutzeit' das Licht des Berliner Himmels erblickt hat. Zusätzlich zu seiner extremen Unreife leidet es unter einer "Oesophagusatresie", von Oesophagus (Ösophagus, die Speiseröhre) und Atresie (nicht gebaut oder später durch eine natürliche Öffnung oder Kanal geheilt), l'atrésie de l'oesophage, auch Speiseröhrenverschluss genannt. Am Vorabend habe ich Wörter wie Verengung (Stenose) und parenterale Ernährung (pE, unter Umgehung des Verdauungstraktes) gepaukt.
Und wieder hat mich mein Beruf aus dem stillen Übersetzerstübchen herausgerissen und mitten ins Leben hineinkatapultiert. Dabei ist die Vielfalt dessen, womit wir uns beschäftigen, wohl kaum zu überbieten. Bei meinem letzten Auftrag ging es um die Eröffnung einer Kunstausstellung, das vorletzte Gespräch drehte sich um einen Grauwasserkreislauf für einen Berliner Haushalt. Wir Dolmetscher sind Lernprofis und lernen alles, wenn es nur einen lebendigen Bezug dazu gibt.
Zurück ins Krankenhaus. Im Patientenangehörigenaufklärungsgespräch geht es um den Verlauf einer anstehenden Operation und um die möglichen Gefahren. So etwas zu verdolmetschen nimmt mich regelmäßig ziemlich mit. Kurz beschleicht mich der Gedanke, dass das Kind so früh auf die Welt kam, weil sich die Natur gesagt hat, dass es mit der Fehlbildung am Ende nicht lebensfähig sein wird.
Brutkasten mit Ventilator |
Die Hauptperson des Tages, zwei Handvoll Baby, liegt derweil nebenan im Brutkasten. Es wird nur über "das Kind" gesprochen, erst am Ende wird am Rand erwähnt, welches Geschlecht das aus dem Nest gefallene Vögelchen hat. Sein Name fällt in der ganzen Zeit, ich bin anderthalb Stunden vor Ort, kein einziges Mal. Ich wünsche ihm, seinen Eltern und seinen Ärzten von Herzen das Allerbeste.
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Fotos: Wikicommons und C.E.
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