Donnerstag, 10. April 2014

Kopfgeschehen

Gu­ten Tag oder Abend auf den Sei­ten des ersten deut­schen Web­logs aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Hier schreibt ei­ne Fran­­sisch­dol­metscherin über Ber­lin, Paris, Cannes und anderswo. Heute: Blick in den Kopf.

Der Moment, in dem ein winziger Wasserstrahl zum Tropfen wird
Moment, der sich der Wahrnehmung entzieht
Dass das körpereigene Oberstübchen mal heiß­läuft, kennt wohl jeder. Wir Dol­met­scher merken es bei der Arbeit immer wie­der: verschiedene Hirnareale sind enorm strapaziert, ein Wärmegefühl entsteht, der Kopf träumt in Bruchteilen von Sekunden sein Gegenprogramm.

Dolmetschen ist geistiger Hoch­leistungs­sport. Damit keine dauerhaften Schäden an den neu­ro­na­len Schaltungen entstehen, wechseln wir uns in der Kabine alle 20 bis 30 Minuten ab. Einsätze als Solo-Dol­met­scher­in, z.B. beim Aushandeln eines Vertrages in einer Be­gleit­dol­metsch­si­tuation, können schon mal län­ger dauern. Hier freut sich das Hirn über jede noch so kurze Pause.

Aber auch im einsprachigen Alltag sind die entsprechenden Areale der grauen Mas­se von Sprachmittlern aktiver als bei einsprachigen Menschen. Mir fällt es immer auf, wenn ich an ein zurückliegendes Gespräch denke und überlegen muss, in wel­cher Sprache es geführt wurde. Manchmal erinnere ich mich über die tatsachliche Sprache hinaus an Satzkonstruktionen oder Wortwahl zum betreffenden Thema, die allerdings zum anderen Idiom gehören. Wie kann das sein?

Wenn sich Mehrsprachige äußern, feuern offenbar nicht nur die Neu­ro­nen, die zur ak­tu­el­len Inhaltsproduktion gehören. Dieses "Feuern" begleitet ein Suchen nach Ent­spre­chungen in der/den anderen Sprache(n). Das erscheint mir ziemlich lo­gisch. Ich weiß nicht, ob Ihnen das schon aufgefallen ist: Wenn wir Menschen ein Wort suchen oder sein Synonym, weil wir es ele­gan­ter ausdrücken möchten, schwin­gen mögliche Ersatzbegriffe beim Sprechen immer leise mit.

Da ich mein Dolmetscherhirn manchmal Sekundenbruchteile lang beobachte, es ist wie mit dem Kürzestschlaf, von dem ich eingangs sprach, habe ich das schon oft erlebt. (Im Normalfall reflektiere ich beim Dolmetschen tunlichst nicht, was ich da gerade mache, es würde den gesamten Prozess torpedieren.) Und so flackern hier nicht nur Synonyme auf, sondern ich spüre geradezu physisch die anderssprachigen Vokabeln mitschwingen.

Regenmäßiges, in Stein gemeißeltes Labyrinth
So sieht das Gehirn nicht aus
Für das Dolmetscherhirn scheinen die verschiedenen Termini aus den un­ter­schied­li­chen Idiomen also nur so etwas wie gleichbedeutende Begriffe zu sein. Trotzdem vermische ich im Alltag nur sehr selten meine Sprachen. Damit ich mich verständlich machen kann, gibt es irgendwo im Kopf ein Wissen darum, zu welcher Sprache welches Wort schluss­end­lich gehört.

Diese Sprachen sind im Normalfall von­ein­an­der getrennt, die Trennung fühlt sich an wie eine Mauer.

Im Dolmetschprozess habe ich gelernt und in jahrelanger Praxis geübt, dieses Trenn­ele­ment durchlässiger  zu machen. Ich sehe/spüre die Idiome und ihre gram­ma­tikalischen Strukturen und Ein­zig­ar­tig­keiten parallel und lasse zu, dass sie gleich­zeitig vorhanden sind. Den parallel mitlaufenden Strom in der anderen Spra­che greife ich nun auf, hole ihn ins Bewusstsein, kontrolliere ihn vor und beim Sprechen und gleiche ihn mit dem anderen Sprachstrom ab.

Denn wir Dolmetscher hören nicht nur dem zu, was verdolmetscht werden soll, wir hören uns auch selbst zu. Die Qualitätskontrolle des Outputs bringt uns, sofern mög­­lich und nötig, zum Reagieren, Ergänzen oder Korrigieren. (A propos Korrektur: Neulich sagte ein Redner im mündlichen Vortrag aus Versehen das Gegenteil des­sen, was im Konzept stand und was auch logisch war. Ich habe zunächst den Fehler mitübersetzt, ihn dann korrigiert und den Satz "... muss es wohl heißen" nach­ge­scho­ben. Das erwies sich später als richtig und wichtig. In der an­schlie­ßen­den Dis­kus­sion fußten die ersten drei Fragen auf diesem Versprecher.)

Zum ersten Mal habe ich den hier doppelten Sprachstrom mit 14 Lenzen gespürt. Ich saß am Esstisch im Haus meiner Eltern, sah aus dem Fenster und dachte:

Il pleut. Zu dieser zweisilbigen Beschreibung kam unvermittelt noch ein "-net" hinzu, "Il pleut-net" also. Was war geschehen? Das da:

Il pleut. (‿ ‿)
Es regnet. (‿ ‿ ‿)

Davon ist damals mein Oberstübchen natürlich noch nicht heißgelaufen. Aber ich hatte eine leise Vorahnung von dem, was kommen sollte.

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Fotos: C.E. (Archiv)

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