Der Sommer treibt merkwürdige Blüten. Und Outsourcing von Arbeit ist jetzt auch bei Übersetzern angekommen. Merkwürdige Gebrauchsanleitungen von kleinen Verbrauchsgütern haben das ja schon lange nahegelegt, die sind oft kaum verständlich und der Anteil der korrekt übersetzten Begriffe gering.
Jetzt betrifft das Problem auch schwere Agrarmaschinen. Da viele Kollegen derzeit im Urlaub sind, scheinen manche Billigheimer großes Muffensausen bekommen zu haben. Auch meine Büropräsenz ist derzeit höchst virtuell, aber bei Bedarf helfen wir weiter. Daher landete jetzt eine Sammelmail bei mir im Briefkasten, genauer: am Dienstag, dem 23. Juli, abends um kurz vor sechs, eine Übersetzungsanfrage mit Liefertermin 25. Juli, 8.00 Uhr morgens.
Das wäre ein klarer Fall für einen Eilzuschlag. Denn der Umfang, 1312 Wörter, ist schon für eine "normale" Übersetzung stattlich, nämlich mehr als die Hälfte eines durchschnittlichen Tagesprogramms, einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad vorausgesetzt. (Hier rechnen wir Pi mal Daumen mit 2500 Wörtern.)
Technische Übersetzungen brauchen mehr Zeit und Vorkenntnisse. Fehlt die Spezialisierung, wird die Arbeit mehr Zeit kosten. Dieser Mehraufwand würde bei mir die Rechnungssumme erhöhen. Es ist ja nicht mein Risiko, dass offenbar eine Agentur einen fest terminierten Auftrag angenommen hat und dass ihr anschließend auffiel, dass die Fachübersetzer im Urlaub sind. Ich nenne das einen Managementfehler. Die Agentur müsste hier auf einen Teil der Marge verzichten oder sogar draufzahlen, weil sie z.B. auch im Hochsommer ihren Stammkunden halten will.
Der Blick ins Dokument bestätigt meine kühnsten Befürchtungen. Es geht um viele technische Details, die nur absolut sicher in den Griff zu kriegen sind, wenn ich zuvor Zeit hatte, mir auf einer Landwirtschaftsmesse Prospekte und Datenblätter deutscher Hersteller zu besorgen. Fachübersetzer (und -dolmetscher) arbeiten so. In meiner Materialsammlung befinden sich z.B. etliche englische, französische und deutsche Informationen über digitale Kinoprojektoren.
Dann betrachte ich die Illustrationen. Au weia. Da hat jemand aber große Angst vor der Konkurrenz gehabt: Anstelle der Fotos sind hier nur graue Flächen mit "Pfeilen" wiedergegeben, die in der grauen Masse enden. Ich könnte also nicht mal meinen Lieblingsagrartechniker fragen, sofern ich einen hätte. (Im Filmbereich arbeite ich so.)
Hier ein gebasteltes Beispiel:
Begriffe und Bildbeispiel wurden wild aus den 1312 Wörtern zusammengeschustert |
Aber das ist noch nicht alles, ich nähere mich langsam der Pointe des Auftrags, den ich in der Einleitung angedeutet habe. Die Anfrage kam nämlich ... von einer Agentur, die alles macht: Lokalisierung, Webseitenbau, Übersetzen, Dolmetschen, Schulung, Grafikdesign. Wer weiß, ob der Endkunde diese Firma direkt kontaktiert hat oder ob die nur Sub-Sub-Unternehmer sind.
Name und Schriftzug wirken nicht vertrauenserweckend. (Hab's leicht verändert, aber der "Stil" ist gewahrt.)
Zum Schluss hier die Anfrage, aus der die großzügige Honorarhöhe hervorgeht:
asap — as soon as possible |
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Illustrationen bearbeitet von C.E.
(*) siehe Mailcorpus
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