Dienstag, 15. April 2014

Wegweisen und Brüllen

Will­kom­men auf den Sei­ten des ersten Dol­met­scher­blogs Deutschlands aus dem In­ne­ren der Ka­bine. Hier schreibe ich über den Alltag von uns Sprachmittlern.

Immer öfter werden wir zwi­schen­durch für kurze In­ter­ven­tionen am Telefon angefragt. Das sogenannte "Te­le­fon­dol­met­schen" ist nicht ohne Tücken, denn meistens geht es um komplexe Themen. Wichtig ist ein Vorgespräch mit einer der Seiten, die gerne auch Do­ku­men­te senden darf.

Ausnahmen sind einfache Gespräche wie Hotelreservierungen oder etwas in dieser Preislage. Bei vielschichtigen Inhalten ist es wichtig, dass besagtes Vor­be­rei­tungs­ge­spräch früh genug stattfindet, hier war das am Freitag der Fall, damit un­ser­ei­­nem genug Zeit zum Einlesen in die Thematik bleibt. Heute stand dann ein Sorge­rechts­streit auf der Tagesordnung. Ich hatte mich gut eingelesen, auch die Fall­stricke und Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland studiert, eine klei­ne Vo­ka­bel­liste angelegt, und los ging's. Am Anfang brauchten wir einige Minuten, um den modus operandi zu klären. Bei normalem Dolmetschen legen wir großen Wert auf eine gute Sicht auf das Podium, weil wir einen Teil der Informationen von den Lippen ab­le­sen können. Bei Begleitdolmetschen, wenn alle in ein- und dem­sel­ben Raum sind, ist das noch einfacher.

Menschen nur zu hören ist also keine einfache Dolmetschvoraussetzung. Hier wur­de die Situation dadurch verschärft, dass die Stimmung emo­ti­o­nal hochgradig auf­ge­laden war. Die Gesprächspartner sind einander immer wieder ins Wort ge­fal­len, was bei einer einsprachigen Situation schon nicht schön ist, mir hier aber das Dol­metschen verunmöglicht hat. Etwa dreimal habe ich freundlich darauf hin­ge­wie­sen, dann musste ich lauter werden. Für uns auf Diplomatie geschulte Dol­met­scher ist das nicht einfach. Ich ließ also ein überaus gut vernehmbares: Please stop tal­king at the same time, I can't work under these conditions! los und erklärte er­neut von Anfang an meine Arbeitsweise. Dann ging's.

Das Gespräch dauerte anderthalb Stunden. Danach war ich wie durch die Mühle gedreht. Telefondolmetschen ist eine Notlösung. Dolmetschen ist bei normalen Konferenzsituationen schon so anstrengend, dass wir uns alle 20 bis 30 Minuten ablösen. Wer sein Oberstübchen überstrapaziert, riskiert bleibende Schäden, das wurde uns im Studium eingetrichtert.

Telefondolmetschen kommt mir bei komplexen Themen schwerer vor als das Dol­met­schen in der Kabine. Ich sehe die Sprechenden nicht. Das Nonverbale, das mir auch beim Übertragen hilft, fällt weg, außerdem fehlt die Ablösung, die hier im Grunde noch wichtiger wäre als sonst. Eine weitere Belastungsebene gab es hier leider: die Inhalte. Das Besprochene durfte ich nicht so stark an mich he­ran­kom­men lassen, denn es ging auch um Kindesmisshandlung und seelische Grausamkeit.

Noch etwas zum Preis: Es gibt im Netz viele dubiose Anbieter, die solche Dienst­leistungen für einsfuffzig die Minute, am besten mit Prepaidkarte, verticken. Ei­gent­lich gingen die Anbieter von einer raschen Sprachvermittlung z.B. für Fahrer von im Aus­land liegengebliebenen Autos aus, inzwischen wildern sie immer mehr auf dem "echten" Dolmetschmarkt. Von den 1,50 bekommt der Dolmetscher am Ende 45 Cent ausbezahlt; Zeit für Vorbereitung wird nicht honoriert. Das ist natürlich nicht der Preis, zu dem ein ernsthaft arbeitender Profi auch nur erwägt, tätig zu wer­den, dann sind wir lieber gleich kostenfrei für einen wohltätigen Zweck un­ter­wegs.

Für Privatkunden, die nicht auf Rosen gebettet sind, finden wir übrigens auch So­zialtarife, was nebenbei den nicht uncharmanten Vorteil hat, dass dann nicht |die Krake| |die fachfremde Dolmetschagentur, die auch Laminat verkaufen könnte| der nur an seinen Prozenten interessierte Dolmetschmakler gefüttert wird.

Das war ein anstrengender Arbeitstag. Zum Glück darf ich derzeit abends ins Kino und bei achtung berlin Publikumsgespräche moderieren. Das ist das kleine und feine Berlinfilmfestival, das ich seit bald zehn Jahren begleite.

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Illustration: Archiv

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