Donnerstag, 25. Juli 2013

Outsourcing

Willkommen beim ersten Weblog Deutsch­lands aus dem In­neren der Dol­met­scher­ka­bine. Im Som­­mer­ ist das Bü­­ro be­­setzt. Heute: Blick in den Brief­kasten.

Der Sommer treibt merkwürdige Blüten. Und Outsourcing von Arbeit ist jetzt auch bei Übersetzern angekommen. Merkwürdige Gebrauchsanleitungen von kleinen Ver­brauchs­gü­tern haben das ja schon lange nahegelegt, die sind oft kaum ver­ständ­lich und der Anteil der korrekt übersetzten Begriffe gering.

Jetzt betrifft das Problem auch schwere Agrarmaschinen. Da viele Kollegen derzeit im Urlaub sind, scheinen manche Billigheimer großes Muffensausen bekommen zu haben. Auch meine Büropräsenz ist derzeit höchst virtuell, aber bei Bedarf helfen wir weiter. Daher landete jetzt eine Sammelmail bei mir im Briefkasten, genauer: am Dienstag, dem 23. Juli, abends um kurz vor sechs, eine Übersetzungsanfrage mit Liefertermin 25. Juli, 8.00 Uhr morgens.

Das wäre ein klarer Fall für einen Eilzuschlag. Denn der Umfang, 1312 Wörter, ist schon für eine "normale" Übersetzung stattlich, nämlich mehr als die Hälfte eines durchschnittlichen Tagesprogramms, einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad vorausgesetzt. (Hier rechnen wir Pi mal Daumen mit 2500 Wörtern.)
 
Technische Übersetzungen brauchen mehr Zeit und Vorkenntnisse. Fehlt die Spe­zi­a­li­sie­rung, wird die Arbeit mehr Zeit kosten. Dieser Mehraufwand würde bei mir die Rechnungssumme erhöhen. Es ist ja nicht mein Risiko, dass offenbar eine Agen­tur einen fest terminierten Auftrag angenommen hat und dass ihr an­schlie­ßend auffiel, dass die Fachübersetzer im Urlaub sind. Ich nenne das einen Ma­nage­ment­feh­ler. Die Agentur müsste hier auf einen Teil der Marge verzichten oder sogar draufzahlen, weil sie z.B. auch im Hochsommer ihren Stammkunden halten will.

Der Blick ins Dokument bestätigt meine kühnsten Befürchtungen. Es geht um viele technische Details, die nur absolut sicher in den Griff zu kriegen sind, wenn ich zuvor Zeit hatte, mir auf einer Landwirtschaftsmesse Prospekte und Datenblätter deutscher Hersteller zu besorgen. Fachübersetzer (und -dol­met­scher) arbeiten so. In meiner Materialsammlung befinden sich z.B. etliche eng­lische, französische und deutsche Informationen über digitale Kinoprojektoren.

Dann betrachte ich die Illustrationen. Au weia. Da hat jemand aber große Angst vor der Konkurrenz gehabt: Anstelle der Fotos sind hier nur graue Flächen mit "Pfeilen" wiedergegeben, die in der grauen Masse enden. Ich könnte also nicht mal meinen Lieblingsagrartechniker fragen, sofern ich einen hätte. (Im Filmbereich arbeite ich so.)

Hier ein gebasteltes Beispiel:
ELEMENTS D'ALIMENTATION CONDUITES ENTRE LE TRACTEUR ET LA MACHINE ET PICTOGRAMMES DE SÉCURITÉ  (1) Boîtier ou poignée de commande en cabine (2) Jauge à tube extérieur (3) Conduites hydraulique pour connection au double effet du tracteur (4) Soupape de sécurité 12 bars (5) Poignée de commande en cabine ou boîtier si option électro-distributeur hydraulique (6) Conduite hydraulique pour connection au simple effet du tracteur (7) Emplacement prise du câble électrique d'éclairage (8) Emplacement prise du faisceau électrique de connexion au boîtier de commande en cabine (9) Régulation débitmètrique avec capteur de vitesse, vanne de régulation et débitmètre (10) Relevage hydraulique avec suspension sur boule d’azote (11) Sélecteur de circuit (12) Réglage du pulvérisateur lors des mesures (13) Catadioptres rouge  (14) Panneaux d'avertissement
Begriffe und Bildbeispiel wurden wild aus den 1312 Wörtern zusammengeschustert
Basteln musste ich deshalb, weil ich ja keine Betriebsgeheimnisse veröffentlichen will und darf. Aber ich lese eindeutig Wörter wie "Sicherheits'tasse' (?) 12 Bar" (soupape de sécurité 12 bars), "Stickstoff" (azote), "Warntafel" (tableau d'aver­tis­se­ment), "elektrisches Leitungsbündel" (faisceau électrique) ... Au weia. Hier können sich Verbalimprovisationen schlimmstenfalls lebensbedrohlich auswirken.

Aber das ist noch nicht alles, ich nähere mich langsam der Pointe des Auftrags, den ich in der Einleitung angedeutet habe. Die Anfrage kam nämlich ... von einer Agentur, die alles macht: Lokalisierung, Webseitenbau, Übersetzen, Dolmetschen, Schulung, Grafikdesign. Wer weiß, ob der Endkunde diese Firma direkt kon­tak­tiert hat oder ob die nur Sub-Sub-Unternehmer sind.

Name und Schriftzug wirken nicht vertrauenserweckend. (Hab's leicht verändert, aber der "Stil" ist gewahrt.)
Auch die "Logline" der Firma klingt wie eine Bedrohung: "Ihr Job ist unser Ge­schäft". Die Agentur ist übrigens in Indien beheimatet. Das Kalkül: Dort lässt sich billiger leben, die Übersetzer kommen mit weniger aus. Nur sind derzeit offenbar die vielen indischen Fachübersetzer für Agrartechnik mit der Sprachkombination Französisch und Deutsch auf Muttersprachniveau in Urlaub!

Zum Schluss hier die Anfrage, aus der die großzügige Honorarhöhe hervorgeht:
We have 4 projects for Translation from French into German. / Total WC : 1312 / Client Budget for this particular project : 66 Euros / If you can take care of it, Please contact us asap. / You can contact us at any of the folioing ids ...
asap — as soon as possible
Jetzt kümmere ich mich asap um meine folioing (*) tasks.

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Illustrationen bearbeitet von C.E.
(*) siehe Mailcorpus

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